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E-Book

Hitlers adliger Diplomat

Der Herzog von Coburg und das Dritte Reich

AutorHubertus Büschel
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
ReiheDie Zeit des Nationalsozialismus ? »Schwarze Reihe« 
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783104032252
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
In seinem neuen Buch ?Hitlers adliger Diplomat. Der Herzog von Coburg und das Dritte Reich? erzählt der renommierte Historiker Hubertus Büschel auf Grundlage neuer Quellen aus dem Familienarchiv packend und fundiert, wie ein britischer Prinz in Deutschland zum glühenden Verehrer Hitlers wurde. Carl Eduard war ein Enkel der britischen Königin Victoria und wurde 1905 Regent in Coburg. Bereits 1927 lud er Adolf Hitler zur Trauerfeier für Houston Stuart Chamberlain nach Coburg ein. Nicht zuletzt dank Carl Eduards Einfluss wurde Coburg zur ersten nationalsozialistisch regierten Stadt Deutschlands. Zur Reichstagswahl 1932 veröffentlichte der Herzog einen Wahlaufruf für Hitler. Als Repräsentant des »Dritten Reichs« ließ er nach der Machtergreifung seine internationalen Verbindungen spielen, um den Nationalsozialismus salonfähig zu machen, und leugnete schließlich als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes die Gräuel der Konzentrationslager. Die Unterstützung für den Nationalsozialismus durch den deutschen und den europäischen Hochadel wurde lange unterschätzt. Die Biographie des Coburger Herzogs zeigt exemplarisch, wie Adlige im Bestreben, ihre eigene Macht wiederherzustellen, einen Pakt mit den Nationalsozialisten eingingen.

Hubertus Büschel, geboren 1969 in Weidach bei Coburg, studierte Geschichte und Germanistik in München und Berlin, promovierte in Göttingen und war von 2007 bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam und assoziiert am dortigen Zentrum für Zeithistorische Forschung. Von 2009 bis 2015 war er Juniorprofessor für Kulturgeschichte am International Graduate Centre for the Study of Culture in Gießen und an der dortigen Justus-Liebig-Universität. Seit 2015 ist er Professor für Zeitgeschichte an der Universität Groningen, Niederlande. Zuletzt erschienen von ihm u.a. ?Untertanenliebe. Der Kult um deutsche Monarchen 1770-1830? (2006) und ?Hilfe zur Selbsthilfe. Deutsche Entwicklungsarbeit in Afrika 1960-1975? (2014).

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Leseprobe

I Der Weg zu Hitler


1 Das Coburger Milieu: Europäischer Hochadel und deutscher Nationalismus


Coburg, 12. Januar 1927:

Die Einäscherung Houston Stewart Chamberlains


Am Morgen des 12. Januar 1927 begleiteten uniformierte Mitglieder des Stahlhelm und einige Dutzend »Nationalsozialisten in Hitlertracht« die Leiche des zwei Tage zuvor in Bayreuth verstorbenen englischen Publizisten Houston Stewart Chamberlain zum Krematorium auf dem Coburger Friedhof.[118] Aus Bayreuth, Nürnberg und München waren Kohorten der SA angereist, bereit loszuschlagen, sollte es zu Protesten gegen den Aufmarsch kommen. Schon zu Lebzeiten galt Chamberlain, ein Schwiegersohn Richard Wagners, als einer der wichtigsten Ideengeber der Nationalsozialisten und sonstigen Antisemiten.[119] Zu seiner Coburger Trauerfeier waren zahlreiche prominente Vertreter der »Neuen Rechten«[120] erschienen. Neben Mitgliedern der Familie Wagner, Abgesandten der Städte Bayreuth und Coburg, der SA und des Stahlhelm hatten sich mit ihren Fahnen und Standarten Männer nationalistischer und antisemitischer Verbände versammelt. Dazu gehörten der Bund Wiking und der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund,[121] der nach zeitgenössischer Einschätzung des Reichskommissars für Überwachung der öffentlichen Ordnung »größte, tätigste und einflussreichste antisemitische Verband in Deutschland«.[122] Auch Hitler war gekommen, der den von ihm hochverehrten Chamberlain etwas mehr als drei Jahre zuvor das erste Mal in Bayreuth besucht hatte und sich in seinen antisemitischen Hetzreden immer wieder auf ihn bezog.[123]

