Erfindergeist und Innovationsängste
Österreich kann auf eine lange Tradition an Forschern und innovativen Wissenschaftlern zurückblicken. Die Lehr- und Geschichtsbücher sind voll mit ihren Glanz- und Ruhmestaten. Weniger bekannt sind die vielen Um- und Abwege, die oft gegangen werden mussten, um zu ihren bahnbrechenden wissenschaftlichen und technischen Durchbrüchen zu kommen. Dieses Buch möchte die Aufmerksamkeit auf jene Menschen lenken, die auf der Suche nach Innovationen nicht in der Ruhmeshalle der Wissenschaft gelandet sind, aber dennoch entscheidende Wegmarken des Fortschritts gesetzt haben. Darüber hinaus geht es darum, in diesem Land wieder die Sensibilität zu wecken für ein gesellschaftliches Klima, das innovative Prozesse ermöglicht und fördert. Das setzt voraus, dass der Weg zu neuen Ufern nicht durch mentale, bürokratische oder politische Barrieren verbaut wird. Die Suche nach Neuem und Unerprobtem verlangt nach intellektueller Neugierde, wissenschaftlicher Leidenschaft und unternehmerischem Risikogeist. Denn auch die Finanzierung von Forschungsarbeiten, die nicht zu absehbaren marktreifen Ergebnissen führen, muss über entsprechendes Risikokapital gewährleistet werden, wenn die Innovationskraft der Gesellschaft ökonomisch gehoben werden soll.
Innovationen können heute dank des Internets leichter in kleineren Einheiten entwickelt werden. Früher war das nur im Verband großer Konzernstrukturen vorstell- und machbar. Mittels neuer Finanzierungsinstrumente wie Crowdfunding ist auch der finanzielle Anschub flexibler möglich als früher. Dennoch hat sich in Teilen der Gesellschaft in der jüngsten Vergangenheit ein Klima der Technik-, Industrie- und Innovationsfeindlichkeit breitgemacht, das couragierte technologische Erneuerungswege hinterfragt statt sie zu befeuern. Wer möchte schon im populistischen Medienspiegel als Frankenstein-Wiedergänger, Überwachungsstaatsfanatiker oder Hightech-Turbokapitalist in die Mangel genommen werden? Debatten zu Gentechnologie, Bio-Medizin, Fracking oder IT-Innovationen wirken nicht allzu ermutigend und stimulierend. Dabei sind Anstrengungen zur Erhöhung unserer Innovationskraft unumgänglich. Besondere Rohstoffvorkommen oder Diskontlöhne fallen im Standortwettbewerb als Assets aus, also müssen wir – wohl oder übel – um jenes Maß innovativer sein, das wir als Wirtschaftsstandort Wettbewerbern gegenüber teurer sind! Österreich hat mit seinen historischen und kulturellen Erfahrungen und Kenntnissen ein Wissensdepot, auf dem Innovations- und Erfindergeist prachtvoll gedeihen können sollten. Wir brauchen dafür allerdings auch die richtige gesellschaftliche und politische Orchestrierung.
Dabei spielt unser Bildungssystem natürlich eine besondere Rolle. Dessen Strukturen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die auf Imitation als Lernprinzip und Rekrutierung großer industrieller Produktionsarmeen mit beschränkten Qualifikationen ausgerichtet waren, sind merkbar anachronistisch und führen in Sackgassen. Heute geht es um Flexibilität und intellektuelle Tools, um rasante gesellschaftliche, ökonomische, politische und technologische Umbrüche analysieren und meistern und auf rasch wechselnde Trends – Stichwort Digitalisierung, Industrie 4.0 – reagieren zu können. Das setzt die Fähigkeiten voraus, Zusammenhänge herstellen und zwischen Bildungsfächern lustvoll switchen zu können. Wobei auch die Verengung auf ökonomische Nutzanwendungen zu kurz greift, da Bildung als humanistisches Grundideal nicht nur auf die optimierte wirtschaftliche Verwertbarkeit des Menschen abzielen sollte. Innovationskraft, Fantasie, Neugierde und Erfindergeist werden nicht bloß in monetären Währungen beglichen! Aber auch allzu überschäumende Hoffnungen in die Forschungsanstrengungen des Marktes sind nicht angebracht. Man soll und darf sich von der Industrie keinen übertriebenen Altruismus erwarten. Deren Innovationsstrategien müssen sich letztlich mit ihren Business-Development-Strategien verknüpfen lassen und strategische Geduld im Innovationsmanagement endet zumeist dann, wenn die angestrebte Marktreife nicht in der angepeilten Zeit zu erreichen ist. Grundlagenforschung wird nach wie vor die Basis sein, deren Finanzierung allerdings abgesichert und auf einem gesellschaftlichen Konsens aufbauen können muss.
