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Hope

Gefangen und missbraucht: Wie wir 10 Jahre in den Fängen des Cleveland-Entführers überlebten

AutorAmanda Berry, Gina DeJesus
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783864157714
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
'Helfen Sie mir, ich bin Amanda Berry ... Ich wurde entführt und bin seit zehn Jahren erschwunden!' Am 6. Mai 2013 wurde in Cleveland ein unvorstellbares Verbrechen aufgedeckt: Drei junge Frauen wurden von einem Mann aus ihrer Nachbarschaft entführt und über ein Jahrzehnt lang gefangen gehalten, misshandelt und missbraucht. Amanda Berry gebar ihrem Entführer sogar eine Tochter. Dieses Buch, geschrieben von den Opfern Amandy Berry und Gina DeJesus, berichtet vom Überlebenskampf der Entführten, von unvorstellbarem Leid und ihrer unerschütterlichen Hoffnung auf Rettung und ein normales Leben. Ergänzt wird ihre bewegende Geschichte durch Berichte der Journalisten und Pulitzer-Preisträger Mary Jordan und Kevin Sullivan von der Washington Post über die verzweifelte Suche der Familien und der Behörden nach den Vermissten. Die beiden jungen Frauen leben inzwischen glücklich mit ihren Angehörigen vereint in Cleveland.

Amanda Berry und Gina DeJesus verbrachten gemeinsam mit ihrer Mitgefangenen Michelle Knight zehn Jahre als Gefangene eines Triebtäters. Gemeinsam mit den Journalisten Mary Jordan und Kevin Sullivan von der Washington Post haben sie ihre Geschichte aufgeschrieben.

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Leseprobe

Teil 1


21. April 2003: ein kastanienbrauner Kleinbus


Amanda

Am Tag nach Ostern wache ich mittags auf. Wieder einmal habe ich lange Eminem gehört. Sein Song »Superman« bessert meine Laune meistens: They call me Superman, I’m here to rescue you. Poster von ihm hängen überall in meinem Schlafzimmer – an den Wänden, am Spiegel, am Schrank. Doch heute kann selbst Eminem meine Stimmung nicht heben.

Meine Mom stößt die Tür auf und steckt den Kopf herein. Ich bin noch im Bett und sauer.

»Mandy, ich geh jetzt zur Arbeit. Wir sehen uns heute Abend. Hab dich lieb!«

»Ich dich auch. Bis später.«

Wir wohnen im ersten Stock eines Zweifamilienhauses an der Ecke West 111th Street und Belmont Avenue in der Nähe von Clevelands Westown Square Shopping Center. Es ist keine schlechte Wohnung, abgesehen vom Lärm der vielen Autos und LKWs, die auf der I-90, der Schnellstraße gleich neben dem Haus, vorbeirasen. Beth Serrano, meine ältere Schwester, wohnt mit ihrem Mann Teddy und ihren beiden kleinen Töchtern Mariyah, vier, und Marissa, drei Jahre alt, im Erdgeschoss.

Teddy ist der Grund dafür, dass ich mich so mies fühle. Er und meine Schwester streiten sich. Sie tobt vor Wut. Teddy ist der Manager des Burger King, in dem ich arbeite, und ich will ihn heute nicht sehen, weil er meine Schwester so aus der Fassung gebracht hat.

Ich höre, wie Beth mit meiner Mom in ihrem alten Chevy Lumina wegfährt. Sie arbeiten beide in einer Werkzeugfabrik drüben in der Brookpark Road und montieren Metallteile: Eine 39-jährige Mutter und ihre 23-jährige Tochter stehen nebeneinander und setzen kleine Stückchen aus Metall zusammen wie ein Puzzle. Niemand hat ihnen je gesagt, wofür das Teil, das sie machen, gut ist; aber wenn sie eine Kiste mit 100 solchen Teilen gefüllt haben, fangen sie mit einer neuen Kiste an.

Viele Eltern in meiner Nachbarschaft arbeiten stundenweise wie meine Mom, und wenn ihre Kinder mit der Schule fertig sind, nehmen sie die gleiche Arbeit an wie sie. Sie kommen zurecht, aber weit kommen sie nicht. Mein Dad ist mit einer anderen Frau zurück nach Tennessee gezogen, darum nimmt meine Mom schlecht bezahlte Jobs an, und ich versuche, mitanzupacken und beispielsweise meine Schulbücher selbst zu bezahlen.

