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E-Book

Libertalia

Die utopische Piratenrepublik

AutorDaniel Defoe
VerlagMatthes & Seitz Berlin Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl238 Seiten
ISBN9783957571144
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Jeder kennt die Welt der Piraten als abenteuerliches Universum aus Holzbein, Säbelkampf und Totenkopfflagge. Doch nur wenige wissen, dass viele Seeräuber ihre Beute teilten, demokratische Versammlungen abhielten und Frauen und entlaufene Sklaven aufnahmen. Die fortschrittlichen Gemeinschaften der Freibeuter spiegeln sich auch in Daniel Defoes 1728 erschienenem Bericht über die Piratenrepublik Libertalia wider, die hier zum ersten Mal auf Deutsch erscheint. Defoe schildert die Geschichte des abenteuerlustigen Edelmanns Mission und des desillusionierten Priesters Caraccioli, die auf Madagaskar eine auf Toleranz, gerechter Verteilung von Besitz und radikaler Demokratie beruhende Piratenbruderschaft gründen, um Sklaven aus der Gefangenschaft zu befreien. Während die Republik in Defoes Geschichte schließlich niedergeschlagen wird, lebt Libertalia als herrschaftsfreie Utopie bis heute weiter. Ergänzt um historische Piratensatzungen und Reiseberichte erläutert ein ausführlicher Kommentar die politischen Ideen der Piraten.

Daniel Defoe (1660-1731) versuchte sich in zahlreichen Berufen, bevor er Herausgeber und Autor wurde. Aufgrund mehrer satirischer Artikel wurde er in London an den Pranger gestellt. Defoe gilt als Begründer des englischen Romans. Helge Meves arbeitet als Lehrbeauftragter für politische Ideengeschichte an der Freien Universität Berlin. Arne Braun ist als Übersetzer aus dem Niederländischen und Englischem tätig. David Meienreis ist Dolmetscher und Übersetzer aus dem Englischen.

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Leseprobe

Man kann sich kaum vorstellen, welche Wirkung diese Rede auf die Männer beider Nationalitäten hatte: Die Holländer spürten Angst vor Bestrafung, und die Franzosen fürchteten Vorwürfe von ihrem guten Kapitän, den sie nie ohne diesen Zusatz erwähnten. Vor der Küste von Angola trafen sie auf ein zweites holländisches Schiff, dessen Ladung aus Seide, Rohwolle, Leinen, Spitze, Wein, Branntwein, Öl, Gewürzen und Werkzeugen bestand. Die anvisierte Prise nahm die Verfolgung auf und griff an, aber als die Victoire auf das Schiff zustieß, gab es auf. Dieses kam ihnen sehr gelegen und gab den Schneidern an Bord einiges zu tun, denn die ganze Besatzung konnte dringend neue Kleider gebrauchen. Sie erleichterten das Schiff um alles, was sie verwenden konnten, und versenkten es dann.

Der Kapitän hatte nun neunzig Gefangene an Bord und schlug vor, ihnen die nächste Prise, das sie für ihre Reise brauchen würden, zu überlassen und sie wegzuschicken. Dem wurde zugestimmt, und so holten sie alle Munition an Bord der Victoire, gaben den Gefangenen Proviant für die Reise zur nächsten holländischen Siedlung an der Küste, und Misson rief sie zusammen, eröffnete ihnen sein Vorhaben und fragte, ob von ihnen jemand sein Schicksal teilen wolle: Elf Holländer gingen zu ihm über, von ihnen waren zwei Segelmacher, ein Waffenschmied und ein Tischler, die an Bord gebraucht wurden. Den Rest ließ er ziehen, und sie waren nicht wenig erstaunt über die geordnete Ruhe und Menschlichkeit, die sie unter diesen neuen Piraten antrafen.

