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Die Furcht vor der Freiheit

Escape from Freedom

AutorErich Fromm
VerlagEdition Erich Fromm
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl177 Seiten
ISBN9783959120005
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Die 'Furcht vor der Freiheit' ist eines der grundlegenden Werke Fromms, in dem er sich mit der Bedeutung von Freiheit für den modernen Menschen beschäftigt. Seine These lautet, dass sich der moderne Mensch von den Fesseln der vor-individualistischen Gesellschaft befreit hat; da diese ihm gleichzeitig Sicherheit gab und ihm Grenzen setzte, fühlt er sich isoliert und allein und entwickelt eine 'Furcht vor der Freiheit'. Der Einzelne meidet die Freiheit, weil er mit ihr noch nicht umzugehen weiß. Somit bleibt der Mensch aus Fromms Sicht noch hinter seinen intellektuellen, emotionalen und sinnlichen Möglichkeiten zurück. Hieraus ergibt sich für ihn die Konsequenz, dass der Mensch aufgrund von Ohnmachtsgefühlen und der daraus entstehenden Angst neue Ausformungen von Hörigkeitssystemen aufsucht, die ihm scheinbare Sicherheit bieten. Dieses Werk ist die erste Monographie Erich Fromms und legt mit der Entwicklung des 'autoritären Charakters' den Grundstein zu seinen Charakterstudien, die er in späteren Werken weiter ausformuliert. Aus dem Inhalt: •Freiheit - ein psychologisches Problem? •Das Auftauchen des Individuums und das Doppelgesicht der Freiheit •Freiheit im Zeitalter der Reformation •Die beiden Aspekte der Freiheit für den modernen Menschen •Fluchtmechanismen •Die Psychologie des Nazismus •Freiheit und Demokratie

Erich Fromm, Psychoanalytiker, Sozialpsychologe und Autor zahlreicher aufsehenerregender Werke, wurde 1900 in Frankfurt am Main geboren. Der promovierte Soziologe und praktizierende Psychoanalytiker widmete sich zeitlebens der Frage, was Menschen ähnlich denken, fühlen und handeln lässt. Er verband soziologisches und psychologisches Denken. Anfang der Dreißiger Jahre war er mit seinen Theorien zum autoritären Charakter der wichtigste Ideengeber der sogenannten 'Frankfurter Schule' um Max Horkheimer. 1934 emigrierte Fromm in die USA. Dort hatte er verschiedene Professuren inne und wurde 1941 mit seinem Buch 'Die Furcht vor der Freiheit' weltbekannt. Von 1950 bis 1973 lebte und lehrte er in Mexiko, von wo aus er nicht nur das Buch 'Die Kunst des Liebens' schrieb, sondern auch das Buch 'Wege aus einer kranken Gesellschaft'. Immer stärker nahm der humanistische Denker Fromm auf die Politik der Vereinigten Staaten Einfluss und engagierte sich in der Friedensbewegung. Die letzten sieben Jahre seines Lebens verbrachte er in Locarno in der Schweiz. Dort entstand das Buch 'Haben oder Sein'. In ihm resümierte Fromm seine Erkenntnisse über die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Am 18. März 1980 ist Fromm in Locarno gestorben.

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Leseprobe

1 Freiheit – ein psychologisches Problem?


Im Mittelpunkt der modernen europäischen und amerikanischen Geschichte steht das Bemühen, sich von den politischen, wirtschaftlichen und geistigen Fesseln zu befreien, welche die Menschen gefangen hielten. Der Kampf um die Freiheit wurde von den Unterdrückten, die neue Freiheiten beanspruchten, gegen jene ausgefochten, die Privilegien zu verteidigen hatten. Immer wenn eine Klasse um ihre eigene Befreiung kämpfte, so tat sie das in dem Glauben, für die menschliche Freiheit als solche zu kämpfen, so dass sie an ein Ideal, an die Sehnsucht nach Freiheit bei allen Unterdrückten appellieren konnte. In diesem langen und praktisch noch immer andauernden Kampf um die Freiheit liefen jedoch Klassen, die gegen die Unterdrückung gekämpft hätten, in einem gewissen Stadium zu den Feinden der Freiheit über, nämlich dann, wenn der Sieg errungen war und es galt, neue Privilegien zu verteidigen.

