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Das innere Korsett

Wie Frauen dazu erzogen werden, sich ausbremsen zu lassen

AutorBärbel Kerber, Gabriela Häfner
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl217 Seiten
ISBN9783406675300
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Frauen dürfen heute alles - und kommen trotzdem nicht voran. Geblendet von einigen Beispielen erfolgreicher Karrierefrauen, übersehen wir, dass Frauen heute keineswegs vorpreschen, sie treten auch nicht auf der Stelle, sie rudern viel eher zurück. Frauen Feigheit vorzuwerfen, ist allerdings zu kurz gedacht. Vielmehr handelt es sich um Mechanismen, die ihnen von klein auf anerzogen werden und wie ein inneres Korsett wirken. Zwar werden Mädchen dazu ausgebildet, beruflich durchzustarten, zugleich wird von ihnen jedoch erwartet, liebevoll und fürsorglich zu sein. Umsicht und Sanftmütigkeit helfen ihnen aber im Arbeitsleben - und auch in Auseinandersetzungen mit dem eigenen Partner - nicht weiter. Maßnahmen wie beispielsweise die Frauenquote haben nur begrenzten Einfluss, denn sie setzen viel zu spät an. Dieses Buch zeigt, wie Mädchen in der Pubertät ihr Selbstvertrauen verlieren und Frauen immer noch durch uralte Rollenbilder ausgebremst werden.

Bärbel Kerber ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und arbeitet als freie Journalistin und Buchautorin. Gemeinsam mit Gabriela Häfner hat sie 2006 das Frauenonlinemagazin Miss Tilly.de gegründet, das überholte Geschlechterklischees infrage stellt.

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Leseprobe

Vorwort


Denken wir nicht alle, heutzutage ein Mädchen zu sein, das ist klasse!? Doch um das Selbstbild von Mädchen und weiblichen Teenagern ist es nicht gut bestellt, wie eindrücklich ein Videoclip zeigt, der vor einiger Zeit im Internet die Runde machte. Die Aufgabe war, «wie ein Mädchen» – «Like A Girl» – zu agieren. Kinder und Jugendliche wurden gebeten, vor der Kamera nachzumachen, wie Mädchen rennen und wie Mädchen einen Ball werfen. Das Ergebnis geht unter die Haut: Die Jugendlichen bewegen sich daraufhin ungelenk, kichernd und tapsig. Insbesondere die weiblichen Jugendlichen ziehen sich mit affigen Bewegungen selbst ins Lächerliche. Viel selbstbewusster hingegen zeigen sich die 6- bis 10-jährigen Mädchen, die konzentriert bei der Sache sind und ihr Bestes geben, ohne auch nur einen Hauch ins Groteske abzudriften. Offensichtlich passiert während der Pubertät etwas Entscheidendes: Im Übergang vom Kind zum Teenager merken viele, dass «ein Mädchen sein» heißt, schwach zu sein.

Das Video wurde innerhalb weniger Wochen über 45 Millionen Mal angeklickt. Es scheint einen Nerv getroffen zu haben. So wie das Video zeigt, dass Mädchen im Laufe ihrer Entwicklung unsicher werden, so ist zu beobachten, wie sich Frauen später im Leben freiwillig hinten anstellen und ihre Ziele begraben, statt diese voller Elan zu verfolgen. Dieses Buch will die Mechanismen aufdecken, die dafür verantwortlich sind, dass Mädchen in der Teenagerzeit entmutigt werden und im Erwachsenenalter nicht vorankommen. Denn wir sind davon überzeugt, dass es hier einen direkten und häufig übersehenen Zusammenhang gibt. «Es fängt in der Kindheit an und hört nie auf»,[1] wie die Autorin Soraya Chemaly sagt.

