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E-Book

Die andere Seite der Bildung

Zum Verhältnis von formellen und informellen Bildungsprozessen

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783531909721
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Die Bildungsdebatte in Deutschland setzt sich fort: Gefordert wird eine grundlegende Veränderung des Bildungs- und Erziehungswesens. Dabei konzentriert sich die Diskussion - wie nicht anders zu erwarten - schwerpunktmäßig auf die Schule. Vergleichsweise unklar ist bislang geblieben, welche Rolle die nichtschulischen Bildungsorte, die informellen Lernprozesse und die außerunterrichtlichen Akteure einnehmen. Im Mittelpunkt dieses Bandes steht diese nicht zu unterschätzende andere Seite der Bildung. Es geht um die Klärung einer bildungsbezogenen Selbstverortung der Kinder- und Jugendhilfe als auch um ein neues pragmatisches Verhältnis zur Bildungsinstanz Schule. Erst mit der Klärung dieser offenen Probleme werden erweiterte Perspektiven für eine moderne Bildungspolitik möglich werden.

Dr. Dr. h.c. Hans-Uwe Otto ist Professor an der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld.
Prof. Dr. Thomas Rauschenbach ist Vorstand und Direktor des Deutschen Jugendinstituts e. V. in München.

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Leseprobe
Karin Böllert Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung (S. 209-210)

Zur Bildungsidee des 11. Kinder- und Jugendberichts

1. Einleitung

„Bildung ist der umfassende Prozess der Entwicklung und Entfaltung derjenigen Fähigkeiten, die Menschen in die Lage versetzen, zu lernen, Leistungspotenziale zu entwickeln, zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen zu gestalten. Junge Menschen in diesem Sinne zu bilden, ist nicht allein Aufgabe der Schule. Gelingende Lebensführung und soziale Integration bauen ebenso auf Bildungsprozessen in Familien, Kindertageseinrichtungen, Jugendarbeit und der beruflichen Bildung auf.

Auch wenn der Institution Schule ein zentraler Stellenwert zukommt, reicht Bildung jedoch weit über Schule hinaus. Bildung entscheidet nicht nur über den ökonomischen Erfolg einer Gesellschaft, sondern vor allem auch über Lebensperspektiven und Teilhabechancen jedes einzelnen jungen Menschen. Sie ist grundlegend für die materielle Sicherheit und die Entfaltung der Persönlichkeit sowie Schlüssel zu einer zukunftsoffenen, sozialen und ökonomisch erfolgreichen Entwicklung jedes Einzelnen und der Gesellschaft. Bildungsanstrengungen haben sich nicht allein an der Sicherung ökonomischer Perspektiven zu orientieren, sondern müssen auch den Bedürfnissen und Interessen der jungen Menschen Rechnung tragen."

Dies sind die ersten beiden von elf Thesen, die 2002 als Leipziger Thesen zur aktuellen bildungspolitischen Debatte gemeinsam vom Bundesjugendkuratorium, der Sachverständigenkommission für den 11. Kinder- und Jugendbericht sowie der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe verabschiedet und von vielen Institutionen, Verbänden und Einzelpersonen unterschrieben worden sind (www.agj.de). Dass es in der Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe erstmalig zu so einem breiten bildungspolitischen Bündnis gekommen ist, hat einen Grund darin, dass im Anschluss an die Präsentation der Ergebnisse der PISA-Studien, deren Befunde mittlerweile durch weitere Analysen bestätigt worden sind, die Ursachensuche für das schlechte Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich sehr schnell die Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe erreichte (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, 2003, Bos u.a. 2003, Avenarius u.a. 2003).

Obwohl zunächst einmal nichts anderes als mathematische, naturwissenschaftliche Basis- und Lesekompetenzen 15-jähriger Schülerinnen und Schüler gemessen worden waren, landete die Diskussion der Ergebnisse wenig zielgenau im Bereich der Kindertagesstätten und damit in einem der zentralen Aufga benbereiche der Kinder- und Jugendhilfe, der fortan in seiner Bedeutung als vorschulische Bildungsinstitution – von manchen bereits als Vorschule bezeichnet – im Mittelpunkt des Interesses steht. Während die einen – den umfassenden Bildungsauftrag der Kindertagesstätten verkürzend – die Frage zu beantworten versuchen, was die Kindertagesstätten für die Schule leisten können, gehen andere so weit zu fordern, den Kindertagesstättenbereich ganz aus dem Sozialbereich herauszulösen und statt dessen dem Bildungsbereich zuzuordnen – in der voreiligen Hoffnung dadurch mehr Ansehen und einen Bedeutungszuwachs der hier geleisteten pädagogischen Arbeit erwirken zu können.

