Geweckter Neid
»Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Acker, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was sein ist.«
5. Buch Mose 5,21
Jemand, der nett ist, der einem sympathisch ist, den beneidet man nicht. Jedenfalls nicht so leicht. Nicht um sein Erbe oder sein Vermögen (oder sein Glück, seine Schönheit, seine Familie …). Neid funktioniert viel besser gepaart mit Abneigung oder wenigstens mit ausreichend Anonymität, sodass man sich hinlänglich einreden kann, der andere könne ja wohl nur ein Unsympath sein. Auf Distanz kann man es sich wunderbar zurechtlegen. Attraktive Filmstars dürfen unbeneidet reich sein, auch adrette Fußballer. Bei grauen, ernsten oder auch nur unscheinbaren Wirtschafts- und Firmenlenkern, Vermietern oder Großgrundbesitzern steckt aber wahrscheinlich doch ein kapitalistischer Ausbeuter dahinter. Wen irgendwas mit »Finanz...« oder Unternehmensberater umgibt, sowieso. Nahezu alle Wirtschaftstätigen werden gedanklich mit einer ruchlosen Kaste von bestimmten Managern gleichgesetzt, die sich ihrer Verantwortung stets durch einen goldenen Handschlag entziehen. »Die Schweine. Denen gönne ich gar nichts. Und schon gar nicht, dass die ihr unredliches Vermögen auch noch vererben.« Das ist wie die Geschichte mit dem Hammer bei Paul Watzlawick. Da geht es um einen Mann, der ein Bild aufhängen muss und sich dazu einen Hammer vom Nachbarn ausleihen will. Auf dem Weg dorthin kommen dem Mann leichte Zweifel, ob ihm der Nachbar noch wohlgesinnt ist – da war letztens so eine Situation, da hätte man fast meinen können … Dann malt er sich aus, wenn der Nachbar ihm jetzt tatsächlich den Hammer nicht leihen würde. Unverschämt. Mehr und mehr denkt er sich selbst in Rage. Als der Nachbar dann auf das Klingeln öffnet, schimpft ihn der Mann an: »Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!« (Anleitung zum Unglücklichsein, 1983)
Genauso wird etwas an sich Unschuldiges wie das Erben und Vererben zum Zankapfel einer Neiddebatte. Man muss sich einiges zurechtlegen, um Erbschaften und Schenkungen für ungerechtfertigt zu erklären. Beziehungsweise man muss sich einiges einreden lassen. Wenn Menschen, die einem vollkommen fremd sind, anderen vollkommen fremden Menschen etwas vermachen, kommt ja eigentlich niemand von alleine darauf, sich selbst damit irgendwie in Verbindung zu bringen, geschweige denn sich darüber zu ärgern. Eigentlich doch eine schöne Vorstellung, dass man in einer Welt lebt, in der Menschen anderen etwas schenken. Ja, eine schöne Welt, in der man etwas hinterlassen kann. Gut, im näheren Umfeld gibt es vielleicht mal jemanden, dem man es nicht gönnt, dass er etwas geschenkt bekommt, weil man ihn für einen schlechten Menschen hält. Und auch gut, vielleicht ist man auch mal neidisch, weil jemand etwas hat, das man auch gerne hätte. Aber selbst da würde man sich deswegen noch lange nicht im Recht fühlen, dem anderen das dann einfach wegzunehmen. Man hadert gerne einmal mit seinem Schicksal, aber man macht das nicht zum Leitbild des gesellschaftlichen Miteinanders.
Alles in allem also keine große Sache. Das bisschen Neid auf das Glück der anderen wird leicht durch die eigene Hoffnung, dass es ja viele Arten des Glücks gibt, die einen selbst auch noch treffen können, wettgemacht. Besonders in einem freiheitlichen und rechtsstaatlichen Land wie Deutschland mit wenig Arbeitslosigkeit und einem bewährten sozialen Sicherungsnetz für argen Unbill des Lebens. Erben und Vererben ist also eigentlich, außer ein paar zwischenmenschlichen Nickeligkeiten, keine große öffentliche Angelegenheit. Um hier massenhaft Neid wecken zu können, muss daher erst eine mächtige Ungerechtigkeitskulisse aufgebaut werden. Oder man muss den Neid kräftig schüren, um darin den Anschein von Ungerechtigkeit ausfindig zu machen. So oder so, man muss die Menschen dazu bringen, dass sie sich als Opfer fühlen. Dann sind sie auch bereit, gerechte Rache an den vermeintlichen Tätern zu nehmen.
Eben solches Aufwiegeln findet nun just rund ums Erben immer wieder statt. Bei jeder Gelegenheit. Zuletzt ist die Erbschaftsteuerdiskussion mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17.12.2014 in die Öffentlichkeit zurückgekehrt. Während sich die rechtliche und gesetzgeberische Diskussion aus diesem Urteil eigentlich nur um eine ordentlichere und missbrauchssichere Ausgestaltung der Begünstigung von Betriebsvermögen zur Sicherung von Arbeitsplätzen dreht, standen die Neidzündler schon parat, um eine hitzige Gerechtigkeitsdebatte zu entfesseln. In der medialen Verarbeitung von einigen Publizisten ganz offen befördert, von anderen wenigstens als skandalöse Zuspitzung gerne aufgenommen.
