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E-Book

Geschichte des Westens

Die Zeit der Gegenwart

AutorHeinrich August Winkler
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl688 Seiten
ISBN9783406669873
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist die Welt nicht übersichtlicher und auch nicht friedlicher geworden. Die Erweiterung und Krise der Europäischen Union, der 11. September, die Kriege in Afghanistan und Irak, die globale Finanzkrise, der 'arabische Frühling', der Konflikt um die Ukraine und die Bedrohung durch den 'Islamischen Staat' - das sind nur einige Themen des Bandes 'Die Zeit der Gegenwart', mit dem Heinrich August Winkler seine 'Geschichte des Westens' abschließt. Nirgendwo sonst wird so kenntnisreich und fesselnd das politische Geschehen der Gegenwart dargestellt wie in diesem einzigartigen Werk.

Heinrich August Winkler, geb.1938 in Königsberg, studierte Geschichte, Philosophie und öffentliches Recht in Tübingen, Münster und Heidelberg. Er habilitierte sich 1970 in Berlin an der Freien Universität und war zunächst dort, danach von 1972 bis 1991 Professor in Freiburg. Seit 1991 war er bis zu seiner Emeritierung Professor für Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein berühmtes Werk 'Der lange Weg nach Westen' (2005), eine deutsche Geschichte des 19. und 20.Jahrhunderts, hat sich mehr als 90.000 mal verkauft und wurde in sechs Sprachen übersetzt. Bei C.H.Beck ist auch erschienen: 'Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie' (2005).

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Leseprobe

Aufbrüche, Anschläge, Affären: Die USA unter Clinton (II)


Bill Clinton war ein lernfähiger Politiker gewesen, bevor er Präsident wurde, und diese Eigenschaft zeichnete ihn auch nach dem Einzug ins Weiße Haus aus. Er war der erste Mann an der Spitze der Vereinigten Staaten, der sich der wirtschaftlichen und finanziellen Grenzen der politischen und militärischen Macht seines Landes voll bewußt war. Wenn es Amerika nicht gelang, sein Haushaltsdefizit abzubauen und die Staatsverschuldung einzudämmen, konnte es seinen Weltmachtanspruch nicht aufrechterhalten: Diese Einsicht prägte Clintons politisches Handeln. 1992 hatte das Haushaltsdefizit nominal bei 290 Milliarden Dollar gelegen, vier Jahre später belief es sich nur noch auf 116 Milliarden Dollar.

Die außenpolitische Zurückhaltung in den ersten Jahren seiner Amtszeit war eine Konsequenz des von Clinton propagierten und praktizierten Primats der Ökonomie. Als Weltwirtschaftsmacht hielten sich die USA unter ihrem 42. Präsidenten an die Devise, die Clinton schon am 26. Februar 1993, wenige Wochen nach Ablegung seines Amtseids, vor der American University in Washington ausgegeben hatte: «Wir müssen uns dem Wettbewerb stellen, anstatt davor wegzulaufen» (We must compete, not retreat). Die Verwirklichung des von seinem Vorgänger George H. W. Bush eingeleiteten Projekts einer nordamerikanischen Freihandelszone, der NAFTA, lag ebenso auf dieser Linie wie die Gründung einer neuen Sonderorganisation der Vereinten Nationen: der Welthandelsorganisation, der WTO, am 1. Januar 1995. Das Doppelziel dieser Nachfolgerin des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1947, des GATT, war die Liberalisierung der Handelsmärkte unter Beachtung fairer Arbeits- und Sozialbedingungen.

Die Heranführung Rußlands an die G7 betrieb der Präsident mit derselben Energie wie die Ausgestaltung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit der Volksrepublik China: Die kommunistische Großmacht war aus seiner Sicht ein so wichtiger Absatzmarkt, daß er im Mai 1994 öffentlich von der Verknüpfung von Handelsfragen und Beachtung der Menschenrechte Abstand nahm – einem «linkage», von dem sich freilich auch schon seine Vorgänger Reagan und Bush stillschweigend verabschiedet hatten. Mehr Gewicht legte Clinton auf die Liberalisierung der chinesischen Wirtschaftspolitik und namentlich auf die Aufgabe der Pekinger «Produktpiraterie».

Zu den unbestreitbaren Erfolgen von Clintons ersten drei Amtsjahren gehörte die Beilegung des Bosnienkrieges in den Verhandlungen von Dayton im November 1995. Das internationale Prestige, das sich der Präsident dadurch erwarb, kam ihm im Wahljahr 1996 gleichermaßen gelegen wie der nach harten Kämpfen errungene Sieg im Haushaltsstreit mit den Republikanern kurz nach dem Jahreswechsel. Die Opposition, die in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit hatte, war aber stark genug, um den Präsidenten im Sommer 1996 zu einer Reform der Sozialhilfe zu nötigen, die mehr ihre als seine Handschrift trug. Kernstück war die Abschaffung des Hilfsprogramms für Familien mit abhängigen Kindern (AFDC) und damit die Beseitigung des Anspruchs der Bedürftigen auf lebenslange Unterstützung. Jeder arbeitsfähige Haushaltsvorstand mußte innerhalb von zwei Jahren einen Arbeitsplatz finden; andernfalls erhielt er oder sie nach Ablauf dieser Frist keine Bundeshilfe mehr. Außerdem wurde die Wohlfahrtsunterstützung für legale Immigranten stark eingeschränkt. Der demokratische Senator Patrick Moynihan sprach von dem «brutalsten Akt der Sozialpolitik seit der ‹Reconstruction›», also der Neuordnung der politischen Verhältnisse in den Südstaaten nach dem Bürgerkrieg. Tatsächlich markierte das Gesetz nichts Geringeres als den Abschied vom «New Deal» Franklin Delano Roosevelts und der Great Society Lyndon B. Johnsons: Was es an staatlicher Wohlfahrt gab, wurde zwar nicht abgeschafft, aber sehr viel rigoroser als bisher den Erfordernissen des Marktes angepaßt.

