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Das Geld als Motiv in Arthur Schnitzlers Monolognovelle 'Fräulein Else'

Vom Eros oeconomicus und der schamlosen Kanaille vom Cimone della Pala

AutorDaniel Schürmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl51 Seiten
ISBN9783668159020
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Universität Kassel (Institut für Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Wenn Arthur Schnitzlers Monolognovelle Fräulein Else im Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Arbeit unter dem Gesichtspunkt eines Geldmotivs zu interpretieren ist, rekurrieren die Begriffe des Interpretaments auf zumindest dreierlei Problemkomplexe, die sich mit folgenden Fragestellungen kennzeichnen lassen: was ist Geld; was ist ein Motiv; wie oder als was ist ein Geldmotiv in der sogenannte 'Monolognovelle' Fräulein Else zu denken? Die folgenden Ausführungen stellen den Versuch dar, in der dritten Frage eine Konkretisierung zu leisten, wobei die Gegenstände der beiden ersten nur insoweit theoretisch fundiert werden, als es sie geeignet macht, sich in der Darstellung des Themas als heuristisches Mittel umzusetzen. Die Darstellungsmethode beruht auf der Annahme, dass das Ich seinem inneren Antrieb nach im Geld ein Objekt zur Identifizierung vorfindet. Als Motiv wird zunächst die Quelle eines Drangs und als Geld ein dem subjektiven Drang vorstehendes Bild aufgefasst. Der Motivbegriff kommt zum Tragen, insofern von ihm her die Handlungsstruktur der Novelle aufgrund von Widersprüchen zu beschreiben ist, die im Geldbegriff angelegt sind. Dass das Geldmotiv aber in dieser Weise als Chiffre der Umsetzung eines inneren Drangs aufgefasst wird, trägt dem Umstand Rechnung, der im Begriff von der Monolognovelle enthalten ist.

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Leseprobe

III. Hauptteil


 

A. Erster Teil


 

1. Entwurf des Geldmotivs


 

Es soll nun genauer herausgestellt werden, was unter einem Geldmotiv überhaupt zu verstehen ist. Es will nämlich scheinen, als ob das Geld als schlichtes Faktum betrachtet als Motiv nicht in Frage käme. Dass sich weitere Komponenten hinzugesellen müssten, um aus dem Geld ein Motiv zu machen, etwa die Komponente des Mangels. Doch dem ist nicht so. Denn gerade die Komponente des Mangels ist der Erscheinung des Geldes präponderant. Der Betrachter sieht das Geld in die Materie hinein, die für ihn und andere die Bedeutung trägt, Geld in seiner physischen Form zu sein, gleich gut, ob in Gestalt von Muscheln, Goldmünzen oder bedruckten Papierscheinen. Im Grundsatz „Quidquid recipitur, recipitur ad modum recipientis“ verbindet sich die mythische Figur des Midas mit dem Geld. Die Internalisierung des Bedürfnisses nach ihm konstituiert einen unstillbaren Wunsch als Invertierung eines fundamentalen Mangels, der durch nichts anderes als durch Geld, durch Geld aber schon gerade nicht zu stillen oder zu beheben ist.

 

Wenn einem Motiv, wie Elisabeth Frenzel postuliert, „eine movierende und amalgamierende Kraft“[25], bzw. eine „Spannung zur Umwelt, also eine dialektische Situation“[26] eignen soll, um als Motiv in Betracht zu kommen, so erscheint das Geld in Fräulein Else als ein geradezu idealtypisches. Einerseits durchdringt und bestimmt es als „durchaus konkretes, inhaltliches, situationsmäßiges Element“ „das Ganze des Stofflichen“, erscheint aber andererseits weder an irgend einer Stelle als Konkretum, als äußeres, die Sinne der Figuren affizierendes Reizobjekt, noch verbände sich mit ihm die Absicht seiner physischen Inbesitznahme. Das durch seine Wertaufbewahrungsfunktion gesetzte Geld ist dem vergänglichen Leben in Materie und Gehalt gewissermaßen über. Seine Herrschaft gründet jenseits der zeitlichen Grenzen einer menschlichen Existenz, vom Off her übt es sie aus. So ist auch das Motiv des Geldes durch seine Transzendenz strukturimmanent.

