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E-Book

Einführung in die Aphasiologie

AutorKatja Hußmann, Marion Grande
VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2016
ReiheForum Logopädie 
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783131990419
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Ohne Worte! Dieser Forum Logopädie-Band liefert den Schnelleinstieg in die grundlegenden Aspekte der Aphasiologie. Knapp aber differenziert wird die Symptomatik erläutert, verschiedene Modelle vermitteln die komplexe Sprachverarbeitung bei Sprachgesunden und bei Menschen mit Aphasie. - Im Mittelpunkt steht der psycholinguistische Erklärungsansatz. - Beispielhafte Therapieplanung anhand von ausgewählten Fallbeispielen. - Jetzt mit Online-Materialien: Übungen, Fallbeispiele, eine Übersicht über Diagnostikverfahren sowie Beispiele für Therapieziele nach ICF-Kriterien. Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

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Leseprobe

1 Definitionen und Klassifikationen


1.1 Einleitung


Das ist urplötzlich gekommen. Ich war gerade 8 Tage von Urlaub in Frankreich zurück ... 8 Tage war das. Da habe ich abends einen Brief noch geschrieben, nach Polen. Mein Mann ging gegen 10 Uhr zu Bett, und ich sag „Ich werd noch zu Ende schreiben.“ Und dann kam das ... und dann kam das kurz vor 11. Da war ich ganz plötzlich irgendwie unlustig oder müde geworden, dass ich dacht: „Nee, den Brief machst du morgen früh zu Ende.“ Und dann habe ich Licht ausgemacht und bin zur Toilette. Von da an weiß ich nichts mehr ... Ich muss wohl hingefallen sein. Und mein Mann kommt erst morgens und sagt: „Was ist mit dir?“ Und da merk ich, dass ich nicht mehr sprechen konnte ... Von da an weiß ich wieder nichts mehr. Ich war wohl gar nicht im Bett gewesen. Das haben sie mir aber erst paar Wochen später erzählt.

In diesem aus Huber 2013 ▶ [103] entnommenen Zitat einer 44-jährigen Patientin kommt deutlich zum Ausdruck, dass eine Aphasie, hier infolge eines Schlaganfalles, ganz plötzlich auftritt. Sie führt häufig zunächst zu einer völligen Unfähigkeit zu sprechen.

Im Folgenden soll Aphasie definiert und gegen andere Störungen abgegrenzt werden. Im Anschluss werden gängige Klassifikationsmodelle vorgestellt.

1.2 Definitionen der Aphasie


Aphasien sind im Allgemeinen definiert als erworbene Sprachstörungen, die infolge einer hirnorganischen Erkrankung auftreten und die 4 sprachlichen Modalitäten betreffen können (vgl. u.a. ▶ [103], aber auch ▶ [141] für eine Gegenüberstellung unterschiedlich umfassender Definitionen):

  • Verstehen

  • Sprechen

  • Lesen

  • Schreiben

Der Aphasie liegt eine Hirnschädigung zugrunde, meist eine plötzlich auftretende, umschriebene kortikale Läsion. Diese Schädigung grenzt aphasische Fehlleistungen von sprachlichen Fehlleistungen bei Sprachgesunden ab, wie beispielsweise Versprechern bei Müdigkeit, Ausdrucksschwierigkeiten unter Stress oder Sprechangst.

Merke

Bei einer Aphasie handelt es sich nicht um eine Denkstörung! In der Regel sind Intelligenz und Persönlichkeit des Patienten nicht von der Störung betroffen.

1.2.1 Aphasien bei Kindern


Aphasien treten vorwiegend bei Erwachsenen auf, es gibt jedoch auch Aphasien bei Kindern. Hiermit werden Sprachstörungen beschrieben, die im Kindesalter als Folge einer Hirnschädigung auftreten und damit von den Sprachentwicklungsstörungen abgegrenzt werden. Wesentlicher Unterschied zur Aphasie bei Erwachsenen ist: Der Spracherwerb bei kindlicher Aphasie ist in der Regel noch nicht abgeschlossen. Hierdurch ergibt sich sowohl hinsichtlich der Symptomatik als auch hinsichtlich des Verlaufs ein anderes Bild als bei den Erwachsenen ( ▶ [128], ▶ [177] und ▶ [206]). Das vorliegende Buch bezieht sich jedoch vorrangig auf Aphasien nach abgeschlossenem Spracherwerb.

