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E-Book

Biopsychologie

AutorElvira Abbruzzese, Roberto La Marca, Ulrike Ehlert, Ulrike Kübler
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl260 Seiten
ISBN9783170239715
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Dieses Lehrbuch bezieht sich auf die Kernthemen der Biopsychologie: Genetik, Zentrales Nervensystem, Autonomes Nervensystem sowie das Immun- und endokrine System. Es werden psychologische Konstrukte und Konzepte dargestellt, die für die Biopsychologie eine hohe Relevanz besitzen. Des Weiteren werden zentrale Modulatoren der biopsychologischen Forschung und ihrer Anwendungsfelder aufgezeigt. Die Komplexität der Interaktion zwischen den genannten Teilbereichen der Biopsychologie wird abschließend thematisiert.

Prof. Dr. rer. nat. Ulrike Ehlert ist Ordinaria für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Zürich. Dr. phil. Roberto La Marca und Dr. phil. Elvira Abbruzzese sind Oberassistenten an der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Zürich. Dr. phil. Ulrike Kübler ist Postdoc am Lehrstuhl von Prof. Ehlert und Psychotherapeutin am Ambulatorium für Kognitive Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin der Universität Zürich.

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Leseprobe

2 Genetik


Als Genetik wird weitläufig die Lehre der Vererbung bezeichnet. Der Begriff der Genetik beinhaltet das Wissen über die Basis des Lebens, also das Wissen darüber, wie Leben entsteht, sich entwickelt und weitergegeben wird. Was auf den ersten Blick relativ überschaubar klingt, umfasst heutzutage bei genauerem Hinsehen eine Vielzahl von Aspekten und Subdisziplinen, die intensiv beforscht werden und deren neue Ergebnisse teilweise ganz unbemerkt Einfluss in unseren Alltag nehmen.

Neben Wissenschaftlern aus den Forschungsbereichen der Genetik, Chemie, Biologie, Physik und Psychologie nehmen Molekularbiologen einen herausragenden Stellenwert in der aktuellen genetischen Forschung ein. Sie untersuchen Zusammenhänge zwischen Desoxyribonukleinsäure (DNA), Ribonukleinsäure (RNA) sowie Proteinen (= Eiweiße), also den molekularen Grundbausteinen und Prozessen des Lebens. Die bereits von Francis Galton gestellte Frage nach „nature versus nurture“, also danach, was angeboren ist und was durch die Umwelt bedingt ist, hat in den letzten Jahren durch die Epigenetik eine neue Ebene der Schnittstelle zwischen Psyche und Soma gefunden.

Merke

Wurde bis anhin (fälschlicherweise) angenommen, dass der Ausdruck „genetisch bedingt“ gleichzusetzen ist mit „unveränderbar“, so legen die Forschungsergebnisse der letzten Jahre nahe, dass unsere Gene bzw. deren Lesbarkeit bis zu einem bestimmten Grad sehr wohl durch die Umwelt wie auch durch unser eigenes Verhalten, unsere Gefühle und Gedanken beeinflussbar sind.◄◄

Im Folgenden wird genetisches Basiswissen aufgezeigt. Dabei soll spezifisch die Genetik des Menschen besprochen werden, ohne dabei auf Variationen bei weiteren Spezies einzugehen. In einem ersten Schritt werden Grundlagen der Genetik sowie neue Forschungsgebiete aufgezeigt. Anschließend werden die Prinzipien der Vererbung kurz wiederholt, um danach den Aufbau sowie die Aufgaben der DNA und RNA näher zu betrachten. Vertiefend wird die Genexpression besprochen, welche für sämtliche physiologischen, aber eben auch psychologischen Prozesse wie unser Fühlen, Denken und Verhalten relevant ist, und schließlich werden die Verdoppelung des genetischen Materials bei einer Zellteilung (Mitose) sowie die Weitergabe genetischen Materials über die Geschlechtszellen (Meiose) näher beschrieben. Zum Schluss dieses Kapitels werden Forschungs- und Messmethoden sowie Anwendungsbereiche genetischer Forschung erörtert.

2.1 Grundlagen und neue Bereiche der Genetik


Bei der Zeugung eines Menschen, also bei der Verschmelzung von einem Spermium mit einer Eizelle, werden 23 Chromosomen vom Vater und 23 Chromosomen von der Mutter vereint, so dass – bis auf das geschlechtsbestimmende Chromosom (Gonosom) – alle Chromosomen homolog (also immer zwei Chromosomen, die für dasselbe codieren) vorhanden sind. Während bei Frauen auch die Gonosomen homolog sind und als „XX“ bezeichnet werden, haben Männer zwei unterschiedliche Gonosomen, nämlich ein „X“-förmiges (von der Mutter) und ein „Y“-förmiges (vom Vater).

