Losgehen, wenn gar nichts mehr geht
Es gibt sie überall: Patienten, die ihren Hausärzten auf der Nase herumtanzen. Die viele glückliche Jahre nach der Krebsdiagnose weiterleben – obwohl ihnen nur wenige Wochen vorausgesagt wurden. Patienten, die den Orthopäden auslachen. Die locker den Marathon laufen – einen nach dem anderen, und das, obwohl das mit ihrem kaputten Knie » eigentlich« gar nicht geht. Patienten, die ihren Psychologen verblüffen. Die plötzlich souverän sind – wie ein Adler, weil sie sich mit dem richtigen Mineralwasser (Lithium!), mit jeder Menge Sonne (Vitamin D!), mit einer Extraportion Lieblingsmusik (Stress ade!) beim täglichen Lauf durchs Grüne (Sauerstoffdusche!) selbst geheilt haben. Ohne Pharma. Ganz einfach.
Ich habe das große Glück, dass Sie mir jeden Tag davon berichten. In kurzen Mails, in langen Briefen. Manchmal schicken Sie Fotos. Beweisbilder. Da winkt der Ex-Rollifahrer vom Segelboot: stehend, blitzvergnügt. Da zeigt sich der Mittfünfziger grinsend am Strand: mit Badehose, ohne Körperfett. Da läuft die Großfamilie über die Wiese: mit Opa in der Mitte, der entgegen allen Prognosen sein Asthma, seine Herzbeschwerden losgeworden ist.
Patienten also, die gesund werden, obwohl niemand daran geglaubt hat. Außer ihnen selbst und ihren Verbündeten. Weil sie den richtigen Weg gegangen sind. Ihren individuellen Weg zur Heilung. Die Ausgangspunkte könnten unterschiedlicher nicht sein:
Manche Patienten halten sich für einen derartig seltenen Sonderfall, dass sie eine Heilung praktisch für sich ausschließen – bis sie dann doch umdenken. Andere leiden tatsächlich körperlich unter knirschenden Gelenken und kaputten Knochen – setzen sich dann aber trotzdem in Bewegung. Wieder andere sind seelisch » im Keller« – finden dann aber doch einen Weg zurück ins Sonnenlicht. Viele haben die Kontrolle über ihr Leben verloren – und treten dennoch entschlossen ans Steuer.
Seltene Sonderfälle
Der Weg zur Heilung kann ziemlich steinig sein. Vor allem der Start gestaltet sich oft schwierig. Da wird abgewiegelt, da wird abgestritten, da werden klar bewiesene medizinische Zusammenhänge für falsch erklärt. Ein oft gewählter Weg besteht darin, sich selbst für einen sehr, sehr seltenen Sonderfall zu erklären, für den völlig andere Naturgesetze gelten als für den Rest der Weltbevölkerung.
Für einen solchen Sonderfall hält sich auch eine bemerkenswerte Schweizer Persönlichkeit namens Jean Nuttli. Der nach eigener Einschätzung an einer » seltenen Stoffwechselkrankheit« leidet: » Wenn ich eine Pizza esse und dazu ein Cola trinke, bin ich gleich zwei Kilo schwerer.« Meint Nuttli. Ob er selbst ernsthaft daran glaubt, vermag ich nicht zu sagen. Immerhin behauptet er nicht, dass ihm diese zwei Kilo allein durch einen Blick in den Kühlschrank zufliegen. So etwas hört man ja auch gelegentlich.
Scherz beiseite. Jean Nuttli muss man ernst nehmen. Er ist tatsächlich eine Ausnahmepersönlichkeit. Staunen Sie mit: Mit 22 Jahren wiegt er 125 Kilo bei 45 Prozent Körperfett. Ist also ziemlich umfangreich. An diesem Punkt sagt er » Ja«. So soll es nicht mehr weitergehen. So will er nicht mehr weiterleben. » Man wird ja angepöbelt und gemobbt, wenn man so dick ist!«, ärgert er sich. Er beginnt auf dem Rad. Auf dem Ergometer. Zuerst eine Stunde täglich, dann bis zu acht Stunden. Nach sechs Monaten wiegt er nur noch 69 Kilo, Körperfett nur noch 8 Prozent. Das war 1996.
Im Jahr 2000 wird er bei den Schweizer Meisterschaften im Zeitfahren Dritter. Im Jahr 2001 Erster. 2002 knackt er den Schweizer Stundenrekord mit 47,093 Kilometern. Bis heute ist er mehr als 500 000 Radkilometer auf der Rolle gestrampelt, kann täglich 2500 Liegestütze und 2500 Sit-ups stemmen und jährlich, auf Höhenmeter umgerechnet, 400 Mal aufs Matterhorn steigen. (Quellen: » FIT for LIFE« 2/2015, S. 54 und www.radsport-news.com/sport/sportnews_32845.htm )
Was war da los? Da hat ein » Sonderfall« aufgehört, sich selbst etwas vorzumachen. Ist losgesaust mit eisernem Willen. Ist weit übers Ziel hinausgeschossen. Hat meinen größten Respekt.