Ich lasse weiter Eminem durch mein Zimmer dröhnen. Meine Lautsprecher stehen auf der Kommode neben meinen Porzellanengeln und den Krippenfiguren. Die Engel und das Jesuskind stehen das ganze Jahr über dort, nicht nur an Weihnachen, weil sie mich glücklich machen.

Dann springe ich unter die Dusche, stelle mich extralang unter das heiße Wasser und überlege, ob ich meinen Job wegen des Ärgers mit Teddy aufgeben soll. Aber das will ich eigentlich nicht. Denn es ist der erste Job, den ich je gehabt habe, und ich habe dort ein paar nette Mädchen getroffen. Angefangen habe ich vor fast einem Jahr, als ich 16 wurde, und ich habe bereits eine Lohnerhöhung auf sechs Dollar die Stunde bekommen, beinahe einen Dollar mehr als am Anfang. Viele Leute arbeiten lange dort, ohne mehr Geld zu kriegen, darum nehme ich an, dass sie mich schätzen. Dass Kunden zu mir sagen, ich hätte ein hübsches Lächeln, gefällt mir auch.

Ich brauche Geld, weil ich eines Tages aufs College gehen will. Was ich studieren werde, weiß ich nicht genau – vielleicht Modedesign. Denn ich liebe Kleider und achte genau auf jedes Detail, bis hin zu meinen Schnürsenkeln, die immer zu meiner Bluse passen müssen.

Wenn ich meinen Job heute tatsächlich aufgeben würde, würde ich die Burger-King-Uniform sicher nicht vermissen: burgunderrotes Hemd, schwarze Jeans und schwarze Turnschuhe. Die eklige Polyesterhose kam für mich nicht in Frage. Das Hemd war schon schlimm genug, aber niemand konnte mich dazu bringen, auch noch diese Hose zu tragen.

Ich ziehe mein Arbeitshemd aus einer Schublade und lasse zwei weitere gefaltet liegen. Es gefällt mir, wenn alles gebügelt und ordentlich ist. Ich habe ein System, was das Aufhängen meiner Kleider betrifft: Die hellrosa Blusen hängen nebeneinander, nahe bei den dunkleren Rosatönen, aber nicht mit ihnen vermischt. Alles Weiße ist beieinander. Gebügelte Jeans sind von Hellblau bis Dunkelblau geordnet. Meine Schuhe reihe ich auf dem Boden nach Absatzhöhe auf, zuerst die flachen und die Turnschuhe, danach die Keilabsätze und die Stöckelschuhe.

Morgen ist mein 17. Geburtstag. Ein paar Freunde werden kommen, um mit mir zu feiern, also müsste ich eigentlich aufgeregt sein. Ich zähle mein Geld, das ich in einer glitzernden rosa Schachtel hinten in meiner BH-Schublade verstecke. Ich habe 100 Dollar auf die Seite gelegt und zur Feier des Tages werde ich mir ein neues Outfit gönnen und mir obendrein die Nägel machen lassen.

Soll ich mich krank melden? Teddy ist in meiner Schicht, und ich will ihn eigentlich nicht sehen. Ich könnte stattdessen morgen arbeiten. Vielleicht wäre es ganz nett, einfach zu Hause zu bleiben und meine Zeitschriften zu lesen. Ich habe Entertainment Weekly, People und den Rolling Stone abonniert und die alten Hefe sauber in meinem Zimmer gestapelt.

Aber ich will auch nicht an meinem Geburtstag arbeiten, also sollte ich wohl gehen. Es ist ja nur die Schicht von 16 bis 20 Uhr. Das schaffe ich schon.

Aber ich muss mich beeilen. Es ist 15.50 Uhr.

Ich greife nach meiner Burger-King-Mütze und nehme sie mit. Auf der Straße möchte ich sie auf keinen Fall tragen. Dann ziehe ich meinen schwarzen Pulli an und gehe hinaus in den grauen Aprilnachmittag.

Zu Fuß brauche ich zehn Minuten bis zur Arbeit. Ich gehe an ein paar Häusern vorbei und wende mich nach rechts in die West 110th Street. Jetzt sehe ich vorne die Ampel an der Ecke Lorain. Dort ist der Burger King.

