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Zum Verhältnis von Aktionsart und Argumentstruktur im Deutschen

AutorNiels Kindl
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl82 Seiten
ISBN9783656946229
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Germanistik - Linguistik, Note: 1,0, Ruhr-Universität Bochum (Germanistisches Institut), Veranstaltung: Germanistische Linguistik, Sprache: Deutsch, Abstract: Zeitliche Strukturen werden im Deutschen nicht nur durch Tempora, sondern auch durch Verben ausgedrückt. Die von der Bedeutung der Verben gelieferte, interne Zeitstruktur nennt man Aktionsart; sie ist mit ROTHSTEIN als eine 'dem Verb inhärente lexikalische vorwiegend zeitliche Struktur' definiert. Obwohl der Begriff 'Aktionsart' im Vergleich zu anderen linguistischen Kategorien eher unbekannt und so bspw. weder im Sachregister der Einführung in die germanistische Linguistik noch im Studienbuch Linguistik verzeichnet ist, bildet er für die weitere Beschäftigung mit 'Tempus' und die modelltheoretische Darstellung von Tempora eine elementare Voraussetzung, da Tempus und Aktionsart maßgeblich miteinander interagieren. Dementsprechend führt B. ROTHSTEIN in seiner einschlägigen Tempus-Einführung den Begriff 'Aktionsart' auch ein, bevor er das Tempus-System des Deutschen behandelt, da das Wissen über die Aktionsarten von Verben hierfür eine fundamentale Grundlage darstellt. Die vorliegende Arbeit lässt sich in drei Teile gliedern: Im ersten Teil wird zunächst der Terminus Aktionsart konzis definiert, wobei insbesondere die Arbeit von Zeno VENDLER im Fokus steht. Es wird eine Reihe von Testverfahren vorgestellt und diskutiert, um die Aktionsarten von Verben resp. Verbalkomplexen systematisch zu ermitteln. Im zweiten Teil der Arbeit wird der Einfluss von Argumenten / Aktanten auf die Aktionsart des verbalen Syntagmas anhand von sprachlichen Daten beschrieben und systematisiert, sodass ein umfassender Überblick darüber gegeben wird, welche Argumente inwieweit die Aktionsart 'manipulieren' und welche Verben gegen eine derartige Beeinflussung resistent sind. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, welchen Interpretationsspielraum ein Verb hat bzw. welchen Interpretationsbeschränkungen es unterliegt und in welchem Verhältnis die Bedeutung des Verbs zur Bedeutung seiner komplexen Ausdrücke steht, mit denen es gebildet wird. Im dritten Teil wird - aus syntaktischer Perspektive - dafür argumentiert, dass es sich bei der Aktionsart um ein syntaktisches Phänomen handelt, das durch die syntaktische Komputation induziert wird; in diesem Zusammenhang wird maßgeblich auf die Grammatik von Hagit BORER rekurriert und der Argumentationsgang von BORER nachgezeichnet und diskutiert.

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Leseprobe

1 Einleitung


 

Zeitliche Strukturen werden im Deutschen nicht nur durch Tempora, sondern auch durch Verben ausgedrückt. Die von der Bedeutung der Verben gelieferte, interne Zeitstruktur nennt man Aktionsart (vgl. B. Rothstein 2007: 8); sie ist mit Rothstein (2007: 11) als eine „dem Verb inhärente lexikalische vorwiegend zeitliche Struktur“ definiert.

 

Obwohl der Begriff ‚Aktionsart‘ im Vergleich zu anderen linguistischen Kategorien eher unbekannt und so bspw. weder im Sachregister der Einführung in die germanistische Linguistik (Meibauer 2002) noch im Studienbuch Linguistik (Linke / Nussbaumer / Portmann 2004) verzeichnet ist, bildet er für die weitere Beschäftigung mit ‚Tempus‘ und die modelltheoretische Darstellung von Tempora eine elementare Voraussetzung, da Tempus und Aktionsart maßgeblich miteinander interagieren. Dementsprechend führt B. Rothstein (2007) in seiner einschlägigen Tempus-Einführung den Begriff ‚Aktionsart‘ auch ein, bevor er das Tempus-System des Deutschen behandelt, da das Wissen über die Aktionsarten von Verben hierfür eine fundamentale Grundlage darstellt.