Alles kaputt? Dann erst recht!
Mindestens ebenso häufig wie Sonderfällen begegne ich Mängelexemplaren. Nach dem Motto: » Alles kaputt, die Gelenke, der Rücken … Ich kann ja gar nicht!« Einerseits stimmt es ja. Jeder Mensch hat hier und da eine kleine Abweichung. Eine Rippe zu viel, einen platten Fuß, eine leichte Kurzsichtigkeit. Vielleicht sogar einen angeborenen Diabetes.
Die entscheidende Frage ist der Umgang mit dieser kleinen Abweichung. Jeder hat die Wahl: Er kann sich hinsetzen und jammern. Oder er steht auf und sagt sich: » Auch schon egal! Jetzt erst recht!« Ein magischer Satz. Der, ausgesprochen von einem Erlanger Orthopädie-Professor, mich mit 19 Jahren vom Rollstuhl befreit hat. Nach dem Motto: » Ist auch schon egal. Mehr kaputtmachen können Sie nicht. Da können Sie besser gleich Tennis spielen, als hier im Rollstuhl herumzusitzen .« Eine völlig neue Art der Medizin. Hat mich nie mehr losgelassen.
Auf diesen magischen » Egal!«-Satz bin ich im Forum unter ww w.st runz.com gestoßen (16.01.2014). Hocherfreut. Da hat ein Sportler ein kaputtes Sprunggelenk. Kaputt heißt: extreme Arthrose. Was tut man? Man versteift es, der Schmerzen wegen. Das Verfahren heißt Arthrodese. Da gibt es die Bolzungsarthrodese, die Verriegelungsarthrodese. Klingt schlimm! Ist schlimm. Hat fürchterliche Nachwirkungen. Der Sportler ist auf einen ganz anderen Trick gekommen. Hat den » Egal!«-Satz ernst genommen. Darf ich?
»Muss jetzt hier mal meine unglaubliche Freude ausdrücken. Ich habe seit einem Kletterunfall vor zehn Jahren eine hochgradige Sprunggelenksarthrose (hätte laut Ärzten schon vor Jahren eine Arthrodese bekommen sollen). Habe mich ja für gut informiert gehalten, und es war mir durchaus bewusst, dass regelmäßige Bewegung das absolut Beste für mein Gelenk ist. Aber Laufen hatte ich für mich absolut ausgeschlossen! Die bisherigen Versuche hatten immer nach zehn Minuten mit deutlichen Schmerzen geendet.
Nach dem diesjährigen Weihnachtsfest hatte ich so starke Schmerzen, dass ich in der Früh nicht einmal normal gehen konnte. Da hab ich mir gedacht: Auch schon egal! Und habe mit dem Vorfußlauf begonnen. Den genauen Verlauf möchte ich euch ersparen, aber: Ich bin gestern zehn Kilometer gelaufen und heute in der Früh ohne Schmerzen aufgestanden!!! Für mich ist das ein Wunder.«
Ein Wunder? Ganz und gar nicht. Das ist nur korrektes Verhalten. In diesem Fall: Vorfußlauf. Will sagen: Ihre Gelenke und allem voran Ihre Gene wollen Ihnen nichts Böses, sondern im Gegenteil: Wer sich korrekt bewegt und sich genetisch korrekt ernährt, hat eine gute Chance, gesund zu werden. Unkaputtbar gesund. Beweis? Siehe oben. Jedem Resignationsorthopäden unverständlich, der lieber künstliche Gelenke montiert oder Hyaluronsäure spritzt. Gibt es alles. Hilft nur meist alles nichts. Genauso wenig wie Schonung mit Sofa und Treppenlift.
Schluss mit der Schonhaltung! Heute wissen wir, dass Bänder, Meniskus und Knorpel im Knie unter extremer Belastung nicht zwangsläufig leiden. Bewiesen von Astrid Benöhr, die zwischen 1987 und 2005 zahlreiche Ironman-Wettkämpfe und Ultratriathlon-World-Cups absolviert und eine Menge davon gewonnen hat. Benöhr war Weltmeisterin im zehnfachen Ironman, also die weltbeste Extremsportlerin. Laut Kernspin hatte sie mit 45 Jahren noch fitte Knie. Bänder, Meniskus und insbesondere Knorpel waren völlig unversehrt. Wobei zehnfacher Ironman bedeutet, dass Sie am Stück (wirklich:...