Einleitung
Geschlechterverhältnisse im Umbruch?
Seit den siebziger Jahren haben sich in den Geschlechterverhältnissen moderner Gesellschaften weitreichende Veränderungen vollzogen. Weniger denn je scheint das klassische Arrangement Gültigkeit zu besitzen, in dem der Mann das Haupteinkommen verdient und sich vorrangig als Familienernährer versteht, während die Frau primär für Hausarbeit und Kindererziehung zuständig ist. Die meisten Paare wünschen sich heute einvernehmlich ein egalitäres Modell: Beide Partner wollen erwerbstätig sein und sich die Familien- und Hausarbeit teilen. Auch Männer distanzieren sich von klassischen Rollenmustern: Sie möchten aktive Väter sein und sich in der Familie nicht mehr auf die Figur des Ernährers beschränken, sondern auch Zeit mit den Kindern verbringen und Erziehungsaufgaben wahrnehmen. Insbesondere in den Medien und der Öffentlichkeit scheint man sich darüber einig zu sein, dass die Zeit der Hausfrauenehe endgültig abgelaufen ist. Vonseiten der Unternehmen besteht große Nachfrage nach weiblicher »Emanzipation«: Frauen sollen auch nach der Geburt eines Kindes dem Unternehmen so schnell wie möglich wieder zur Verfügung stehen oder ihren Kinderwunsch aufschieben. Die globale Marktgesellschaft benötige schließlich Männer und Frauen.
Auch die Bedingungen für egalitäre Arrangements scheinen heute besser zu sein als jemals zuvor: Frauen sind nicht nur autonomer und selbstbewusster als vor dreißig Jahren, sie sind häufiger erwerbstätig und haben in wachsendem Maße auch qualifizierte Berufsfelder erschlossen und Führungspositionen erobert.[1] Die Familienpolitik hat ihre Leitlinien ebenfalls neu ausgerichtet und orientiert sich nun weniger an einem Ernährer, sondern am Modell zweier Verdiener (Lewis 2004; Leitner/Ostner/ Schratzenstaller 2004). Angestrebt wird auch eine stärkere Einbindung der Väter in die Familie.
In einigen Bereichen gibt es sogar Hinweise auf eine Umkehrung der traditionellen Geschlechterasymmetrie. Bekanntlich haben von der Bildungsexpansion seit den siebziger Jahren besonders Frauen aus den Mittelschichten profitiert. Inzwischen haben sie die Männer auf den Gymnasien und an den Universitäten teilweise überholt.[2] Frauen machen nicht nur häufiger Abitur, sie haben auch die besseren Noten. Schließlich profitieren sie vom Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft. Im Zuge des Sektorenwandels von der Industrie- zur Wissensgesellschaft wird die Zahl der Arbeitsplätze in der Fertigung, die traditionell überwiegend von Männern eingenommen wurden, geringer, wohingegen in den Dienstleistungsberufen, in denen mehrheitlich Frauen tätig sind, in größerem Umfang neue Jobs entstehen. Die Arbeitslosenrate unter Frauen ist daher etwas geringer als die unter Männern (Meuser 2012: 18). Dabei darf allerdings nicht unterschlagen werden, dass es sich bei den Arbeitsplätzen weiblicher Beschäftigter im Dienstleistungssektor häufig um schlechter bezahlte Teilzeitstellen oder Minijobs handelt.
In populären Debatten wird die Umkehrung der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern gelegentlich bereits als Faktum ausgegeben, so zum Beispiel bei der Amerikanerin Hanna Rosin (2013), die in ihrem gleichnamigen Bestseller »Das Ende der Männer« bevorstehen sieht. Rosin dokumentiert, dass der Zusammenbruch der verarbeitenden Industrien und die Bankenkrise infolge des Platzens der Immobilienblase in vielen Regionen der USA Lebensräume bis in die Mittelschicht zerstört haben. Betroffen waren vor allem Jobs in männlich dominierten Branchen, weshalb viele Familienväter von einem Tag auf den anderen arbeitslos wurden, keine adäquate Beschäftigung mehr finden konnten und in einer Art Schockzustand verharrten. In dieser Situation seien es die Frauen gewesen, die eine erstaunliche Durchhaltekraft bewiesen hätten, indem sie die Scherben zusammengekehrt, die Kinder versorgt, das Einkommen verdient hätten – wenn nötig, mit drei Jobs –, während die Haltung der Männer von einer verblüffenden Unfähigkeit zur Anpassung im beruflichen wie auch im häuslichen Leben gekennzeichnet gewesen sei.[3] Rosin leitet aus ihren Beobachtungen eine zukünftige Vorrangstellung der Frau in globalisierten Gesellschaften ab. Frauen seien aufgrund ihres Bildungsvorsprungs und ihrer Adaptationsfähigkeit für die neuen Wirtschaftsbereiche besser geeignet. Rosins Vision, die angesichts der fortbestehenden Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis mehr als fragwürdig erscheint, beruht jedoch weitgehend darauf, dass sie Evidenzen ausblendet, die ihrer Diagnose widersprechen. Die Beharrungskraft männlich dominierter Strukturen in Familie, Beruf und Öffentlichkeit spricht eindeutig gegen eine baldige Umkehrung bestehender Herrschaftsstrukturen. Darüber hinaus haben sich in den letzten Jahrzehnten sogar restaurative Entwicklungen im Geschlechterverhältnis gezeigt. So sind Tendenzen zu beobachten, Geschlechterdifferenzen in Alltag und Kultur wieder stärker zu betonen und biologisch zu begründen (Mahs/Rendtorff/Warmuth 2015).