Sie hatten nun die Soldinia-Bucht, rund zehn Wegstunden nördlich der Tafelbucht, passiert. Da die See und das Wetter hier freundlich waren und es reichlich Fische und frischen Proviant gab, den sie bei den Einheimischen gegen die Waren an Bord eintauschen konnten, wurde beschlossen, hier eine Weile alle viere von sich zu strecken. Als sie vor der Bucht lagen, machten sie ein großes Schiff aus, das sofort Segel setzte und die englische Fahne hisste. Die Victoire machte klar Schiff, setzte die französische Flagge, und ein scharfes Gefecht wurde eröffnet. Das englische Schiff war für vierzig Kanonen gebaut, hatte aber nur zweiunddreißig an Bord und neunzig Mann Besatzung. Misson befahl zu entern und schickte seine frisch erholten Männer in einem fort an Deck und zwang die Engländer nach einem heftigen Kampf, sich unter Deck zurückzuziehen und den Franzosen das Schiff zu überlassen. Diese versprachen und gaben ihnen gute Unterkunft und nahmen nicht einen Mann aus.

Sie fanden an Bord einige Ballen englisches Rohleinen und rund 60 000 englische Pfund Sterling in Kronen sowie spanische Taler. Der englische Kapitän wurde bei dem Gefecht getötet, ebenso vierzehn seiner Männer. Die Franzosen verloren zwölf Mann, was sie als nicht geringe Demütigung empfanden, sie aber nicht dazu provozierte, ihre Gefangenen grob zu behandeln. Kapitän Misson bedauerte den Tod des Kommandeurs, den er an der Küste beerdigen ließ. Und da einer seiner Männer ein Steinmetz war, ließ er über seinem Grab einen Stein errichten, auf dem die Worte standen: Icy gist un brave Anglois, hier liegt ein tapferer Engländer. Zu seinem Begräbnis ließ Misson einen dreimaligen Salut aus fünfzig Handfeuerwaffen abgeben und feuerte eine Minutenkanone ab.

Die Engländer, die wussten, in wessen Hände sie gefallen waren, wirkten auf Kapitän Missons Menschlichkeit ein, und binnen dreier Tage baten dreißig von ihnen, sich ihm anschließen zu dürfen. Er nahm sie auf, gab ihnen aber gleich zu verstehen, dass sie nicht erwarten sollten, ein zügelloses und unmoralisches Leben führen zu dürfen. Er teilte seine Mannschaft nun zwischen den beiden Schiffen auf, machte Caraccioli zum Kapitän der Prise und gab ihm Offiziere zur Seite, die öffentlich gewählt wurden. Die siebzehn Neger begannen, ein wenig Französisch zu verstehen und sich an Bord nützlich zu machen, und innerhalb eines Monats liefen alle englischen Gefangenen außer ihren Offizieren zu ihm über.

Nun hatte er zwei Schiffe, die mit entschlossenen Männern gut bemannt waren. Sie umfuhren das Kap der Guten Hoffnung und erreichten das südliche Ende von Madagaskar, und einer der Engländer erzählte Kapitän Misson, dass die europäischen Schiffe auf dem Weg nach Surat häufig auf der Insel Johanna Station machten. Er ließ Kapitän Caraccioli an Bord kommen, und man kam überein, vor dieser Insel zu kreuzen. Daher segelten sie westlich von Madagaskar vor der de Diego-Bucht. Auf halber Strecke zwischen der Bucht und der Johanna-Insel trafen sie auf ein englisches Schiff aus dem Ostindienhandel, das sofort Hilfssignale abgab, als es Misson und seine Prise erspähte. Sie entdeckten, dass das Schiff aufgrund eines unerwarteten Lecks am Sinken war, und nahmen alle Mann an Bord. Von der Ladung jedoch konnten sie wenig retten, bevor das Schiff unterging. Die Engländer, die auf so wunderbare Weise vor dem Untergang bewahrt worden waren, wünschten, in Johanna an Land gesetzt zu werden, von wo sie hofften, in kurzer Zeit ein holländisches oder englisches Schiff zu finden, und bis dahin wären sie wohl aufgehoben.

Sie kamen in Johanna an und wurden von der Regentin und ihrem Bruder freundlich empfangen, was einerseits an den Engländern lag, andererseits an ihrer Feuerkraft, gegen die der Bruder der Königin, der die Regierungsgeschäfte versah, nichts ausrichten konnte. Er hoffte, sie würden ihm gegen den König von Mohilla zur Seite stehen, denn der drohe mit einem Besuch.

