»Herzschmerz? Da kann ich nur müde lächeln.«
Celine, 17, Herzfehler, Lungenfehlbildung und Omphalozele Malrotation
Celine wurde mit einem sogenannten Mehrfachfehler geboren. Als sie auf die Welt kam, befand sich ihre Leber auf dem Bauch, das Herz hatte einen komplexen Herzfehler und – was später erst bekannt wurde – die Lunge hat sich nicht vollständig entwickelt. Heute ist die Lunge nur zu einem guten Drittel ausgebildet. Ein Herzfehler kann mit weiteren Fehlentwicklungen des Körpers einhergehen. Noch am Tag ihrer Geburt wurde Celine operiert, die Leber musste in den Bauch eingesetzt werden. Die Bauchhöhle war jedoch zu klein für alle Organe. Also wurde der Darm verlegt. Viele Operationen folgten. Celine bekam mit fünf Jahren drei Herzkatheter in einem Jahr, denn ihre Engstellen vom Herzen zur Lunge mussten geweitet werden. Noch heute braucht sie alle paar Jahre eine neue Herzklappe, weil die alte nicht mehr richtig schließt. Bisher waren es insgesamt 16 OPs, die Celine gut überstanden hat. Trotzdem wird sie ihr Leben lang auf ihr Herz hören und Rücksicht nehmen müssen. Ihr Körper ist nicht so leistungsfähig, weil ihr Herz viel weniger aushält als das eines gesunden Menschen. Deshalb war sie gerade als Kind anfällig für Krankheiten wie Lungenentzündung, Fieber und Infekte. Trotzdem schaffte Celine den Realschulabschluss mit besten Noten und macht heute eine Ausbildung. Sie hat zu ihrem Herzen eine ganz besondere Beziehung.
Donnerwetter, der Eiffelturm! 704 Stufen. Jede einzelne kostet mich Kraft, zehrt an mir. Immer wieder muss ich eine Pause einlegen, nach Luft japsen. Ich weiß: Mein Herz findet meinen Ausflug nicht so toll. Aber ich will hier hoch! Los, weiter geht’s. Das war 2013. Mit etlichen Unterbrechungen und viel zu hohem Puls kam ich schließlich oben an. In diesem Moment war ich unendlich stolz auf mich. Ich sah auf Paris herunter und fühlte mich großartig. Mein Herz hatte gerade Unglaubliches geleistet. Für mich ein Triumph.
Hauptsache, es ist gesund. Ein Satz, den vermutlich alle Eltern etliche Male während der Schwangerschaft sagen. Wahrscheinlich dachte auch meine Mutter immer wieder an mich – ihr ungeborenes Baby im Bauch – und hoffte, schon bald ein kerngesundes Mädchen in den Armen zu halten. Doch alles kam anders. Als ich am 18. Dezember 1997 auf die Welt kam, befand sich meine Leber auf dem Bauch. Mein Herz hatte einen Mehrfachfehler und aufgrund der starken Engstellen in der Arterie zwischen Herz und Lunge konnte meine Lunge sich in den ersten Jahren nicht ausreichend entwickeln. Für meine Eltern muss das ein großer Schock gewesen sein. Wenn man mich heute sieht, würde man nicht darauf kommen, dass ich einen so dramatischen Start hatte.
Mit fünf Jahren bekam ich drei Herzkatheter in einem Jahr, sie sollten meine Engstellen in der Pulmonalarterie zwischen Herz und Lunge beidseitig weiten. Ich war jedes Mal für viele Stunden in Vollnarkose. In dem Alter durfte ich auch zum ersten Mal den Kindergarten besuchen. Doch schon nach kurzer Zeit wurde ich krank und es blieb nicht bei einer Erkältung: Infekte, Fieber, Polypenentfernung, eine Leistenbruch-Operation, zweimaliges Setzen eines Paukenröhrchens. Mir blieb wirklich nichts erspart. Durch meinen Herzfehler ist mein Körper permanent geschwächt, mein Immunsystem kann viel weniger abwehren als das von gesunden Kindern. Deshalb bekam ich sofort einen Infekt, wenn ein Klassenkamerad mit Schnupfen in der Schule saß. Nächtelang schlief ich mit Sauerstoffbrille und musste einen tragbaren Behälter mit Sauerstoff bei mir haben. Erst, als ich neun Jahre alt war, wurde mein Immunsystem stärker, das war nach dem dritten Eingriff am Herzen.
Verantwortlich für die körperlichen Probleme sind mein Herz und die Lunge. Ich habe mehrere Stenosen, was so viel wie Verengungen in der Pulmonalarterie bedeutet. Daher habe ich auch mehrere Stents bekommen, die wie ein Drahtgeflecht die Engstellen weiten. Alle paar Jahre schließt und öffnet meine Herzklappe nicht mehr richtig, ich brauche dann eine neue. Als ich zweieinhalb Monate alt war, wurde ich zum ersten Mal am Herzen operiert. Heute kann ich richtig spüren, wenn es wieder an Kraft verliert. Dann werde ich körperlich schwächer, bin kaum noch belastbar. Und auch meine Familie und Freunde merken mir an, wenn meine Kraft nachlässt. Ich tue mich dann mit allem schwer, muss mich andauernd hinlegen. Die letzten Meter bis zum Bus rennen? Undenkbar! Früher musste ich mich sogar an Ort und Stelle hinlegen. Heute reicht es, wenn ich mich setze.
