2. Innere Grundlagen
Das Kommunikationsmodell der vier Komponenten Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitte bietet Orientierung und Struktur für einen wertschätzenden Umgang mit sich selbst und anderen. Um seine volle Wirkung zu entfalten, bedarf es jedoch einer Haltung, die sich in Anlehnung an Rosenbergs Lehrer Carl Rogers zusammenfassen lässt in Präsenz, Authentizität, Empathie und wohlwollende Zuwendung. Dabei geht es nicht darum, diese Qualitäten perfekt zu verkörpern, sondern uns immer wieder nach ihnen auszurichten.
Die innere Haltung ist so wichtig, weil das gesprochene Wort nur einen geringen Teil unserer Kommunikation ausmacht. Der weitaus größte Teil der Botschaft wird über Tonfall und Körpersprache vermittelt. Um ernst genommen zu werden und eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, sind die innere Ausrichtung und die wohlwollende Absicht also letztlich entscheidender als das, was gesagt wird.
2.1 Motivation – mit klarer Absicht
Der erste Schritt zu einem aufrichtigen, wertschätzenden Umgang mit sich selbst und anderen ist die bewusste Entscheidung dazu. Das mag selbstverständlich klingen, doch gerade in angespannten Situationen, in denen unsere Konditionierungen auf Rechtfertigung, Verteidigung oder gar Rache drängen, ist dieser Schritt eine entscheidende Weichenstellung für den weiteren Verlauf. Worum geht es Ihnen in der Selbstklärung oder im Gespräch mit anderen? Wollen Sie einfach nur Dampf ablassen – oder sind Sie an einem Austausch interessiert? Wollen Sie sich durchsetzen – oder geht es Ihnen um Klärung, Verständnis und Entspannung? Je klarer Sie sich über Ihre Absicht sind, desto größer ist die Chance, dass Sie bekommen, was Sie wollen. Allerdings gelingt es nur selten, auf dem eigenen Standpunkt zu beharren und gleichzeitig eine gute Beziehung zu pflegen. „Willst du recht haben oder glücklich sein?“, zitierte Rosenberg oft aus dem Kurs in Wundern. Und fügte hinzu: „Beides zusammen geht nicht.“ (z. B. Rosenberg, 2005, S. 9). Jedenfalls nicht immer.
Aus der klaren Motivation zu einem aufrichtigen und wertschätzenden Umgang miteinander entsteht die Kraft, auch in schwierigen Situationen offen und präsent zu bleiben.
2.2 Präsenz – mit Herz und Verstand
Wirklich präsent sein bedeutet, offen und vorbehaltlos wahrzunehmen, was gerade geschieht. Solange wir uns in Denkmustern wie richtig/falsch oder gut/böse verstricken, packen wir Wahrnehmungen und Menschen in Schubladen. Wenn wir jedoch mit Herz und Verstand wach und präsent sind, können wir unterscheiden zwischen auf Erfahrungen oder Vorwissen beruhenden Meinungen und dem, was tatsächlich passiert.
Entschleunigung
„Menschliche Freiheit beruht auf der Fähigkeit, zwischen Reiz und Reaktion innezuhalten und eine Reaktion zu wählen, zu der wir wirklich stehen können.“ (May, 1991, S. 95) Automatisierte Reaktionen erfolgen blitzschnell – unser Unbewusstes kann elf Millionen Bytes pro Sekunde verarbeiten. Das bewusste Denken bewältigt jedoch maximal 40 bis 50 Bytes pro Sekunde. Um uns in einer Situation unserer Reaktionsmöglichkeiten bewusst zu werden und Handlungsspielraum zu gewinnen, hilft daher vor allem Entschleunigung.
Tipps zur Entschleunigung
Je heißer der Konflikt, desto mehr Zeit ist nötig, um bewusst zu handeln. Denn je mehr unser Überleben bedroht zu sein scheint, desto primitivere und stärker unbewusst verankerte Verhaltensweisen drängen in den Vordergrund. Halten Sie inne, nehmen Sie ein paar tiefe Atemzüge und benennen Sie innerlich, was geschieht. Dies stärkt neurologisch nachweisbar die emotionale Regulierung und damit die Fähigkeit, reflektiert zu handeln. Machen Sie Gesprächspausen. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Körperwahrnehmungen (z. B. Ihren Atem, den Bodenkontakt der Füße), um mit neuem Blick zu schauen, was gerade vor sich geht. Trinken Sie ein Glas Wasser, gehen Sie für ein paar Minuten aus dem Raum.
Konsequent positive Unterstellung
Um mental und emotional aus der gewohnten Bewertung von richtigem und falschem Verhalten auszusteigen und Herz und Verstand für neue Möglichkeiten zu öffnen, hilft die konsequente Unterstellung einer positiven Handlungsmotivation. Was bedeutet das?
