14. Störungsspezifische Modelle
Bislang haben wir allgemeingültige Merkmale des metakognitiven Modells und universelle Aspekte der Behandlung erörtert. Es wurden jedoch auch störungsspezifische Modelle, die auf dem generischen S-REF-Modell basieren, entwickelt und evaluiert. Die störungsspezifischen Modelle zielen darauf ab, den Inhalt der Metakognitionen und die Natur der Prozesse, die eher spezifisch für eine bestimmte Störung sind, zu erfassen (siehe Wells, 2000, 2009). Bei der Generalisierten Angststörung (GAS) etwa sind positive metakognitive Überzeugungen hinsichtlich der Nützlichkeit des Sich-Sorgens sowie negative metakognitive Überzeugungen hinsichtlich der Unkontrollierbarkeit des Sich-Sorgens und der damit verbundenen Gefahren relevant. Dabei sind die negativen Überzeugungen die Hauptursache der GAS. Bei einer Zwangsstörung drehen sich die Metakognitionen um die Themen Gedanken-Ereignis-Fusion (Thought-Event-Fusion, TEF), Gedanken-Handlung-Fusion (Thought-Action-Fusion, TAF) und Gedanken-Objekt-Fusion (Thought-Object-Fusion, TOF). Bei der TEF gehen die Betroffenen davon aus, dass Gedanken die Macht besäßen, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses zu erhöhen (etwa „An Unfälle zu denken führt dazu, dass sie passieren“). TAF hingegen beinhaltet die Annahme, dass Gedanken die Wahrscheinlichkeit des Ausführens unerwünschter Handlungen erhöhen könnten (etwa „Daran zu denken, jemanden zu erstechen, wird mich dazu zwingen, es zu tun“). Bei TOF besteht die Überzeugung darin, dass Gedanken und Gefühle auf Objekte übertragen werden und diese auf irgendeine Weise kontaminieren oder verschmutzen könnten (etwa „Wenn ich beim Lesen unreine Gedanken habe, werden meine Gedanken in meine Bücher übergehen, und ich werde in der Zukunft nicht mehr daraus lernen können“).
Im Fall einer Depression bestehen die metakognitiven Überzeugungen zumeist in positiven Überzeugungen über Grübeln als Weg, um Traurigkeit zu bewältigen, und negativen Überzeugungen über die Unkontrollierbarkeit und die Ursachen von depressivem Denken und Fühlen. Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist mit positiven Überzeugungen über Sich-Sorgen als Weg zur Vorwegnahme und Vermeidung zukünftiger Gefahren, positiven Überzeugungen über die Vorteile des Analysierens des traumatischen Ereignisses im Sinne des Erlangens von Verständnis oder des Zuteilens von Schuld sowie negativen Überzeugungen über die Bedeutung und die Konsequenzen des Erlebens intrusiver Gedanken und Erinnerungen an das Ereignis assoziiert.
Im Folgenden werden wir zwei Modelle detaillierter beschreiben, um die Prozesse und die spezifischen Metakognitionen zu veranschaulichen, die an Depression und PTBS beteiligt sind. Beide Modelle sowie die anderen, die in diesem Abschnitt erwähnt werden, bilden die Basis für die Erstellung persönlicher Fallkonzepte, die den Patienten als Grundlage für die Durchführung der Behandlung mitgeteilt werden. Die MKT wird stets anhand eines individuellen Fallkonzepts durchgeführt.
14.1 Das metakognitive Modell der Depression
Das metakognitive Modell der Depression (Wells, 2009) ist in Abbildung 14.1 dargestellt. Die Person mit der Depression reagiert auf negative Gedanken und Gefühle, indem sie positive metakognitive Überzeugungen über die Notwendigkeit des Grübelns als Weg zum Umgang mit Traurigkeit und negativen Gedanken / Gefühlen aktiviert. Es wird typischerweise geglaubt, dass Grübelei zu einem größeren Verständnis und der Entdeckung von Auswegen aus Gefühlen von Traurigkeit oder Gedanken persönlichen Versagens oder persönlicher Minderwertigkeit führt.
Abbildung 14.1: Das metakognitive Modell der Depression
Grübelei besteht aus Gedankenketten, bei denen die Person Fragen wie „Warum, was bedeutet das, wenn doch nur, warum ich, hört das jemals auf …?“ und so weiter formuliert. Dieser Prozess führt nur selten zu Antworten, konzentriert das Individuum jedoch stärker auf Gefühle und Erinnerungen mit Bezug zu Versagen oder negativen Ereignissen, was die Traurigkeit aufrechterhält. An irgendeiner Stelle in diesem Prozess entwickelt die niedergeschlagene Person negative Überzeugungen in Bezug auf depressive Gedanken und Symptome und aktiviert diese Überzeugungen im Anschluss. Hierzu zählen auch Überzeugungen hinsichtlich der Unkontrollierbarkeit von Gedanken und Gefühlen (etwa „Ich habe keine Kontrolle über mein Denken; Depression ist eine Krankheit in meinem Gehirn, die ich nicht kontrollieren kann“). Diese Überzeugungen führen zu weiteren negativen Gedanken, etwa Gedanken über Hoffnungslosigkeit, und Verhaltensweisen wie sozialem Rückzug, die Depression und Grübelei aufrechterhalten. Ein weiterer Prozess trägt ebenfalls zur Depression bei: Mit wiederholtem Grübeln und wiederholter Depression büßt die Person die Bewusstheit der Tatsache, dass sie grübelt, ein. Diese reduzierte Metabewusstheit beeinträchtigt die Fähigkeit, grüblerische Reaktionen bei sich zu entdecken und zu unterbrechen, weshalb diese dann ungehindert weiter in ihrem Kreislauf der Depression zirkulieren. Schließlich führt die Überzeugung der Person, dass Grübelei hilfreich sei und zum Erkennen eines Auswegs aus der Depression führen könne, dazu, dass die toxische Natur dieses Prozesses nicht spontan erkannt wird. Es gibt viele weitere Beispiele für andere Verhaltensänderungen, wie ein reduziertes Aktivitätsniveau und den Versuch der Bewältigung mittels Alkoholkonsum, die nach hinten losgehen können und negative Gedanken vermehren, was dann Grübelei auslöst oder der Grübelei mehr Zeit und Raum verschafft.