Nicht zuletzt waren drei Angehörige des europäisch-deutschen Hochadels anwesend: der seit 1918 im Coburger Exil lebende ehemalige Zar von Bulgarien Ferdinand I., der Kaisersohn August Wilhelm von Preußen und Ernst II. zu Hohenlohe-Langenburg, der bis zur Volljährigkeit Carl Eduards 1905 Regent von Sachsen-Coburg und Gotha gewesen war.[124] Der Herzog von Coburg war mit allen dreien eng verwandt. Er selbst war durch eine dringende anderweitige Verpflichtung verhindert, andernfalls hätte auch er es sich gewiss nicht nehmen lassen, Chamberlain die letzte Ehre zu erweisen.

Ferdinand von Bulgarien, den Carl Eduard vertraulich »Onkel« nannte, stand dem Bayreuther Kreis und dem verstorbenen Schriftsteller besonders nahe. Er war ein großer Liebhaber von Wagners Opern, unterstützte die Festspiele durch großzügige Spenden und hatte sich mit Chamberlain nahezu wöchentlich über seine völkischen und antisemitischen Ideen ausgetauscht. Auch mit Hermann Göring traf er sich regelmäßig, und mitunter warb er für die NSDAP, die in Bayreuth und Coburg in den 1920er Jahren bereits zahlreiche Mitglieder bzw. Wähler hatte.[125] August Wilhelm von Preußen kannte Chamberlain nur vom Hörensagen, war aber begeistert von dessen Schriften.[126] Ernst II. zu Hohenlohe-Langenburg schließlich war ein ebenso entschiedener Anhänger Chamberlains und überhaupt des Rechtsradikalismus.[127]

Glaubt man zeitgenössischen Zeitungsberichten, dann verfolgte die Coburger Bevölkerung mit großer Anteilnahme und erwartungsvoller Neugier dieses Zusammentreffen von Angehörigen des Hochadels, völkischen Verbänden und Nationalsozialisten und nicht zuletzt Hitlers Auftreten am Sarg Chamberlains.[128] Eine so deutlich auf künftige Allianzen zwischen den Repräsentanten der längst vergangenen monarchischen Ordnung und den Nationalsozialisten verweisende Begegnung hatte es bislang weder in Coburg noch sonst im Deutschen Reich gegeben.

Coburg war nach 1918 zu einem regelrechten Reservat für abgedankte Fürsten des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha geworden, die sich keineswegs mit ihrer politischen Entmachtung zufriedengaben und ähnlich wie der Herzog von Coburg die Nähe zu rechtsradikalen Kreisen suchten. Nach der russischen Oktoberrevolution war Großfürst Kyrill von Russland nach Coburg geflohen, ein Enkel Zar Alexanders II., der die Tochter Herzog Alfreds geheiratet hatte. Kyrill hatte nach dem Zarewitsch an dritter Stelle der Thronfolge gestanden. Zwischen Coburg und Paris pendelnd scharte er die sogenannten Mladorossy um sich, eine Gruppe junger russischer Adelssöhne im Exil, die sich in ihrem Auftreten an faschistische Jugendorganisationen – wie die italienischen Schwarzhemden und die SA – anlehnten. 1924 ließ sich Kyrill in Paris als Kaiser im Exil ausrufen. Immer wieder nahm er auch in Coburg an »vaterländischen Kundgebungen« unter Carl Eduard teil.[129] Auch Philipp von Sachsen-Coburg und Gotha, den die österreichische Republik aufgrund seiner Weigerung, die Adelstitel abzulegen und Enteignungen hinzunehmen, 1918 des Landes verwiesen hatte, fand in Coburg Unterschlupf, ebenso wie sein Bruder Ferdinand, der abgedankte Zar von Bulgarien.[130] Man zeigte sich nicht nur mit den »Neuen Rechten«, sondern unterstützte vor allem auch Hitler mit Geldspenden und Werbekampagnen, da Kyrill, Philipp, Ferdinand und Carl Eduard sich auf dem ersehnten Weg zurück zur Macht von ihm Unterstützung gegen ihre Todfeinde, die Republikaner und Bolschewiken, versprachen.[131]

