Ressourcen – Einführung in Merkmale, Theorien und Konzeptionen
Franz-Christian Schubert, Alban Knecht
1 Begriff und Kennzeichen von Ressourcen
1.1 Ressourcenbegriff
Der Begriff „Ressource“ ist vieldeutig und seine Geschichte weist darauf hin, dass das seit langem so ist. Das aus dem Lateinischen abgeleitete Wort bezeichnete ursprünglich die Wiederherstellung eines Zustandes, das Wieder-Aufrichten, das Sich-Erheben. Im Französischen stand das Wort „Ressource“ für hilfreiche Mittel und Möglichkeiten, für dienliche psychische und physische Fähigkeiten oder schlicht für Hilfe (Robert 1986). Im Deutsch des 19. Jahrhunderts bezeichnete „Ressource“ bürgerliche Unterhaltungs- und Erholungsvereine (Pfeiffer 1989; siehe z.B. Graf 1868). Mitte der 1970er Jahre erhielt der Begriff im Zusammenhang mit der ökologischen Krise zuerst die Bedeutung von Hilfsmitteln und Rohstoffen. Mit der Verbreitung der interdisziplinär entwickelten human- und sozialökologischen Denkansätze, die die Lebens- und Erlebnisweise des Menschen als Ausdruck von komplexen Wechselwirkungen mit seiner sozialen, gesellschaftlichen und materiellen Umwelt und den darin enthaltenen Belastungen und Ressourcen verstand (vgl. Schubert 2011; Wendt 2010), erweiterte sich auch die Bedeutung des Ressourcenbegriffs. Heute werden mit dem Begriff im Bereich der Volkswirtschaftslehre noch immer allein materielle Güter bezeichnet, wohingegen die Soziologie den Begriff auf soziale und sozialökologische Merkmale und die Psychologie schließlich auf personale oder psychische Merkmale erweitert hat. In der Sozialen Arbeit wird mit dem Begriff häufig auch die Gleichwertigkeit von materiellen und immateriellen Hilfsmitteln betont (z. B. Bünder 2001).
Während der Begriff anfangs sehr vage und unbestimmt verwendet wurde (s. hierzu Nestmann 1996, 362), hat vor allem die Psychologie eine differenzierte theoretische Ausarbeitung zum Gegenstand „Ressourcen“ vorgenommen (s.u.) und ein fruchtbares Verständnis von Ressourcen zur Handhabung in Beratung und Therapie geschaffen (z.B. Schemmel & Schaller 2003).
Eine psychosoziale Zugangsweise zum Ressourcenbegriff besteht darin, die Aufgaben und Funktionen von Ressourcen in der Lebensführung des Menschen zu betrachten. Allgemein formuliert beruht eine gelingende Lebensführung auf einer erfolgreichen Bewältigung von Lebensanforderungen und -bedingungen. Darunter sind zwischenmenschliche, gesellschaftliche und physikalisch-umweltliche Anforderungen zu verstehen, wie auch Anforderungen, die sich aus den biologischen, psychischen und sozialen Bedürfnissen des Menschen und aus den vom Individuum selbst entwickelten Zielsetzungen ergeben. Zur Bewältigung dieser verschiedenen Anforderungen ist der Mensch auf Mittel, Eigenschaften und Gegebenheiten, d. h. auf Ressourcen angewiesen, die von anderen Menschen oder der Umwelt (z. B. staatliche Institutionen, Kultur, Technik, Natur) zur Verfügung gestellt oder vom Individuum selbst entwickelt werden (vgl. auch Becker 2006; Feger & Auhagen 1987). Ressourcen sind somit personale, soziale und materielle Gegebenheiten, Objekte, Mittel und Merkmale, die das Individuum nutzen kann, um die externen und internen Lebensanforderungen und Zielsetzungen zu bewältigen. In ähnlicher Weise formuliert Willutzki (2003, 91; 2008, 254), „[...] dass Ressourcen für die Bewältigung alltäglicher und besonderer Anforderungen bzw. Lebensaufgaben von zentraler Bedeutung sind und somit letztlich unsere psychische und physische Gesundheit sowie unser Wohlbefinden von ihrer Verfügbarkeit und ihrem Einsatz abhängig sind“. In den Vordergrund gerückt wird hier die Gesundheit des Menschen. Vorwiegend auf die Entwicklung des Individuums ausgerichtet, betrachten auch Brandtstädter, Meiniger und Gräser (2003) Ressourcen als Hilfen zur Bewältigung von Lebensaufgaben. Ressourcen sind „Merkmale oder Attribute, welche über die Lebensspanne hinweg die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, kritischen Lebensereignissen oder belastenden Entwicklungsübergängen erleichtern oder zu einer positiven Bilanz von Entwicklungsgewinnen und -verlusten beitragen“ (ebd., 49f.). Zusammenfassend können Ressourcen definiert werden als positive personale, soziale und materielle Gegebenheiten, Objekte, Mittel, Merkmale bzw. Eigenschaften, die Personen nutzen können, um alltägliche oder spezifische Lebensanforderungen wie auch psychosoziale Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, um psychische wie physische Bedürfnisse und eigene Wünsche zu erfüllen, Lebensziele zu verfolgen und letztlich Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten bzw. wieder herzustellen. In ausführlicher Weise haben Willutzki (2003, 94f.), zum Teil auch Schiepek und Cremers (2003, 152f.), konzeptionelle Grundlagen zur Bestimmung von Ressourcenmerkmalen erörtert. Es ergeben sich folgende Merkmale.