Richtig ist allerdings, dass es infolge des Wandels moderner Erwerbsgesellschaften in den letzten beiden Jahrzehnten tatsächlich zu gravierenden Erschütterungen im Geschlechterverhältnis kam. Angesichts der zunehmenden Flexibilisierung der Märkte und der gesetzlichen Deregulierung des Arbeitsmarktes löste sich das Normalarbeitsverhältnis sukzessive auf. Erwerbsunsicherheit, prekäre Beschäftigungssituationen und Phasen der Arbeitslosigkeit, aber auch Befristungen oder Minijobs werden für immer mehr Menschen zu einem realistischen Szenario (Castel/Dörre 2009). Ein großer Teil der weiblichen Arbeitsplätze war immer schon durch ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse gekennzeichnet (Nickel 2009; Aulenbacher 2009; Völker 2009). Neu ist jedoch, dass prekäre Erwerbssituationen heute auch qualifizierte Berufe sowie männlich geprägte Beschäftigungsfelder in Industrie und Dienstleistungsunternehmen erfasst haben. Auch Hochschulabsolventen sind davon immer häufiger betroffen (Tölke 2005).[4] Vor allem in jüngeren Kohorten haben unsichere Beschäftigungsverhältnisse und Phasen der Arbeitslosigkeit, insbesondere in den ersten Berufsjahren, zugenommen (Dörre 2009).
Im Zuge der Globalisierung der Märkte ist es vielen Firmen gelungen, ökonomische Risiken auf die Arbeitnehmer abzuwälzen (Blossfeld et al. 2007; Castel 2000). Befristete und atypische Jobs sind zentrale Aspekte neoliberaler Beschäftigungspolitik. Durch den Abbau kollektiver Schutzrechte und Sicherungssysteme (Dörre 2005, 2007, 2009; Brinkmann et al. 2006) entstehen neue Formen der Verwundbarkeit und eine neue soziale Frage (Castel 2000, 2009; Lessenich 2008; Kronauer 2002; Motakef 2015). Auch betriebliche Herrschaftssysteme sind für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vielfach problematisch geworden.[5] Doch während die sozialpolitischen und ökonomischen Fragen[6] in Medien und Öffentlichkeit heftig diskutiert werden, wurden die Auswirkungen der Prekarität auf die Betroffenen bislang wenig untersucht.
Die Situation prekär Beschäftigter unterscheidet sich in Abhängigkeit von der Berufs- und Milieuzugehörigkeit.[7] So sind Erwerbstätige in den Kultur- und Medienberufen stärker als etwa Schweißer oder Elektrotechniker darauf eingestellt, ein »Leben jenseits der Festanstellung« zu führen (Friebe/Lobo 2006). Und während im traditionalen Facharbeitermilieu die Erwartung an den Mann besteht, der Familienernährer zu bleiben, hat sich diese Erwartung im akademischen Milieu vielerorts aufgeweicht. Vor allem in den Wissens- und Kulturberufen, aus denen sich das individualisierte Milieu rekrutiert, dominieren das Gebot der Flexibilität und das Arbeiten und Leben in Projekten (Boltanski/Chiapello 2003). Männer wie Frauen scheinen sich dadurch stärker aus traditionellen Rollenvorgaben herausgelöst zu haben und glauben nun, familiäre und berufliche Anforderungen flexibler gestalten zu können: Wenn einer mehr Aufträge hat, kümmert sich der andere mehr um die Kinder – so jedenfalls die erklärte Absicht.
Doch wie sieht es wirklich aus? Die Auswirkungen der Erwerbsunsicherheit auf das Geschlechterverhältnis und die männliche Identität sind bislang kaum erforscht worden. Die Erwerbsrolle ist in modernen Industriegesellschaften nach wie vor ein zentraler Baustein der männlichen Identität (Meuser 2012: 20). Bis heute sind Erwartungen an die Rolle des Mannes in Familie und Paarbeziehung durch dessen Verankerung in einem dauerhaften Erwerbsverhältnis geprägt. Bricht diese weg, kommt es zu einer Krise, die sich in verschiedenen Soziallagen und Berufsmilieus allerdings ganz unterschiedlich manifestiert. Während zu Leiharbeitern herabgestufte Fachkräfte, das hat Klaus Dörre (2005) in einer Studie zur Automobilindustrie gezeigt, sich in ihrer männlichen Ehre gekränkt sehen und mit forcierter Abwertung sozial Schwächerer reagieren, wird die Erwerbskrise bei Universitätsabsolventen meist weniger nach außen getragen, sondern eher auf die eigene Persönlichkeit bezogen. Insbesondere Führungskräfte, deren Selbstbild in starkem Maße von der eingenommenen beruflichen Position gespeist wurde, erleben deren Verlust als tiefe Verunsicherung.[8]
Die vorliegende Studie untersucht, was es für Weiblichkeit und Männlichkeit sowie für das Geschlechterarrangement in Paarbeziehungen bedeutet, wenn der Mann kein Ernährer mehr ist – differenziert nach sozialen Milieus.[9] Kommt es zu einer Krise in der Paargemeinschaft? Werden Geschlechterarrangements neu ausgehandelt, und welche Rolle spielen dabei milieuspezifische Leitbilder sowie Muster der Lebensführung? Die gesellschaftliche Bedeutung...