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BauDenkmale substanziell-real und digital

- ein axiologisches Phänomen -

AutorStephan M. Bleichner
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783741248542
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Die kulturpolitische Situation zeigt deutlich, dass eine erhebliche Anzahl von Baudenkmalen vor dem drohenden substanziellen Verlust steht. Realistisch betrachtet, kann nur der geringere Teil der substanziell-realen, baulich-räumlichen, im Interesse der Öffentlichkeit stehenden Zeugnisse der Kulturgeschichte mit entsprechenden Schutzmaßnahmen der Nachwelt erhalten werden. Denkmalschutz und Denkmalpflege sind geprägt durch erhebliche Defizite im Wertbewusstsein, in unzureichenden wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten zur Erhaltung von Baudenkmalen sowie durch das Fehlen adäquater Nachnutzungen des historischen Bestandes. Mit 'Virtueller Realität' wird das neue und außergewöhnlich vielfältige Phänomen bezeichnet, das z. B. die Frage nach der ursprünglichen Form des substanziell-realen Baudenkmals angeblich zu beantworten vermag, tatsächlich aber es von einer abstrakten Beschreibung in Wort und Bild in eine immaterielle Realität transformiert. Mit virtuellen Darstellungen ist man in der Lage, Forschungsergebnisse zu präsentieren, auch ein realistisches Abbild gegenwärtiger oder vergangener Zustände eines Baudenkmals zu vermitteln.

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Leseprobe

2. ELEKTRONISCHE VIRTUALISIERUNG VON BAUDENKMALEN


Durch elektronische Virtualisierung von Baudenkmalen werden deren substanzielle Eigenschaften gleichsam losgelöst, ideelle Qualitäten verbleiben. Virtualisierte Baudenkmale sind immaterielle Objekte, die immaterielle Präsentationsformen der Vermittlung benötigen. Sie bilden auf neue Weise baulich-kulturelles Erbe ab; sie sind mobil, ephemer, nicht von substanzieller Beschaffenheit. Sie konstituieren sich aus der Verschiebung von der Substanz auf die Ebene der reinen, ausschließlichen Information. Nicht mehr das Dingliche, sondern die abstrahierte, mit technischen Apparaten generierte Information ist von Bedeutung. Der Begriff „Substitut“ erscheint vor dem Hintergrund der computergenerierten Welten in einem anderen Licht. In der Loslösung von der Materialität findet das Substitut „elektronische Virtualisierung“ seinen neuen Inhalt in der Denkmalpflege. Virtualisierte Baudenkmale sind zwar sinnlich und direkt wahrnehmbar, aber nicht mehr gegenständlich-körperlich, sondern nur noch bildlich, was, eingebettet in einer medialen Aura, eine Vielfalt authentischer Erfahrungen ermöglicht. Der interaktive Umgang mit dem virtualisierten Baudenkmal bezieht Authentizität nicht mehr auf das Objekt selbst, sondern auf den Mechanismus, der diese authentische Erfahrung auslöst. Er bietet die Gelegenheit, es in ein wahrnehmbares Erlebnis als eine Kombination des authentisch Immateriellen aus Zukunft und Vergangenheit zu transformieren mit Einwirkung auf die materielle Welt der Gegenwart.

Die elektronische Virtualisierung von Baudenkmalen oder von, dem substanziellen Verlust erlegenen historischen Gebäuden unterstützt die Erinnerung an Vergangenes, hilft, Gegenwärtiges zu entdecken, und bildet eine Grundlage, um Künftiges zu entwerfen. Die substanziellrealen Träger von Denkmalwerten sind durch ihre physische Anfälligkeit bedroht, durch Missbrauch gefährdet und erzwingen deshalb ihren Schutz. Hingegen unterliegen die durch elektronische Virtualisierung transformierten Wertträger keinen ausgesprochenen Schutzmaßnahmen, ausgenommen der Protektion der Datenträger, Vervielfältigungen und Archivierungen. Die elektronische Virtualisierung schafft eine virtuelle Realität, das bedeutet die virtuelle Kopie als „originalgetreue“, in hiesigem Zusammenhang elektronische Nachbildung auf quellenkundlich gesicherter Basis denkmalwerter Substanz. Die Quellenlage ist lückenlos. Das Zeitfenster, zu dem der derartig dokumentierte Zustand repräsentiert wird, kann entweder in der Gegenwart oder in der Vergangenheit festgelegt werden.