Coburg, 14. Oktober 1922:

Der »Deutsche Tag« und seine Folgen


Hitler war anlässlich der Trauerfeier für Chamberlain 1927 nicht das erste Mal in Coburg. Bereits am 14. Oktober 1922 hatte er auf Einladung des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes an einem »Deutschen Tag« teilgenommen, begleitet von Julius Streicher, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und 600 SA-Männern. Sie marschierten auf, um linke Gegendemonstranten einzuschüchtern, antisemitische Parolen zu brüllen und den Coburger Juden lauthals mit Mord zu drohen. Das eher gemäßigte bildungsbürgerliche Coburger Publikum schien erschrocken, aber auch beeindruckt. Man begann sich für diesen Mann zu interessieren, der kein Blatt vor den Mund nahm zu seinen Vorstellungen über die Zukunft Deutschlands und es verstand, die gefürchteten »roten Horden« im Zaum zu halten.[132] Außerhalb der oberfränkischen Kleinstadt hatten gemäßigte Zeitungen vor dem »nackten Straßenterror der bis auf die Zähne bewaffneten Knüppelgarde« Hitlers gewarnt.[133] Linksliberale Blätter, Demokraten und jüdische Verbände nahmen den Coburgern übel, dass sie den NS-Schergen zugesehen und gar applaudiert hatten: Bald galt die Stadt europaweit als »Hakenkreuzparadies« und als ein »Schandfleck« für ganz Deutschland.[134]

In der Tat war es Hitler in Coburg erstmals gelungen, außerhalb Münchens aufzumarschieren und Straßenkämpfe anzuzetteln.[135] Hier wurde eingeübt und öffentlich vorgeführt, »wie man Stoßtrupps aufzieht und durch eigene Kraft den Mob im Zaume hält«.[136] Die Gewalt auf den Straßen Coburgs wurde von den radikalen Rechten mit einer gewissen Bewunderung für Hitler allenthalben gerühmt: In einem Bericht an den Alldeutschen Verband war gar davon die Rede, dass die in Coburg »zerschlagenen Hirnschalen der Roten erst wieder zusammenwachsen« müssten.[137]

Tatsächlich verfehlten die Ereignisse im Oktober 1922 nicht ihre Wirkung: In der Stadt wurde eine der ersten und militantesten Ortsgruppen der NSDAP gegründet,[138] die innerhalb weniger Monate bereits mehrere hundert Mitglieder zählte.[139] Coburger Nationalsozialisten brüsteten sich damit, dass ihre SA die am meisten »gefürchtete« weit und breit sei. Sie mache »ihrem Ruf alle Ehre«.[140] Hitler selbst rühmte die Ereignisse in Coburg als Durchbruch seiner Bewegung[141] und verkündete: »Mit Coburg habe ich Geschichte gemacht.«[142] Zehn Jahre nach dem Marsch auf Coburg sollte er das »Coburger Ehrenzeichen« stiften, das an die »Kämpfer der Bewegung« an diesem »Deutschen Tag« verliehen wurde und gleich nach dem »Blutorden« rangierte, der höchsten Parteiauszeichnung.[143]

Erste Begegnungen mit Hitler


An diesem »Deutschen Tag«– genau genommen am Abend des 14. Oktober 1922 – traf auch der Herzog von Coburg Hitler das erste Mal persönlich.[144] Hitler hatte in einer Coburger Bierhalle eine seiner unverhohlen antisemitischen Gewaltpredigten vor mehr als 3000 Zuhörern gehalten. Carl Eduard und seine Ehefrau saßen auf Ehrenplätzen in der ersten Reihe. Sie erlebten, wie das Publikum zu den Parolen des »Führers« nach anfänglichem Zögern in frenetischen Jubel und Applaus ausbrach.[145] Seit diesem Abend verfolgte Carl Eduard aufmerksam Hitlers allmählichen Aufstieg zur Macht.

Bereits ein Jahr später traf man sich wieder auf den »Deutschen Tagen« in Nürnberg, Bamberg und vermutlich auch in Bayreuth.[146] Man begegnete sich bei der Eröffnung der Bayreuther...

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