Vor einigen Jahren fiel uns eine Studie[2] in die Hände, die uns fassungslos machte. Sie zeigt auf, wie weibliche Teenager im Zuge ihrer Pubertät an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, an Ich-Stärke und Selbstbewusstsein verlieren. Die Mädchen werden zögerlich und verstummen, während die Jungen mit stolzgeschwellter Brust an ihnen vorbeiziehen. Wir waren schockiert und konnten es nicht wirklich glauben: Am Anfang des 21. Jahrhunderts plagen sich Mädchen und junge Frauen mit Selbstzweifeln, obwohl sie heute mehr Rechte denn je haben, ihre Schulabschlüsse besser als die der Jungen sind und alle Zeichen auf Frauenförderung stehen. Wir recherchierten weiter. Könnte es sein, dass es mit diesem Schwinden des Selbstvertrauens zu tun hat, weshalb sich Frauen im Erwachsenenalter so schwer damit tun, aus dem Schatten der Männer herauszutreten und ihre Ziele mit derselben Vehemenz wie diese zu verfolgen? Vor allem wollten wir wissen, woran es denn genau liegt, dass die Mädchen an Selbstbewusstsein einbüßen.

Wir stießen auf eine Menge «heimlicher Erzieher», die maßgeblich beeinflussen, wie Frauen sich selbst sehen, was sie meinen zu können und was nicht, wie viel sie sich zutrauen und welche Rolle Frauen glauben, in der Gesellschaft zu spielen. Es beginnt schon in der frühesten Kindheit, in der Erziehung durch Eltern und Lehrer, und setzt sich fort durch die Medien, die Werbung, die Berufswelt, die Politik und die Konsumwelt. Dort überall wird ein Frauenbild gezeichnet, das – ohne dass wir uns dem entziehen könnten – unser Selbstbild formt. Und dieses Bild ist erstaunlich rückständig. Es bedient die ewig alte Leier von den duldsamen und disziplinierten Mädchen, den für Fürsorge und Herzenswärme zuständigen Frauen, die sich möglichst angepasst im Hintergrund aufhalten – und bei allem, was sie tun, möglichst sexy und hübsch auszusehen haben.

Und so passiert es, dass ausgerechnet unsere erfolgreichsten Fußballerinnen meinen, sie müssten ihre Attraktivität besonders hervorheben, indem sie für Marketingaktionen vor laufender Kamera Make-up auflegen und sich bauchnabelfrei in sexy Pose vor dem Fußballtor ablichten lassen. Diese Weiblichkeitsinszenierung soll beweisen, dass sie – weil Profifußball immer noch als «männlich» gilt – ganz Frau geblieben sind. Doch damit nehmen Kim Kulig, Fatmire Bajramaj, Simone Laudehr und ihre Mitspielerinnen in Kauf, dass ihre sportlichen Leistungen in den Hintergrund gedrängt werden. Indem sie versuchen, dem weiblichen Idealbild zu entsprechen, lassen sie es zu, dass ihr Wunsch, als ernst zu nehmende Fußballerinen wahrgenommen zu werden, in weite Ferne rückt.[3]

Es geht uns in diesem Buch darum, den Blick für die Rollenklischees zu schärfen, die heutzutage fast unmerklich in tieferen Schichten unseres Bewusstseins weiterleben und Frauen auf Äußerlichkeiten reduzieren. Die Botschaften kommen still und heimlich daher und setzen sich in unseren Köpfen fest. Sie flüstern, Mädchen seien weniger bedeutsam, ihr logisches Denkvermögen sei geringer, sie bekämen später ohnehin Kinder und blieben zu Hause. Wir sind geprägt von den Erziehern und Erzieherinnen, die Mädchen nicht auf Bäume klettern lassen, weil sie sich sonst schmutzig machen; von den Lehrern und Lehrerinnen, die Schülerinnen vor allem für Fleiß und Ordnungsliebe loben und Schüler für ihre Intelligenz; von den Eltern, die kämpferische Söhne abtun mit den Worten «Jungen sind halt so» und ihre Töchter zum Nachgeben animieren. Wir haben die Bilder der TV-Serien im Kopf, in denen das alleinige Lebensziel der Heldinnen die Jagd auf Prinz Charming ist und die sonst keine weiteren Interessen zeigen; von den lasziv und dümmlich dreinschauenden Models auf den Werbeplakaten und von Prinzessin Lilifee. Diese Erfahrungen und Erlebnisse formen unser weibliches Selbstbild, sie schränken uns ein und hemmen uns in der Entfaltung unserer Möglichkeiten und Potenziale, unserer Ziele und Wunschvorstellungen von einem gelungenen Leben.