 

Wenn als Motiv zunächst der im Bild einer Sache ausgedrückte Beweggrund für die Handlung einer Figur gelten soll,[27] so stellt sich im Zusammenhang mit der Formeigenschaft der Monolognovelle die Frage nach der Quidität des im Geld sich darstellenden Motivs. Denn auf der diegetischen Ebene stellt sich Geld weder materiell dar, noch stünde es der narrativen Instanz als extradiegetisches Handlungsziel vor Augen. In Fräulein Else spielt das Geld ausschließlich eine imaginäre Rolle:

 

Zunächst ist es nicht Else, die mit Abschluss der Transaktion einen Geldeingang zu quittieren hätte. Die Mutter setzt in ihrem zweiten Telegramm den die Summe fast verdoppelnden Draufschlag von 20.000 Gulden fest, wie sich für Else der Gedanke an den Zahlungsempfänger in der leitmotivischen Wendung „Adresse bleibt Fiala“[28].

 

Seine besondere Funktion erfüllt das Geld hierbei nicht als Zirkulations-, bzw. Tauschmittel, sondern als „Zahlungs-, Kredit- und Wertaufbewahrungsmittel“[29]. Im Text wird diese Unterscheidung implizit getroffen. So wird im ersten Telegramm der Mutter zunächst der sechste und zwei Sätze später der fünfte September als Termin benannt, an dem „das Geld da sein“[30], bzw. „in Fialas Händen“ sein muss. Auszuhändigen ist hier ein Finanzinstrument zur Übertragung von Buchgeld; eines Zahlungsmittels, das als volkswirtschaftliches Aggregat dem Bargeld gegenübersteht. Im bargeldlosen Zahlungsverkehr ist die Geldschuld des Schuldners erfüllt, sobald dem Gläubigerkonto der geschuldete Geldbetrag gutgeschrieben ist. Und dieser Vorgang nimmt die Zeit von womöglich einem Tag in Anspruch.[31]

 

Das Bestimmende des Geldes haftet dem Geld also nicht als solchem, d. h. dem Material eines als äußeres Objekt gegebenen allgemeinen Tauschmittels an. Vielmehr gibt sich Else aufgrund der im Telegramm geschilderten Notlage Geld als Vorstellungsinhalt als Motiv ein, das auf diese Weise mit inneren Spannungen besetzt ist und eine impulsgebende Kraft besitzt, die Else in das Bestreben setzt, die Spannung abzubauen und dabei auf ein äußeres Objekt hinlenkt, das ihr zunächst in Dorsday und später in ihrem Spiegelbild als Gleichsetzung des Geldes erscheint.

 

a. Die Kalbsperson im Kuhkörper

 

Aufgrund der „unangenehmen Nachricht“, die Else in ihre „schönen Ferialwochen“[32] 'hineinplatzt', zeichnet sich folgende Lage ab: Elses Vater befindet sich in Schwierigkeiten, die sich mit der Summe von dreißigtausend Gulden beziffern lassen. Sind die nicht innerhalb von drei, respektive vier Tagen vorliegend, „ist alles verloren“[33], denn der Staatsanwalt Fiala drängt auf Verhaftung. Doch nicht nur, dass dem Vater das Gefängnis droht – da er als „ein berühmter Advokat“[34] Mündelgelder an der Börse verlor, winkt noch der Skandal. Else räsoniert:

 

„Er (ein ehemaliger Klient ihres Vaters) hat jedenfalls nur gestohlen, keine Mündelgelder veruntreut, um Bakkarat zu spielen und auf der Börse zu spekulieren. Und jetzt wird der Papa selber vor den Geschworenen stehen. In allen Zeitungen wird man es lesen.“[35]

 

Es besteht weder Aussicht darauf, weiteren Aufschub zu erhalten, noch darauf, dass Geld von Verwandten oder Bekannten zu bekommen. Elses Mitteilung von der Anwesenheit Dorsdays kommt in dieser Situation wie gerufen:

 