Merke

Aphasien sind erworbene Sprachstörungen, die als Folge einer Hirnschädigung auftreten.

1.2.2 Aphasie bei Mehrsprachigkeit


Durch die zunehmende Anzahl von Menschen, die in mehrsprachigen Kontexten aufwachsen bzw. leben, gewinnt das Thema Aphasie bei Mehrsprachigkeit immer mehr an Bedeutung. Bilinguale Sprecher greifen nicht auf 2 völlig getrennte Sprachsysteme zu, sondern die Sprachen beeinflussen sich gegenseitig. Dies führt zu besonderen Implikationen bei mehrsprachigen Patienten mit Aphasie (für einen ausführlichen Überblick vgl. ▶ [7], ▶ [152]).

1.2.3 Degenerative Erkrankungen


Mit der ursprünglichen Annahme, dass die Ursache der Aphasie plötzlich auftritt (z.B. bei einem Schlaganfall), sollten degenerative Erkrankungen des Gehirns als Ursache ausgeschlossen werden (s.a. die Definition von ▶ [48]). In den vergangenen Jahren rücken jedoch auch sprachliche Abbauprozesse im Rahmen einer degenerativen Erkrankung in den Fokus der Aphasieforschung. Im anglo-amerikanischen Raum werden sowohl zerebrovaskulär bedingte als auch durch progrediente Erkrankungen hervorgerufene Sprachstörungen unter dem Begriff „Aphasie“ zusammengefasst. Abel und Lange ▶ [2] weisen darauf hin, dass Unterschiede in Erkrankungsbeginn, Ätiologie, Verlauf, Schädigungsmuster und charakteristischen Begleitstörungen zwar für eine begriffliche Trennung sprechen. Hinsichtlich der Schädigungsorte und der sprachlichen Symptomatik gibt es aber deutliche Überschneidungen. Sie schlagen daher die Begriffe „gefäßbedingte Aphasie“ und „demenzbedingte/progrediente“ Aphasie vor.

Je nachdem, wie lange das auslösende Ereignis zurückliegt, spricht man von akuter, postakuter oder chronischer Aphasie. Diese sind wie folgt definiert ( ▶ [14], ▶ [192]):

  • Akute Aphasien betreffen den Zeitraum der ersten 2–6 Wochen nach dem verursachenden Ereignis. In dieser Zeit können sich aphasische Zustände sehr schnell verändern.

  • Der postakute Zustand steht zwischen akuter und chronischer Phase. Die zeitlichen Zuordnungen variieren, wobei üblicherweise der Zeitraum 4 Wochen bis 4 Monate nach dem auslösenden Ereignis als früh postakut bezeichnet wird. Der Zeitraum von 5–12 Monaten nach dem Ereignis als spät postakut.

  • Erst nach 12 Monaten tritt der chronische Zustand ein.

In den üblichen Definitionen der Aphasie sind postakute und/oder chronische Aphasien gemeint. Mit diesen beschäftigt sich auch der Großteil des vorliegenden Buches.

Merke

Man unterscheidet zwischen akuten, postakuten und chronischen Aphasien.

1.3 Abgrenzung der Aphasie zu anderen Kommunikationsstörungen


1.3.1 Nicht-aphasische Kommunikationsstörungen


Auch kognitive Beeinträchtigungen, die nicht im engeren Sinne als sprachlich bezeichnet werden können, führen teilweise zu Auffälligkeiten in der Kommunikation. Daher ist die Abgrenzung zu den nicht-aphasischen Kommunikationsstörungen wichtig. Diese treten häufig nach rechtshemisphärischer Schädigung auf und äußern sich z.B. durch Auffälligkeiten im Gesprächsverhalten (vgl. ▶ [177]). Bei diesen Patienten liegen Probleme im Sprachverhalten eher auf der pragmatischen Ebene und beim Aufbau von Makrostrukturen auf der Textebene. Zentrale linguistische Ebenen wie Syntax, Phonologie und Semantik sind weniger beeinträchtigt.

1.3.2 Psychiatrische Erkrankungen


Abzugrenzen von aphasischen Störungen sind auch Sprachstörungen bei psychiatrischen Erkrankungen, insbesondere bei Schizophrenie. Hier kann es sowohl zu sogenannten negativen als auch zu positiven sprachlichen Symptomen kommen. Darunter fallen sowohl Spracharmut als auch überschießende Sprachproduktion, bis hin zur Schizophasie ▶ [124].

