Einführung
»Jeder Meister seines Faches hat einmal als Katastrophe angefangen.«
T. Harv Eker
Ein noch junger Trader fragte mich einmal, welchen der vielen Themenkomplexe, die in der Fachliteratur beziehungsweise in Seminaren besprochen werden, ich für den wichtigsten halte, um das Traden wirklich erfolgreich zu erlernen. Diese Frage provoziert eine selten beachtete Gegenfrage, nämlich die nach dem zukünftigen Handelsschwerpunkt. Will der Betreffende künftig in einer kapitalstarken Handelsorganisation arbeiten? Will er Kommissionsgeschäfte tätigen oder in einer Vermögensverwaltung strategisch investieren? Oder geht es um das konkrete Spekulieren im kurzfristigen Zeitfenster, mit Eigen- oder Fremdkapital? Von der Klärung dieser Fragen im Vorfeld hängt die sinnvolle Beantwortung der an mich gestellten Grundfrage ab.
Die am Markt erhältliche Fachliteratur ist bis heute zu einem überaus umfangreichen Sammelsurium von Spezialthemen angewachsen. Auch wenn der reale, praktische Nutzen dieser Werke sehr unterschiedlich zu bewerten ist, decken sie dennoch ein gewaltiges Themenspektrum ab. Das verleitet rasch zu der Annahme, man benötige nur endlich das richtige Zählmuster, die korrekt interpretierbare Formation oder einen genialen Indikator, um den Kursrhythmus richtig beurteilen, einschätzen und schlussendlich treffsicher prognostizieren zu können. Ich persönlich halte die jeweiligen Einzelthemen für lesens- und auch erlernenswert, doch zäumen sie meiner Einschätzung nach das Pferd von hinten auf. Vor dem Hintergrund meiner 25-jährigen Berufserfahrung im Handel von Futures und Optionen meine ich, die Schwerpunkte werden an der falschen Stelle gesetzt. Denn es kommt darauf an, welches Produkt wir handeln, in welchem Markt wir handeln, welche Kapitalgröße wir umsetzen und welches Handelszeitfenster wir wählen. Entsprechend diesen Parametern sind die zu beherrschenden Themen, ihre Bedeutung und Auslegung und ganz besonders ihre Wertigkeit und Reihenfolge unterschiedlich. So wie ein Pilot zwar das Fliegen eines Flugzeuges im Allgemeinen erlernt, so muss er darüber hinaus Lizenzen für die jeweiligen Flugzeugtypen erlangen, um dann erfolgreich f liegen zu können. Nicht anders müssen wir das Traden verstehen. Sehen wir uns allein die Zusammensetzung der Handelseinheiten von Banken, Hedgefonds und Handelsgesellschaften an, wird deutlich, wie spezialisiert die Tätigkeiten eines jeden Einzelnen in dieser Menge von Personen in den Handelsräumen oder auch Pits sind. Und damit meine ich nicht einmal jene, die für eine reibungslose Abwicklung der Geschäfte in den sogenannten Middle- oder Back-Off ices arbeiten. Allein die Händler, strukturiert im jeweiligen Front-Off ice, sind auf konkrete Aufgaben und Schwerpunkte spezialisiert, die unterschiedlichstes Wissen, unterschiedlichste Fertigkeiten und unterschiedlichste Herangehensweisen verlangen. So steht für den Optionshändler im Vordergrund, die Risikoparameter der von ihm gehandelten Derivate, deren Zusammenspiel und ihre jeweilige Wechselwirkung auf die Wertentwicklung seines Portfolios zu beherrschen. Der Indexarbitrageur fokussiert auf Basis der Zinsentwicklung, Dividende (einschließlich steuerlicher Aspekte) und interessiert sich weniger für Richtungsszenarien der Kursentwicklung. Der Kommissionshändler, dessen Aufgabe die eff iziente Orderausführung zugunsten des Kunden ist, muss sich weniger in die Gedankenwelt und Arbeitsweise der Kurzfristhändler hineindenken. Vielmehr muss er den jeweilig aktuellen Orderf luss im Markt im Blick haben. Damit wird deutlich, dass der jeweilige Wissensschwerpunkt erheblich vom speziellen Tätigkeitsfeld des Händlers abhängt.
Diesen, unseren Platz innerhalb des Marktes müssen auch wir f inden und uns zu eigen machen. Der gleiche Jungtrader, der mir (vielleicht unbewusst) die wohl für ihn wichtigste Grundfrage gestellt hatte, beeindruckte mich noch durch eine weitere Aussage, die man nicht treffender hätte formulieren können: »Ich will nicht nur das Traden erlernen, ich will Trader werden.« Um diese Meisterschaft zu erlangen, reicht es nicht, hart dafür zu arbeiten. Das allein ist es gar nicht, ich glaube vielmehr, es ist eine Verständnisfrage.
Mit diesem Buch spreche ich konkret jenen Trader an, der mit überschaubarem Kapital im sehr kurzfristigen Zeitfenster spekulativ unterwegs ist. Ziel des Traders ist, an möglichst jedem Handelstag einen akzeptablen Kapitalbetrag als realisierten Gewinn zu erwirtschaften, um damit seinen und idealerweise den Lebensunterhalt seiner Familie bestreiten zu können. Ich werde mich somit konsequenterweise auf einen der liquidesten Märkte konzentrieren, den Terminmarkt, und hier auf das wohl liquideste Produkt, die Futures.
