Kapitel 1
Anmelden auf der Venus
Ich habe verstanden.
Das ist der wichtigste Satz dieses Projekts, das mit einer harmlosen Aussage in einer Talkshow begonnen hat: »Bei einer Diskussion will meine Frau nicht meine Meinung hören – sondern ihre eigene in einer tieferen Stimme.« Meine Frau allerdings fand diesen Satz ungefähr so lustig, als hätte ich ihr die Unterhose bis zu den Achseln hinaufgezogen.
Ich habe in meinem Leben nun schon ein paar Projekte absolviert: Ich habe vierzig Tage lang nicht gelogen, ich habe fünfzig verschiedene Diäten probiert, ich habe sämtliche Religionen der Welt auf Brauchbarkeit und Erlösungsgrad getestet und mich an alle Gesetze gehalten, die es in Deutschland gibt. Ich habe das freiwillig gemacht, weshalb die Vollzähligkeit der Tassen in meinem Schrank von mittlerweile sehr vielen Menschen angezweifelt wird.
Meine Frau jedoch war stets zur Teilnahme gezwungen und musste dabei bisweilen leiden wie ein Pinguin in der Sauna. Wer sagt seiner Frau schon, dass sie einen dicken Hintern hat? Wer will sie dazu verführen, es doch mal mit Voodoo und Satanismus zu versuchen? Wer zeigt sie wegen Ruhestörung an? Hanni hat eine Liste erstellt, auf welche Weise ich sie nun bereits öffentlich beleidigt habe, nur um die Verkäufe meiner Bücher zu steigern. Darauf unter anderem vermerkt: die Größe ihres Hinterns, die Größe ihres Gehirns, ihre Größe insgesamt. Ihre Fähigkeiten als Köchin, als Martial-Arts-Kämpferin, als Sportlerin überhaupt. Und nun kommt noch Kritik an ihrer Diskussionsstrategie hinzu.
Meine Frau beweist seit zehn Jahren – so lange sind wir bereits verheiratet –, dass sie hier die Märtyrerin ist. Ich stehe deshalb tief in ihrer Schuld. Ich stecke nicht nur knöcheltief drin, sondern bis zum Kinn, weil sie mich nicht nur während der Selbstversuche ertragen muss, sondern auch an allen anderen Tagen. Die Aussage in dieser Talkshow ist eine prächtige Arschbombe in das Fass, das nun nicht überläuft, sondern explodiert.
Ich habe ihr deshalb versprochen, dass sie den nächsten Selbstversuch wählen darf und ich genau das Projekt absolviere, das sie sich aussucht. Ohne Widerworte.
Finde heraus, wie es sich anfühlt, eine Frau zu sein.
Sie sagte: »Du sollst keine Frau sein oder als Frau leben – das ist völliger Quatsch. Du bist nun mal ein Mann, und das lässt sich nicht ändern. Lässt sich vielleicht schon, muss aber nicht sein. Mir würde schon reichen, wenn du Frauen verstehst.«
Ich soll Frauen verstehen.
Dazu fällt mir ein Witz ein: Ein Mann geht am Strand spazieren. Er findet im Sand eine alte, kostbar aussehende Flasche aus Kristall. Neugierig öffnet er sie, es erscheint ein riesiger Kerl mit einem Turban. »Du hast mich gerufen? Ich bin der Flaschengeist, und du hast jetzt einen Wunsch frei!«
Der Mann überlegt: »Ich wollte immer schon mal nach Amerika. Aber ich habe Flugangst und werde auch leicht seekrank. Am liebsten würde ich mit dem Auto fahren. Ich wünsche mir eine Brücke über den Atlantik!«
Der Geist sagt: »Bist du verrückt? Weißt du, wie lang so eine Brücke ist? Und wie viele Betonpfeiler man dafür braucht? Und wie hoch diese Pfeiler sein müssen? Der Ozean ist bis zu viertausend Meter tief! Wir müssten außerdem alle paar Hundert Kilometer eine Tankstelle errichten, da kein Auto eine solche Strecke ohne Auftanken zurücklegen kann. Außerdem gibt das Ärger mit Greenpeace. Hast du nicht was anderes?«
Der Mann: »Weißt du, wenn Frauen mir etwas erzählen, kann ich nie einen Zusammenhang erkennen. Und sie erwarten Dinge von mir, in denen ich keinen Sinn sehe. Mein Wunsch ist, die Frauen endlich verstehen zu können.«
Der Geist: »Diese Brücke: zweispurig oder vierspurig?«
Ich soll nun also möglichst oft sagen: Ich habe verstanden.
Das Problem ist zunächst, dass ich zu Beginn noch nicht einmal weiß, was es da überhaupt zu verstehen gibt. Mir wird seit Jahren wie vielen anderen Menschen eingeredet, dass Frauen von der Venus seien und Männer vom Mars – zwei grundverschiedene Spezies also, die einander keinesfalls verstehen können. Warum es also überhaupt versuchen? Natürlich ist das Bequemlichkeit, aber wer steigt schon in eine Rakete zur Venus, wenn er weiß, dass einen die Bewohner dort sowieso nicht kapieren? Da bleibt man doch lieber auf dem eigenen Planeten und beschwert sich darüber, dass einen die anderen nicht verstehen.
Es gibt eine ganze Industrie, von Komikern und Kolumnistinnen über geschlechtsspezifische Zeitschriften bis hin zu Psychologen und Philosophen, die wahnsinnig viel Geld mit der allgemein bekannten Tatsache umsetzt, dass sich Männer und Frauen nicht verstehen können. Warum muss ich denn nun derjenige sein, der in einen Transporter zum Mars gesteckt wird mit dem Auftrag, nützliche Erkenntnisse mit nach Hause zu bringen? Das ist eine Mission, die schon vor dem Start gescheitert ist – und genau deshalb so interessant ist.