Die virtuelle Rekonstruktion ist eine mehr oder weniger hypothetische virtuelle Darstellung ehemaliger gestalterischer Zustände. Die historiologische Analyse liefert keine gesicherten Erkenntnisse dazu, die Quellenlage ist erheblich lückenhaft, und die Dokumentation weist erhebliche Fehlstellen auf, die sowohl durch Analogie als auch durch spekulative Vermutungen geschlossen werden können. Es muss ein Zeitfenster in der Vergangenheit festgelegt und deutlich gemacht werden, zu dem der derartig dokumentierte Zustand repräsentiert wird.

Die virtuelle Realität wird ausschließlich subjektiv als nicht reale, nicht objektiv erfassbare baulich-räumliche Situation erfahrbar gemacht. Das Gefühl der Immersion und die Möglichkeit der Interaktivität setzen die zur Verfügung stehende Technik, auch die fachliche Kompetenz der CAD- und Visualisierungsfachleute voraus. Ohne technische Geräte zur Wahrnehmung der übertragenen Daten bleibt der Betrachter von dem Gefühl, sich in dem entsprechenden Baudenkmal zu befinden, ausgeschlossen. Die Realität in der Virtualisierung am Computer als Konsequenz der Simulierung von entweder tatsächlich festgestellten Befundtatsachen an noch bestehenden Baudenkmalen oder aufgrund von historiologischen Forschungen bzw. durch Analogie vergleichbarer Objekte oder der Substanzialität, in der das Baudenkmal noch vorhanden ist, vorhanden bleibt, aber der Gefahr des substanziellen Verlustes nach der Virtualisierung erliegen könnte, bezeichnet die Spannweite, in der das hiesige Thema angesiedelt ist. Der Zusammenhang von substantiell existentem und nicht mehr vorhandenem Baudenkmal einerseits und mittels Computer generierter virtueller Realität andererseits mahnt eine eigene innere Logik und Wahrheit der elektronischen Virtualisierung an. An die Stelle des vormaligen Steinmetz tritt nun der Computertechniker. Farbe und Struktur der Oberflächen z. B. sind mittels Computertechnik darstellbar; die tatsächlichen spezifischen Eigenschaften des Baumateriales weichen jedoch von den visualisierten Materialeigenschaften ab. Die Wertträgertransformation von dreidimensionalen Objekten in zweidimensionale Abbildungen und anschließend in eine Null-Dimension durch elektronische Virtualisierungen bewirkt eine Veränderung der Bewusstseinsebene.

Als eindeutige Messkriterien für die Tauglichkeit eines Virtual-Reality-Systems (VR) können die „fünf I‘s“ (Fünf I) gelten, die im Jahre 1992 von Sherman und Judkins benannt wurden. 58 Sie bestehen aus Immersion, Interaktion, Illustration, Intensität und Intuition. Im Jahre 1996 wurde ein weiterer Ansatz für qualitative Messbestandteile, bestehend aus ästhetischen und kommunikationstheoretischen Eigenschaften, an der Universität Dortmund vorgestellt, der die quantitative Komponente der medienpädagogischen Untersuchungsmethode zur Beurteilung von virtuellen Welten erweitert.59 Bei diesem Quality Measurement Rating (QMR) beziehen sich die ästhetischen und kommunikationstheoretischen Eigenschaften auf die Inhalte und Absichten einer Virtual Reality-Installation. Diese Untersuchungsmethode setzt sich aus zwei qualitativen Komponenten (der Ästhetik und der Kommunikation) sowie einer quantitativen Komponente (die Fünf I) zusammen und erlaubt so eine umfassende Analyse von virtuellen Welten. In jüngerer Vergangenheit wurden weitere Untersuchungen hinsichtlich der Faktoren des virtuellen Architekturraumes vorgenommen.60