Clinton verzichtete, auch auf Empfehlung von Vizepräsident Al Gore, auf ein Veto, weil er nach menschlichem Ermessen sonst jede Chance verspielt hätte, die auch von ihm für notwendig gehaltene Reform des Sozialstaats in Angriff zu nehmen. Schließlich hatte er in seiner «State of the Union»-Rede vom 23. Januar 1996 vom Ende der Zeit des «big government» gesprochen und eine durchgreifende Sozialstaatsreform (sweeping welfare reform) gefordert, die die Menschen von der Wohlfahrt zur Arbeit bringen müsse. Immerhin konnte der Präsident ein gutes Jahr später auf ein soziales Gegengewicht zu den Härten des Gesetzes vom 22. August 1996 verweisen: Um den Geringverdienern zu helfen, hatte der Kongreß auf sein Betreiben Anfang August den gesetzlichen Mindestlohn erhöht. Außerdem versprach Clinton, die von ihm als solche benannten Fehler der Reform so bald wie möglich zu korrigieren. In der Summe bewirkte die Kompromißbereitschaft des Präsidenten, daß die Sozialpolitik im Wahlkampf vom Herbst 1996 faktisch keine Rolle spielte.

Zu den besonders dramatischen internationalen Ereignissen in den Monaten vor der Präsidentenwahl gehörte ein Terroranschlag fanatischer Islamisten auf einen amerikanischen Militärstützpunkt, Khobar Towers, in der saudiarabischen Stadt Dahran am 25. Juni 1996, bei dem 19 GIs starben und fast 500 Personen, Amerikaner sowohl wie Araber, verletzt wurden. Der Anschlag fiel in die Zeit kurz vor dem 22. Weltwirtschaftsgipfel in Lyon, auf dem der Kampf gegen den internationalen Terrorismus ohnehin eines der Schwerpunktthemen bilden sollte. Anfang September beschossen Flugzeuge der US-Luftwaffe erneut Ziele in Südirak, nachdem das Regime von Saddam Hussein wieder einmal das von den Vereinten Nationen verhängte Flugverbot südlich des 32. Breitengrades verletzt hatte. Drei Wochen später, am 27. September, eroberten die fundamentalistischen Taliban Kabul, wo sie das Islamistische Emirat Afghanistan ausriefen. Eine der ersten Maßnahmen der «Religionsstudenten» war die Hinrichtung des 1992 gestürzten Staatspräsidenten Mohammed Najibullah.

Zu den Verbündeten des Talibanführers Mullah Mohammed Omar gehörte seit Mai 1996 ein ehedem reicher saudischer Geschäftsmann, Osama Bin Laden, der von den USA seit Anfang des Jahres intensiv gesuchte Gründer und Führer eines internationalen Terrornetzwerkes, das unter dem Namen Al Qaida bekannt wurde. Bin Laden war Mitte 1996 auf massives Drängen Washingtons vom Sudan, wo er sich seit 1992 aufhielt, zum Verlassen des Landes gedrängt worden und hatte sich von dort nach Afghanistan begeben. Das Land am Hindukusch, das er seit 1984 durch sein Engagement an der Seite der Mudjahedin im Kampf gegen die sowjetischen Invasoren kannte, wurde dank Bin Laden binnen kurzem zu einer Operationsbasis des internationalen Terrorismus: eine Entwicklung, die von der Regierung Clinton und der CIA mit großer Besorgnis registriert wurde.

Im amerikanischen Wahlkampf spielten die Außenpolitik im allgemeinen und der Terrorismus im besonderen keine große Rolle. Die Republikaner hatten den Mehrheitsführer im Senat, Robert Dole aus Kansas, als ihren Kandidaten aufgestellt, und wie 1992 trat der Milliardär Ross Perot als unabhängiger Bewerber an. Das Ergebnis der Präsidentenwahl war für den Amtsinhaber ein Triumph: Clinton erhielt 49,2, Dole 40,7, Perot 8,4 Prozent. Im Senat gewannen die Republikaner zwei Sitze hinzu, während sie im Repräsentantenhaus acht Sitze verloren; in beiden Häusern des Kongresses aber waren sie nach wie vor die Mehrheitspartei. In seiner «Siegesrede» in Little Rock sprach Clinton am Abend des 5. November von der Lebenskraft des «vital American Center», wobei er sich eines Begriffs bediente, den der Historiker Arthur Schlesinger, jr., 1949 geprägt hatte.