Vor dem Abflug zur Venus schicke ich eine Botschaft zu diesem Planeten, um meinen Besuch anzukündigen und etwas über die Begebenheiten zu erfahren. Ich habe mehr als zweitausend Frauen über Facebook, Twitter und E-Mail angeschrieben, dazu habe ich Verwandte und Freunde angesprochen mit den Fragen: Was muss ein Mann erleben, damit er weiß, wie es sich anfühlt, eine Frau zu sein? Was muss er tun, um Frauen zu verstehen? Ich habe insgesamt Antworten von knapp tausend Befragten erhalten, die zwischen neun und siebenundachtzig Jahre alt waren – und es dürften so ziemlich jede gesellschaftliche Schicht und auch sehr viele Lebenslagen repräsentiert sein.
Frauen sind, auch wenn ich sie nicht verstehe, gar wunderbare Geschöpfe, Kunstwerke der Natur. Auch das weiße Album der Beatles ist ein Kunstwerk, das ich niemals komplett verstehen werde, so wie Ulysses von James Joyce oder viele Gemälde von Salvador Dalí. Das Nichtverstehen gehört zur Mystik und das Entschlüsseln des Verborgenen zu einer der spannendsten Aufgaben des Lebens.
Ich gehe deshalb in meiner männlichen Naivität davon aus, ausschließlich wunderbare Antworten auf meine einfachen Fragen zu bekommen, so wie Gespräche mit anderen Beatles-Fans oder einem Dalí-Experten erhellend und erfreulich sind. Ich stelle mir das Leben auf der Venus als ein harmonisches Beisammensein vor, dessen Idylle nur dadurch gestört wird, dass sich die Bewohner immer wieder mal auf der Erde mit diesen Aliens vom Mars treffen müssen, um den Fortbestand der Spezies zu sichern.
Ich habe diesen Typen vom Mars übrigens die gleiche Frage gestellt, nur eben in Bezug auf das Mannsein und das Männerverstehen – also: »Was muss eine Frau erleben, damit sie weiß, wie es sich anfühlt, ein Mann zu sein? Was muss sie tun, um Männer zu verstehen?« In verschiedenen Variationen habe ich immer nur diese Antwort bekommen: »Setz dich auf die Couch, kraul intensiv deine Geschlechtsteile. Dann tue fünf Minuten lang so, als würdest du deiner Freundin oder Frau zuhören, während sie dich beschimpft. Besauf dich, iss einen Burger, gucke einen Actionfilm, rede mit deinem besten Kumpel über Fußball – und dann versuche, die gerade noch nörgelnde Frau zum Sex zu überreden.« Männer finden sich und ihr Leben grundsätzlich in Ordnung, abgesehen von Beschwerden über Lieblingsverein oder Lebenspartner – wobei die Details auffällig ähnlich klingen. Von »Früher war alles besser« über »Die müssten mal wieder was tun« bis hin zu »Ich will die nicht mehr mögen, aber was soll ich machen?«.
Bisher dachte ich immer, dass Frauen zumindest sich selbst auch ganz in Ordnung finden. Ich vermutete, einzig Männer und die Folgen männlicher Anwesenheit wären der störende Teil eines ansonsten gar herrlichen und prächtigen femininen Daseins. Vor allem rechnete ich damit, dass Frauen lieber die schönen Teile ihres Lebens herausstellen, anstatt wie Männer diese Mischung aus Macho und Märtyrer zu mimen.
Aber: Dieser Planet Venus, das muss ein gar schrecklicher Ort sein. Zumindest deuten das die Botschaften der tausend Frauen an. Ich entdecke in den Antworten einen Trend, nach dem es ein Mensch kaum schlimmer treffen kann im Leben, als mit zwei X-Chromosomen ausgestattet zu sein. Das weibliche Dasein muss sich anfühlen wie eine Mischung aus Brennen im Intimbereich, extremen Schmerzen im Intimbereich, starkem Kopfweh, einem Stechen im Bauch und vor allem kalten Füßen. Dazu kommen hormonell bedingte Wutausbrüche und masochistische Selbstkasteiungen.
Den Antworten zufolge lässt sich der Unterschied zwischen Männern und Frauen ungefähr so darstellen:
Die Antworten sind nämlich nicht: »Genieße das Leben.« Oder: »Verführe deinen Partner allein durch ein Lächeln.« Oder: »Erlebe die Fähigkeit zu multiplen Orgasmen.«
Die Antworten sind: »Heißwachs in der Bikinizone.« Oder: »Stundenlang auf Dreizehn-Zentimeter-Absätzen herumlaufen.« Oder: »Mal eine anständige Migräne erleben.«
Ich rechnete mit: »Simuliere eine Schwangerschaft: Iss, was immer du willst. Ziehe die Klamotten an, auf die du Lust hast und die bequem sind. Sorge durch dreimal heftiges Stoßatmen mit einer Hand am schmerzenden Rücken dafür, dass du einen Platz im Restaurant ergatterst. Freu dich darüber, dass du keinen Strafzettel bekommst, obwohl du ihn verdient hast. Benimm dich wie ein Verrückter, sei vergesslich und verstrahlt – und werde dennoch wie eine heilige Kuh behandelt. Bekomme einen hysterischen Heulkrampf vor deinem Chef und werde dennoch nicht rausgeworfen. Und dann erlebe das Wunder der Geburt am eigenen Leib.«
Bekommen habe ich: »Simuliere eine...