1.2 Merkmale von Ressourcen
Funktionalität und Aufgabenabhängigkeit
Ressourcen dienen dazu, individuelle Bedürfnisse, Interessen und Zwecke zu erfüllen oder für die Lösung anstehender Aufgaben und Anforderungen hilfreich zu sein. Ihr Nutzen erweist sich anhand ihrer Zweckdienlichkeit. Das wiederum ist von der Einschätzung und dem emotional-kognitiven Bewertungssystem des Individuums wie auch von gruppenspezifischen und kulturellen Bewertungen abhängig. Nur wenn solche Gegebenheiten als dienlich und hilfreich erfasst werden, werden sie zu Ressourcen. Vorher sind sie lediglich als Potenziale zu betrachten. „Ressourcen müssen [...] als solche erkannt und bewertet werden“ (Schiepek & Cremers 2003, 152). Die Einschätzung erfolgt nicht allein durch den Ressourcennutzer, auch sozial relevante Personen (z.B. Ehepartner, Berater) können dazu beitragen, vorhandene Potenziale als dienlich zu erkennen. Eine Übersicht zu möglichen allgemeinen Funktionen von Ressourcen bringt Klemenz (2009): Sie können dazu dienen, persönliche Ziele oder Wohlbefinden zu erreichen (Diener & Fuijta 1995), Ressourcen zu erhalten oder zu erweitern (Hobfoll 1998; s.u.), Ressourcen gegen andere Ressourcen zu tauschen (Foa et al. 1993; s.u.), oder werden zur Befriedigung der persönlichen physischen und psychischen Grundbedürfnisse eingesetzt (Grawe 1998; Smith & Grawe 2003).
Relationale Funktionalität
Eine einfache Beziehung zwischen Ressource und Zweck wird der Funktion von Ressourcen nicht gerecht. Schiepek und Cremers (2003, 152) formulieren eine mindestens dreistellige Mittel-Zweck-Relation von Ressourcen: „Ein Objekt (X) kann in Relation zu einem Ziel (Z) von einem Beurteiler bzw. dessen Wertesystem (B) als Ressource bezeichnet werden: R(X) = f(Z, B). Die Bezeichnung eines ‚Objektes’ als Ressource ist eine Funktion von Z und B, wobei alle Instanzen dieser Relation als zeitlich veränderbar zu gelten haben.“ Zweckbestimmtheit und Zielführung von Ressourcen sind abhängig „vom persönlichen Stil und den Strategien, die man hierfür einsetzt“ (ebd., 152). Auch vom Umfeld zunächst negativ bewertete Aspekte können sich funktional als Ressourcen erweisen (Willutzki 2008, 257), z.B. kann sich ein „Problemverhalten“ als ein sinnvoller individueller Problemlösungsversuch herausstellen.
Bewertung und Sinnzuschreibung
Die Einschätzung von Person- und Umweltpotenzialen hinsichtlich ihrer Zweckdienlichkeit als Ressourcen ist stark von individuellen Faktoren abhängig: Je nach Einschätzung der Potenziale, der aktuellen Stimmung, dem Wertesystem, der Sinnzuschreibung und den aktuellen oder längerfristigen Zielen wird eine Person in unterschiedlicher Weise Ressourcen wahrnehmen und aufgreifen (Foa et al. 1993; Feger & Auhagen 1987). Interindividuell bestehen völlig verschiedene Vorstellungen davon, was eine Ressource und was eine Belastung ist (s.a. Willutzki 2003, 96, 99).
Stabilität und Variabilität von Ressourcen
Willutzki (2008) führt noch weitere Differenzierungen im Hinblick auf zeitliche und situative Variabilität und Stabilität von Ressourcen auf. Zeitlich stabil sind Ressourcen, wenn sie langfristig zugänglich sind (beispielsweise soziokulturelle Güter und Gruppen, u.U. auch Partnerschafts- und Freundschaftsbeziehungen und personale Ressourcen, wie z. B. Selbstbewusstsein, Wirksamkeitsüberzeugung). Davon zu unterscheiden sind passagere Ressourcenerlebnisse, wie erfreuliche Alltagsereignisse oder auch vorübergehende Formen sozialer Unterstützung. Die situative Spezifität von Ressourcen unterscheidet Klemenz (2009) danach, ob Ressourcen situationsübergreifend oder situations- bzw. bereichsspezifisch wirken.
Alters- und geschlechtsspezifische Funktionen
Im Verlauf der menschlichen Lebensspanne und der geschlechtsspezifischen Entwicklung verändern Ressourcen ihre Bedeutung und Funktion und können sich unterschiedlich weiterentwickeln. Manche Ressourcen erweisen sich als spezifisch vorteilhaft in einzelnen Entwicklungsstadien, zudem werden auch unterschiedliche Ressourcen eingesetzt, um die jeweils alters- und geschlechtstypischen Entwicklungsaufgaben zu bewältigen (Brandtstädter et al. 2003; Petermann & Schmidt 2006). Das hat Bedeutung für eine alters- und geschlechtsspezifische Ressourcenförderung durch Sozialisations- und Bildungsprozesse über die gesamte Lebensspanne, auch im höheren Erwachsenenalter (→ Fengler & Fengler, → Jasmund & Krus, → I. Schubert).
1.3 Subjektive und „objektive“ Ressourcen
Mit den dargestellten Ressourcenmerkmalen kommt zum Ausdruck, dass Objekte, Mittel und Merkmale nicht „an sich“ schon Ressourcen „sind“, sondern zunächst als mögliche Potenziale für Ressourcen...