Als Karyogramm (s. Abb. 2.1) wird die Darstelllung sämtlicher Chromosomen einer Zelle bezeichnet. Dabei werden die homologen Chromosomen (also jeweils eines der Mutter und eines des Vaters) „nebeneinandergelegt“. Während Männer ein X- und ein Y-Geschlechtschromosom haben, zeigen Frauen zwei X-Geschlechtschromosomen. Da die Chromosomen in der sogenannten Metaphase einer Zellteilung (vgl. Abschnitt „Vervielfältigung und Weitergabe genetischer Information: Mitose und Meiose“, S. 47) am stärksten kondensieren und unter dem Lichtmikroskop gut sichtbar sind, stammen die Chromosomen-Abbildungen eines Karyogramms immer aus dieser Phase.

Abb. 2.1: Karyogramm eines Menschen (Zwei-Chromatid-Chromosomen in der Metaphase)

Auf unseren Chromosomen ist die gesamte vererbbare Information in Form von Genen (kleine Untereinheiten auf den Chromosomen) gespeichert. Die Chromosomen enthalten den Bauplan unseres Lebens sowie die Information, zu welchem Zeitpunkt was zu geschehen hat. Unsere Gene begleiten uns ein Leben lang. Fehler in diesem Bauplan können gravierende Folgen haben und zu einer Erkrankung oder zum Tod führen. Je nach Zellpopulation und Aufgaben der betreffenden Zellen werden jeweils andere Gene im Zellkern „abgelesen“ oder eben exprimiert.

Dementsprechend ist die Steuerung der Genexpression, also die Regulation des Organismus, wann welches Gen „abgelesen“ werden und welches Protein in der Folge „zusammengebaut“ werden muss, höchst relevant. Diese Vorgänge laufen in einem gesunden Organismus „automatisch“ ab und unterliegen u. a. einer zirkadianen Rhythmik (vgl. Kap. 8.1).

Grundsätzlich ist die genetische Information, die wir ab dem Zeitpunkt unserer Zeugung in jeder einzelnen Zelle in uns tragen, unveränderlich und kann lediglich unter extremen äußeren Einflüssen, wie beispielsweise radioaktiver Strahlung, verändert werden. Zu glauben, dass der „Output“ unserer genetischen Information aus diesem Grund nicht beeinflussbar ist, ist jedoch falsch! Da wir ständig den Anforderungen der Umwelt ausgesetzt sind, muss ein gut funktionierender Organismus äußerst flexibel und anpassungsfähig sein.

Merke

Die genetische Information in Form von Genen bleibt üblicherweise stabil, während die Lesbarkeit sowie die Häufigkeit, mit der ein Gen abgelesen wird (vgl. Abschnitt „Genexpression – von der DNA zum Protein“), variieren und durch äußere Umstände beeinflusst werden kann.◄◄

Beispiel

Unser Organismus muss in der Lage sein, sich ständig ändernden Anforderungen anpassen zu können, um überlebensfähig zu sein. So muss beispielsweise nach einer kohlenhydratreichen Nahrungsaufnahme Insulin produziert werden, damit der Blutzuckerspiegel gesenkt wird. In spezifischen Zellen der Bauchspeicheldrüse wird daher auf dem Chromosom 11 der „Bauplan“ für Insulin abgelesen und die Produktion in Gang gesetzt. Solche Anpassungen an Veränderungen erfolgen fortlaufend.

Ebenso können Erlebnisse und Erfahrungen langfristig die „Lesbarkeit“ bestimmter Gene beeinflussen, indem chemische Strukturen an die DNA angehängt werden (vgl. u., Exkurs-Kasten). In diesem Zusammenhang wird auch von einem „zweiten genetischen Code“ gesprochen, der im Rahmen des relativ jungen Forschungszweiges der Epigenetik intensiv beforscht wird (vgl. a. Spork, 2009; Kegel, 2011). Wenn das Genom (s. Tab. 2.1, S. 27 ff.) als die Noten eines Musikstücks verstanden wird, dann wäre das Epigenom sozusagen die Angabe dazu, welche Noten laut oder leise, crescendo oder diminuendo gespielt werden sollen (und je nach epigenetischer Information, ob eine Note überhaupt gespielt werden soll). Solche epigenetischen Muster können sich im Laufe eines Lebens verändern und beeinflussen maßgeblich die Genexpression. Auf diesem Weg kann die individuelle Genetik sehr wohl durch die Umwelt und durch das Erleben beeinflusst werden.◄◄

In der Epigenetik wird untersucht, wie Umwelteinflüsse im weitesten Sinne (darunter sind auch beispielsweise Emotionen zu verstehen!) den Aktivitätszustand von Genen beeinträchtigen und verändern können („epi“ aus dem Griechischen: „daneben, obenauf“). Die Lesbarkeit der Gene wird beispielsweise durch die Methylierung, also das Anhängen einer bestimmten chemischen Gruppe an die DNA (s. Tab. 2.1, S. 27 ff.), Histonmodifikationen, also chemische Veränderungen an Histonproteinen (s. Tab. 2.1), oder Mechanismen, welche durch spezifische RNAs (vgl. Kap. 2.1.3) zustande kommen, „manipuliert“, so dass ein Gen ausgeschaltet (weil es nicht mehr gelesen werden kann) oder stark aktiviert wird (weil es sehr intensiv gelesen wird). Prozesse der epigenetischen Modulation kommen in der natürlichen Entwicklung vor und gehören mit zu den wichtigen Regulationsmechanismen der Genetik, wobei solche Veränderungen auch an der Entstehung von Krankheiten beteiligt sind. Die Stabilität sowie die mögliche Reversibilität solcher pathogenen Effekte sind bislang noch unzureichend erforscht.

