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E-Book

Regretting Motherhood

Wenn Mütter bereuen

AutorOrna Donath
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641187019
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Darf man es bereuen, Mutter zu sein? Das Buch der wegweisenden Autorin Orna Donath jetzt im Taschenbuch
»Regretting Motherhood« thematisiert, was bisher kaum ausgesprochen wird: Dass viele Frauen in der Mutterschaft nicht die »vorgeschriebene« Erfüllung finden. Dass sie ihre Kinder lieben und trotzdem nicht Mutter sein wollen. In ihrem bahnbrechenden Buch lässt die engagierte Soziologin Orna Donath Mütter selbst zu Wort kommen und analysiert anhand vieler Interviews mit Frauen, die bereit waren, ihre ambivalenten Gefühle offenzulegen, die Dimension des Tabus.

Orna Donath, geboren 1976, erforscht als Soziologin an der Ben-Gurion-Universität des Negev in Be'er Sheva gesellschaftliche Erwartungen, die an Frauen, Mütter wie Nichtmütter, gestellt werden. Nach der Studie »Making a Choice« über jüdische Frauen in Israel, die sich gegen Kinder entscheiden (2011), ist »Regretting Motherhood« ihre erste Buchveröffentlichung; sie ist in mehr als zehn Ländern erschienen. Über ihre wissenschaftliche Arbeit hinaus engagiert Donath sich ehrenamtlich für das Hasharon's Rape Crisis Center in Raanana.

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Leseprobe

1Wege zur Mutterschaft: Das Diktat der Gesellschaft
gegen die Erfahrungen der Mütter

»Es gibt diese verbreitete Wahrheit, diese Annahme, dass wir alle Kinder wollen und nicht glücklich werden, wenn wir keine bekommen. Ich jedenfalls bin mit dieser Wahrnehmung aufgewachsen. Aber so einfach ist das nicht. Wirklich nicht einfach. Und ich habe drei Kinder. Das ist nicht einfach. Da ist ein riesiger Gegensatz zwischen den Botschaften, die du von der Gesellschaft kriegst, und den eigenen Gefühlen.«

Doreen (drei Kinder zwischen 5 und 10)

»Frauen muttern.«1 Diese beiden Worte fassen in aller Knappheit zusammen, was seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte als transkulturelle Gegebenheit gilt: Frauen leisten nicht nur den Löwenanteil an der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder, sondern sie sind Mütter in sich.

Diese vermeintliche Tatsache wird bestätigt, wo immer wir uns umsehen, denn faktisch werden die meisten Frauen Mütter. Und doch sagt uns diese Bestandsaufnahme nichts darüber, auf welch unterschiedlichen Wegen diese Frauen zur Mutterschaft gekommen sind, und genauso wenig darüber, wie verschieden Frauen zu dem Gedanken stehen, Kinder in die Welt zu setzen und großzuziehen – und zwar vor und nach dem Übergang zur Mutterschaft. Da sind zum Beispiel die Frauen, die gefühlsmäßig nicht Mütter werden wollen und jede Beziehung zu Kindern oder den täglichen Umgang mit ihnen lieber meiden. Andere fühlen zwar genauso und wollen nicht Mutter werden, interessieren sich aber für Kinder und ergreifen daher therapeutische oder Erziehungsberufe, in denen sie mit Kindern arbeiten können, oder sie verbringen viel Zeit mit Nichten, Neffen oder anderen Kleinen in ihrer Familie. Da sind die Frauen, die Kinder adoptieren, selbst aber keine Kinder bekommen möchten. Da sind die Frauen, die Mutter werden wollen, aber Schwangerschaft und Geburt so fürchten, dass sie es doch sein lassen. Es gibt Frauen, die gar keine andere Wahl haben, als Mutter zu werden, weil ihnen in ihren Gemeinschaften andernfalls soziale Sanktionen drohen; und Frauen, die die Mutterschaft eigentlich nicht anstreben, sich aber in irgendeiner Form einen Gewinn davon versprechen; Frauen, die nicht Mutter werden wollen, sich aber dem Partner und seinem Kinderwunsch verpflichtet fühlen; und es gibt Frauen, die rückblickend gar nicht so genau wissen, warum sie Mutter geworden sind.