Trotz vieler Rückschläge sind für die Freiheit manche Schlachten gewonnen worden. Viele sind in diesen Schlachten in der Überzeugung gestorben, es sei besser, im Kampf gegen die Unterdrückung zu sterben, als ohne Freiheit zu leben. Ein solcher Tod war für sie die höchste Bestätigung ihrer Individualität. Die Geschichte schien zu beweisen: Der Mensch kann sich selbst regieren, er kann selbst seine Entscheidungen treffen und denken und fühlen, was er für richtig hält. Die volle Entfaltung aller im Menschen schlummernden Möglichkeiten schien das Ziel zu sein, dem sich die gesellschaftliche Entwicklung mit raschen Schritten näherte. In den Grundsätzen des ökonomischen Liberalismus, der politischen Demokratie, der religiösen Autonomie und des Individualismus im persönlichen Leben kam die Sehnsucht nach Freiheit zum Ausdruck. Diese Prinzipien schienen die Menschheit der Verwirklichung dieser Sehnsucht näherzubringen. Eine Fessel nach der anderen wurde gesprengt. Der Mensch befreite sich aus seiner Beherrschung durch die Natur und machte sich zu ihrem Herrn; er beseitigte seine Beherrschung durch die Kirche und durch den absolutistischen Staat. Die Abschaffung der äußeren Botmäßigkeit schien die notwendige, aber auch hinreichende Vorbedingung für die Erreichung des ersehnten Ziels zu sein: der Freiheit des Individuums.

Viele sahen im Ersten Weltkrieg den Endkampf und in seinem Abschluss den endgültigen Sieg der Freiheit. Die bereits vorhandenen Demokratien schienen gestärkt [I-220] daraus hervorzugehen, und neue Demokratien traten an die Stelle früherer Monarchien. Aber bereits nach wenigen Jahren tauchten neue Systeme auf, die alles verleugneten, was die Menschen in Jahrhunderte langen Kämpfen errungen zu haben glaubten. Denn das Wesen dieser neuen Systeme, die sich des gesamten gesellschaftlichen und persönlichen Lebens der Bevölkerung bemächtigten, war die völlige Unterwerfung aller unter die Autorität einer Handvoll von Menschen, gegen die sie machtlos waren.

Zunächst trösteten sich viele mit dem Gedanken, der Sieg des autoritären Systems sei auf die Geistesverwirrung einiger weniger Einzelner zurückzuführen, die von ihrem Wahnsinn schon rechtzeitig wieder abgebracht werden könnten. Andere wiegten sich im Glauben, die Italiener und die Deutschen besäßen nur noch nicht genügend Übung in Demokratie, und man könne daher ruhig zuwarten, bis sie die politische Reife der westlichen Demokratien erreicht hätten. Eine andere weitverbreitete Illusion – vielleicht die allergefährlichste – war die, dass Menschen wie Hitler allein durch ihre List und Tücke die Macht über den großen Staatsapparat errungen hätten, dass sie und ihre Gefolgsleute allein durch nackte Gewalt regierten und dass die Bevölkerung nur das willenlose Objekt von Betrug und Terror sei.

Inzwischen haben sich diese Ansichten als Irrtum herausgestellt. Wir mussten erkennen, dass Millionen von Deutschen ebenso bereitwillig ihre Freiheit aufgaben, wie ihre Väter für sie gekämpft hatten; dass sie, anstatt sich nach Freiheit zu sehnen, sich nach Möglichkeiten umsahen, ihr zu entfliehen; dass weitere Millionen gleichgültig waren und nicht glaubten, dass die Verteidigung der Freiheit es wert sei, für sie zu kämpfen und für sie zu sterben. Wir haben weiterhin erkannt, dass die Krise der Demokratie kein spezifisch italienisches oder deutsches Problem ist, sondern dass jeder moderne Staat sich damit auseinanderzusetzen hat. Auch macht es keinen Unterschied, welche Symbole sich die Feinde der menschlichen Freiheit wählen: Die Freiheit ist nicht weniger gefährdet, ob sie im Namen des Antifaschismus oder im Namen des Faschismus selbst angegriffen wird. (Unter Faschismus oder Autoritarismus verstehe ich ein diktatorisches System vom deutschen oder italienischen Typ. Wenn ich mich speziell auf das deutsche System beziehe, bezeichne ich es als „Nazismus“.) John Dewey hat dies so eindrucksvoll formuliert, dass ich ihn wörtlich zitieren möchte: „Die ernste Gefahr für unsere Demokratie besteht nicht in der Existenz totalitärer fremder Staaten. Sie besteht darin, dass in unseren eigenen persönlichen Einstellungen und in unseren eigenen Institutionen Bedingungen herrschen, die der Autorität von außen, der Disziplin, der Uniformität und Abhängigkeit vom Führer in diesen Ländern zum Sieg verhelfen. Demnach befindet sich das Schlachtfeld hier – in uns selbst und in unseren Institutionen“ (J. Dewey, 1939a). Wenn wir den Faschismus bekämpfen wollen, müssen wir ihn verstehen. Wunschdenken hilft uns dabei nicht weiter. Auch die Wiederholung optimistischer Devisen nützt so wenig wie das Ritual eines indianischen Regentanzes.