Aber auch die nach PISA forcierten Debatten über die Notwendigkeit und die politischen Programme zur einer möglichst flächendeckenden Einführung von Ganztagsschulen gehen nicht spurlos an der Kinder- und Jugendhilfe vorbei. Werden in Zukunft Hortplätze überhaupt noch gebraucht? Wird die Ganztagsschule zu einem zeitlich verlängerten Lernort mit Aufbewahrungscharakter oder erreicht sie die in den Horten erzielte Qualität von Lern- und Lebensort und wenn ja unter welchen Bedingungen und mit welchem Personal? Unter welchen Bedingungen kann Schule hier von der Kinder- und Jugendhilfe lernen? Welchen Sinn machen zukünftig Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit, wenn ihre Adressaten und Adressatinnen zu den nachmittäglichen Öffnungszeiten noch zur Schule gehen?
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur 2. Auflage5
Vorwort6
Inhalt8
Die neue Bildungsdebatte10
1. PISA und IGLU – Irritationen internationaler Vergleichsstudien13
2. Die Bildung und die Kinder- und Jugendhilfe18
3. Zielperspektiven von Bildung21
4. Chancen und Risiken der Bildungsdebatte für die Kinder- und Jugendhilfe24
I. Ansätze und Analysen31
Die homogene Lerngruppe – oder: System jagt Fiktion32
1. Die Grundschule – keine Schule für alle Kinder32
2. Die Sekundarschule – Selektion als Prinzip35
3. Fazit: der international-vergleichende Blick37
Die soziale Seite der Bildung39
1. Einleitung39
2. Lorenz von Stein und die Vergesellschaftung des Bildungsbegriffs40
3. Bildung – jenseits des bekannten Rahmens43
4. Bildung als Bürgerrecht – revisited46
5. Familiäre Lebensverhältnisse und Bildungsbeteiligung48
6. Soziale Herkunft und erworbene Kompetenzen50
7. Bildung als Bürgerrecht – als Programm51
8. PISA und die Kinder- und Jugendhilfe53
PISA und die Sozialpädagogik58
1. Wider einen verkürzten Bildungsbegriff60
2. Plädoyer für Sozialpädagogik65
3. Das Pädagogische an der Sozialpädagogik68
Herausforderungen für ein neues Bildungssystem77
1. Die Hausse der Kritik und das Tohuwabohu der Reformvorschläge77
2. Die „Vier E“ der Bildungsreform78
3. Konkretionen: Standards, Avantgarde-Autonomie und die neue Rolle des Staates81
Einwürfe zum Bildungsbegriff87
1. Vorbemerkungen oder: Was ist hier die Frage?87
2. Stichworte zum Bildungsbegriff im Kontext der Erziehungswissenschaft89
3. Überlegungen zur Struktur von Bildungsprozessen93
4. Arbeitsbegriffe: Bildung und Bildungsprozesse95
5. PISA ist mehr als Schule und Bildung ist mehr als PISA. Fragen für die Kinder- und Jugendhilfeforschung98
Verpasste Chancen, neue Chancen?102
1. Schwache OECD-Repräsentanz der sozialen Dienste und die internationale forschungspolitische Chance102
2. Die Abspaltung zwischen formeller und informeller Bildung und die Chance zur neuen Kooperation104
3. Vernachlässigte Leistungsaspekte der Kinder- und Jugendhilfe und die Chance zur Neupositionierung eines nicht- selektiven Leistungsbegriffs105
4. Zusammenfassung107
II. Bildungsaufgaben in der Arbeit mit Kindern110
Der Bildungsauftrag des Kindergartens111
Was und wie sollen Kinder im Kindergarten lernen?116
1. Entwicklung der didaktischen Konzepte für den Kindergarten116
2. Spezifizierung und Begründung von Bildungszielen119
3. Didaktisch-methodische Orientierung120
4. Schulvorbereitung als Aufgabe des Kindergartens122
Bildungstheoretische Überlegungen im Kontext der Wissensgesellschaft125
1. Probleme und Perspektiven125
2. Die Relevanz von Bildung für das Verhältnis von Widerstand und Anpassung128
3. Sozialpädagogik zwischen Konzentration, Stärkung und Selbstgenügsamkeit130
4. Bildung und Kindheitsforschung132
5. Schlussbemerkung134
III. Bildungspotenziale in der Jugendarbeit137
Zum Bildungsanspruch von Jugendarbeit138
1. Der Bildungsbegriff in der Jugendarbeitsdebatte139
2. Paragraf 11 des SGB VIII als Bildungskonzept142
3. Bildungsignoranz aktueller Jugendarbeit144
4. Bildungsanspruch als Innovation von Jugendarbeit147
5. Basics I: Das Paradox: Anleitung zur Selbstbestimmung149
6. Basics II: Anerkennungsmuster: Liebe, Recht, Solidarität150
7. Bildung für Bildner154
Gesellschaftspolitische Bildung – Kernaufgabe oder Zusatzleistung der Jugendarbeit?157
1. Was heißt und was nutzt politische Bildung?157
2. Entpolitisierung der Jugend und der Jugendarbeit?159
3. Ist politische Jugendbildung chancenlos?162
4. Perspektiven politischer Jugendarbeit164
Kinder- und Jugendkulturarbeit als Bildungsarbeit170
1. Zur Grundlegung einer Theorie der kulturellen Bildung170
2. Aktuelle Entwicklungen173
Lebensbewältigung in benachteiligten Quartieren177
Ethnizität und Geschlecht183
1. Ausgangslage183
2. Sozialpädagogische Differenzkonstruktionen im Kontext von Weiblichkeit und Ethnizität186
3. Selbstbeschreibungen junger Frauen mit Migrationshintergrund189
4. Fazit191
IV. Diskurse und Perspektiven194
Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung195
1. Einleitung195
2. Aufwachsen in privater und öffentlicher Verantwortung197
3. Zur Bildungsidee des 11. Kinder- und Jugendberichts200
4. Voraussetzungen einer Kinder- und Jugendhilfe als Bildung205
Bildungspolitik, Bildung und soziale Gerechtigkeit209
I.209
II.212
III.215
IV.217
Bildung und Soziale Arbeit223
1. Das neuzeitliche Projekt Bildung225
2. Die Profilierung des Projekts Bildung in der neueren Zeit228
3. Entwicklungstrends im Bildungswesen: scholarisierte Bildung230
4. Aufstieg und Differenzierung der Sozialen Arbeit: nicht formalisierte Bildung231
5. Informelle Bildungsprozesse237
Autorinnen und Autoren239

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