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E-Book

Schlüsselwerke der Pädagogik

Band 1: Von Plato bis Hegel

AutorKlaus Prange
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783170228443
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Pedagogy, as conscious companion to education, is influenced by cultural context, social constellation und biographical fortune. This consciousness has developed in to various types of expression. They reach from examples and tractates, novelist forms and programmatic essays to the systematic works of the older and current theory of education. The two volumes interpret the great works of pedagogic literature's contemporary meaning as well as the effects of the key texts for the development of pedagogic thinking.

Prof. Prange taught general pedagogy at the university of Tübingen.

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Leseprobe

1. Einleitung


Es versteht sich, dass jeder Jurist das Bürgerliche Gesetzbuch kennt und die Geistlichen mit der Bibel vertraut sind; künftige Philosophen werden kaum an Platos Dialogen und der „Kritik der reinen Vernunft“ vorbeikommen, auch wenn die weitere Lektüre dann recht verschieden ausfallen mag. Doch in der Pädagogik dürfte es schwer fallen, überhaupt einen Text anzugeben, der unbedingt von allen zu lesen wäre und gelesen wird, die sich als Experten dieses Faches ansehen. Hier verhält es sich eher so wie mit der so genannten schönen Literatur: der eine schätzt Dante und Goethe, die anderen halten sich an Thomas Mann und Samuel Beckett. Es mag örtliche Lektürevorschriften geben, aber einen Kanon als Pflichtprogramm für das Studium der Pädagogik gibt es nicht, und er scheint auch nicht erreichbar, vermutlich vielen nicht einmal erstrebenswert.

Wo Vorschriften fehlen, öffnet sich das weite Feld der Empfehlungen und der Beratung. In der Tat enthalten die gängigen Einführungen in die Pädagogik und ihre Gebiete zumeist auch Lektürevorschläge, gleichsam als Wegweiser im Labyrinth der Texte. So findet sich in dem überaus nützlichen „Wörterbuch der Pädagogik“, das Winfried Böhm herausgegeben hat, eine Liste der „pädagogischen Hauptwerke“. Sie umfasst nicht weniger als 99 Titel und Namen, angefangen mit Platos Dialog „Menon“ und einigen wenigen Schriften aus Antike und Mittelalter, Renaissance und Barock, um dann mit Rousseau in den breiten Strom der modernen Literatur zu Fragen der Erziehung, der Bildung und des Lernens einzumünden. Wer all das gelesen hat, wird von sich sagen dürfen, ein Fachmann zumindest des europäischen Erziehungsdenkens zu sein, auch wenn man noch an andere Autoren denken mag, die in der hier vorgelegten Sammlung berücksichtigt sind. Zum Beispiel Quintilian mit seinem Meisterwerk zur rhetorischen Erziehung oder Benedikt, dessen Mönchsregel das Muster für alle anderen Regeln des monastischen Lebens geworden ist, die noch folgten, oder Roger Ascham, dessen „Scholemaster“ von 1570 ein gutes Beispiel für die Schul- und Unterrichtspädagogik der Renaissance ist.

Im Einzelnen ist es wenig ergiebig, über die jeweils getroffene Auswahl zu rechten. Es soll hier genügen, die Gesichtspunkte zu nennen, die diese Auswahl bestimmt haben. Der erste und wichtigste ist, dass das betreffende Werk überhaupt etwas Wesentliches über Erziehung und Lernen enthält; des Weiteren ergibt sich die Bedeutung eben daraus, dass es einen Schlüssel zum Verständnis einer bestimmten Form und Absicht des Erziehens bietet, und drittens ist es der Gesichtspunkt der geschichtlichen und traditionsbildenden Wirkung eines Werks, wie sie zum Beispiel mit Rousseaus „Emile“ gegeben ist. Was jeweils allein oder in Kombination mehrerer Gesichtspunkte maßgebend für die Auswahl gewesen ist, wird sich im Durchgang zeigen und braucht nicht vorweg in allgemeiner Weise erörtert zu werden. Es sei aber nicht verschwiegen, dass gerade bei neueren Werke Präferenzen und Vorlieben des Verfassers sowie auch Wünsche des Auditoriums eine Rolle gespielt haben, dem die Nachlese oder wie man heute vornehm sagt: diese rélecture in einem mehrsemestrigen Zyklus von Vorlesungen angeboten worden ist. Daraus erklärt sich auch der Duktus des Folgenden, den ich im Wesentlichen nicht geändert, sondern nur hier und da etwas ermäßigt und von den schlimmsten Kathedermanieren befreit habe.