In der Gewaltfreien Kommunikation nehmen wir an, dass jeder Mensch für sein Verhalten aus der Sicht seines eigenen inneren Ökosystems einen „guten Grund“ hat – auch wenn sein daraus resultierendes Verhalten noch so zerstörerisch wirken oder moralisch verwerflich erscheinen mag. Wenn eine Mutter beispielsweise ihr Kind anschreit, tut sie das vielleicht, weil sie so unter Druck steht, dass sie sich nicht mehr beherrschen kann, oder weil sie keinen anderen Weg sieht, zu ihm durchzudringen. Auf einer menschlichen Ebene ist es verständlich, dass sie Entlastung, Kontakt oder Verständigung braucht. Es sind nachvollziehbare „gute Gründe“ für ihr Verhalten, auch wenn wir das Verhalten selbst nicht tolerieren wollen. Alles Verhalten ist der Versuch, sich Bedürfnisse zu erfüllen. Und selbst wenn für uns der „gute Grund“ eines Menschen gerade nicht erkennbar ist: Die konsequente positive Unterstellung hilft, das urteilende und bewertende Denken beiseitezulassen und die Person mit anderem Blick zu sehen. Es ermöglicht Verständnis, stärkt die Bereitschaft zur empathischen Zuwendung und erhöht damit die Chance, dass uns der andere zuhören kann.
Um in eine Haltung wohlwollender empathischer Präsenz zu kommen, hilft es, innezuhalten und sich bewusst zu machen, dass hinter jedem Verhalten eine positive Motivation steckt: die Absicht, sich Bedürfnisse zu erfüllen.
2.3 Authentizität – aufrichtig und selbstverantwortlich
Kennen Sie die Erfahrung, wie viel leichter es fällt, jemandem zu vertrauen, der eine ehrliche, freundliche, reflektierte Beziehung zu sich selbst hat?
Ein wesentlicher Bestandteil der Kommunikation ist die Selbstmitteilung; und die innere Beziehung, die dabei mitschwingt, hat eine direkte Auswirkung auf die zwischenmenschliche Atmosphäre. Wer sich selbst nicht traut, gewinnt auch nicht so leicht das Vertrauen anderer. Selbstvertrauen beruht nicht auf Perfektion, sondern auf der verantwortungsbewussten, freundlichen Reflexion der eigenen Kompetenzen und Bedürfnisse. Nach außen wird die Vertrauensbasis vertieft durch Integrität – die Übereinstimmung der Werte mit dem Verhalten – und die Bereitschaft, das eigene innere Erleben auch nach außen transparent zu machen.
Freundschaft mit sich selbst schließen
Um zu einem warmherzigen, wohlwollenden Umgang mit sich selbst zu finden, hilft es, die konsequent positive Unterstellung auch auf sich selbst anzuwenden: Auch Sie selbst versuchen, Ihren Bedürfnissen gerecht zu werden – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Stellen Sie sich in einer schwierigen Situation vor, was Sie denken, fühlen und sagen würden, wenn Ihre beste Freundin oder Ihr bester Freund an Ihrer Stelle wäre.
Wer sich selbst gegenüber authentisch ist, d. h., wer auf sein Inneres hört und seine Kompetenzen und Bedürfnisse kennt, gewinnt leichter das Vertrauen anderer.
2.4 Empathie – offen und einfühlsam
Empathie gilt heutzutage als ein zentraler Aspekt von sozialer Intelligenz. In der Schule, im Management, in der Politik – in vielen Gesellschaftsbereichen wird Empathie als wesentliche Voraussetzung für Verständigung und Kooperation und damit als wichtiger Erfolgsfaktor erkannt. Doch was ist Empathie (dt. „Einfühlung“) eigentlich?
Dem landläufigen Verständnis zufolge ist Empathie einfach die Fähigkeit, sich in den inneren Zustand eines anderen hineinzuversetzen. Bei näherer Betrachtung ist Empathie jedoch ein komplexer, vielschichtiger Vorgang, zu dem kognitive, emotionale und motivationsbezogene Aspekte gehören:
• Kognitive Empathie bedeutet, mental nachvollziehen zu können, wie es jemandem gerade geht. Wenn wir sagen „Ich verstehe dich“, handelt es sich oft um kognitive Empathie.
• Emotionale Empathie geschieht auf der Ebene der Gefühle. Unser Gehirn ist darauf angelegt, die emotionalen Signale anderer Menschen unmittelbar im eigenen Körper nachzuempfinden. Beispiel: Tränen im Kino.
Wenn die Einfühlung über das innere Nachvollziehen hinaus zu Aktionen motiviert, die die Bedürfnisse der anderen wesentlich einbeziehen, ja manchmal sogar über die eigenen unmittelbaren Interessen stellen, haben wir es mit einer dritten Form zu tun:
• der...