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Kalte Fische

Warum wir Top-Jobs mit Top-Flops besetzen

AutorLeopold Hüffer
VerlagFrankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783956010385
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Fehlleistung programmiert? Der Flughafen Berlin Brandenburg, die Elbphilharmonie Hamburg oder die Transrapidstrecke in München - angetreten als Projekte der Spitzenklasse, nehmen sie mittlerweile eher Spitzenplätze auf der Liste der Jahrhundertflops ein. Warum werden diese Vorhaben teurer als geplant, mit Verspätung realisiert und nicht selten als Bauruine zurückgelassen? Und warum scheinen sich diese Skandale im 'Deutschland der Denker und Ingenieure' immer öfter zu wiederholen? Laut dem Management-Berater Leopold Hüffer sind diese Entwicklungen keine Überraschung. Er sieht die Antworten klar auf der Hand - mehr noch: Dies sind keine unrühmlichen Ausnahmen, sondern der unübersehbare Gipfel eines Desasters, das im Hintergrund schon lange sein Unwesen treibt: katastrophale Stellenbesetzungen auf allen Gesellschaftsebenen. In 'Kalte Fische' gestattet Leopold Hüffer einen Blick hinter die Kulissen der Personalentscheidungen und entlarvt dabei die gesellschaftlichen Mechanismen, die zu Vetternwirtschaft, Karrierestreben, Bauchgefühl und Kurzschlussentscheidungen führen. Sie erfahren hier von einem Insider, der in den obersten Führungsetagen zu Hause ist, warum in Top-Positionen viel zu oft 'Kalte Fische' an den Hebeln sitzen und somit die gesamtgesellschaftliche Weiterentwicklung nachhaltig gefährden. Lesen Sie, warum wir Top-Jobs mit Top-Flops besetzen. Das Buch fundiert, was der Volksmund in solchen Fällen zu sagen pflegt: 'Der Fisch stinkt immer vom Kopf her'. Für Führungskräfte, Personalentscheider und für alle, die das Geheimnis einer guten Personalpolitik erfahren wollen.

Dr. Leopold Hüffer zählt zu den weltweit führenden Experten im individuellen Top Executive Assessment. Zu seinen Kunden gehören u.a. Adidas, Allianz, EADS, ZF, SPAR, SwissRe und Unilever. Von 1999 bis 2009 war er Lehrbeauftragter an der Universität Zürich und unterhält gegenwärtig eine Forschungszusammenarbeit mit der Militärakademie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich.

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Leseprobe

Im Totenreich

Reformstau, Ideenschredder und Eliteparanoia

Chaos. In langen Schlangen stehen die Menschen vor den Check-in-Schaltern. Trolleys hochbeladen mit Gepäck verhaken sich ineinander. Man könnte fast meinen, es wäre Anfang der „Großen Ferien“ an einem ganz normalen Flughafen. Doch es ist nicht Sommer, sondern bitterkalt in dem ungeheizten Terminal. Die vermeintlichen Fluggäste tragen grüne Helme und Sicherheitswesten, um sie herum wird noch gebaut, gebohrt und gehämmert. Dieser Tag ist einer von vielen Testläufen, bevor in ein paar Monaten der neue Flughafen in Betrieb genommen werden soll.

Insgesamt 10.000 Berliner und Brandenburger haben sich als Komparsen freiwillig gemeldet. Sie helfen den Planern dabei, die Abläufe im neu gebauten Berliner Flughafen möglichst realitätsnah zu überprüfen und Schwachstellen aufzudecken. Heute suchen sich etwa dreihundert Testpersonen ihren Weg durch den siebenhundert Meter langen Hauptflügel des Flughafengebäudes. Am Ende des Tages werden sie berichten, wie lange sie am Check-in warten mussten, ob sie genügend Platz hatten, um sich nach der Sicherheitskontrolle ihre Schuhe, Gürtel und Jacken auch wieder anzuziehen, und ob sie ihr Gate problemlos finden konnten. Viele Probleme, die an diesem Tag sichtbar werden, werden sich mit überschaubarem Aufwand lösen lassen. Einige jedoch nicht.