Wollen wir die Reue untersuchen, also den emotionalen Zustand, der den tatsächlichen Willen, jemandes Mutter zu sein, infrage stellt, müssen wir uns mit den unterschiedlichen Wegen von Frauen zur Mutterschaft vertraut machen und sie zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen nehmen. Doch nicht nur das. Gleichzeitig kann diese Frage auch zu einer Neubewertung der verbreiteten Annahme dienen, die allgegenwärtige Sichtbarkeit der Mutterschaft stehe für einen unbestrittenen, ursprünglichen Willen, Mutter zu werden, ist es doch diese Annahme, die dazu benutzt wird, Frauen dazu zu verleiten, Kinder in die Welt zu setzen. Wie wir später sehen werden, überdeckt diese Allgegenwart der Mutterschaft womöglich, wie unterschiedlich Mütter ihre bestehende Mutterschaft erleben.

»Lauf der Natur« oder »Entscheidungsfreiheit«

Die gesellschaftliche Annahme, ausnahmslos jede Frau solle Kinder auf die Welt bringen, beruht zunächst einmal auf einer engen, grundlegenden Wechselbeziehung zwischen der Weiblichkeit und dem menschlichen Körper: Frauen werden mit der Natur identifiziert, weil ihr Körper fruchtbar und somit in der Lage ist zu empfangen, ein Kind auszutragen, es zu gebären und zu stillen, also Eigenschaften aufweist, die als animalisch gelten.2 Aus diesem Grund werden Frauenkörper gemeinhin danach beurteilt, ob sie in der Lage sind zu gebären oder nicht, denn die weibliche Gebärfähigkeit gilt als Lebenszweck schlechthin einer jeden Frau und als Rechtfertigung ihrer bloßen Existenz. Frauen werden wahrgenommen als »Mütter allen Lebens«, sie stehen mitten im Fluss des Lebens und dem Kampf des Menschen ums Überleben. Diese Sichtweise von Frauen treibt sie ins Netz der Natur, meinen wir doch, das reproduktive Potential der weiblichen Anatomie würde sie dazu zwingen, Mütter zu werden; Frauen folgten also passiv einem schicksalhaften Gebot, das ihnen gar keine andere Wahl ließe. In anderen Worten und wie verschiedene feministische Autorinnen bereits deutlich gemacht haben, fangen historische und kulturelle Vorstellungen Frauen mit einer Illusion der fehlenden Wahl ein als Folge ihres biologischen Geschlechts. So benutzt die Gesellschaft die »Sprache der Natur«, um Frauen dazu zu überreden, Kinder zu bekommen, was häufig an eine Art biologische Tyrannei grenzt.

Gleichzeitig gibt es eine andere, entgegengesetzte Annahme, der zufolge jede einzelne Frau sich für die Mutterschaft frei entschieden habe, da ja alle Frauen Mütter werden wollen und somit auch aktiv, gefühlt und rational diesen Weg ihres absolut befreiten Willens gehen. »Hört auf zu jammern! Ihr habt es doch so gewollt! Jetzt seht auch zu, wie ihr damit fertigwerdet!« – solche Kommentare bekommen Frauen häufig zu hören, wenn sie ihre Probleme artikulieren.

Die Annahme, die Mutterschaft sei schlicht naturgegeben, wurzelt in uralten Vorstellungen eines biologischen Determinismus; die gegenteilige Ansicht aber, der zufolge jede Frau aus eigenem, innerem Willen heraus Mutter wird, wurde auch von Modernismus, Kapitalismus und neoliberaler Politik geprägt, die zunehmend das Recht der Frauen an ihrem Körper, ihren Entscheidungen und ihrem Schicksal anerkennt. Da heute immer mehr Frauen besseren Zugang zu Bildung und bezahlter Arbeit sowie größere Freiheit in der Entscheidung haben, ob sie eine Partnerschaft eingehen möchten und mit wem, werden sie zunehmend als Individuen gesehen, die ihr Leben selbst gestalten. Wenn unser Credo lautet, Leben ist, was man daraus macht, und wir das Leben als biografische Erzählung der Selbstverwirklichung verstehen, werden auch Frauen als unabhängige Gestalterinnen ihres Lebens wahrgenommen, die als gut informierte Konsumentinnen zwischen verschiedenen Optionen frei wählen können.

