Prolog
Von Bastian Obermayer
»Pling«.
Wir sind seit drei Tagen bei meinen Eltern zu Besuch, meine Frau, unsere Kinder und ich, und seit zwei Tagen sind alle krank. Alle außer mir. Es ist zehn Uhr abends, und nachdem der letzte Patient gestreichelt und der letzte Tee verteilt ist, setze ich mich an den Esstisch, klappe meinen Laptop auf und lege mein Smartphone daneben.
Dann macht es »pling«. Eine neue Nachricht.
[john doe]: | Hallo. Hier spricht John Doe. Interessiert an Daten? Ich teile gerne.[*] |
»John Doe« ist so etwas wie die englische Entsprechung von Max Mustermann und wird in Großbritannien seit Jahrhunderten verwendet, auch in Kanada und den USA. In Gerichtsprozessen etwa werden Personen, deren wahre Identität nicht enthüllt werden darf, »John Doe« genannt. Oder unbekannte Tote, die irgendwo aufgefunden werden. Inzwischen gibt es aber längst auch Bands, Fernsehserien und Produkte, die »John Doe« heißen.
John Doe ist also eine Tarnidentität, ein Irgendwer. Ein Irgendwer, der offenbar geheime Daten anbietet.
it einem solchen Angebot macht man jeden Investigativjournalisten hellwach, und zwar auf der Stelle. Geheime Daten sind immer gut. Wir haben bei der Süddeutschen Zeitung in den vergangenen drei Jahren eine Menge Geschichten gemacht, die auf zugespielten – oder wie man auch sagt: geleakten – Daten basiert haben: mal ging es um Steuergeheimnisse in der Karibik (Offshore-Leaks), mal um geheime Schweizer Konten (Swiss-Leaks), ein andermal um Luxemburgs Steuertricks (Lux-Leaks). Das System ist immer das gleiche: Irgendwo fließt eine größere Menge geheimer Daten ab – und landet in den Händen von Journalisten. Bei größeren Mengen geheimer Daten ist rein statistisch die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass gute Geschichten darin stecken.
Außerdem: Man sucht oft wochenlang nach einer bestimmten Quelle, manchmal sogar Monate. Wenn sich also schon mal eine potenzielle Quelle von selbst meldet, sollte man schnell antworten. Zumindest sollte man antworten. Kaum etwas wäre ärgerlicher, als im Spiegel oder der Zeit eine Geschichte zu finden, die uns zuerst angeboten wurde.
[obermayer]: | Hallo zurück. Ich bin sehr interessiert, natürlich. |
Die wenigsten guten Quellen erkennt man sofort. Schlechte Quellen eher, jedenfalls durchgedrehte oder verwirrte – nämlich an ebensolchen Mails. Zwar können auch Durchgeknallte gute Geschichten kennen, es ist allerdings die Ausnahme.
Daten haben den Vorteil: Sie sind nicht wichtigtuerisch oder geschwätzig, sie haben keine Mission und keine Manipulationsabsichten. Sie sind erst mal nur da, und sie sind überprüfbar. Jeden guten Datensatz kann man an der Realität abgleichen – und genau das sollte man als Journalist auch tun, bevor man darüber schreibt. Außerdem muss man irgendwann genau überlegen, über welchen Teil der Daten man berichtet.
Das ist der Unterschied zu Wikileaks. Die Betreiber der Enthüllungsplattform stellen Datensätze oft einfach so ins Netz, ohne sie journalistisch zu filtern. Das ist die Idee dahinter. Keine ganz schlechte, übrigens.
[obermayer]: | Wie kommen wir an die Daten? |
[john doe]: | Damit wäre ich gern behilflich, aber es gibt ein paar Bedingungen. Als Erstes müssen Sie verstehen, wie gefährlich und sensibel manche der Informationen aus den Daten sind. Mein Leben ist in Gefahr, wenn meine Identität offengelegt wird. Dann habe ich in den vergangenen Wochen darüber nachgedacht, wie das hier laufen kann. Wir werden verschlüsselt kommunizieren. Es wird kein Treffen geben. Was Sie am Ende veröffentlichen, ist Ihre Entscheidung. |
Mit diesen Bedingungen kann ich leben. Natürlich lernt man jede Quelle lieber kennen, um sie einzuordnen, ihre Motivation zu verstehen. Aber für Informanten ist es oft besser, sich nicht zu zeigen. Auch in Deutschland sind Whistleblower nicht sonderlich gut geschützt, und jeder Einzelne, der die Identität eines Informanten kennt, ist eine potenzielle Gefahr. Auch oder besonders, wenn dieser Einzelne ein Journalist ist.
Aber die Quelle kommuniziert knapp und klar, dann kann ich das auch. Da hat jemand offenbar etwas, das er oder sie loswerden möchte. Gern hier, bei mir:
[obermayer]: | Okay. Wie machen wir die Übergabe? |
Ich schicke meine Kontaktdaten für weitere Arten verschlüsselter Kommunikation.
Mit den nächsten Nachrichten einigen wir uns auf einen Übergabeweg, und wenig später soll über verschlüsselte Kanäle eine erste Probe folgen.
