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E-Book

Strophanthin

die wahre Geschichte

AutorHauke Fürstenwerth
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl236 Seiten
ISBN9783739285962
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Strophanthin ist ein Herzmedikament. Es gehört zur Klasse der herzaktiven Steroidglykoside und wird wie diese aus Pflanzen gewonnen. Bis in die 1980er Jahre hinein ist es in Deutschland zur Behandlung von Herzinsuffizienz eingesetzt worden. Wie kaum ein anderes Medikament hat Strophanthin die Zunft der Ärzte in Deutschland polarisiert. Von Befürwortern wurde es als Insulin des Herzens gefeiert, von Gegnern als Placebo verunglimpft. Euphorisches Lob und vernichtende Kritik prägten einen überaus polemischen und emotional geführten Streit zwischen praktischen Ärzten und Hochschulklinikern. Auch heute noch wird Strophanthin heftig und kontrovers diskutiert. Das Buch schildert Aufstieg und Fall des Strophanthins. Hauke Fürstenwerth präsentiert eine objektive, an belegbaren Fakten orientierte Aufarbeitung der wahren Geschichte des Strophanthins. Mit bisher nicht bekannten Tatsachen schildert er die wechselvolle Geschichte dieses Arzneimittels. Die Geschichte des Strophanthins ist nicht abgeschlossen. Aktuelle Forschungsergebnisse ermöglichen eine neue Interpretation der langjährigen therapeutischen Erfahrungen. Strophanthin verfügt über ein nicht ausgeschöpftes therapeutisches Potenzial. Das Buch zeigt auf, wie Strophanthin zum Nutzen von Herzpatienten wieder zugelassen werden kann. Die Geschichte des Strophanthins ist eingebunden in die Entwicklung von Pharmazie und Medizin. Patienten werden heute auch ohne Krankheitssymptome medikamentös behandelt. Das statistische Risiko für eine zukünftige Krankheit ist als eigenständiges Krankheitsbild etabliert worden. Richtwerte für Blutdruck, Cholesterin und Blutzucker definieren eine Krankheit. Auch dieser Wandel ist Teil der Strophanthin Historie.

Hauke Fürstenwerth holds a PhD in natural sciences. He worked for more than two decades in the pharmaceutical and biotech industry. Since 2001 he is consultant for technology companies and their investors. Hauke Fürstenwerth has many years of management experience in the development of new products. He has published several scientific articles on Ouabain and is the author of numerous publications on innovation and venture capital.

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Leseprobe

William Withering und der Rote Fingerhut


Pflanzen und Kräuter sind allen Epochen der Menschheitsgeschichte genutzt worden, um daraus Heilmittel zu gewinnen. Therapeutische Erfahrungen mit Pflanzen und Pflanzenextrakten sind zu allen Zeiten gesammelt und beschrieben worden. Die älteste überlieferte Rezeptsammlung für pflanzliche Heilmittel ist mehr als 5000 Jahre alt. Sie stammt aus Mesopotamien, dem Land zwischen Euphrat und Tigris. Ägyptische Aufzeichnungen zur Verwendung von Arzneipflanzen stammen aus der Zeit um 1.500 v. Chr. Chinesische Aufzeichnungen datieren um 1.100 v. Chr. In Indien sind Beschreibungen zum Gebrauch von Heilpflanzen im Rahmen der Ayurveda-Medizin bereits um 1.000 v. Chr. entstanden. Im Mittelalter waren es vor allem die Klöster, welche das überlieferte Wissen um den Gebrauch von Heilpflanzen bewahrten, dokumentierten und praktizierten. Mit der Erfindung des Buchdrucks im 16. Jahrhundert wurde das Erfahrungswissen um die Heilkraft von Pflanzen dann in Form von Kräuterbüchern niedergelegt und damit allgemein verfügbar. Im 18. Jahrhundert begannen Wissenschaftler die Wirkung von Heilpflanzen gezielt zu erforschen. Zunächst ging es um die Klärung, welche Heilpflanze bei welcher Krankheit am besten wirkt. In späteren Jahrhunderten wurden die Untersuchungen auf die Reindarstellung der in den Heilpflanzen enthaltenen Wirkstoffe, der Aufklärung ihrer chemischen Struktur und auf deren pharmakologische Wirkungen erweitert. Gegen Ende des 19. Jahrhundert kam die chemische Abwandlung der Wirkstoffe hinzu. Viele der heute eingesetzten Arzneimittel sind Abwandlungen von in Pflanzen vorkommenden Naturstoffen.