Wie es überhaupt in unserem Bildungssystem auch mehr um Leidenschaft, Neugierde und Courage gehen sollte. Ausgehend von meiner eigenen Bildungskarriere – als Kind einer Alleinerzieherin, die sich als Putzfrau durchgeschlagen hat und so zwei Kinder großzog – frage ich mich, ob heute auch noch die gleiche soziale Durchlässigkeit gegeben ist wie in den 70er-Jahren mit den Kreisky’schen Bildungsreformen. Meine Mutter hat – sicher auch beflügelt vom politischen Zeitgeist dieser Jahre – den Mut aufgebracht, mir den Gang aufs Gymnasium und ein darauf folgendes Studium zuzutrauen. Übertragen auf die Gegenwart entspräche das heute zum Beispiel einer serbischen Putzfrau, die ihren Kindern den Weg bis zum Hochschulstudium zutraut und ermöglicht. Ich bin allerdings skeptisch, ob die gegenwärtige Gesellschaft diesen Aufstiegswillen und Bildungshunger stillen kann.
Warum verweise ich auf das Problem zunehmender sozialer Bildungsschranken? Weil durch diese Verengung Talente vergeudet werden, die unser Innovationskapital sein könnten. Gerade durch die Diversität einer Gesellschaft können sich – in einem quasi gesellschaftlichen Sauerteig – in kreativen Gärvorgängen und intellektuellen Spannungsprozessen tatsächliche Neuerungen Bahn brechen. Das gilt im Übrigen auch für die strengen Grenzen zwischen wissenschaftlichen und technischen Disziplinen. Hier wird nach wie vor zu sehr in klassischen Claims gedacht und gearbeitet und die oft gerühmte und propagierte Interdisziplinarität bleibt zumeist eine Schablone für akademische Weihestunden. In diesem Zusammenhang ist auch die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen, denn letztlich führt auch der Druck von Industrie und Wirtschaft auf die Forschung, immer mehr und schneller in Richtung Marktreife zu entwickeln, zu Ressortverengungen. Man würde sich wundern, wüsste man, welche Innovationshemmnisse auch in Unternehmen existieren, die nach außen ein offenes Image beschwören. Andererseits gibt es auch Unternehmen mit ganz besonders innovationsfreundlichem Arbeits-Ambiente. Bei Siemens Österreich etwa wurde, um die Initiative aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu mobilisieren, ein eigener Innovationsfonds ins Leben gerufen, an dem sich – über Zurückhaltung bei einer Lohnrunde – auch die Siemens-Österreich-Belegschaft beteiligte. In die Entscheidung, welche Innovationsprojekte aus diesem Fonds gefördert werden, war auch der Betriebsrat eingebunden. Damit konnte ein Klima geschaffen werden, das Innovationsfreude stimuliert und den Stolz auf die erreichten Innovationsleistungen bei allen Mitarbeitern verankert hat.
Aber es gibt klarerweise keine Patentrezepte für durchschlagende Erfolge, die man Revue passieren lassen könnte. Die Geschichte der Innovation, der vielzitierten Schumpeter’schen »schöpferischen Zerstörung«, ist auch eine Geschichte unzähliger und mitunter durchaus spektakulärer Niederlagen. Die Straße zu den imposanten Erfindungen der Menschheit ist gesäumt von Niederlagen, vom Scheitern an profanen Details, unterschätzten Nebenwirkungen oder dem schlichten Zufall. Das kann auch gar nicht anders sein. Doch in der europäischen Kultur ist das Scheitern nicht sehr hoch angesehen, vor allem im Wirtschaftsleben, aber nicht nur dort. Dabei weiß jeder, der kleinere oder größere Erfolge in seinem Leben verbuchen konnte, dass danach auch wieder Pleiten, Pech und Pannen, also Niederlagen, folgen können. Oftmals relativieren sich Erfolge und Niederlagen auch erst im Nachhinein und das demütigend empfundene Scheitern entpuppt sich aus historischer Sicht als durchaus bemerkenswerter Erfolg.
Auch hier kann ich aus persönlicher Erfahrung sprechen. Als Finanzstadträtin der Stadt Wien war es mein Reformprojekt, die Wiener Stadtwerke aus dem Magistrat herauszulösen und zu einer selbstständigen Kapitalgesellschaft zu formen, die dann auch – im liberalisierten europäischen Energiemarkt – handlungs- und wettbewerbsfähig sein sollte. Klarerweise bedeutete dies lange, zähe und detaillierte Verhandlungen auf politischer Ebene, aber vor allem mit den äußerst machtbewussten und in der Vergangenheit »verwöhnten« Personalvertretern. Für diese wurde ich aufgrund meines beharrlichen Reformeifers und entsprechenden Verhandlungsdrucks schon bald zu einem »beliebten« Feindbild. Den damals nahezu ausschließlich sozialdemokratischen Gewerkschaftern war mein Veränderungswille ein derartiger Gräuel, dass ich in Gewerkschaftsmedien als »liberale Persönlichkeit« attackiert wurde (was nicht als Kompliment gemeint war). Nach langen und kontroversen Verhandlungen ist es aber gelungen, die Ausgliederung der Wiener Stadtwerke erfolgreich abzuschließen. Zur Vertragsunterzeichnung hatten sich die Gewerkschafter jedoch ausbedungen, dass nicht ich, sondern der Bürgermeister unterzeichnen soll. Das hat mich damals ungemein...