Kräftig befeuert etwa von der freien Journalistin Julia Friedrichs mit ihrem Buch Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht. Angefacht von der ZEIT, die Friedrichs den Titel ihres Magazins vom 12.03.2015 überlassen hat und fragt: »Noch nie wurde in Deutschland so viel Vermögen vererbt. Ist es gerecht, dass manche, ohne zu arbeiten, viel Geld kriegen und dafür kaum Steuern zahlen?« Schon anhand der Frage kann man sich die Auflösung im Heft denken. Auch andernorts wird gezündelt: »Darum ist Erben oft so unfair und schädlich« (Express), »Boomende Börse, große Erbschaften – Werden nur die Reichen immer reicher?« (Anne Will, ARD), »Nachlasswelle in Deutschland – Ist Erben ungerecht?« (taz) und die Antwort darauf wusste die Süddeutsche Zeitung schon am Tag vor der Karlsruher Entscheidung und titelte: »Erben ist ungerecht.« Dann weiter: »Unverdient reich – ist Erben gerecht?« (Günther Jauch, ARD), »Erben bleibt ungerecht« (orange, BR), »Unverdient und ungerecht?« (hauptsache kultur, HR), »Erbschaft – Feudales Relikt und gehütetes Privileg« (Deutschlandradio Kultur) oder »Für die höhere Erbschaftsteuer – Die Ungerechtigkeit wird vererbt« (Der Tagesspiegel) et cetera.
Man möchte fast meinen, ein Feuersturm der Entrüstung wäre die letzten Monate durchs ganze Land gebraust. Doch irgendwie hat dieser vermeintliche Gerechtigkeitsknaller nicht so massenhaft in der Bevölkerung gezündet. So mancher wollte sich dann eben doch nicht gleich in Rage bringen lassen. Als Anfang April 2015 mein Artikel »Wider die Erbsünde: Warum Erben gerecht ist« im ÖkonomenBlog der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft veröffentlicht wurde, kam erstaunlich viel positive Resonanz. Freilich war der Gegenwind in den Kommentarspalten der verschiedenen Online-Kanäle auch heftig – eine scheinbar unvermeidliche Übung, sobald jemand mit bürgerlicher oder liberaler Gesinnung sich traut, etwas in sozialen Netzwerken kundzutun. Aber es kamen eben auch außerordentlich viele Bestätigungen, zustimmende Kommentare, Likes und Weiterleitungen – on- und offline.
Offensichtlich geht diese schwelende Neiddebatte tatsächlich einigen kräftig gegen den Strich. Bei Gesprächen darüber merkte ich dann immer wieder, wie sehr sich viele davon in ihrem innersten Selbstverständnis und Bürgersinn betroffen fühlen. Wie mit dem Erben auch ihr Werk, ihre Leistung, ihr Schaffen und ihr Verdienst, ja ihr ganzes Leben für ungerecht erklärt werden. Das kränkt.
Grund genug, sich einmal grundsätzlich und eingehend mit der Gerechtigkeit des Erbens zu beschäftigen. Und vor allem mit den Thesen und den verschlungenen Beweiswegen derer, die solche Themen regelmäßig öffentlichkeitswirksam ideologisch beugen. Als Kontrapunkt in der aktuellen Neiddebatte am Rande des Gesetzgebungsverfahrens zur Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Vor allem aber auch als Ansporn, sich an solchen Diskussionen zu beteiligen. Für alle, die schon den Widerspruch in sich aufsteigen fühlen: Erben ist nicht ungerecht.
Eine Grundstrategie in vielen Neiddebatten ist, die Hoheit über die Axiome der Diskussion zu gewinnen. In der Diskussion ums Erben ist das vor allem anderen die Klage, dass sich in Deutschland Armut ausbreitet. Das hat zwar zunächst einmal mit Vererben und Verschenken direkt wenig zu tun, schafft aber generell eine Atmosphäre der Notwendigkeit umverteilender Solidarität. Jede Rechtfertigung für unbelastetes Erben gerät damit unweigerlich zur unsolidarischen Haltung. Kommt der Rechtfertigende dann nicht selbst in Lumpen daher, sieht er sich umgehend dem Vorwurf der Gier ausgesetzt. Bevor die Diskussion überhaupt richtig losgeht, ist mit der Armutsthese die eine Partei schon in die unmoralische Ecke gestellt. Hält man an dieser Stelle nicht gleich dagegen – denn diese Behauptung ist tatsächlich absurd –, wird im Nachhinein stets der fade Beigeschmack bleiben, dass auch noch so gute Argumente nur Ausflüchte sind, um sich vor der Verantwortung für die angebliche Not drücken zu können.
Die erste Ableitung der These, dass sich die Armut in Deutschland ausbreitet, ist die Klage der Chancenlosigkeit. Ohne die kann das Banner der Verarmung nicht wirkungsvoll aufgespannt werden. Eine Armut, aus der man sich unter den gegebenen Umständen aus eigener Kraft befreien kann, taugt nicht zur moralischen Keule. Also droht nicht nur Massenverelendung in Deutschland, sondern sie ist für einen wachsenden Personenkreis auch unausweichlich. Nein, Sie sind nicht versehentlich durch ein Loch im Kontinuum der Zeit in die Tage des Dreißigjährigen Krieges zurückgefallen. Dies ist das 21. Jahrhundert in Deutschland. Wenn einem das aber auch noch so sehr wie ein abstruses Schauermärchen vorkommt, es hilft nichts: Man muss schon an dieser Stelle dagegenhalten, sonst verfängt es bei Zuhörern und macht einen selbst im Weiteren befangen. Eine ungute Diskussion,...