Eine der ersten systematischen Untersuchungen der Wirkungen einer Heilpflanze, dem Roten Fingerhut (Digitalis purpurea), stammt von dem englischen Arzt William Withering. Die Ergebnisse seiner Studien publizierte er 1785 unter dem Titel „An Account of the Foxglove and some of its Medical Uses: with Practical Remarks on Dropsy and other Diseases“. Bereits ein Jahr später erschienen eine deutsche („Abhandlung vom rotem Fingerhut und dessen Anwendung in der praktischen Heilkunde vorzüglich bei der Wassersucht und einigen anderen Krankheiten“) und eine französische Übersetzung. Auch aus Amerika kamen sehr bald Interessensbekundungen an Witherings Ergebnissen. Da der Rote Fingerhut in Amerika nicht vorkommt, versorgte Withering seinen amerikanischen Kollegen Hall Jackson mit Samen der Pflanze. Jackson kultivierte den Roten Fingerhut und führte die Digitalistherapie der Wassersucht mit Fingerhut in Amerika ein [Skou 1986].

Withering (1741 – 1799) hat an der Universität in Edinburgh Medizin, Botanik und Mineralogie studiert. 1766 begann er seine berufliche Tätigkeit als Arzt in einer Praxis in Stafford, in der Grafschaft Staffordshire. 1775 übernahm Withering zusammen mit seinem Kollegen John Ash eine Praxis in Birmingham. 1779 wurde er in das Ärzteteam des General Hospital in Birmingham berufen, in welchem er bis zu seinem Ruhestand in 1792 tätig war. Daneben betrieb er seine florierende Privatpraxis weiter.

Kurz vor seinem Umzug nach Birmingham erhielt Withering Kenntnis von einer Kräutermischung zur Behandlung von Wassersucht (eine abnorme Ansammlung von Körperflüssigkeiten). Das Rezept für die Mischung stammte von einer alten Frau aus der Grafschaft Shropshire. Sie erzielte damit Heilerfolge auch bei Patienten, bei denen die Behandlung durch Ärzte versagt hatte. Die Kräutermischung der Heilerin enthielt mehr als 20 verschiedene Kräuter. Für den auch als Botaniker ausgebildeten Withering war es, wie er schreibt, „nicht schwierig, zu erkennen, dass die aktiven Kräuter nichts anderes als Fingerhut sein konnten.“ Witherings Entscheidung, die Wirkung von Fingerhut eingehend zu untersuchen wurde bestärkt durch die Erfahrung seines Kollegen Dr. Cawley aus Oxford, der unter einer für seine Ärzte unheilbaren Wassereinlagerung in der Brust (hydrops pectoris) litt und durch die Einnahme von Fingerhut Wurzeln geheilt werden konnte [Skou 1986].

Der Fingerhut gehört zur Pflanzengattung der Wegerichgewächse (Plantaginaceae). Es gibt etwa 25 Arten, welche in Europa, Nordafrika und im westlichen Asien beheimatet sind. Von medizinischer Bedeutung sind der Rote Fingerhut (Digitalis purpurea) und der Wollige Fingerhut (Digitalis lanata). Die Verwendung von Fingerhut als Heilpflanze ist erstmalig 1250 in einem Wallisischen Kräuterbuch unter der Bezeichnung „foxes glofa“ erwähnt. Der deutsche Botaniker und Arzt Leonhard Fuchs beschreibt in seinem 1542 erschienenen Buch „Historia Stirpium“ detailliert verschiedene Fingerhut Arten und gibt diesen den Namen Digitalis [Greef 1981]:

„Diss gewechss würdt von unsern Teutschen fingerhut geheyssen, darumb das seine blumen einen fingerhut, so man zu dem näen braucht, gantz und gar ähnlich seind. Man mags in mittler zeit, bis man einen bessern namen findt, wie wir in unserem Lateinischen Kreuterbuch gethan haben, Digitalem zu Latein, dem Teutschen namen nach nennen.“

1650 werden eine Digitalis Salbe und Digitalis Tabletten erstmalig in der offiziellen englischen Medikamenten Liste „Pharmacopeia Londoniensis“ erwähnt. 1748 beschreibt der französische Arzt Francois Salerne die extreme Giftigkeit von Digitalispflanzen bei Verfütterung an Truthähne und mahnt zur Vorsicht bei der Anwendung dieser Pflanzen. Als Withering seine Studien mit Fingerhut aufnimmt ist diese Pflanzenart bereits offizieller Bestandteil mehrerer offizieller Medikamenten Listen: 1744 Edinburgh Pharmacopeia, 1748 Paris Pharmacopeia, 1771 Wittenberg Pharmacopeia. Fingerhut wurde zur Behandlung eines breiten Spektrums von Erkrankungen empfohlen. Wundheilung, Kopfschmerzen, Asthma, Rheuma, und Schüttelkrampf waren nur einige von vielen Erkrankungen bei denen Fingerhutzubereitungen eingesetzt wurden.