Ein gutes Zeichen: Die Quelle fragt nicht nach Geld. Ein paar Monate zuvor hatte sich jemand gemeldet, der behauptete, Aufzeichnungen über geheime Auslandskonten einer deutschen Partei zu besitzen. Kontostand angeblich: 26 Millionen Dollar. Die Sache ging eine Woche hin und her, schlechte Fotos von Bankdokumenten wurden geliefert, absurde Telefonate folgten – und dann verlangte dieser jemand am Telefon plötzlich Geld. Es ist aber so: Die Süddeutsche Zeitung bezahlt grundsätzlich nicht für Informationen. Nie. Nicht nur, weil wir das Geld nicht haben, sondern vor allem aus Prinzip. Damit sinkt gleichzeitig auch der Reiz, uns gefälschte Dokumente anzudrehen.
Man muss es nur aushalten können, in anderen Blättern dann die Geschichten zu lesen, die wir haben gehen lassen müssen. Die Geschichte des geheimen Parteikontos erschien aber weder im Spiegel noch im Stern – auch die Kollegen haben sie wohl als Fälschung eingeschätzt, wenn sie ihnen denn angeboten wurde.
»Pling«.
Die Probe ist da: eine gute Handvoll Dateien, vor allem PDFs. Ich öffne die Dateien auf dem Computer und gehe eine nach der anderen durch. Es sind Gründungsunterlagen von Firmen, Verträge und Datenbankauszüge. Ich brauche ein wenig, bis ich die Zusammenhänge verstehe, aber nach einer Internetrecherche erkenne ich den Fall, um den es geht. Schauplatz ist Argentinien. Ein Staatsanwalt, José María Campagnoli, vermutet, zwielichtige Geschäftsleute hätten den Kirchners, also der damals noch amtierenden Präsidentin Cristina Kirchner und ihrem verstorbenen Ehemann Néstor, geholfen, rund 65 Millionen Dollar Staatsgelder außer Landes zu bringen. Geschehen sei dies über ein weitverzweigtes Netz von 123 Briefkastenfirmen, allesamt gegründet von einer panamaischen Kanzlei namens Mossack Fonseca, und vorwiegend in der US-Steueroase Nevada. Die Vorwürfe sind allerdings allesamt nicht bewiesen, und Cristina Kirchner bestreitet, dass die Anschuldigungen zutreffen.
Was den Fall aktuell macht, ist eine Klage, die in USA anhängig ist. Der Investmentfonds NML hat unter der Regie seines Gründers Paul Singer Millionen argentinische Staatsschulden gekauft – und dann ging das Land pleite. Die meisten Gläubiger stimmten einem Schuldenschnitt zu. NML nicht. Der Fonds klagt rund um die Welt, um argentinisches Staatsvermögen dingfest zu machen. Vor der afrikanischen Küste ließ er sogar ein argentinisches Kriegsschiff beschlagnahmen. Kriegsschiffe sind wertvoll, man kann sie verkaufen.
Die Klage in den USA, in Nevada, zielt nun auf die Offenlegung dieses Briefkastenfirmennetzes. NML will von Mossack Fonseca alle Dokumente zu den 123 Briefkastenfirmen bekommen. Ein Teil davon ist jetzt vor mir auf dem Bildschirm – es sind jene Unterlagen, denen die NML schon seit Jahren erfolglos hinterherjagt. Und schnell wird klar: Es geht um Zahlungen in Millionenhöhe.
Sechs Millionen Dollar gehen laut der Unterlagen auf ein Konto der Deutschen Bank in Hamburg. Der Vertrag dazu wirkt auf den ersten Blick verdächtig, es geht um eine Provision im Glücksspielgeschäft.
Zwei weitere Dokumente zeigen die wahren Eigentümer von zweien der Firmen, deren Dokumente NML einklagen möchte. Diese Dokumente würden das Gerichtsverfahren auf einen Schlag einen großen Schritt weiterbringen.
Das Interessante ist: Alle Dokumente scheinen aus derselben Kanzlei zu kommen. Mossack Fonseca kenne ich, aber nur als unüberwindbare Wand. Als schwarzes Loch. Wann immer unsere Recherchen uns zu der Kanzlei geführt haben, war genau da Schluss. Mossack Fonseca ist einer der größten Anbieter anonymer Briefkastenfirmen, und nicht gerade berühmt dafür, sich seine Kunden zögerlich auszusuchen. Eher das Gegenteil.
Auf gut Deutsch: Einige der größten Drecksäcke dieser Welt haben anonyme Offshore-Firmen von Mossack Fonseca genutzt, um ihre Geschäfte zu verschleiern. Bei den Offshore-Leaks- und Swiss-Leaks-Recherchen sind wir unter anderem auf verurteilte Drogengroßhändler und mutmaßliche Blutdiamantenhändler gestoßen, die Mossack-Fonseca-Firmen zur Verschleierung eingesetzt haben. Und wer im Internet nach den Kunden von Mossack Fonseca sucht, findet die Helfershelfer brutaler Machthaber und Mörder wie Gaddafi, Assad oder Mugabe, die angeblich mit der panamaischen Rechtsanwaltskanzlei arbeiten.
Wohlgemerkt: angeblich. Denn Mossack Fonseca bestreitet diese Zusammenarbeit, und die Kundenliste ist nicht öffentlich. Bisher jedenfalls.
[obermayer]: | Das Material scheint gut zu sein. Kann ich mehr... |