Wichtiger als die Begründung der Auslese ist es, vorweg die Form der Behandlung anzugeben und etwas dazu zu sagen, auf welche Weise und unter welchen Gesichtspunkten die Nachlese erfolgt. Wie liest man einen Text über Lernen und Erziehung aus dem Altertum oder aus dem 13. Jahrhundert, aus Amerika oder aus dem „Spiegel“? Es ist ein Irrtum anzunehmen, jeder könne alles lesen, nur weil man schon als Kind mit zehn Jahren in der Lage gewesen ist, Texte zu entziffern und zu „lesen“. Auf diesen Standpunkt mag sich ein Psychologe stellen, der eben das Entziffern zu seinem Beobachtungsobjekt macht und feststellt, wann mit welcher Sicherheit a und b unterschieden und identifiziert werden. Damit ist das Lesen noch gar nicht erfasst. Wir sehen nicht Bögen und Striche, die wir dann zu einem Wort zusammenfügen; das kann im Normalfall jeder nach dem Ende der Grundschule. Das ist noch gar nicht „Lesen“. Was aber dann? Wenn wir das Wort „Wald“ entziffern und aussprechen, sehen wir nicht Buchstaben, sondern wir „sehen“ den Wald, obwohl er gar nicht da ist. Der geneigte Leser möge sich eben jetzt prüfen, was er vor Augen oder im Ohr hat, wenn er den Satz liest und hört: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“ oder Mörikes „Frühling lässt sein blaues Band …“ oder den Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Man versteht da nicht Licht- und Schallwellen, die sich auf wundersame Weise in Bedeutungen verwandeln, sondern man sieht und hört Sachverhalte, die sich zeigen, andeuten, aber auch verbergen oder gänzlich verschlossen bleiben.

So gesehen kann man sagen: Lesen heißt, das sehen und verstehen, was andere geschrieben oder sonst in Zeichen ausgedrückt haben. Lesenlernen ist genau dies: die Sprache erlernen, in der Sachverhalte präsentiert werden, erst die elementare Lautsprache, das geschieht in der Grundschule, dann aber auch die Sprachen der Musik, z.B. Partituren, der Logik und der Physik, und so durch alle Fächer.

Die Lehre vom richtigen Lesen ist allgemein unter dem Titel „Hermeneutik“ bekannt. Sie braucht hier nicht eigens vorgestellt zu werden. Ich gehe gleich dazu über, was es heißt, einen Text zu lesen, der sich mit den Sachverhalten des Lernens und des Erziehens befasst. Es sind vier Gesichtspunkte, die dabei von Bedeutung sind und die ich einem Werk Carl v. Savignys entnehme. Er hat 1840 ein „System des heutigen Römischen Rechts“ vorgelegt und da vier Gesichtspunkte der Betrachtung angegeben: den grammatischen und den logischen, den historischen und den systematischen. Das Römische Recht war für Savigny einerseits schon etwas Vergangenes, kodifiziert unter Justinian im 7. Jahrhundert, also „historisch“, wie man so sagt, aber es sollte dennoch als Grundlage für Rechtsentscheidungen der Gegenwart dienen. Das Folgeproblem liegt auf der Hand: Wie liest man alte Texte, die in ganz anderen Lebensverhältnissen entstanden sind, und zwar so, dass sie für die gegenwärtige Lage wichtig und aktuell brauchbar werden können? Das ist auch unser Problem: Wie liest man den „Menon“, der etwa 400 Jahre vor der Zeitrechnung entstanden ist? Nur so, dass er als Zeugnis einer vergangenen Zeit und als Produkt eines bestimmten Autors verstanden wird, oder zugleich so, dass man daraus auch Einsichten über ein Problem gewinnen kann, das unverändert für uns besteht? Auch Savigny will ja nicht nur klären, wie man vor Zeiten einmal Erbverhältnisse rechtlich behandelt hat, sondern wie jetzt Erbfälle zu entscheiden sind. Wir wollen nicht nur wissen, wie Plato oder Thomas v. Aquin oder Rousseau früher über Lehren und Lernen gedacht haben, wir wollen sie auch nicht als Person kennen lernen – das geht sowieso nicht mehr –, sondern wir wollen wissen, ob das, was sie sagen, vertretbar ist oder nicht, ob sie recht haben oder nicht. Das ist der Sinn einer zugleich historischen und systematischen Interpretation von Texten. Sie hat zwei Seiten, die beide zu ihrem Recht kommen sollten.