Withering wusste aus den Schilderungen der Heilerin aus der Grafschaft Shropshire, dass der Fingerhut starke diuretische Wirkungen hat, oftmals begleitet von heftigem Erbrechen und Durchfall. Er wusste auch um die extreme Giftigkeit des Fingerhuts. Entsprechend vorsichtig plante er seine Versuche. In der Einleitung seines Buches Account of the Foxglove listet Withering vier Möglichkeiten auf, welche ihm geeignet erschienen, die Wirkungen des Fingerhuts zu untersuchen. Die Untersuchungen könnten erfolgen auf chemischem Wege. Diese Methode beschränkte sich zu Witherings Zeiten aber auf verbrennen der Substanz und hatte sich bis dahin als nutzlos erwiesen. Als zweite Möglichkeit sah er die Beobachtung der Fingerhut Wirkungen an Tieren. Über Wirkungen von Heilkräutern an Tieren und deren Bedeutung für die Wirkung an Menschen gab es nur wenige zuverlässige Beobachtungen. Withering verwarf auch diese Methode. Aus gleichem Grunde verzichtete er auf eine mögliche dritte Alternative, den Vergleich mit Heilpflanzen ähnlicher Wirkungen. Als einzig zuverlässigen Weg, die Wirkungen des Fingerhuts zu studieren, wählte er den empirischen Gebrauch und die Beobachtung der Wirkungen an Patienten. Heute wissen wir, dass Digitalis an gesunden Menschen und Tieren kaum Wirkungen zeigt. Hätte Withering sich also für Untersuchungen an Tieren entschieden, hätte er die Wirkung von Digitalis nicht gefunden. Diese hat er nur an kranken Patienten studieren können.

Derartige Experimente am Menschen sind unter heute gültigen ethischen Maßstäben nicht zu rechtfertigen. Doch ist es nicht angebracht, die Handlungen Witherings mit heutigen Maßstäben auf Basis heutigen Wissens zu beurteilen. Im 18. Jahrhundert war es in vielen Regionen Europas noch gängiger Gebrauch, Frauen wegen nichtiger Anlässe als Hexen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Witherings Handeln kann nur im kulturgeschichtlichen Kontext seiner Zeit und vor dem Hintergrund des ihm zur Verfügung stehenden Wissens beurteilt werden. Zu Witherings Zeiten gab es weder Kenntnisse über die Ursachen der zu behandelnden Krankheiten, noch war bekannt, wie und warum Heilkräuter und andere Heilmittel ihre Wirkungen entfalten. Die Wissenschaftsdisziplinen Pharmakologie und Toxikologie gab es noch nicht. Es ist das große Verdienst William Witherings, das bis dahin übliche Verfahren des „ausprobieren und verwerfen“ durch systematisches Vorgehen zu ersetzen und damit neue Heilungsmöglichkeiten zu erschließen. Erst 200 Jahre nach Witherings Arbeiten zum Roten Fingerhut sind Arzneimittelgesetze erlassen worden, welche vorschreiben, dass heute umfangreiche präklinische Studien durchgeführt werden müssen, bevor ein neues Medikament an Menschen getestet werden darf.

Dr. Small, einer von Witherings Vorgängern am General Hospital in Birmingham, hatte es eingerichtet, dass pro Tag jeweils eine Stunde sich mittellose Kranke im General Hospital kostenlos behandeln lassen konnten. Diese Tradition setzte Withering fort. Auf diese Weise wurden pro Jahr zwei- bis dreitausend arme Patienten behandelt. Aus diesem Patientenpool wählte Withering die geeigneten Patienten für seine Fingerhut Studien aus. Von 1776 bis 1785 behandelte Withering 163 Patienten mit unterschiedlichen Fingerhutzubereitungen in abgestuften Dosierungen [Skou 1986].

Die erste Aufgabe war es, eine geeignete Darreichungsform für den Fingerhut zu finden. Welche Pflanzenteile sind besonders gut geeignet? Wie...

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