Wir werden das Modell nun an einem Fallbeispiel verdeutlichen. Eine 31-jährige Frau, die zur Behandlung vorstellig wurde, berichtete von multiplen depressiven Episoden im Laufe der vorangegangenen acht Jahre. Ihre aktuelle depressive Episode dauerte bereits 18 Monate an. Sie konnte keine konkreten lebensgeschichtlichen Auslöser für ihre Depression benennen, war jedoch seit elf Monaten arbeitsunfähig. Der Therapeut fragte sie, wie sie ihre Zeit an einem gewöhnlichen Tag nutzen würde, und nahm den vorangegangenen Tag als Bezugspunkt. Daraufhin erklärte die Patientin, wie sie einige tägliche Aufgaben erledigte, sich dabei jedoch ermattet und unmotiviert fühlte und es an manchen Tagen sogar leichter fand, im Bett zu bleiben. Sie berichtete von Gefühlen der Traurigkeit beim morgendlichen Aufwachen und Gedanken wie „Es wird nie besser“. Diese Gefühle und Gedanken werden im metakognitiven Modell und Fallkonzept als Auslöser identifiziert.
Anschließend fragte der Therapeut nach der Art der Gedanken, die die Patientin in Reaktion auf diesen Auslöser hatte, und fand heraus, dass sie den ganzen Morgen damit verbracht hatte zu grübeln und zu analysieren, weshalb sie sich so fühlte und warum sie „anders“ war als andere Menschen. Die Patientin gab an, dass dieser spezifische Prozess etwa 80 Prozent der Zeit ausmachte, die sie mit Grübeln verbrachte. Als der Therapeut sie nach den Vorteilen dieser Art des Denkens fragte, um auf diesem Weg positive metakognitive Überzeugungen aufzuspüren, entdeckte er, dass die Patientin glaubte, Grübelei wäre hilfreich, da sie als eine Art von Bestrafung fungierte, die sie ärgerlich machte und ihr so das Ausbrechen aus der Depression ermöglichen könnte. Paradoxerweise glaubte die Patientin jedoch auch, dass sie ein gewisses Maß an Kontrolle über ihr Denken und ihre Emotionen hätte, und erkannte nicht, dass der Prozess des Grübelns ein zentraler Faktor bei der Aufrechterhaltung ihres Leids war.
In diesem Fallbeispiel sehen wir alle wichtigen Aspekte des metakognitiven Modells: Es gibt positive und negative metakognitive Überzeugungen über das Denken; das CAS ist in der Grübelei evident, und das nicht hilfreiche Bewältigungsverhalten zeigt sich in Form von Selbstbestrafung, Wut und an manchen Tagen auch darin, einfach im Bett zu bleiben.
Die Behandlung bestand im Mitteilen des Fallkonzepts, der Erläuterung von Strategien, die ihr die Loslösung von negativen Gedanken und Gefühlen ermöglichten, und im Aufschieben und letztlichen Stoppen von Grübelei. Metakognitive Überzeugungen wurden hinterfragt, und die Patientin war in der Lage, neue Methoden zu lernen, mit deren Hilfe sie zukünftig auf Traurigkeit und negative Gedanken reagieren könnte.
Es gibt nur wenige Ähnlichkeiten zwischen diesem Ansatz zur Betrachtung von Depression und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen. Die traditionelle KVT würde das Problem im Inhalt negativer automatischer Gedanken verorten und sich auf das Hinterfragen der Validität der Gedanken konzentrieren, wobei die „kognitive Triade“ (negative Gedanken über das Selbst, die Umwelt und die Zukunft) eine zentrale Rolle spielen würde. Im Kontrast dazu befasst die MKT sich nicht mit dem Inhalt derartiger Gedanken und führt keine Prüfung ihres Wahrheitsgehalts durch. Stattdessen betrachtet sie diese Gedanken als Auslöser für Grübelei oder als Ergebnis von Grübelei und konzentriert sich auf die Veränderung des Prozesses des fortwährenden Denkens anstatt auf irgendeinen spezifischen Inhalt des Denkens. Beide Ansätze können Aktivitätsplanung beinhalten, aber in der KVT bestünde das Ziel darin, ? „Mastery & Pleasure“ zu steigern, während es in der MKT darin bestünde, Inaktivität entgegenzuwirken, welche als maladaptives Bewältigungsverhalten angesehen wird, das Zeit zum Grübeln mit sich bringt. Die MKT hinterfragt Überzeugungen über Grübelei und Depression, während die KVT allgemeine Schemas (Überzeugungen) über die Welt, die Zukunft oder das Selbst (wie „Ich bin wertlos“) hinterfragt. Eine weitere wichtige Unterscheidung ist, dass die MKT spezifische...