Entlang dieser Unterscheidung des Historischen und des Systematischen führt Savigny auf beiden Seiten eine weitere Unterscheidung ein und gelangt damit zu den vier Gesichtspunkten der juristischen Auslegung: auf der Seite des Historischen das grammatische und das zeitgeschichtliche Verstehen und auf der Seite des Systematischen das logische und schließlich das systematische Verständnis eines Werkes. Diese vier Gesichtspunkte lassen sich als die Aufgaben beschreiben, die sich uns bei der Lektüre stellen:

  1. Es kommt darauf an, die Quelle zu sichern und genau hinzusehen, was dasteht. Das ist gewissermaßen die philologische Aufgabe, bei der wir deshalb in der Regel das Wissen der Philologen benutzen.
  2. Der Text gehört in einen zeit- und lebensgeschichtlichen Kontext. Mit den Theologen können wir von dem „Sitz im Leben“ sprechen, den eine Äußerung hat.
  3. geht es darum, den „logischen“ Zusammenhang zu rekonstruieren, in dem sich die Äußerungen bewegen; im Falle des „Menon“ und des platonischen Höhlengleichnisses ist das die Lehre vom Begriff und von den Ideen.
  4. schließlich geht es darum, das im „Höhlengleichnis“ Gemeinte in seiner aktuellen Bedeutung zu erfassen, um das Moment der Wahrheit herauszustellen und ggfs. zu relativieren und zu berichtigen.

In der Durchführung lassen sich diese Gesichtspunkte allerdings nicht „rein“ und schematisch anwenden. Das wäre nicht nur ermüdend, es würde auch kaum den Besonderheiten des jeweiligen Werks gerecht werden. So habe ich mich in einigen Fällen auf den Kern- und Hauptgedanken beschränkt, während ich bei anderen Werken versucht habe, einen Eindruck von allen ihren Teilen zu vermitteln. Auch fehlen gelegentlich die biographischen oder zeitgeschichtlichen Kenntnisse oder sie sind, gerade bei den großen Werken, ziemlich belanglos gegenüber dem, was gesagt wird. In der Tat steht das biographische oft genug dem systematischen Interesse im Wege. Doch darum geht es in der Hauptsache. Gerade deshalb scheint es mir geboten, auf die einzelnen Werke zurückzugehen und sie in den Mittelpunkt der pädagogischen Exegese zu rücken.

In seiner „kleinen Geschichte des Sprachdenkens“ hat Jürgen Trabant angemerkt, den...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Titel1
Grundriss der Pädagogik/ Erziehungswissenschaft6
Inhaltsverzeichnis8
1. Einleitung10
2. Plato: Menon15
3. Plato: Das Höhlengleichnis27
4. Quintilian: Institutio oratoria – Die Erziehung zum Redner39
5. Benedikt v. Nursia: Regula Benedicti – Die Benediktregel53
6. Thomas v. Aquin: De magistro – Über den Lehrer67
7. Thomas Elyot: The Governor und Roger Ascham: The Scholemaster78
8. Ignatius v. Loyola: Exercitia spiritualia – Die Geistlichen Übungen92
9. René Descartes: Regulae ad directionem ingenii – Regeln zur Leitung des Geistes101
10. Jan Amos Comenius: Didactica magna – Die Große Didaktik113
11. John Locke: Some Thoughts Concerning Education – Gedanken über Erziehung123
12. Rousseau: Emile ou de l’éducation – Emile oder über die Erziehung136
13. Wilhelm v. Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen148
14. Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen160
15. Johann Wolfgang v. Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre173
16. Johann Heinrich Pestalozzi: Brief an einen Freund über seinen Aufenthalt in Stans186
17. Johann Michael Sailer: Über Erziehung für Erzieher199
18. Immanuel Kant: Vorlesung über Pädagogik213
19. Johann Gottlieb Fichte: Reden an die deutsche Nation227
20. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Die Phänomenologie des Geistes239
21. Zwischenbilanz253

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