Kelten, Römer und Germanen: Heidelberg vor seiner Gründung
Es gibt Städte mit einem mehr oder weniger exakt datierbaren Gründungsakt und es gibt solche, deren Entstehung durch Legenden und Mythen geradezu literarisch verbrämt worden ist. Im Falle Heidelbergs ist weder das eine noch das andere bekannt – die Anfänge dieser Stadt liegen im Dunkeln. Eher beiläufig wird ein »Heidelberch« in einer im Herbst 1196 abgefassten Urkunde des benachbarten Zisterzienserklosters Schönau zum ersten Mal erwähnt. Zu diesem Zeitpunkt war der Ort aber wahrscheinlich längst über seine Gründungsphase hinausgewachsen.
Unter Heidelberg verstand man damals eine hochgelagerte Burg, zu deren Füßen ein gleichnamiger Weiler im Bereich der heutigen Altstadt lag, der sich vor allem entlang der Klingenteichstraße erstreckte. Im Hof der Neuen Universität (Grabengasse 3–5) haben Archäologen Überreste dieses ältesten Siedlungskerns aus dem 12. Jahrhundert ans Tageslicht befördert – eine durchaus stattliche Anlage mit mehreren, wohl zum Teil turmartigen Gebäuden. Noch früheren Datums sind dagegen die im Umland der Stadt gelegenen und später eingemeindeten Dörfer wie beispielsweise Handschuhsheim, Wieblingen oder Neuenheim. Ihre Existenz lässt sich teilweise bis ins 6. Jahrhundert zurückverfolgen. Doch auch damit ist nicht der historische Ausgangspunkt erreicht. Denn viel älter nämlich als »Heidelberch« und seine umliegenden Ortschaften sind Siedlungsspuren, die insbesondere Römer und Kelten in dieser Gegend hinterlassen haben. Bei ihnen handelt es sich um die eigentliche Vor- und Frühgeschichte der Stadt am Neckar.
Auf dem Heiligenberg
Archäologische Funde belegen, dass spätestens in der jüngeren Steinzeit – also im 5. Jahrtausend v. Chr. – Menschen im Heidelberger Raum sesshaft wurden. Nicht mehr nur die Jagd oder das Sammeln von Früchten und Wurzeln dienten der Nahrungsbeschaffung, auch das Bestellen von Feldern und die Viehzucht standen nun auf dem Selbstversorgungsprogramm. Dörfliche Gemeinschaften bildeten sich, Häuser aus Holz, Stroh und Lehm wurden gebaut. Überreste solch jungsteinzeitlicher Zivilisationen wie beispielsweise die der Bandkeramiker oder der Rössener Kultur konnten hier gefunden werden. Auch die spätere Bronzezeit hat entsprechende Spuren hinterlassen. Doch erst mit den vor allem in West- und Mitteleuropa siedelnden Kelten tritt im Heidelberger Raum eine Volksgruppe in Erscheinung, über die detailliertere Kenntnisse vorliegen. Sie hatten bereits eine eigene Schrift entwickelt, ein Münzwesen aufgebaut und befestigte, stadtartige Zentralorte nach griechischem Vorbild errichtet. Eine solche Anlage mit einer Fläche von fast 60 Hektar hat wohl auch an exponierter Stelle auf dem Heiligenberg bestanden, der sich dort erhebt, wo der damals noch reißende Neckar in die nördliche Oberrheinebene austritt.
Abb. 1: Keltenkopf aus dem 5./4. Jahrhundert v. Chr., gefunden in Heidelberg-Bergheim
Das heute nur noch schwer erkennbare Ringwallsystem, das die dort gelegene Keltensiedlung umfasst haben soll, zählt zu den größten seiner Art, die im südlichen Mitteleuropa bekannt sind. 2,5 Kilometer beträgt der Umfang des oberen Rings, der des unteren Rings immerhin 3,1 Kilometer. Innerhalb dieser Befestigung konnten durch Grabungen zahlreiche Wohnstellen und auch eine Quelle lokalisiert werden sowie eine mit Wagen befahrbare Straße. Zu datieren sind diese Funde auf die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Lange hielt es die Kelten aber nicht auf dem Heiligenberg. Etwa 200 Jahre später wurde dieser Ort ohne Anzeichen von äußerer Gewalteinwirkung offenbar wieder aufgegeben – vor allem die Wasserversorgung dürfte ein Problem für die dortigen Bewohner gewesen sein. Manche Historiker vermuten, dass die Siedlung nun in die Ebene verlagert wurde – möglicherweise an die Stelle des benachbarten Ladenburg, das keltischen Ursprungs ist. Konkrete Hinweise dafür gibt es jedoch keine. Prinzipiell lebten Kelten aber sowohl vor als auch nach der Besiedlung des etwa 440 Meter über dem Meeresspiegel thronenden Hügels an vielen Stellen im Heidelberger Raum.