Dies angenommen, gehen wir davon aus, der Übergang zur Mutterschaft sei allein auf den Wunsch einer Frau zurückzuführen, ihren Körper, ihr Selbst und ihr gesamtes Leben auf eine neue, bessere Weise zu erfahren als bisher: Die Mutterschaft führt zu einem gerechtfertigten, wertvollen Leben, sie untermauert den Daseinszweck der Frau und ihre Vitalität. Die Mutterschaft zeigt ihr und der Welt, dass sie eine wahre Frau ist – eine moralische Leitfigur, die nicht nur der Natur zurückgibt, was sie ihr schuldet, indem sie Leben schafft, sondern dieses Leben auch schützt, hegt und pflegt. Die Mutterschaft erlaubt es ihr, sich in die Kette der Generationen von Müttern und Großmüttern einzugliedern, zu »den Frauen« zu gehören, die seit Urzeiten Leben schenken; sie ist eine Art Verkörperlichung der Traditionen ihrer Vorfahren, die sie nun selbst wiederum an künftige Generationen weitergeben kann. Zugleich verschafft ihr die Mutterschaft nicht nur eine Zugehörigkeit, sondern auch einen neuen Besitz, auf dessen Grundlage sie ein Privileg zurückverlangen kann, das die Kultur ihr abgesprochen hat: Sie übt Autorität über ihre Kinder aus und unterwirft sich nicht mehr der Autorität der Welt. Konkret wie symbolisch ist die Mutterschaft das Schiff, mit dem eine Frau in ihre reife Weiblichkeit hineinsteuert, denn sie verlässt das »Haus des Vaters« und gründet ihre eigene Familie, reproduziert eine positive Erfahrung und korrigiert etwaige Fehler. So kann sie zugleich in die vergessenen Gefilde ihrer Kindheit zurückkehren und wild darin herumtoben wie auf einem ganz persönlichen Spielplatz. Die Mutterschaft ermöglicht der Frau durch die gemeinsamen Kinder eine enge, intime Bindung mit ihrem Partner, fordert sie aber gleichzeitig auch heraus, sich deutlich von ihm abzuheben. Die Mutterschaft bietet der Frau die Gelegenheit, sich für etwas mit ganzer Kraft einzusetzen, Mühen auf sich zu nehmen, sich Zwängen zu beugen und eine selbstlose Güte an den Tag zu legen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Mutterschaft setzt der Einsamkeit ein Ende und gibt dem Wunsch nach Freude, Stolz, Befriedigung und unbedingter Liebe ein Zuhause. Mit der Gründung einer neuen Familie kann die Frau ganze Seiten aus ihrer Biografie herausreißen wie Vernachlässigung, Armut, Rassismus, Spott, Einsamkeit und Gewalt; die Mutterschaft bietet ihr eine Zuflucht, in der die frühere Wirklichkeit zurückgelassen wird, weggesperrt in einem verschlossenen Raum. Auf diese Weise eröffnet sie der Frau eine Vielzahl fantastischer Perspektiven, kann sie doch zum Garant für ein würdevolles Altern werden, für Kontinuität und eine bessere Zukunft, zum Ausweg aus einer möglicherweise ziellosen Gegenwart.

Dies sind die gesellschaftlichen Versprechungen, die Frauen in ihrer Jugend und auch später noch fast täglich gegeben werden.

Die Kehrseite dieser Versprechungen ist ein klares Vorgehen gegen Frauen, die keine Mütter sind: Frauen, die keine Kinder bekommen können, gelten oft als beschädigt oder unzulänglich, weil sie den einzigen vermeintlichen Vorteil, den die Natur ihnen zugesteht, nicht einlösen können. Auch Frauen, die Mutter werden wollen, aber von den Umständen daran gehindert werden (weil sie Single sind, aber keine alleinerziehende Mutter sein möchten; weil sie einen Partner haben, der keine Kinder will; wegen knapper Finanzen oder einer körperlichen oder geistigen Behinderung),...

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