Mohilla ist eine in gewisser Hinsicht Johanna benachbarte Insel und liegt nordnordwestlich von ihr. Caraccioli erklärte Misson, dass für ihn Vorteil daraus zu ziehen sei, den Graben zwischen den beiden kleinen Monarchien zu vertiefen und er, indem er Johanna Unterstützung zukommen ließ, über beide herrschen könne, weil die Johannaer ihn als ihren Beschützer umwerben und die anderen versuchen würden, seine Freundschaft zu erkaufen. So könne er über das Kräftegleichgewicht zwischen ihnen wachen. Er folgte diesem Rat und bot der Königin seine Freundschaft und Hilfe an, die sie gern annahm.

Ich muss dem Leser nachreichen, dass viele der Einwohner dieser Insel Englisch sprechen und dass die Engländer in Missons Mannschaft und seine Übersetzer ihnen mitteilten, dass der Kapitän, obwohl kein Engländer, ihr Freund und Verbündeter und ein Freund und Bruder der Johannaer sei, weil diese die Engländer vor allen anderen Nationen schätzten. Die Königin ließ sie mit allem ausstatten, was sie benötigten, und Misson heiratete ihre Schwester, wie Caraccioli die Tochter ihres Bruders, dessen Waffenarsenal bis dahin aus nicht mehr als zwei rostigen Flinten und drei Pistolen bestanden hatte. Er schenkte ihm dreißig Füsiliergewehre, ebenso viele Pistolenpaare, zwei Fässer Pulver und vier Fässer Kugeln.

Mehrere der Männer nahmen Ehefrauen und erbaten ihren Anteil an der Beute, der ihnen umstandslos ausgezahlt wurde, denn sie hatten vor, sich auf der Insel niederzulassen. Aber ihre Zahl ging nicht über zehn hinaus, und dieser Verlust wurde durch die dreißig neuen Männer, die sie vor dem Untergang bewahrt hatten, mehr als ausgeglichen.

Während sie ihre Zeit mit verschiedenen Ablenkungen verbrachten, die der Ort bot, wie Jagen, Feiern und Expeditionen ins Landesinnere, rückte der König von Mohilla zu einem Angriff an und versetzte die ganze Insel in Alarm. Misson riet dem Bruder der Königin, ihn ungehindert bis ins Herz der Insel vorstoßen zu lassen, und er werde sich darum kümmern, dem Eindringling den Rückzug abzuschneiden; aber der Prinz antwortete, wenn er diesem Rat folgte, würde der Feind ihm und seinen Untertanen nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen, indem er die Kokosplantagen zerstöre, und aus diesem Grunde müsse er es unternehmen, den Vorstoß zu bremsen. Nach dieser Antwort fragte Misson alle Engländer, die nicht unter seinem Kommando standen, ob sie bereit seien, den Feind ihres gemeinsamen Gastgebers zurückzuschlagen, und da jeder einzelne von ihnen zustimmte, gab er ihnen Waffen und mischte sie unter seine eigenen Leute. Ungefähr die gleiche Anzahl Johannaer stand unter dem Kommando von Caraccioli und dem Bruder der Königin. Alle Boote wurden unter Waffen gesetzt, und Misson fuhr selbst in den Westen der Insel, wo die Mohillaner ihren Angriff begannen. Die Gruppe, die über Land ging, stellte und schlug die Angreifer mit Leichtigkeit, und diese entdeckten zu ihrer großen Bestürzung, dass Missons Boote ihnen den Rückweg abschnitten. Die Johannaer, die sie belästigt hatten, waren so erzürnt, dass sie keine Gefangenen nehmen wollten und von den dreihundert, die an dem Überfall beteiligt waren, keine Seele überlebt hätte, wenn Misson und Caraccioli nicht eingeschritten wären. Einhundertdreizehn wurden durch seine Männer als Gefangene genommen und an Bord ihrer Schiffe gebracht. Diese schickte Misson sicher nach Mohilla, mit einer Nachricht an den König, dass er mit seinem Freund und Verbündeten, dem...

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