Auf dem Weg zum Mutterersatz: Warum wir dieses Buch geschrieben haben
Während der Arbeit an diesem Buch sind wir immer wieder gewarnt worden. Mal waren die Reaktionen liebevoll und besorgt, mal ängstlich, gelegentlich auch gehässig. Eine kleine Auswahl der Fragen, die uns während des Schreibens begleitet haben: Ob wir es mit dem Thema wirklich ernst meinen. Ob uns klar sei, wie reaktionär unser Ansatz gesehen werden kann. Ob wir je wieder aus dieser Ecke herauskämen. Ob es nicht sicherer wäre, das Buch unter geschlossenen Pseudonymen herauszubringen.
Selbst die Sorge, ob jemand nach der Veröffentlichung überhaupt noch mit uns arbeiten wolle oder ob unsere Namen ab jetzt »beschädigt« seien, wurde nicht nur im Scherz diskutiert. So war uns von der ersten Sekunde an klar, dass wir an einem Hochrisikoprojekt arbeiteten. Doch was hatten wir vor? Waren wir etwa in einem Kriegsgebiet unterwegs oder dabei, eine Spionageaffäre aufzudecken? Gaben wir schreckliche, intime Geheimnisse öffentlich preis? Eigentlich waren wir der Meinung, dass wir über das Selbstverständliche, Alltägliche, jedem Vertraute schrieben: über Mütter und den Umgang unserer Gesellschaft mit ihnen.
Mütter. Jeder von uns hat eine. Manche sind mit einer verheiratet. Andere sind es selbst. Wir zum Beispiel: Mit unseren sechs beziehungsweise vier leiblichen Kindern, die Stiefkinder nicht mitgerechnet, haben wir die durchschnittliche Kinderzahl einer Frau in Deutschland (1,47) beide längst überschritten. Wir gehen nicht davon aus, dass uns das zu allwissenden oder auch nur besseren Müttern macht. Wohl aber sind wir der Meinung, dass wir Gelegenheit hatten, uns seit fast zwei Jahrzehnten ausgiebig mit der Mutterrolle zu beschäftigen. Wir zogen unsere Kinder groß und spürten nach, wie unser Umfeld uns beobachtete und sich dabei veränderte. Auch wir machten Entwicklungen durch. Ein Vorteil, wenn man gleichzeitig Kinder hat, die Abitur machen, und Kinder, die gerade laufen lernen – von den Altersstufen dazwischen gar nicht zu reden –, ist die Möglichkeit, zeitgeistbedingte Veränderungen zu vergleichen. Schließlich haben wir sie selbst erlebt.
Nicht zuletzt sind da auch die anderen Mütter. Jahrelang haben wir, privat und beruflich, unzählige Gespräche geführt und Beobachtungen festgehalten. Ein Kind in den neunziger Jahren zu bekommen war anders als heute. Eines auf dem Lande großzuziehen ist nicht das Gleiche wie in der Großstadt. Dennoch konnten wir Tendenzen erkennen, die uns Sorgen machen und über die wir in diesem Buch sprechen wollen.
Mütter kleiner Kinder sind in Deutschland trotz ihrer großen Zahl eine Randgruppe geworden, die dann am freundlichsten behandelt wird, wenn sie nicht weiter auffällt. Was absurd ist, schließlich hat immer noch die überwiegende Mehrheit der Frauen Kinder. Was uns besonders trifft, ist die Bereitschaft der Mütter, sich diesen Erwartungen anzupassen – als sollten Kinderkriegen und Erziehung still und heimlich in einem dafür vorgesehenen Reservat erledigt werden. Dort, wo das richtige Leben spielt, wo berufliche und kulturelle Höhepunkte locken, wo sich Erwachsene treffen, um bedeutende Dinge zu erreichen oder auch nur Spaß zu haben – dort haben Mütter nichts zu suchen. Und wenn sie sich daruntermischen, dann nach Möglichkeit getarnt.
Das allein ist schon schlimm genug. Was uns noch weniger gefällt: Selbst die trügerischen Schutzräume bröckeln immer mehr, denn Mütter sollen mal gewaltsam, mal mit Lockmitteln dort herausgeholt werden. Aber auf keinen Fall gemeinsam mit ihren Kindern. Meist bedeutet das: eine frühe Trennung der Mutter vom Kind zugunsten einer ausgedehnten Berufstätigkeit, die ein höheres Ansehen genießt als die Mutterschaft. In der jüngsten Zeit scheint es gewollt zu sein, die Mutter als entbehrlich und ersetzbar hinzustellen. Auf unterschiedlichen Ebenen arbeitet man am Mutterersatz. Zurück bleiben die Kinder – und die Frauen, von denen viele sich nicht eingestehen wollen, dass man ihnen etwas Lebenswichtiges raubt.
Mütter, die wiederum gern Mütter sind und das auch nicht verbergen, scheinen eine besondere Provokation zu sein. Sie werden noch mehr angefeindet als sogenannte »Rabenmütter«; selbst Vernachlässigung wird leichter verziehen als eine enge und liebevolle Beziehung, die vorschnell als ein lächerliches bis gefährliches Zuviel wahrgenommen wird – von Menschen, die sie eigentlich nichts angeht.