„Darum hab' ich mir gedacht, ob du uns nicht die Liebe erweisen und mit Dorsday reden könntest. (…) Dich hat er ja immer besonders gern gehabt. (…) Und da Papa seit den achttausend glücklicherweise nicht mehr an ihn herangetreten ist, so wird er ihm diesen Liebesdienst nicht verweigern.“[36]

 

Die Wiederbeschaffung des Geldes soll der Rettung des Vaters und dem Erhalt der Möglichkeit dienen, das Leben dem alten Muster nach fortzuführen. Während die Mutter meint, mit dem Geld sei für immer ein Zustand des Wohlstands gesichert, befürchtet Else, das Geld werde allenfalls für die Dauer eines Vierteljahres die Bedrohung des Untergangs fernhalten.[37] Elses Erwartung scheint die realistische, die Hoffnung ihrer Mutter illusorisch zu sein.

 

Als Else den Brief ihrer Mutter gelesen hat und an Dorsday denkt, spielt der Geldbesitz seiner Person das bestimmende Merkmal zu: „Muß es gerade Dorsday sein? Gibt es denn wirklich nur diesen Dorsday auf der Welt, der dreißigtausend Gulden hat?“[38] Else tritt Dorsday als „Fürbitterin“[39] ihres Vaters gegenüber. Ihre Erscheinung gibt ihm Anlass zu einer Art Gegenbitte, die sich auf sie bezieht und zu der er erklärt:

 

Sie sehen mich an, Else, als wenn ich verrückt wäre. Ich bin es vielleicht ein wenig, denn es geht ein Zauber von Ihnen aus, Else, den Sie selbst wohl nicht ahnen. Sie müssen fühlen, Else, daß meine Bitte keine Beleidigung bedeutet (…) ich bin nur ein Mensch, der mancherlei Erfahrungen gemacht hat, - unter andern die, daß alles auf der Welt seinen Preis hat und daß einer, der sein Geld verschenkt, wenn er in der Lage ist, einen Gegenwert dafür zu bekommen, ein ausgemachter Narr ist. Und – was ich mir diesmal kaufen will, Else, soviel es auch ist, Sie werden nicht ärmer dadurch, daß sie es verkaufen.“[40]

 

Entscheidend ist, dass sich Dorsdays Rede vom Preis auf die Inanspruchnahme seiner Person in ihrem Erscheinen als Geld bezieht. Er will sich nicht verschenken, da er „in der Lage ist, einen Gegenwert“ für sich zu erhalten.[41] Und er meint, dass er ein Narr sei, ließe er die Gelegenheit verstreichen. In Tätigung der Überweisung von dreißigtausend Gulden will er sich zu einem Preis verkaufen, den Else zu zahlen hat. Als Zahlungsempfängerin kommt sie nicht in Betracht. Als „Fürbitterin“ hat sie aber den Preis für das zu bezahlen, worum sie bittet. Die Inanspruchnahme von Dorsdays Person als Geld korrespondiert mit der Inanspruchnahme von Elses Körper als Geld. Dorsdays Vertrag sieht nach dem Grundsatz des du ut des vor, dass Else den Verkauf seiner Person durch die Enthüllung der Reize ihres Körpers indiziert. Während er das Geld, für das er in Anspruch genommen wird, personifiziert, soll sie das Geld, das seiner Bezahlung dient, verköpern, wobei ein nicht unwesentlicher, im Folgenden noch näher zu untersuchender Moment darin liegt, dass Dorsday für den Akt ihrer Inkorporation in ihre Geldgestalt die Abgeschiedenheit des Privaten vorsieht. Die Assoziation, dass er zu ihr „(w)ie zu einer Sklavin spricht“[42], drückt die Konsequenz dieser Rahmenbedingung aus. Dass ihre Enthüllung die Bedeutung vom körperlichen Erscheinen des Geldes trägt, wird indes bereits an früherer Stelle deutlich. In Reaktion auf Dorsdays dem Entgleiten ins Komische kaum zu rettender Offerte „Je vous désire“[43] führt sie zunächst ihre Gedanken aus: „Ich gehe, ich gehe ohne Gruß. –“[44] Kommt dann aber dem Insistieren des Nacheilenden Dorsday nach, bleibt 'wirklich' stehen und harrt im Affektaussetzer phlegmatisch...

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