In seiner zweiten Amtszeit konnte Clinton einige der Härten ausgleichen, die er den Amerikanern im Sommer 1996 mit der Unterzeichnung des Gesetzes zur Reform des Sozialstaates zugemutet hatte. Es gelang ihm, die Einschränkung der Wohlfahrtshilfe für legale Immigranten zu beseitigen, durch Steuerbefreiungen (tax credits) das Einkommen der «working poor» aufzubessern und die Gebühren für den Besuch höherer Schulen zu senken. Der größte sozialpolitische Erfolg der Jahre 1996 bis 2000 war das State Children’s Health Insurance Program (SCHIP) von 1997, zu dem der Bund Zuschüsse in Höhe von etwa 20 Milliarden Dollar zur Verfügung stellte, um damit die Versicherung von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien zu ermöglichen. Gewissermaßen als Gegengabe für ihre Zustimmung zu sozialpolitischen Gesetzen konnten die Republikaner die Senkung der Kapitalertragssteuer von 25 auf 20 Prozent verbuchen.

Erleichtert wurde das gesetzgeberische Zusammenwirken von Republikanern und Demokraten durch die Erfolge, die die Regierung Clinton mit ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik erreicht hatte. Die Wirtschaft lag auf Wachstumskurs: Das Bruttoinlandsprodukt stieg in Clintons zweiter Amtszeit im Jahresdurchschnitt um 3 Prozent. Die Arbeitslosigkeit war von 7,3 Prozent Anfang 1993 auf 5,3 Prozent Anfang 1997 gesunken; die Inflationsrate lag inzwischen bei 3 Prozent und fiel weiter, bis sie 1998 1,6 Prozent erreichte. Die Armutsraten wiesen...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Impressum4
Inhalt7
Vorwort11
Einleitung15
1. Vom Triumph zur Tragödie: 1991–200119
Von Maastricht nach Schengen: Die Europäische Union zwischen Vertiefung und Erweiterung19
Weltmacht ohne Widerpart: Die USA unter Clinton (I)39
Von Srebrenica nach Dayton: Die USA, Europa und die Beendigung des Bosnienkrieges57
Von Bonn bis zum Baskenland: Westeuropa nach der Epochenwende62
Ein System bricht zusammen: Italien 1991–199580
Bewährungsproben: Ostmitteleuropa auf dem Weg nach Westen92
Abgrenzung vom Westen: Das Rußland Boris Jelzins100
Aufbrüche, Anschläge, Affären: Die USA unter Clinton (II)112
Modernisierer und Traditionalisten: Die Sozialdemokraten an der Macht127
Von Amsterdam nach Nizza: Der Euro und das Ringen um die Reform der EU152
Wettlauf nach Westen: Die Beitrittskandidaten der EU um die Jahrtausendwende164
Intervention ohne Mandat: Der Kosovokrieg in der Kontroverse173
«Wir sind alle Amerikaner»: Von der Präsidentenwahl von 2000 zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001189
2. Vom «Krieg gegen den Terror» zur Weltfinanzkrise: 2001–2008205
Von Kabul nach Bagdad: Bushs «war on terror» und die Spaltung des Westens205
Pax Americana: Ein «informal Empire» stellt seine Grundlagen in Frage232
Die Linke verliert an Boden: Westeuropa zu Beginn des 21. Jahrhunderts237
Erweiterung vor Vertiefung: Die Europäische Union 2001–2008264
Belgrad, Kiew, Moskau: Das Europa jenseits der Europäischen Union292
Vorboten der großen Krise: «Altes» und «neues» Europa in der zweiten Hälfte der Nullerjahre311
Multipolarität statt Machtmonopol: Die USA in der zweiten Amtszeit von George W. Bush327
Eine Blase zerplatzt: Vom Beginn der Weltfinanzkrise zur Wahl Barack Obamas343
3. Das Ende aller Sicherheit: 2008–2014357
Die überforderte Weltmacht: Obamas Amerika357
Berlin, London, Paris: Drei Staaten im Kampf mit der Krise377
Währungsunion in der Zerreißprobe: Die EU unter dem Druck des Schuldenproblems400
Enttäuschte Hoffnungen: Der «arabische Frühling»441
Signale an den Westen: Der Präsidentenwechsel in Iran und die Folgen466
Repression und Ambition: Rußland und China469
Schwellenländer im Abschwung: «Frei» und «unfrei» in der nichtwestlichen Welt480
Freiheit versus Sicherheit: Der Westen vor neuen Herausforderungen491
Putin auf Konfliktkurs: Ost-West-Konfrontation um die Ukraine500
Folgen einer Wahl: Ein Staatenverbund sucht seine Machtbalance538
Die Globalisierung des Terrors: Der Westen im Krisenjahr 2014549
Vom normativen Projekt zum normativen Prozeß: Rückblick und Ausblick579
Anhang613
Abkürzungsverzeichnis615
Anmerkungen621
Personenregister659
Ortsregister677
Zum Buch688
Über den Autor688

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