Neuere Forschungsergebnisse verweisen darauf, dass solche epigenetischen Muster transgenerational, also über Generationen hinweg, weitergegeben werden können. So wird u. U. nicht nur eine Genausprägung (Allel), sondern auch die Information über die Lesbarkeit eines Gens vererbt. Ist beispielsweise die Lesbarkeit eines Gens für einen Neurotransmitter (vgl. Kap. 3 und Kap. 5) epigenetisch beeinträchtigt, kann es zu einer Unausgeglichenheit bei der Synthese des betreffenden Neurotransmitters und in der Folge zu psychischen und anderen Störungen kommen. Aktuell werden Veränderungen epigenetischer Markierungen insbesondere in der Krebsforschung genau betrachtet, da eine starke Mitbeteiligung epigenetischer Phänomene an der Entstehung von Krebs vermutet wird. Des Weiteren kann die Bedeutung frühkindlicher Erlebnisse und deren Einfluss auf das weitere Leben mittlerweile auch auf molekularbiologischer Ebene nachgewiesen werden.

Beispiel

Die Forschergruppe um Michael Meaney in Montréal konnte bei Ratten zeigen, dass Rattennachwuchs, welcher in den ersten Tagen nach der Geburt von seinen Müttern sehr fürsorglich behandelt wurde (dies wurde mit sog. „licking-and-grooming“-Verhalten der Rattenmütter erhoben,...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Inhalt6
Geleitwort10
Vorwort12
1 Biopsychologie14
1.1 Begriffsklärung15
1.2 Die Teilgebiete der Biopsychologie19
1.3 Die Bedeutung der Biopsychologie für die verschiedenen psychologischen Teilgebiete20
1.4 Die Inhalte dieses Buches21
2 Genetik22
2.1 Grundlagen und neue Bereiche der Genetik23
2.2 Forschungs- und Messmethoden in der Genetik – von der Beobachtung zur Molekularbiologie57
2.3 Anwendungsbereiche genetischer Forschung61
3 Zentrales Nervensystem64
3.1 Aufbau und Funktionen von Gehirn und Rückenmark65
3.2 Die Komplexität des Gehirns – von der Physiologie einer einzelnen Nervenzelle zu einem Konglomerat funktionaler Netzwerke75
3.3 Strukturelle und funktionelle Messverfahren80
3.4 Beeinflussung neuronaler Netzwerke zu therapeutischen Zwecken82
4 Autonomes Nervensystem84
4.1 Anatomische und physiologische Grundlagen84
4.2 Aufgaben des Autonomen Nervensystems89
4.3 Autonome Steuerung ausgewählter Organsysteme92
4.4 Messverfahren unter Ruhe und Aktivierung101
4.5 Therapeutischer Nutzen der Beeinflussung des Autonomen Nervensystems112
5 Endokrines System118
5.1 Grundlagenwissen zu Hormonen119
5.2 Morphologie des endokrinen Systems124
5.3 Rezeptoren und die wichtigsten Hormone128
5.4 Kommunikationswege und Wirkung von Hormonen143
5.5 Die Überprüfung hormoneller Funktionen153
5.6 Die Messung von Hormonkonzentrationen155
5.7 Von der Hormonforschung in die Alltagsanwendung157
6 Immunsystem159
6.1 Grundlagen160
6.2 Die angeborene Immunabwehr164
6.3 Die erworbene Immunabwehr170
6.4 Die lymphatischen Organe181
6.5 Ablauf einer Immunantwort186
6.6 Wie lässt sich die Körperabwehr messen?192
6.7 Immunmodulierende Behandlungsmethoden195
7 Erklärungskonzepte der Biopsychologie199
7.1 Stress202
7.2 Homöostase und Allostase207
7.3 Psychologische Einflüsse auf die biologische Stressantwort210
7.4 Modulation psychologischer Prozesse durch biologische Vorgänge213
8 „Kontrollieren geht über Studieren“ gilt auch für die Biopsychologie215
8.1 Biopsychologische Rhythmen217
8.2 Geschlecht219
8.3 Alter220
8.4 Body Mass Index222
8.5 Körperliche Aktivität223
8.6 Suchtmittel225
9 Die Komplexität der Beziehungen zwischen Genetik, Nerven-, Immun- und endokrinem System230
9.1 Reziproke Beziehung zwischen endokrinem und Nervensystem230
9.2 Reziproke Beziehung zwischen Immun- und endokrinem System233
9.3 Reziproke Beziehung zwischen Nerven- und Immunsystem235
9.4 Einfluss von Genetik auf das Beziehungs- dreieck aus Nerven-, Immun- und endokrinem System241
Literatur244
Stichwortverzeichnis254
Abkürzungsverzeichnis262

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