Das niederschmetterndste der Ergebnisse: Die Anzahl der Check-in-Schalter wird nicht ausreichen. Statt der berechneten 60 Passagiere waren im Testlauf bloß 30 Fluggäste pro Schalter und Stunde abgefertigt worden. Das heißt: In Spitzenzeiten werden die Fluggäste nicht rechtzeitig zu ihren Gates gelangen und ihren Flug verpassen. Für einen Flughafen ist das der Gau. Doch der Eröffnungstermin am 3. Juni 2012 soll gehalten werden. Eine erneute Verschiebung – schon der ursprünglich geplante Termin am 30. Oktober 2011 war geplatzt – würde die Kosten nur noch weiter in schwindelerregende Höhen treiben. Hastig wird im Frühjahr 2012 eine Leichtbauhalle als Sicherheitsreserve gebaut. Bei großem Andrang soll hier das Bodenpersonal an zwanzig weiteren Check-in-Schaltern seine Arbeit aufnehmen. 2,5 Millionen Euro kostet die Halle. Dumm nur, dass sie wie ein Fremdkörper mitten im Zuliefererbereich steht – nur eines der vielen Beispiele dafür, wie frühere Planungsfehler ausgebügelt werden und was alles in Kauf genommen wird, um den Termin zu halten; koste es, was es wolle.

Doch die Blase platzt trotzdem. Irgendjemand zieht die Notbremse. Wir dürfen diesen Menschen dankbar sein. Sie haben mehr Mut bewiesen als ihre Dienstherren. Auslöser ist der beklagenswerte Zustand der komplexen Brandschutzanlagen. Das kilometerlange Rauchgasabpumpsystem ist mangelhaft und das Zusammenspiel der 16.000 Rauchmelder funktioniert nicht. Auch in diesem Fall wird zunächst wieder an einer Notlösung gebastelt: Eilig geschultes Personal soll mit Handys ausgestattet und an den Feuerschutztüren platziert werden, wo sie im Notfall die Fluggäste und die Angestellten aus dem Gebäude leiten sollen. Die Behörden lehnen dies rundheraus ab. Ihr „Njet“ lässt das gesamte Konstrukt hochgehen. Nur dreieinhalb Wochen vor dem angekündigten Termin wird die Eröffnung des Berliner Flughafens abgeblasen. Die Folge: Nicht nur der weltweite Flugverkehr muss binnen kürzester Frist umplanen, auch die Anwärter der 40.000 Arbeitsplätze, die den Berlinern versprochen worden waren, stehen in den Startlöchern und schauen in die Röhre. Von den sich auftürmenden zusätzlichen Kosten gar nicht zu reden.

Es gibt jedoch einen positiven Effekt: Endlich ist ein Sündenbock gefunden. „Der Flughafen kann wegen der Rauchmelder nicht eröffnet werden“, heißt es. Das wirkt wie ein Dammbruch. Nun erst trauen sich die Verantwortlichen vieler Gewerke aus der Deckung heraus und melden Nachbesserungsbedarf an. Die Folgen ihrer unter schwierigen Umständen erfolgten Arbeit und der verzweifelten Bemühungen, den Termin zu halten, werden offenbar. Nun hat man immerhin wieder etwas Zeit gewonnen, verbliebene Mängel auszubügeln. Vom wahren Stand auf der Berliner Großbaustelle haben viele der Beteiligten gewusst. An allen Ecken und Enden hat es gekokelt. In Gesprächen wurden schon oft Tatsachen genannt, die in den offiziellen Unterlagen und der Korrespondenz ausgespart wurden. Ich habe den Eindruck, dass nur niemand der Spielbeender sein wollte, der den Finger hebt. Breites Lächeln, Daumen hochgereckt, immer ein „alles bestens“ auf den Lippen – so bleibt man im Amt. Macht man aber auch Karriere? Wahrscheinlich hat sich der eine oder andere bei seinem direkten Vorgesetzten unbeliebt gemacht, indem er versuchte, ihn zu einem Blick auf den Dreck unter dem Teppich zu bewegen. Aber die Information ist offenkundig versickert, bevor sie handlungswirksam oder gar öffentlich werden konnte. Das lieb gewordene Erklärungsprinzip – also mehr Energie auf das Erklären und Entschuldigen von Missständen als auf deren Beseitigung zu verwenden – wird von den Verantwortlichen so lange beschworen, bis sich seine Unhaltbarkeit ganz deutlich gezeigt hat. Erst dann wird unter nicht endenden sprachlichen Verrenkungen der halbwegs geordnete Rückzug angetreten. Alle zuvor betriebene Faktenkonstruktion schlägt mit einem Mal in peinlich offenkundige Realität um.

Zum Beispiel die Kabelschächte. Aus Zeitnot wurden teilweise die Starkstrom-, Schwachstrom- und Kommunikationsleitungen zusammen in einem Schacht verlegt. Jeder Elektromeister schlägt da die Hände über dem Kopf zusammen. Kein privater Häuslebauer würde sich so eine wilde Verstrippung bieten lassen. Dazu kommt, dass durch den geballten Kabelsalat die Traglast der Kabelkanäle zum Teil weit überschritten wurde. Es war also abzusehen, dass die Kabelkanäle früher oder später herunterkrachen würden. Trotzdem wurden sie so verlegt. Nun müssen die Kabelstränge wieder aufwendig getrennt werden.

