Vorwort
Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut, das Vorwort zu diesem bahnbrechenden Werk zu schreiben, das Therapeutinnen und Therapeuten die Möglichkeit eröffnet, Einzelschematherapie (EST) und Gruppenschematherapie (GST) in einem Behandlungsprogramm zusammenzuführen, das bei verschiedenen psychischen Störungen, in unterschiedlicher Behandlungslänge und mit unterschiedlicher Behandlungsintensität angewandt werden kann.
Seit ich 2008 zum ersten Mal von den äußerst positiven Resultaten der randomisierten kontrollierten GST-Studie mit Borderline-Patientinnen und -Patienten hörte, begeistert mich die Idee, die Schematherapie durch das Gruppenmodell für eine größere Zahl von Patientinnen und Patienten zugänglich und finanzierbar zu machen. Im Zeitalter der Kostendämpfung im Gesundheitswesen, in dem die Erstattungsfähigkeit von Psychotherapie in vielen Ländern zunehmend eingeschränkt wird, birgt die Gruppenschematherapie das Potenzial, die wirkungsvollen Behandlungsstrategien des schematherapeutischen Ansatzes auf eine kosteneffizientere Weise verfügbar zu machen, als es mit der Einzelschematherapie bislang möglich ist – und das mit gleichwertigen oder vielleicht noch besseren Resultaten. Mit besonderer Spannung verfolge ich eine groß angelegte klinische Studie, die derzeit an 14 Orten in sechs Ländern läuft. Arnoud Arntz und Joan Farrell fungieren als Projektleiter der Studie, in der die Wirksamkeit und Kosteneffizienz der Gruppenschematherapie bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) in zwei Gruppen untersucht wird, die eine unterschiedliche Anzahl von Einzelsitzungen durchlaufen.
Dieses Buch ist in Zusammenarbeit mit der Psychologin und Schematherapeutin Neele Reiss entstanden, die der Gruppenschematherapie in Deutschland den Weg bereitet hat. Es erweitert den Anwendungsbereich des integrierten Einzel- und Gruppenschematherapie-Programms auf ein breites Spektrum von Patientengruppen: auf Patienten, die unter Persönlichkeitsstörungen, komplexen Traumata oder chronifizierten psychischen Problemen leiden, Patienten, bei denen andere Behandlungsmethoden erfolglos geblieben sind, und Patienten, die eine besonders intensive Form der Behandlung brauchen. Das neue Konzept, nach dem Patienten ein „Konto“ mit EST-Sitzungen bekommen, von dem sie nach Bedarf abheben können, wurde für die genannte multizentrische BPS-Studie entwickelt. Seit dem Erscheinen des ersten Buchs über GST (Farrell & Shaw, 2012; dt. 2013) sind weltweit viele Bemühungen im Gange, das GST-Modell auf weitere diagnostische Gruppen anzuwenden. Die GST ist ebenso wie die EST transdiagnostisch in dem Sinne, dass im Fokus der Interventionen nicht bestimmte Symptome, sondern die Modus-Profile von Patienten stehen. Deshalb dürfte die GST ebenso wie die EST dafür geeignet sein, neben BPS auch andere Störungen zu behandeln. Natürlich muss jede Therapieform der empirischen Überprüfung unterzogen werden, und es freut mich, dass zu diesem integrierten Behandlungsprogramm bereits vielversprechende vorläufige Befunde vorliegen. Seine Wirksamkeit wurde bei der Behandlung von BPS-Patienten im stationären Setting (Reiss et al., 2014) und bei gemischten Cluster-B- und Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen (Muste, 2012; Fuhrhans, 2012) bestätigt. In Großbritannien wird das Behandlungsprogramm derzeit in forensischen Settings evaluiert. In den Niederlanden sind eine randomisierte kontrollierte Studie, in der die Schematherapie mit der kognitiven Verhaltenstherapie bei der Behandlung von vermeidender Persönlichkeitsstörung und sozialer Phobie verglichen wird, und eine experimentelle Fallserie zu dissoziativen Störungen abgeschlossen bzw. im Gange (vgl. Bamelis et al., 2014).