 

Die Aktionsart eines Verbausdruckes gibt u. a. Auskunft darüber, ob ein Ereignis zeitlich ausgedehnt und prinzipiell ohne Grenzen zu interpretieren und somit atelisch ist – vgl. (1) und (2) – oder ob der Beginn oder das Ende eines Zeitraums für die Interpretation relevant ist, sodass es sich um einen telischen Verbausdruck handelt – (vgl. (3) und (4)).

 

(1) Raider heißt Twix.

(2) Der müde Linguist schläft.

(3) Dornröschen erwacht aus ihrem Tiefschlaf.

(4) Das Schiff sinkt.

 

Die sprachphilosophischen Grundlagen dieser Unterscheidung finden sich bereits bei Aristoteles (vgl. Metaphysik Buch θ 6, 1048b, 18–35) in der Differenzierung zwischen Handlungstypen, die nach Begrenzung streben (kineisis), und solchen, die keine Begrenzung haben und daher bereits vollendet sind, nachdem sie begonnen haben (energeia).[1] Die Idee der Unterteilung von Handlungen in kineisis und energeia ist Mitte des 20. Jahrhundert von Ryle (1949) aufgegriffen, auf linguistische Strukturen übertragen und im Folgenden durch Vendler (1957, 1967), Kenny (1963) und Mourelatos (1978) modifiziert worden, wobei Zeno Vendlers Arbeit verbs and times, in der er zwischen vier sog. aspectual classes differenziert, als einschlägig gilt und die Grundlage jeder Arbeit über Aktionsarten bildet.

 

Die Unterteilung in Aktionsarten ist, wie bereits (Vendler 1957: 143) erkennt, keine rein semantische Differenzierung –

 

 „Obviously these differences cannot be explained in terms of time alone: other factors, like presence or absence of an object, conditions, intended states of affairs, also enter the picture.“

 

– sondern zeigt darüber hinaus auch syntaktische Reflexe, so etwa bei adverbieller Modifikation:

 

(5) Niels schlief eine Stunde lang / *in einer Stunde.

(6) Die Blüte verwelkte in einer Stunde / *eine Stunde lang.

 

Diese syntaktischen Reflexe werden jedoch nicht nur qua Lexemwahl gesteuert, sondern können u. a. auch durch morphologische Markierungen hervorgerufen werden. Betrachtet man weitere Daten, so wird ersichtlich, dass es sich bei der Aktionsart offenkundig nicht nur um eine rein semantisch-inhärente Eigenschaft von Verben handelt, die u. U. durch morphologische Affixe affiziert werden kann, sondern dass auch das Vorhandensein von syntaktischen Argumenten / Aktanten von Bedeutung ist, sodass die Aktionsartensemantik nicht allein auf das Verb reduziert werden kann, sondern im Kontext der gesamten Verbprojektion und somit auch Argumentstruktur zu sehen ist. Dementsprechend sind die Aktionsarten der Lexeme laufen in (7, 8) und tanzen in (9, 10) abhängig vom Vorhandensein syntaktischer Argumente resp. thematischer Rollen:

 

(7) Niels läuft eine Stunde lang / *in einer Stunde.

(8) Niels läuft [10km]DP in einer Stunde / *eine Stunde lang.

(9) Niels tanzt eine Stunde lang / *in einer Stunde.

(10) Niels tanzt [dreimal]AdvP in einer Stunde / *eine Stunde lang.

 

Ferner ist nicht nur das bloße Vorhandensein eines syntaktischen Objektes oder Adverbials von Relevanz, sondern auch bestimmte formale und semantische Eigenschaften der das Verb affizierenden Argumente, wie folgende Beispiele illustrieren:

 

(11) Er aß eine Stunde lang / *in einer Stunde.

(12) Er aß [Kuchen]DP eine Stunde lang / *in einer Stunde.

(13) Er aß [drei Kuchen]DP in einer Stunde / *eine Stunde lang.