Man kann mein Herz nicht vollständig heilen, ich werde immer wieder operiert werden müssen, mein Leben lang. Denn die Klappen, die ich bekomme, verschleißen mit der Zeit. Sie verkalken, dann schließen sie nicht mehr richtig. Und irgendwann ist es Zeit für einen Wechsel. Die Frage ist nur, ob man den richtigen Zeitpunkt erwischt. Es gab Situationen, in denen es richtig knapp wurde. Da musste ich mich wohl oder übel mit dem Tod auseinandersetzen. Er ist eigentlich mein ständiger Begleiter. Aber das ist er auch bei jedem gesunden Menschen. Weil unser aller Leben endlich ist. Jeder könnte morgen sterben. Bei mir ist es nur ein bisschen wahrscheinlicher, weil mein Herz unzuverlässig ist. Es fühlt sich so an, als habe man eine tickende Zeitbombe in sich. Das ist manchmal richtig scheiße. Vor allem, wenn ich so richtig viel Lust auf Sport und Bewegung habe. Dann bekomme ich einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Vielen Dank auch, Herz!
Jedenfalls wurde ich alle drei Monate, jetzt mittlerweile nur noch alle sechs Monate, von einem Kardiologen mit einem Ultraschallgerät untersucht. Man kann sich vorstellen, wie dreckig es mir jedes Mal davor geht. Da ist die Angst, dass es meinem Herzen nicht gut geht, es nicht mehr lange durchhält. Einmal, ich war neun Jahre alt, meinten die Ärzte, wir könnten bis zur nächsten Herzklappen-OP noch gut ein halbes Jahr warten. Doch irgendwie spürte ich, dass ich schneller operiert werden müsste. Mein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Erst kam ich die Treppe nicht mehr hoch, dann konnte ich nicht mal mehr dreißig Meter laufen. Wir fuhren nach Rostock ins Krankenhaus, weil man dort schon geplant hatte, mir bald einen Herzkatheter zu legen. Die Ärzte stellten fest, dass ich sofort am Herzen operiert werden musste. Was auch umgehend geschah. Es folgten eine Herz-OP, eine Lungenentzündung – und ich wurde auf der Intensivstation ins Koma versetzt. Die Stunden danach waren entscheidend. Ob mein Herz es schaffen würde? Keiner wusste es. Aber es war stark genug. Hinterher sagten die Ärzte, ich hätte nur noch wenige Wochen zu leben gehabt. Sie setzten mir vorübergehend einen Herzschrittmacher ein, der automatisch anspringt, wenn das Herz nicht ausreichend arbeitet. Den bekam ich später gezogen. Ein Ende ließ sich nicht herausziehen, das habe ich immer noch in der Brust. Und ich bekam natürlich eine neue Pulmonalklappe, erneut vom Rind. Ich bin das zweite Kind überhaupt in Deutschland, das eine Rinderklappe in Kombination mit der Rindervene eingesetzt bekam. Daher nahm ich viele Jahre an einer Studie teil und wurde engmaschig beobachtet und untersucht.
Es ist tatsächlich ein kleines Wunder, dass ich die Mittlere Reife mit richtig guten Noten geschafft habe und jetzt eine Ausbildung zur Industriekauffrau mache. Das alles habe ich meiner Familie zu verdanken und vor allem meinem starken Willen. Ich lasse mir weder von meiner Krankheit noch von irgendwelchen Zweiflern ans Bein pinkeln. Mein Körper ist oft schwach, ich aber bin es nicht. Hätte ich meinen Willen irgendwann verloren, könnten mich meine Freunde heute wahrscheinlich auf dem Friedhof besuchen. Es ist nämlich nicht bloß die Medizin, die einen Menschen gesund macht. Man muss auch wirklich leben wollen. Gegen ein krankes Herz anzukämpfen, ist das Härteste überhaupt. Schließlich trägt man immer die Angst mit sich herum, dass es jetzt gleich aufhört zu schlagen, weil es einfach nicht mehr kann. Vor allem vor Operationen hatte ich oft schlimme Panik. Würde mein Herz die Strapazen überstehen oder einfach aufgeben? Die Bilder, die dann im Kopf entstehen, sind fürchterlich. Man denkt an die eigene Beerdigung und verabschiedet sich innerlich von den Eltern. Doch ich bin jedes Mal wieder aufgewacht, habe immer einen Neustart hingelegt. Mit dieser Ungewissheit umzugehen, war die härteste Lektion meines Lebens. Was ich daraus gemacht habe? Ich genieße den Augenblick, bin dankbar für den nächsten Tag. Ich stecke mir Ziele, bin aber nicht zu enttäuscht, wenn ich sie nicht erreiche.
Manchmal fragen mich Leute, ob ich mit meinem Schicksal hadere. Schließlich kann ich auch heute nicht wie ein normaler Teenager leben. Der Herzfehler wird mich bis zu meinem Lebensende begleiten, ich werde immer wieder neue Herzklappen brauchen. Ja, es gibt Momente, an denen ich das alles furchtbar ungerecht finde. Denn mit so einem Herzfehler auf die Welt zu kommen, ist purer Zufall. Meine Eltern haben keine Vorerkrankung, meine Mutter hat sich während der Schwangerschaft nichts zuschulden kommen lassen. Aber mal ganz im Ernst: Was ist schon ein normales Leben? Manche Menschen sind gesund, reich und schön. Aber sind sie deshalb automatisch glücklich? Jeder hat sein Päckchen zu tragen und muss bestimmte Herausforderungen meistern. Bei mir waren es bis heute insgesamt 16 Operationen. Das klingt für andere Teenager total verrückt, sie hatten höchstens mal eine Blinddarm-OP. Aber es ist tatsächlich so: Man wächst mit seinen Aufgaben. Ich musste schon so oft darum kämpfen, weiterleben zu können, dass mich nichts entmutigt. Klar werde ich niemals auf den Mount Everest klettern. Aber ich weiß, dass ich fast alles schaffe, was ich mir vornehme. Von meiner mentalen...