HINTERGRUND
Ur-Bürger? Der Homo heidelbergensis
Nein, den Titel eines Ur-Bürgers kann man ihm schwerlich verleihen. Wenn schon, müsste man noch weiter ausholen. Denn der sogenannte Homo heidelbergensis ist einer der ältesten Menschen Europas überhaupt. Als man 1907 seinen Unterkiefer in einer Sandgrube bei Mauer, einer Gemeinde südlich von Heidelberg, entdeckte, handelte es sich um den bis dahin ältesten Fund unter Europas Urmenschen-Belegen; erst in jüngerer Zeit hat man – etwa in Spanien – menschliche Überreste noch höheren Alters ausgemacht. Der bei Heidelberg aufgetauchte Homo erectus, so die korrekte Gattungsbezeichnung für den bereits aufrecht gehenden Urmenschen, lebte in den hiesigen Wäldern wohl als Jäger und kam vor rund 600 000 Jahren zu Tode. Wissenschaftlich beschrieben wurde er (beziehungsweise sein dentaler Überrest) gleich nach der Ausgrabung von Otto Schoetensack, Privatdozent an der Universität Heidelberg. Von ihm stammt auch der bis heute im menschlichen Stammbaum gebräuchliche Name Homo heidelbergensis. Der Grabungsgehilfe Daniel Hartmann übrigens, dem das Verdienst gebührt, den Unterkiefer entdeckt zu haben, war sich der Bedeutung dieses spektakulären Funds offenbar sogleich bewusst: »Heit haw ich de Adam g’funne«, soll er noch am gleichen Abend in geselliger Runde erzählt haben.
Einige Rätsel aufgegeben und die Phantasie beflügelt hat auf dem Heiligenberg auch ein Schacht, der dort etwa 50 Meter in die Tiefe reicht. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts berichtete der französische Romancier Victor Hugo von einem nächtlichen Spaziergang, bei dem er auf diese Vertiefung stieß und plötzlich eine zunächst nicht identifizierbare, unheimliche Stimme ihm mehrmals den bis heute gebräuchlichen Namen »Heidenloch« zuraunte. Spekuliert wurde schon, dass es sich dabei um einen Geheimgang zum gegenüberliegenden Schlossberg handeln könnte oder zu anderen Orten in der Umgebung. Vermutet wurde ebenso eine Nutzung als Zisterne, wofür sich der Schacht allerdings, wie man nachträglich herausgefunden hat, nicht sonderlich gut geeignet hätte. Wahrscheinlich handelt es sich vielmehr um einen Opferschacht noch aus keltischer Zeit, daher auch der etwas despektierlich klingende Name Heidenloch.
Abb. 2: Relief des reitenden Mithras um 200 n. Chr., entdeckt in einem Mithräum am Fuße des Heiligenbergs
Ganz offensichtlich aber haben die seit Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. im Heidelberger Raum siedelnden Römer den Heiligenberg zu einem zentralen Ort ihrer Götterverehrung gemacht. Auf seinem Gipfel errichteten sie einen Merkurtempel, daneben berichten mehrere Inschriften von weiteren Stiftungen und Weihungen, auch hier vor allem für den römischen Götterboten, dessen Begleitnamen Cimbrianus und Visucius Hinweise auf die Gleichsetzung mit einer germanischen beziehungsweise gallischen Gottheit liefern. Von religionsgeschichtlicher Bedeutung ist nicht zuletzt der zu römischen Zeiten in dieser Region stark verbreitete Mithras-Kult. In dessen Mittelpunkt stand die im Ritus nachempfundene Stiertötung durch den Gott Mithras – als Akt der Erlösung und Verheißung von Fruchtbarkeit gedeutet. Diese aus Persien kommende Mysterienreligion versprach somit im Gegensatz zum Glauben an die römischen Götter Unsterblichkeit – gewissermaßen in Konkurrenz zu dem noch jungen, nichtsdestotrotz zeitgleich expandierenden Christentum. Ein eindrucksvolles Sandsteinrelief (s. Abb. S. 11), das sich heute im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg befindet, weicht vom üblichen Bildprogramm der Stiertötung ab: Es zeigt den reitenden Mithras als Herrscher über den Kosmos mit wehendem Mantel. Begleitet wird er dabei von Löwe und Schlange, Verkörperungen der Elemente Feuer und Erde. Gefunden hat man diese Darstellung in einem Mithräum, das im 19. Jahrhundert am Fuß des Heiligenbergs ausgegraben wurde. Dort hatten sich die Anhänger dieses Kultes getroffen. Ein reiner Männerbund übrigens – Frauen war der Zutritt strengstens verboten.
Erste Brücken über den Neckar
Mit den Römern tauchen erstmals Namen in Heidelbergs Vorgeschichte auf. Eine Inschrift nennt beispielsweise einen gewissen Valerius Paternus. Es handelt sich dabei um den Architekten einer rund 260 Meter langen Steinpfeilerbrücke über den Neckar (um 200 n. Chr.) – nicht der erste feste Flussübergang: Sie hatte eine ursprüngliche Holzkonstruktion an gleicher Stelle verdrängt. Seitdem sich das Interesse des römischen Kaisers Vespasian (69–79 n. Chr.) auf das rechte Oberrheingebiet gerichtet hatte, entstanden im Bereich der heutigen Stadtteile Neuenheim und Bergheim mehrere Militärlager – zunächst hölzerne Kastelle, um 90 n. Chr. auch eines aus Stein. Entsprechende Funde ließen auf eine teilberittene Einheit schließen. Der Stempel auf einem Ziegelstein brachte den Beleg, dass hier zeitweise die cohors II Augusta Cyrenaica equitata stationiert war. Ferner gibt die Weihinschrift eines Straßburger Legionärs namens Caius Verreius Clemens Auskunft darüber, dass in den dreißiger Jahren des 2. Jahrhunderts eine Spezialtruppe für den Schutz der Neckarbrücke zuständig war, was deren strategische Bedeutung zusätzlich unterstreicht.
Das römische Heidelberg, für das im Gegensatz zum Neckar (der Geschichtsschreiber Tacitus nennt den Fluss nicer) leider kein Name überliefert worden ist, entwickelte sich aufgrund des Flussübergangs, bei dem zwei Fernstraßen aus nördlicher und südlicher Richtung sich...