(14) Er aß [etwas Kuchen]DP eine Stunde lang / ?in einer Stunde.

(15) Er aß [mehr als drei Kuchen]DP in einer Stunde / ??eine Stunde lang.

(16) Er rennt [auf den Bus]PP in einer Stunde / *eine Stunde lang.[2]

(17) Niels hüpft [auf der Tanzfläche]PP drei Minuten lang / *in drei Minuten

 

Demnach ist (12) trotz der Realisierung des Akkusativ-Objektes Kuchen immer noch atelisch zu interpretieren. Erst durch die Quantifikation mit drei in (13) ist der Satz telisch zu interpretieren. Beispiel (12) ist überraschenderweise auch kompatibel mit Modellen, in denen kein einziger Kuchen ganz gegessen wird, während aus (13) folgt, dass genau drei Kuchen gegessen worden sind; in (14) und (15) ist – offenkundig infolge des „schwachen“ Determinierers – nicht eindeutig geklärt, ob eine atelische oder telische Lesart vorliegt.

 

Des Weiteren scheint auch die Semantik der projizierenden Präposition von Relevanz zu sein, da das direktionale Adverbial in (16) Telizität induziert, während dies beim lokalen Adverbial in (17) nicht der Fall ist.

 

Die Unterscheidung der Aktionsart ist im Deutschen also nicht nur von (a) der Lexemwahl abhängig (schlafen vs. erwachen), sondern lässt sich (b) auch explizit durch Wortbildungsmittel sowie (c) durch die syntaktische Umgebung, insbesondere durch die Objektwahl ausdrücken (er aß Äpfel vs. er aß einen Apfel). (s. Bußmann 2002: 59)

 

Die vorliegende Arbeit lässt sich in drei Teile gliedern: Im ersten Teil wird zunächst der Terminus Aktionsart konzis definiert, wobei insbesondere die Arbeit von Zeno Vendler (1957) im Fokus steht. Es wird eine Reihe von Testverfahren vorgestellt und diskutiert, um die Aktionsarten von Verben resp. Verbalkomplexen systematisch zu ermitteln. Daran anknüpfend wird ‚Aktionsart‘ vom ‚Aspekt‘ abgegrenzt, da „die Nähe der lexikal.-semant. Klassifizierung durch die [Aktionsart] zur Kategorie des Aspekts als gramm. Kategorie zu vielerlei unzulässiger Vermischungen dieser Phänomene Anlass gegeben [hat].“ (Glück / Thümmel 2005: 22)

 

Im zweiten Teil der Arbeit wird der Einfluss von Argumenten / Aktanten auf die Aktionsart des verbalen Syntagmas anhand von sprachlichen Daten beschrieben und systematisiert, sodass ein umfassender Überblick darüber gegeben wird, welche Argumente inwieweit die Aktionsart „manipulieren“ und welche Verben gegen eine derartige Beeinflussung resistent sind. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, welchen Interpretationsspielraum ein Verb hat bzw. welchen Interpretationsbeschränkungen es unterliegt und in welchem Verhältnis die Bedeutung des Verbs zur Bedeutung seiner komplexen Ausdrücke steht, mit denen es gebildet wird.

 

 Hierzu werden im Weiteren die einschlägigen Modelle von Verkuyl (1972) (‚aspektuelle Komposition‘), Dowty (1979) (‚kompositionelle Telizität‘) und Krifka (1989) (‚Nominalreferenz und Zeitkonstitution‘) vorgestellt und kritisch diskutiert, die eine adäquate Beschreibungs-Grundlage bieten, um den Einfluss und die Formeigenschaften von Argumenten auf die Aktionsart formal repräsentieren zu können.

 

Im dritten Teil wird – aus syntaktischer Perspektive – dafür argumentiert, dass es sich bei der Aktionsart um ein syntaktisches Phänomen handelt, das durch die syntaktische Komputation induziert wird; in diesem Zusammenhang wird maßgeblich auf die Grammatik von Hagit Borer (2005a, 2005b) rekurriert und der Argumentationsgang von Borer nachgezeichnet und diskutiert.

 

In einer derartigen Denkweise wird das mentale Lexikon nahezu...

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