Mütter gelten grundsätzlich als verblendet, wenn es um ihren Nachwuchs geht. Nicht zuletzt heißt es in vielen Kindergärten und Schulen, dass die Eltern das Schlimmste an der Arbeit seien. Sie dürfen Kuchen backen, auf Festen Getränke verkaufen, zu Ausflügen begleiten und das Klassenzimmer renovieren. Mischen sie sich jedoch ein oder hinterfragen gar die Arbeit der Pädagogen, werden gerade Mütter schnell als überambitionierte, jedoch ahnungslose Helikopter-Glucken abgestempelt.
Ist das zugespitzt? Polemisch? Auf jeden Fall. Aber dadurch nicht weniger wahr. Dies wollen wir in unserem Buch begründen.
Zugegeben: Die Diskussionen um die Mutterrolle sind älter als die Buchbranche. Zu allen Zeiten und überall auf der Welt wurden Mütter gemaßregelt, unter Druck gesetzt und auch immer wieder grausam ihren Kindern entzogen. Das entschuldigt die Entwicklungen unserer heutigen Zeit aber keineswegs. Gerade in den vergangenen Jahren sind lesenswerte Bücher erschienen, die Teilaspekte dieses Themas aufgreifen. Vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird immer wieder kontrovers diskutiert.
Wir sind allerdings der Meinung, dass sich das Phänomen der abgeschafften Mutter nicht darauf beschränken lässt. Deswegen nehmen wir uns die einzelnen Phasen der Elternschaft kapitelweise und chronologisch vor. Die Auseinandersetzung mit dem Mutterwerden und Muttersein beginnt bereits mit dem Kinderwunsch. Schwangerschaft, Geburt und die erste Zeit danach geraten als zeitlich überschaubare, vergängliche Phasen zu schnell in Gefahr, im Diskurs vergessen zu werden – aber keineswegs von den Frauen, die sie erlebt haben.
Schon mit Beginn einer Schwangerschaft steht eine Frau heutzutage unter Generalverdacht. Die Zunahme der zum Teil nutzlosen, manchmal auch schädlichen pränatalen Tests legt den Schluss nahe, die Schwangere sei das größte Risiko für ihr Kind und müsse streng überwacht werden, bevor noch etwas Schlimmes passiert. Und aus der eigenen Entbindung soll sie sich am besten raushalten und sie den Medizinern überlassen. Die Bedingungen, unter denen eine Frau Mutter wird, prägen sie nachhaltig. Diese hochsensiblen Zeiten bilden die Basis der mütterlichen Selbstwahrnehmung und legen den Grundstein der weiteren Beziehung. Als intime körperliche Vorgänge sind sie selten Gegenstand der öffentlichen Diskussion, aber dennoch in hohem Maße politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zwängen unterworfen.
Alle Aussagen in diesem Buch, die nicht mit einer Quellenangabe versehen sind, basieren auf persönlichen Beobachtungen und Rückschlüssen und stellen unsere Meinung dar. Selbstverständlich können sie keinen ärztlichen Rat ersetzen. Da viele Bereiche rund um die Elternschaft im tagespolitischen Wandel sind, können einige der von uns geschilderten Rahmenbedingungen nicht mehr zu hundert Prozent zutreffend sein – auch wenn wir uns bemüht haben, unseren Text bis zum Druckschluss zu aktualisieren.
Wir sind von vielen Frauen bestärkt worden, über dieses Thema zu schreiben. Jedoch, wie bereits erwähnt, lange nicht von allen. Einige fühlten sich in ihrer Art, Mutter zu sein, in Frage gestellt, andere fürchteten, wir wollten das Rad der Geschichte zurückdrehen und sie wieder an den vielzitierten Herd schicken. Diese Furcht taucht jedes Mal auf, wenn die Frage gestellt wird, welchen Wert unsere Gesellschaft Müttern beimisst.
Es macht uns betroffen, welche Gräben das Thema Mutterschaft auch zwischen Frauen aufreißt, die sich in anderen Bereichen mit Sympathie und Respekt begegnen. Geht es aber ums Kinderkriegen, ist es mit jeglicher Toleranz vorbei. Allein die Konfrontation mit den von uns thematisierten Bedürfnissen rief häufig Empörung hervor und entlockte eine Reihe von Gegenargumenten, die keiner sachlichen Betrachtung standhalten. Der Grundtenor der Angriffe: Mütter seien mit ihren Wünschen nicht nur lächerlich, sondern auch potenziell gefährlich, machten sie doch manchmal mit einer einzigen Äußerung Jahrzehnte der Gleichstellungsarbeit zunichte. Die Definition der Gleichberechtigung wird dabei nicht hinterfragt. Stattdessen gilt ausgerechnet Müttern der Vorwurf, sich nicht für die Sache der Frauen einzusetzen.
So sorgte bereits die Ankündigung unserer Thesen für gehörige Nervosität. Manche versuchten, unsere Argumente zu zerpflücken, bevor wir sie überhaupt aufgeschrieben hatten. Wir sind jederzeit bereit, über jede unserer Behauptungen sachlich zu diskutieren. Doch was uns gerade aus der vermeintlich feministischen Ecke entgegenflog, erwies sich als eine haarsträubende Häufung von Vorurteilen, Pauschalurteilen und mangelnder Bereitschaft, sich auf unsere Beobachtungen überhaupt einzulassen. Nicht nur wurde behauptet, dass unsere Ansichten von gestern seien, sondern auch, dass es die von uns geschilderten Probleme gar nicht gebe. Bezeichnenderweise kam Letzteres gern von Frauen, die keine oder inzwischen erwachsene Kinder haben. Das...