Ich möchte im Vorfeld auch noch einige weitere Prämissen aufzeigen, die das notwendige Verständnis unserer Rolle als Trader für diese Art des Handels im Markt def inieren sollen:
Ein jeder spekulative Trader im Markt benötigt über kurz oder lang einen sogenannten Wirt. Als Wirt bezeichnet man jene Akteure, die durch ihre Handelsaktivität die Kurse in Bewegung bringen. Dabei trägt ein Wirt zum einen die spekulativ eingegangene Position hoffentlich in die erwartete Richtung mit, zum anderen nimmt er die Position ab, wenn diese durch den Spekulanten in den Markt hinein geschlossen wird. Wirte sind in der Regel die nächstgrößeren Marktteilnehmer.1 Für uns, konkret für Sie und mich, sind nahezu alle Akteure an der Börse potenzielle Wirte, denn unsere eingesetzte Kapitalstärke ist nur ausreichend, um einen oder mehrere Kontrakte (sagen wir bis maximal 20 Futures auf den FDAX) gleichzeitig zu handeln. Dieser Sachverhalt bringt uns somit gleich zur ersten Kernprämisse unserer eigenen Einordnung:
– Wir bewegen den Markt nicht. Andere bewegen ihn, nicht wir. Und wenn wir ihn nicht bewegen, führt uns diese erste Prämisse gleich zur zweiten.
– Es sind nur die anderen Akteure, die durch ihre jeweilige Aktivität an der Börse eine Kursbewegung auslösen, um uns hoffentlich prof itabel zu tragen. Somit sehen wir die anderen Akteure nicht als unsere Gegner, sondern als unsere (unfreiwilligen) Helfer, die daher Wirte genannt werden.
Die Akzeptanz dieser beiden Prämissen zieht weitere Konsequenzen im Verständnis unserer Rolle und unserer Bedeutung im Markt nach sich.
– Der Erfolg unserer Handelsaktivitäten kann nicht primär davon abhängen, ob wir eine technische, fundamentale oder politische Ausgangslage beziehungsweise Umsetzung durch andere als »richtig« oder »falsch« einschätzen, ob wir deren Ansicht teilen oder nicht, ob wir andere für cleverer als uns oder umgekehrt halten. Der Erfolg kann nur davon abhängen, ob wir die anderen Akteure (und hier konkret unsere jeweiligen Wirte) richtig einschätzen. Die Frage lautet nicht: »Sehe ich das richtig?«, sondern: »Wie wird mein Wirt die Sache sehen?« Wir müssen wissen, wann er kauft, wie sein Buch aussieht, wann er seine Positionen glattstellt.
Mit diesen drei Prämissen beantworten wir die eingangs gestellte Frage: »Welcher der vielen Themenkomplexe, die in der Fachliteratur beziehungsweise in Seminaren besprochen werden, ist für einen jungen, lernenden Trader der wichtigste, um das Traden wirklich erfolgreich zu erlernen?« Es geht darum, Spuren zu lesen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Nur das ist wichtig, zumindest wenn wir die Fragestellung auf uns als »kleinste« Trader-Spezies beziehen. Wir sind die kleinsten Handelseinheiten im Markt, wir sind aber auch die wendigsten Trader. Zwar eignen wir uns kaum als ernst zu nehmende Wirte für die Arbitrage, für den Kommissionshändler oder auch den beruf lichen Kurzfristhandel. Doch können wir auf ein breites Spektrum von potenziellen Wirten zugreifen. Dieser Vorteil erfordert aber auch die Notwendigkeit, möglichst viel über die jeweiligen möglichen Wirte zu wissen, idealerweise alles.
Wir müssen wissen, welche Gruppen von Akteuren wann im Markt dominant sind. Wir müssen wissen, was sie tun, aus welchen Motivationen heraus sie agieren und wie sie arbeiten. Wir müssen ihre Spuren im Markt lesen und für uns nutzbar machen können. Wir müssen erkennen, wann und wo sie kaufen oder verkaufen (könnten) und wann sie wahrscheinlich glattstellen oder eindecken. Wir müssen wissen, mit welchen Produkten sie arbeiten. Wir müssen zudem wissen, welchen Einf luss diese Produkte oder die Art ihres Handelns auf den Kurs der Futures haben, die wir selbst handeln. Damit wird deutlich: Das Wissen, das wir uns notwendigerweise im Vorfeld aneignen müssen, ist komplex und muss stetig wachsen. Damit wird auch deutlich: Es darf keine Trennung zwischen Theorie und Praxis geben, sondern Theorie und Praxis wirken zusammen. Denn gutes Trading ist die logische Konsequenz aus schlüssigem, fundiertem und komplexem Wissen und der entsprechenden Erfahrung. Von dem preußischen Militärtheoretiker Claus von Clausewitz stammt die Aussage: »Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.« Analog dazu ließe sich formulieren: »Traden ist eine bloße Fortführung der Theorie, nur mit anderen Mitteln.«
Trader unserer Größenordnung haben einen enormen Vorteil: Wir sind enorm f lexibel. Wir besetzen eine Nische, die uns kein institutioneller Trader je wird streitig machen können. Die geringe Positionsgröße erlaubt uns, jederzeit rasch in den Markt zu gehen, sich darin rasch zu drehen oder wieder auszusteigen. Zudem haben wir die freie Wahl: Ein jeder kommt für uns als Wirt infrage. Deshalb müssen wir alle potenziellen Wirte kennen und ihr Verhalten studieren.
Um erfolgreich handeln zu können,...