Durch die Immersion („Eintauchen in die virtuelle Welt“) wird dem Betrachter das Gefühl vermittelt, integriertes Teil dieser Welt zu sein. Entsprechende Schnittstellengeräte zwischen Mensch und Maschine sind bereits in Anwendung, welche die Wahrnehmung mit fast allen Sinnessysteme ermöglichen. Der Grad der Immersion steht in Abhängigkeit zur Echtzeit. Vollimmersive Systeme ermöglichen einen vollständigen Realitätswechsel; bei teil-immersiven Systemen wird die Realität nicht vollkommen von VR-Szenen ausgeblendet. Abhängig von der Qualität der immersiven Darstellung der virtuellen baulich-räumlichen und natürlichräumlichen Umwelt und dem Grad der interaktiven Mitwirkung des Betrachters, entsteht beim Benutzer die Überzeugung, Teil einer Welt zu sein und Baudenkmale wahrzunehmen, die nicht nur in seinem Bewusstsein existieren.

Die Interaktion beschreibt das Verändern und das Agieren in virtuellen Welten. Dem Betrachter wird durch Interaktion in der virtuellen Welt und den darin vorkommenden virtualisierten Baudenkmalen die Möglichkeit eröffnet, zu agieren, sogar Bauteile zu bewegen und zu verändern, das nur im Rahmen der gestalterischen Denkmalpflege statthaft ist. Der Grad der Interaktion steht in Abhängigkeit von der Echtzeit, d. h. dass die Handlungen des Anwenders dem berechneten Bild ohne Zeitverzögerungen entsprechen. Mit Interaktion wird auch die Möglichkeit mehrerer Anwender (Multiuser) bezeichnet, gleichzeitig in der virtuellen Realität zu agieren.

Unter Illustration wird die „sensorische Tiefe“ einer künstlich erzeugten natürlich-räumlichen und baulich-räumlichen Umwelt verstanden; sie beschreibt den Detailreichtum der virtuellen Realität. Das bezieht sich besonders auf das Ensemble des Baudenkmals, auf den virtuellen Ort und seine Umgebung, auf die signifikanten Merkmale derselben. Die Einbeziehung sämtlicher menschlicher Sinnessysteme in der Wahrnehmung der virtuellen Erlebnisräume (Multisensorik) basiert neben ästhetischen Merkmalen auch auf qualitativen Eigenschaften dieser Applikationen.

Die Intensität verdeutlicht den Grad der subjektiven Empfindungen in der virtuellen Realität im Vergleich mit den Geschehnissen in der realen Welt. Diese Eindringlichkeit steht in engem Zusammenhang mit den subjektiven Erfahrungshintergründen und der Einstellung des Anwenders. Die Intensität der Wahrnehmung des elektronisch generierten Baudenkmals hängt von der Reizung möglichst vieler menschlicher Sinnessysteme ab. Im Idealfall wird es in der virtuellen Realität als gleich intensiv empfunden wie als substanziell-reales Baudenkmal.

Durch Intuition muss es dem Benutzer möglich sein, die virtuelle Umgebung erfahren und erfassen zu können. Dabei ist ein der Realität entsprechendes Navigieren in der virtuellen Welt und im elektronisch erzeugten Baudenkmal, verbunden mit einer benutzerfreundlichen Führung, wichtig.

2.1. Stufen der Techniken


Es ist hier eine Antwort auf die Frage zu finden, ob es möglich sei, dem virtualisierten Denkmal eine solche Qualität garantieren zu können, die ohne Wertträgertransformationsverluste einen vollkommenen Ersatz eines Originals zu ermöglichen vermag.

2.1.1 Zum Anliegen

Das Anwendungsfeld der elektronischen Virtualisierung in der Denkmalkunde und Denkmalpflege mit Anspruch auf Wissenschaftlichkeit entstand als eigener Bereich in Korrelation zur Computergraphik. Einerseits wurde es durch das Angebot leistungsfähiger kostengünstiger Personal Computer mit einer sehr guten graphischen Darstellungsqualität und andererseits durch die Verfügbarkeit der entsprechenden Software für diese Virtualisierungs-Systeme ermöglicht, auf verschiedene Art und Weise analysierte...

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