Neben den ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die zum Faschismus geführt haben, gibt es ein den Menschen selbst betreffendes Problem, das wir verstehen müssen. Zweck dieses Buches ist es, jene dynamischen Faktoren in der Charakterstruktur des modernen Menschen zu analysieren, die in den faschistischen Ländern [I-221] dazu geführt haben, die Freiheit aufzugeben, und die bei Millionen Menschen in unserem eigenen [amerikanischen] Volk ebenfalls stark verbreitet sind.

Wenn wir den menschlichen Aspekt der Freiheit, die Sehnsucht nach Unterwerfung und das Streben nach Macht ins Auge fassen, so stellen sich vor allem folgende Fragen: Was bedeutet Freiheit als menschliche Erfahrung? Ist das Verlangen nach Freiheit etwas, das der menschlichen Natur innewohnt? Handelt es sich bei Freiheit um die gleiche Erfahrung ohne Rücksicht auf die Art der Kultur, in der jemand lebt, oder ist sie jeweils etwas Verschiedenes entsprechend dem Grad des in einer bestimmten Gesellschaft bereits erreichten Individualismus? Bedeutet Freiheit nur die Abwesenheit äußeren Drucks, oder bedeutet Freiheit auch das Vorhandensein von etwas – und wenn ja, wovon? Welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren in der Gesellschaft fördern das Streben nach Freiheit? Kann Freiheit zu einer Last werden, die den Menschen so schwer bedrückt, dass er ihr zu entfliehen sucht? Woher kommt es dann, dass Freiheit für viele ein hochgeschätztes Ziel und für andere eine Bedrohung bedeutet?

Gibt es vielleicht außer dem angeborenen Wunsch nach Freiheit auch eine instinktive Sehnsucht nach Unterwerfung? Und wenn es diese nicht gibt, wie ist dann die Anziehungskraft zu erklären, welche die Unterwerfung unter einen Führer heute auf so viele ausübt? Unterwirft man sich nur einer offenen Autorität, oder gibt es auch eine Unterwerfung unter internalisierte Autoritäten, wie die Pflicht oder das Gewissen, unter innere Zwänge oder unter anonyme Autoritäten wie die öffentliche Meinung? Gewährt es eine geheime Befriedigung, sich zu unterwerfen, und was liegt ihr zugrunde?

Was erzeugt im Menschen eine unersättliche Gier nach Macht? Ist es die Stärke seiner Lebenskraft – oder ist es eine grundsätzliche Schwäche und Unfähigkeit, das Leben spontan und liebevoll zu erleben? Welches sind die psychologischen Bedingungen, die diese Strebungen so stark machen? Und welches sind die gesellschaftlichen Bedingungen, auf denen derartige psychologische Bedingungen ihrerseits beruhen?

Die Analyse des menschlichen Aspekts der Freiheit und des Autoritarismus zwingt uns, uns mit einem allgemeinen Problem zu beschäftigen – mit der Rolle nämlich, welche psychologische Faktoren als aktive Kräfte im gesellschaftlichen Prozess spielen; und dies führt uns schließlich zum Problem der Wechselwirkung von psychologischen, ökonomischen und ideologischen Faktoren im gesellschaftlichen Prozess. Jeder Versuch, die Anziehungskraft zu begreifen, welche der Faschismus auf große Nationen ausübt, zwingt uns, uns mit der Rolle der psychologischen Faktoren zu beschäftigen. Denn wir haben es hier mit einem politischen System zu tun, das seinem Wesen nach nicht an die rationalen Kräfte des Selbstinteresses appelliert, sondern das im Menschen diabolische Kräfte weckt und mobilisiert, von deren Existenz wir nichts wussten oder von denen wir zumindest annahmen, sie seien schon lange ausgestorben. In den letzten Jahrhunderten pflegte man sich den Menschen als ein vernünftiges Wesen vorzustellen, das in seinem Handeln von seinem Selbstinteresse bestimmt wird. Selbst Schriftsteller wie Hobbes, der die Machtgier und Feindseligkeit als die treibenden Kräfte im Menschen ansah, erklärten, sie seien die logische Konsequenz des Selbstinteresses: Da die Menschen alle gleich und daher vom gleichen Wunsch nach Glück [I-222] beseelt seien und da nicht genug Güter vorhanden seien, um sie alle gleichmäßig zufriedenzustellen, müssten sie notwendigerweise miteinander kämpfen und nach Macht streben, um sicherzustellen, dass sie auch in Zukunft genießen könnten, was...

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