Auch die eilig errichtete Check-in-Halle wird wieder abgerissen. Ohne dass sie ein einziges Mal benutzt worden wäre. Genauso wie der Aufbau wird der Abbau ein beachtliches Vermögen verschlingen.

Scheitern in Serie

Das Versagen des Projektmanagements auf höchster Ebene beim Prestigeprojekt Berliner Flughafen ist hinlänglich bekannt und hat der Presse ausreichend Stoff für kritisch-hämische Beiträge gegeben. Warum erzähle ich Ihnen das also? Desaster wie der Berliner Flughafen passieren doch immer wieder. Die Hamburger Elbphilharmonie – ein Fass ohne Boden. Der Stuttgarter Tiefbahnhof: ein kommunikatives Trauerspiel. Der Traum einer Transrapidstrecke in Deutschland – Ende 2011 still und heimlich begraben, nachdem über 40 Jahre lang insgesamt 1,5 Milliarden Euro in dieses Projekt gesteckt wurden. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Im Osten nichts Neues. Aber auch im Norden, im Süden und im Westen: Nichts Neues unter der Sonne. Und das gilt nicht nur für Großprojekte, Bauprojekte oder Technologieprojekte. Auch politische Projekte auf unterschiedlichsten Ebenen –von der Europäischen Union über die Reform der Bundesländer bis zur Reform der Sozialsysteme oder des Schulsystems – werden von den Verantwortlichen spürbar öfter in den einstweiligen Stillstand als zum Durchbruch geführt.

Aus meiner Perspektive lerne ich auch im Feld der Unternehmen im obersten Stockwerk regelmäßig eklatante Führungsdesaster, wahrhaftige Abgründe an dürftiger Kompetenz und Professionalität kennen, eine Führungsschwäche, die tatsächlich in keinem Verhältnis zur Verantwortung oder gar zur Dotierung dieser Positionen steht.

Und genau das ist es, was ich inakzeptabel finde. Es wird konstatiert, dass wieder mal ein Unternehmen an die Wand gefahren wurde, dass wieder mal ein Großprojekt in die Hose gegangen ist, dass man die Politik dem Bürger nach der letzten Schlappe künftig mal wieder besser vermitteln müsse – und dann geht es weiter wie zuvor. Ich frage mich: Ist das offenkundige Schwächeln der für ganze Belegschaften, Regionen, Länder oder Bevölkerungsgruppen verantwortlichen Persönlichkeiten eine Sammlung von ganz normalen Einzelfällen oder steckt dahinter ein Webfehler im Tuch von Wirtschaft und Gesellschaft? Ein Mechanismus, den es aufzudecken gilt?

Und: Leidet die Führungselite in Wirtschaft und Gesellschaft nicht selbst auch darunter? Oder ist es den Persönlichkeiten, die am Scheitern beteiligt sind, die zum Scheitern beitragen und die fürs Scheitern die Verantwortung mittragen, schlicht egal, ob sie gute Ergebnisse abliefern oder schauderhaftes Mittelmaß? Sind sie innerlich unbeteiligt? Sind das kalte Fische?

Gewiss: Kein Handwerker reißt das, was er gebaut hat, gerne wieder ein. Kein Verantwortlicher gesteht sich und anderen gerne ein, dass er großen Murks gebaut hat. Kein Aufsichtsratsvorsitzender wird gerne weggelobt oder gar medienwirksam gefeuert, weil seine Inkompetenz peinlich offenkundig wurde. Kein Politiker sieht gerne seine Felle davonschwimmen, wenn er Verschiebungen ankündigen oder katastrophale Zahlen offenlegen muss. Und kein Steuerzahler sieht sein Geld gerne in einem Fass ohne Boden auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Gleichgültig kann es den Beteiligten nicht sein. Scheitern zehrt gewaltig am Ego, es nagt unaufhörlich am Selbstwertgefühl. Gerade wenn Politiker oder Manager zurücktreten oder zurückgetreten werden, tun sich häufig Schluchten des Grams und der Selbstzerfleischung bis hin zum Suizid auf, manchmal öffentlich, wie beispielsweise beim Politiker Jürgen Möllemann oder beim Unternehmer Adolf Merckle, in den meisten Fällen laufen die Dramen aber hinter den Kulissen ab. Wenn ich erlebe, wie Führungskräfte mit Niederlagen und schlechten Ergebnissen umzugehen...

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