1.3.3 Neurogene Sprechstörungen


Zu den neurogenen Sprechstörungen zählen (vgl. ▶ [220]):

  • die Dysarthrie: eine Störung der motorischen Steuerung und Ausführung von Sprechbewegungen

  • die Sprechapraxie: eine Störung der Planung von Sprechbewegungen

Die Trennung zur Aphasie ist differenzialdiagnostisch über die Schriftsprache und das Verstehen abzuklären. Rein dysarthrische Personen können ohne Schwierigkeiten lesen, schreiben und verstehen. Sie haben auch keine primären phonologischen, morphologischen, syntaktischen oder semantischen Probleme. Auf der lautlichen Seite zeigen dysarthrische Personen eine hohe...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Marion Grande Katja Hußmann: Einführung in die Aphasiologie1
Innentitel4
Impressum5
Vorwort der Herausgeberinnen6
Vorwort zur 3. Auflage7
Vorwort zur 1. Auflage8
Inhaltsverzeichnis9
Anschriften12
1 Definitionen und Klassifikationen14
Einleitung14
Definitionen der Aphasie14
Aphasien bei Kindern14
Aphasie bei Mehrsprachigkeit14
Degenerative Erkrankungen15
Abgrenzung der Aphasie zu anderen Kommunikationsstörungen15
Nicht-aphasische Kommunikationsstörungen15
Psychiatrische Erkrankungen15
Neurogene Sprechstörungen15
Klassifikationen16
Konzept des Individualsyndroms16
Klassifikationskriterien16
Fazit17
2 Symptome und Syndrome19
Aphasische Symptome19
Spontansprache19
Laut- und Silbenebene19
Wortebene21
Satzebene24
Textebene26
Redefluss und Sprechablauf26
Nicht-propositionale Sprache27
Sprachverständnis28
Pragmatik und Kommunikation29
Textanalyse29
Informationsgehalt29
Schriftsprache30
Paralexien und Paragrafien30
Neurologische und neuropsychologische Begleitstörungen32
Linguistische Fehleranalyse in der Diagnostik32
Lautebene32
Wortebene33
Satzebene34
Textebene34
Schriftsprache35
Syndromansatz und kognitiver Ansatz35
Der Syndromansatz35
Der kognitiv orientierte Ansatz36
Fazit36
3 Ursache und neurobiologische Grundlagen der Aphasie39
Einleitung39
Gehirnaufbau und -funktion39
Aufbau39
Blutversorgung40
Ursachen41
Verlauf und Prognose42
Verlauf43
Prognose43
Sprachverarbeitung im Gehirn44
Normale Sprachverarbeitung44
Funktionelle Rückbildung45
Fazit46
4 Normale und aphasische Sprachverarbeitung48
Grundlegende Annahmen48
Psycholinguistische Modelle48
Serielle Modelle48
Interaktive Modelle49
Serielle und interaktive Verarbeitung im Vergleich49
Empirische Befunde50
Potential und Grenzen psycholinguistischer Modelle51
Einzelwortverarbeitung52
Logogen-Modell52
Aphasische Einzelwortverarbeitung58
Beschränkungen und Erweiterungsversuche des Logogen-Modells63
Satz- und Äußerungsproduktion63
Satzproduktionsmodell von Garrett64
Äußerungsproduktionsmodell von Levelt65
Aphasische Satz- und Äußerungsproduktion66
Sprachverstehen68
Top-down und Bottom-up68
Pragmatik69
Inferenzen69
Modell von Friederici69
Modell von Levelt70
Sprachverständnis bei Aphasie71
Fazit72
5 Diagnostik und Therapieplanung74
Grundlegende Voraussetzung74
Diagnostik74
Anamnesegespräch74
Symptomorientierte Verfahren74
Kommunikativ-orientierte Verfahren75
Therapieplanung75
Einflussfaktoren76
Festlegen der Therapieziele76
Therapiephasen und Vorgehensweisen76
Wahl der Therapiemethoden und des Therapiematerials78
Wirksamkeit78
Fazit78
6 Online-Material82
Mit einem Klick82
Extras im Netz82
7 Literatur87
8 Abkürzungsverzeichnis94
Sachverzeichnis95

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