Emanzipation ist erst dann erreicht, wenn Frauen nichts mehr davon abhält, das zu tun, was sie wirklich möchten – nur weil sie eine Frau sind. Doch wir kommen immer noch zu oft vom Weg ab, trauen uns zu wenig zu, weil wir denken, wir müssten uns auf eine bestimmte Weise verhalten, um als weiblich zu gelten. Aus Angst, unweiblich zu wirken, verbringen wir mehr Zeit mit dem überkritischen Betrachten unseres Spiegelbildes als mit dem Verfolgen der Interessen, für die unser Herz brennt. Aus Furcht, aus dem Raster «Frau» zu fallen, stecken wir mehr Energie in den Haushalt und die Familie, als wir möchten – und halten dem Partner den Rücken frei, statt seinen «fair share» einzufordern.

Es ist jedoch nicht etwa «die Schuld» der Gesellschaft oder gar der Männer, dass Frauen nicht selbstbewusster ihre Möglichkeiten ausschöpfen, sondern liegt mindestens ebenso an den Beschränkungen, die sich Frauen selbst auferlegen, weil sie durch den Einfluss der heimlichen Erzieher selbst zu glauben beginnen, sie seien schwächer oder weniger durchsetzungsfähig und weniger analytisch. Es gibt eine Vielzahl an Fallen, welche die Selbstwahrnehmung der Frauen so beeinflussen, dass diese ihre eigenen Anliegen weniger ernst nehmen und sich eher nach anderen richten. Unsere Beobachtungen haben unsere Hoffnung dahingehend, dass sich Chancengleichheit durch Regeln, Vorschriften und Gesetze wie die zur Frauenquote erreichen lässt, gedämpft. Denn diese – auch wenn sie eine wichtige Signalwirkung haben – können die Haltungen gegenüber Frauen und die Erwartungen an sie nicht maßgeblich verändern. Hierfür müssen wir uns der Denkmuster bewusst werden, in denen wir alle (!) noch sehr verhaftet sind. Dann kann es Mädchen auch gelingen, ihre eigenen Ambitionen stärker wahrzunehmen und zu verfolgen.

Wir bewerten in diesem Buch bestimmte Lebenswege von Frauen weder als «richtig» oder «falsch», noch geht es uns um die Debatte, ob und in welcher Form wir heute den Feminismus noch brauchen. Diese Debatte wird schon in anderen Büchern zur Genüge geführt.[4] Uns liegt vielmehr daran, die Augen dafür zu öffnen, was dahinterstecken mag, wenn Frauen sich ausgebremst fühlen und nicht weiterkommen. Natürlich gilt das, was wir in diesem Buch beschreiben, nicht für alle Frauen. Ohne Frage gibt es eine Reihe von Frauen, die unbeirrt und erfolgreich ihren Weg gehen und selbstbewusst in den Vordergrund treten. Leider ist dies jedoch nicht die Mehrheit. Insofern sind die Verallgemeinerungen, die wir in diesem Buch immer wieder vornehmen, zwar nicht ganz korrekt, aber wohl legitim. Alle, die sich in unserem Buch nicht wiedererkennen und rufen: «Bei mir klappt das alles prima, ich habe keine Probleme», mögen bitte Nachsicht walten lassen und berücksichtigen, dass es uns hier um diejenigen geht, die unzufrieden sind mit dem Status quo und die sich in einer Lebenssituation wiederfinden, die sie in dieser Weise nicht wollten, und die sich fragen, wie es dazu kommen konnte.

«Ich habe lange gezögert, ein Buch über die Frau zu schreiben. Das Thema ist ärgerlich, besonders für die Frauen; außerdem ist es nicht neu. Im Streit um den Feminismus ist schon viel Tinte geflossen, zur Zeit ist er fast beendet.»[5] Das schrieb Simone de Beauvoir 1949 im Vorwort zu ihrem Buch «Das andere Geschlecht». Sie hat wohl nicht geahnt, wie viel mehr Tinte...

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