Ich überquere die I-90 auf der langen Brücke und schaue zu, wie die Autos vorbeizischen. In ihnen sitzen Leute, die irgendwohin fahren. Eines Tages werde ich einen besseren Arbeitsplatz haben. Ich werde nicht leben wie Mom, die sich immer Sorgen wegen der Rechnungen macht. Sie hat schon beim Einzelhändler Kmart, in einer BP-Tankstelle und an der Feinkosttheke im Lebensmittelladen Finast gearbeitet, sogar bei Burger King, wo ich jetzt bin. Da sie die Schule abgebrochen hat, bekommt sie nichts Besseres. Ich werde nach meinem College-Abschluss so viel Geld verdienen, dass ich mir ein eigenes Haus kaufen kann. Dann kann meine Mom bei mir wohnen, und vielleicht kann ich ihr das Leben so ein wenig leichter machen.

Ich gehe am Westown Square vorbei, wo wir so gut wie alles kaufen: Lebensmittel bei Tops, Videos bei Blockbuster und Kleider bei Fashion Bug. Beth hat im Gebrauchtwarenladen Value World süße Kleider für die Mädchen gefunden.

Punkt 16 Uhr bin ich da. Mein Gott, dieser Geruch. Pommes und Burger. Fett. Er geht nie aus meiner Uniform heraus, nicht einmal nach dem Waschen. Ich habe das Gefühl, dass er sich in meiner Haut festsetzt.

Ich lasse meinen Pulli und meine Handtasche hinten liegen, wo Roy Castro, der Chef, herumhängt. Heute nehme ich Bestellungen und Geld am Durchfahrschalter entgegen.

Nachdem Roy mir meine Kassenschublade gegeben hat, gehe ich rüber zu meinem Arbeitsplatz. Meine Freundin Jennifer arbeitet an der Haupttheke, dort steht auch Teddy. Unsere Blicke treffen sich, und ich schaue ihn finster an.

Ich stöpsle meine Kopfhörer ein.

»Willkommen bei Burger King. Was darf es sein?«

Immer das Gleiche.

Die Zeit vergeht langsam. Es wäre leichter, wenn wir mehr zu tun hätten, aber am Montag nach Ostern ist nichts los. Ich möchte mit niemandem reden. Roy merkt, dass es mir nicht gut geht, deshalb fragt er mich gegen 19.15 Uhr, ob ich früher nach Hause gehen möchte. Das muss er mich nicht zweimal fragen. Ich bin froh, hier rauszukommen.

Also packe ich meine Sachen zusammen, setze mich an einen Tisch und rufe meinen Freund DJ an. Vielleicht holt er mich ja ab. Keine Antwort. Ich wähle seine Nummer erneut, doch er geht immer noch nicht ran. Ich würde ihn heute Abend gerne treffen. Wir sind erst seit einem Monat zusammen, aber ich mag ihn. Er hält meine Hand und öffnet Türen für mich. Das erste Mal gesehen habe ich ihn, als er am Durchfahrschalter Essen bestellt hat. Jennifer kannte ihn und sagte, er sei nett. Er kam dann öfter und hat nach mir gefragt, wenn ich nicht da war, und schließlich hat er mich gebeten, mit ihm auszugehen.

Ich wünschte wirklich, er würde rangehen. Wo ist er bloß?

Ich gehe fast nie zu Fuß nach Hause. Erstens sind abends mehr Leute unterwegs, und ich möchte nicht in meiner Burger-King-Uniform gesehen werden. Und zweitens, und das ist der wichtigere Grund, will meine Mom nicht, dass ich nachts allein nach Hause gehe. Da sie keinen Führerschein hat, schickt sie meist Beth, um mich abzuholen.

Aber Beth und Mom arbeiten noch, und ich habe keine Lust, auch nur eine Minute länger als nötig hier herumzuhängen. Es ist 19.30 Uhr, immer noch hell draußen, also mache ich mich auf den Weg.

Auf dem Heimweg klingelt mein Telefon. Beth sagt, dass sie jetzt Feierabend hat, und ich antworte: »Ich auch.«

»Wir können dich abholen. Wann soll ich dort sein?«

»Kein Problem. Ich bin schon unterwegs.«

Während wir anfangen, über Teddy zu sprechen, sehe ich weiter vorne einen alten kastanienbraunen Kleinbus, der den Gehsteig versperrt. Ein Typ ist in eine Einfahrt in der West 110th gebogen, aber nicht ganz hineingefahren.

Ich laufe um den Wagen herum. Da ich immer noch telefoniere, passe ich nicht richtig auf, aber das...

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