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Winfried Gebhardt (S. 196-197)
Gemeinschaften ohne Gemeinschaft Über situative Event-Vergemeinschaftungen
Flüchtige ‚außeralltägliche’ Veranstaltungsformen mit hohen Teilnehmerzahlen, gemeinhin und undifferenziert als Events bezeichnet, nehmen sowohl an Zahl als auch an Bedeutung zu. Zwar sind die meisten von ihnen – ganz im Sinne der soziologischen Event-Theorie (vgl. Gebhardt 2000, Knoblauch 2000, Enser 2001) – eindeutig thematisch fokussiert, doch liegt die Attraktivität, die sie für eine wachsende Anzahl von Menschen besitzen, nicht ausschließlich in dem, was dort geboten oder unter Umständen auch angeboten wird.
Es ist auch, vielleicht sogar vor allem, der ‚soziale Mehrwert’ eines oftmals als ‚großartig’, wenn nicht sogar als ‚einzigartig’ beschriebenen ‚Gemeinschaftserlebnisses’, das sie ihren Teilnehmern ermöglichen. Dem nachspüren, was dieses ‚großartige Gemeinschaftserlebnis’ eigentlich ist, wie und unter welchen Voraussetzungen es zustande kommt, und warum es scheinbar unter spätmodernen gesellschaftlichen Bedingungen nur noch in flüchtigen Eventformen erlebbar ist, soll Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen sein.
1 Annäherungen an das Thema – Drei Beispiele Spencer Tunicks Körperinstallationen. Regelmäßig seit 1999 versammeln sich an unterschiedlichen Orten der Welt Hunderte, Tausende, manchmal sogar Zehntausende von Menschen, um sich – gemeinsam mit anderen, also als Masse, – von dem amerikanischen Photographen Spencer Tunick nackt ablichten zu lassen. Am 6. Mai 2007 waren es circa 18.000 begeisterte Nackte, die sich auf dem Zòcalo, dem zentralen Platz von Mexiko-City zu einer „Körperinstallation"" zusammenfügten, am 3. Juni 2007 in Amsterdam kamen etwa 2000 Teilnehmer zusammen, um sich unter anderem in einem mehrstöckigen Parkhaus ohne Kleider zu prä sentieren und am 18. und 19. August 2007 – vorerst zum letzten Mal – ließen in Zusammenarbeit mit Greenpeace 600 ökologisch Bewegte auf dem Aletschgletscher in der Schweiz die Hüllen fallen.
Tunicks Photo-Shootings, über die die Medien regelmäßig und breit berichten, werden inzwischen getragen von einer begeisterten Anhängerschaft, die zu den unterschiedlichen Aktionen teilweise aus der ganzen Welt anreist. Es sind Menschen aller Alterstufen und aller sozialen Schichten, Eltern mit ihren Kindern, Jugendliche, aber auch ältere Menschen, Lehrer, Rechtsanwälte, Stahlkocher, Polizisten, Musiker, Gärtner und Pfarrer, die sich für Tunick ausziehen, um „Teil eines großartigen Kunsterlebnisses"" zu sein.
Die meisten der Teilnehmer kennen sich nicht, sie melden sich über das Internet für die Shootings an, reisen selbstständig und auf eigene Kosten dazu an, bilden für den Moment eine große „nackte Gemeinschaft"", kehren danach in ihren Alltag zurück, schwärmen in Chat-Rooms über das „phantastische Erlebnis"", bekennen, wie „glücklich"" sie sind, dabei gewesen zu sein, und freuen sich auf das nächste (vgl.
www.spencertunick.com).
Die Weltjugendtage der Katholischen Kirche. Seit mehr als 20 Jahren treffen sich im Abstand von 2 oder 3 Jahren junge Katholiken an unterschiedlichen Orten der Welt, um gemeinsam mit ihrem Oberhaupt, dem Papst, ein „Fest des Glaubens"" zu feiern. Die letzte dieser katholischen „Megaparties"" (vgl. Forschungskonsortium 2007) fand 2005 in Köln statt mit circa 400.000 festangemeldeten Besuchern und etwa 1 Million Teilnehmern an der Abschlußmesse mit dem Papst als „Superstar"". In Sydney, wo 2008 der nächste Weltjugendtag inszeniert werden wird, rechnen die Organisatoren wenigstens mit der gleichen Besucherzahl, wenn nicht mit mehr."