Die im vorliegenden Buch vorgestellte Integration von Gruppen- und Einzelschematherapie scheint mir, was das konzeptuelle Modell, das therapeutische Bündnis und die Behandlungsinterventionen angeht, ganz auf der Linie meines eigenen einzeltherapeutischen Ansatzes zu liegen. Das GST-Modell der Autorinnen unterstützt die Gruppenmitglieder dabei, zu einer Art intakter Familie zu werden, in der sie, unter der aufmerksamen Anleitung zweier hochqualifizierter Therapeuten-Eltern, einander neue Familienerfahrungen ermöglichen können. Das Erleben von Zugehörigkeit und Angenommensein, das dieses Gruppen-Analogon einer liebevollen Familie bietet, scheint wie ein Katalysator sowohl für die begrenzte elterliche Fürsorge als auch für die emotionsfokussierten Komponenten der Schematherapie (ST) zu wirken. Außerdem entsteht in der GST dadurch, dass in jeder Gruppe zwei Therapeuten zum Einsatz kommen, ein Freiraum für den einen Therapeuten, der sich im Gruppenkontext flexibel bewegen kann; er arbeitet oft jeweils mit einem oder zwei Gruppenmitgliedern und kreiert neue erlebensbasierte Übungen, um Veränderungen anzustoßen. Währenddessen bietet der zweite Therapeut der übrigen Gruppe ein „stabiles Fundament“ und hält zu jedem Mitglied fortwährend eine emotionale Verbindung aufrecht, hat die Reaktionen aller Mitglieder im Blick, erläutert das aktuelle Geschehen, um das Bewusstsein der Patienten für die ablaufenden Prozesse zu schärfen, und interveniert gegebenenfalls, um die Gruppe neu auszurichten und auf die Bedürfnisse bestimmter Gruppenmitglieder zu fokussieren. Mich beeindruckt auch, dass die GST weit über ein klassisches Fertigkeitentraining hinausgeht, bei dem den Gruppenmitgliedern Fertigkeiten in einem seminarähnlichen Setting vermittelt werden, und auch über andere Gruppenformate, bei denen der Therapeut mit einer Einzelperson arbeitet, während die anderen im Großen und Ganzen in der Beobachterrolle bleiben. Für die GST sind die in der Einzelschematherapie verwendeten Techniken, zum Beispiel Arbeit an der Veränderung innerer Bilder und Modus-Rollenspiele, so modifiziert worden, dass sämtliche Mitglieder in spezifische Übungen einbezogen werden, um das Potenzial der Interaktion und der gegenseitigen Unterstützung in der Gruppe nutzbar zu machen. Mit diesen gruppentherapeutischen Faktoren und außerdem mit dem breiten Repertoire integrativer Techniken, die ohnehin schon Teil der ST sind, lassen sich möglicherweise die ausgeprägten Therapieeffekte erklären, die sich in der oben erwähnten kontrollierten Wirksamkeitsstudie ergaben, sowie die vorläufigen Befunde weiterer GST-Studien, die noch im Gange sind.
Die drei Autorinnen legen einen schematherapeutischen Ansatz vor, der systematisch ist und dabei die Flexibilität wahrt, die mir bei der Entwicklung der Einzelschematherapie immer sehr wichtig war. Ihre Vorschläge für die Therapie sind konkret und gut strukturiert, doch sie sind nicht der Versuchung erlegen, ein therapeutisches „Rezeptbuch“ zu verfassen, das die Leserinnen und Leser schablonenhaft umsetzen sollen. Sie behalten die Kernelemente der ST bei, indem sie Interventionsstrategien der „begrenzten elterlichen Fürsorge“ für jeden in einer Sitzung aktivierten Modus anbieten und an „erlebenszentrierten Momenten“ ansetzen, um mit emotionsfokussierter Arbeit einen in tiefe Schichten reichenden Wandel anzustoßen. Wie die Einzelschematherapie, so verknüpft auch das Gruppenmodell der Autorinnen die erlebensbasierte, die kognitive, die interpersonelle und die verhaltenszentrierte Arbeit miteinander. Sie unterteilen die ST-Interventionen in vier Hauptkategorien: Psychoedukation und Information zur Schematherapie, Modus-Bewusstheit, Modus-Management und erlebensbasierte Modus-Arbeit. Jeder Kategorie ist eine bestimmte Anzahl von Sitzungen zugeordnet, die jeweils einen der hauptsächlichen Schemamodi in den Blick nehmen. Die Koordination der Einzel- und Gruppensitzungen erfolgt unter dem Modus-Aspekt. In den EST-Sitzungen kann der Therapeut zwischen kognitiven, erlebensbasierten und auf das Aufbrechen von Verhaltensmustern gerichteten Interventionen wählen. Die Autorinnen bieten konkrete Anleitungen und Beispieltexte für Therapeuten an, die ST-Anfängern den Einstieg erleichtern werden, dabei aber die für die ST wesentliche Flexibilität aufweisen, sodass sie auf Modus und Bedürfnisse des jeweiligen Patienten zugeschnitten werden können. Durch diese Verbindung von klarer Struktur und Flexibilität ist das Manual für erfahrene wie auch weniger erfahrene ST-Anwender geeignet. Es wird ein breites Spektrum von Menschen ansprechen, die im psychotherapeutischen Bereich arbeiten, sowohl Psychologen, Sozialarbeiter, Psychiater und psychologische Berater als auch Pflegekräfte sowie Therapeuten in Ausbildung.
Wie viel Therapieerfahrung die Autorinnen in den zusammengenommen über 30 Jahren gesammelt haben, in denen sie auf der ganzen Welt Therapeuten ausgebildet und bei Patienten mit den verschiedensten Störungsbildern GST angewandt haben, ist beim Lesen des Buchs durchweg spürbar. Es ist das erste publizierte Behandlungsmanual für die Integration von Einzel- und Gruppenschematherapie und enthält die wesentlichen Informationen, die Therapeuten brauchen, um Behandlungsprogramme dieser Art zu entwickeln und umzusetzen. Das Programm kann für intensivere Behandlungssettings wie stationäre Therapie und Tagesklinik in zeitlich verdichteter Form durchgeführt oder für die ambulante Behandlung auf ein Jahr verteilt werden. Man kann auch mit einer höheren Sitzungszahl pro Woche beginnen, um die Frequenz dann zu senken und gegebenenfalls zur ambulanten Therapie überzugehen. Zur Nutzerfreundlichkeit des Buchs tragen bei: konkrete Beschreibungen von Gruppen- und Einzelsitzungen, Beispieltexte dafür, wie Therapeuten den Patienten zentrale ST-Konzepte in leicht verständlicher Sprache nahebringen können, und außerdem Handouts für Patienten, Hausaufgaben und Übungen. Die Materialien sind sowohl in diesem Buch selbst enthalten als auch auf der Verlags-Website verfügbar, wo sie für die Arbeit mit Patienten heruntergeladen...