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E-Book

Walter Schlorhaufer: Glasfeder

Werke und Materialien

AutorWalter Schlorhaufer
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783706558150
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
WALTER SCHLORHAUFER (1920-2006) hat sich nicht nur als Arzt, sondern FRÜH schon auch ALS SCHRIFTSTELLER EINEN NAMEN GEMACHT. Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit taucht sein Name in wichtigen österreichischen Anthologien auf, die sich damals dem Zeitgeist, dem 'Zeitungsgeist' (Andreas Okopenko) widersetzt haben, neben Autorinnen und Autoren wie Herbert Eisenreich, Hertha Kräftner, Christine Busta, Christine Lavant, Gerhard Fritsch oder Friederike Mayröcker. Und im selben Jahr, in dem Ilse Aichinger mit dem Roman 'Die größere Hoffnung' debütiert, hat auch er SEINE ERSTE GROSSE ERZÄHLUNG veröffentlicht, 'Die Liebesstationen des Leonhard Dignös' (1948). Seine schon damals unverwechselbare Stimme ist u. a. auch in Hans Weigels 'Stimmen der Gegenwart' dokumentiert. Aber seine medizinische Karriere geht schließlich vor; ab 1973 leitet er die Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen in Innsbruck. Für literarische Arbeiten und die Aquarellmalerei, die ihn auch beschäftigt, bleibt kaum mehr Zeit. Erst 1987 meldete er sich mit neuen Beiträgen in Zeitschriften als Schriftsteller zurück, zunächst mit GEDICHTEN, mit 'Briefschaften' und mit mehreren HÖRSPIELEN; zuletzt aber mit einem großen PROSA-PROJEKT, seiner Innsbruck-Trilogie ('Unverloren' 1993, 'Mittwinter' 1998, 'Weggefährten' 2001), in der er den 'Kampf gegen das Gedächtnis' wieder aufnimmt und im Rückblick jene Zeiträume beleuchtet, die in den Wegen der Weggefährten ihre unauslöschlichen Spuren hinterlassen haben: die NS- bzw. Kriegszeit. DER BAND VERSAMMELT DIE SCHÖNSTEN TEXTE WALTER SCHLORHAUFERS: eine Auswahl aus seinen Erzählungen, Gedichte aus den Jahren 1947-1960 und 1992-2001, Schriften zur Literatur und Kunst, Auszüge aus Korrespondenzen mit Rudolf Stibill und Peter Zwetkoff sowie Zeugnisse des Malers.

Walter Schlorhaufer (1920-2006), war Arzt (langjähriger Vorstand der Innsbrucker Universitätsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstörungen) und lebte in Innsbruck. Schrieb seit 1947 Gedichte, Prosa und Hörspiele.

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Leseprobe

Gedichte 1992–2001


Peter Prandstetter an Walter Schlorhaufer, 1.3.1995


Wenn Sie ein bildender Künstler geworden wären, hätten Sie knappe, harte, scharfe Holzschnitte gemacht; aber weil diese nicht zugleich so zart sein können wie Aquarelle, haben Sie Gedichte geschrieben.

Zurück zur Geburt


zurück zum Gesetz

des Todes

Augenblicke einzeln

gefädelte Ewigkeit

endlos

Wie wahr

die Lehre gezogen

aus der Moral

der Fibrillen

Logos und Ethos

gestürzt von der

Leiter

da der Topf ein Loch hat

und am End

eine Liebesgeschichte

Wie wahr

hätt er nur ein Loch

der Topf

Zum Tod von Gertrude Stein: 27.7.1946

Es flaut ab


und ist doch Welle

ist doch Wind gewesen

wild und heiß

Nun ist Brutzeit

der Leiden im Singen

der Nacht

nach Schwalbenschwanznoten

daß es weit weg ziehe das Leid

mit der Lieb auf dem Rücken

Die Tränen sind zum Opfer

eines Augenübels geworden

Das Weinen verstummt

Es hört ihm niemand zu

unter der Martinslampe

Von den Steinen (1)


Diesseits bin ich, ein Teilstück des Teilstücks,

eine Gebärde, ein Zufallsschrei.

Gelächter unter mir, ein schrilles, ein schwarzes.

Hören, um etwas anderes zu sehen,

sehen, was man nicht will.

Nennt man das, was endlos sich dehnt

Sehnsucht?

Sucht sicher,

geläng es einem, sein eigener

Grabstein zu werden.

Schreiben Steine?

Nein. Auf ihnen wird geschrieben:

Principio, quod amare velis.

Schon geschehen, mein lieber Ovid.

Die vielen Steine:

Der auf der Straße der Verlassenheit,

ich, der Stein des Anstoßes,

von dem du gesprochen hast,

der Edelstein, der ich gern wäre,

Stolper und Trittstein zugleich,

und der vom Bruch.

In principio waren die Zyklopenblicke

unter einem Lukenfenster.

In der jungen Dachkammer

läuteten die Freitagsglocken,

auch sie noch jung, obzwar schon alt.

Weiß ich, wer einmal sagte,

das Abendrot stimme traurig,

schön wie Abschied, schön wie scheiden.

Will es der Stein so?

Ein schwarzer Himmel bedarf

der Blitze, die ihn erhellen.

Ich warte auf das Licht, auf daß

sich erfüllen möge das Fügen,

anders, aber wieder.

Von den Steinen (2)


Hat jemals uns der Frost gelockt?

Wie hat die Sonne sich

um die Sonne bemüht,

was sagten wir alles,

was taten wir,

wie wurden wir

zusammen schön.

Hört ich nur, was drinnen vorgeht,

da die Dächer der Häuser

schon weiße Flecken tragen,

obwohl es noch nicht

Mittwinter ist.

Blicke heben die

Dächer nicht ab.

Weißt du, daß die Turmuhr

lang schon still steht?

Von Steinen geredet.

Hier liegt einer

und möcht aufgehoben werden.

Such im Mantel vom Vorjahr.

In der Tasche muß ein

grüner liegen,

ruhig, eben wie ein Stein.

Nicht zum Rücken zur Wand,

sondern vornübergebeugt

an die Mauer gestellt

nach Waffen durchsucht

von der großen Frau:

Da war das Elend des Schnürbaums

groß. Zieh zu, zieh zu.

Der Drossel erstickte Kehle

singt weiter.

Denk nachts


wach

Erinnerung

spür

Denk nachts

wach

ans Kreisgehen

als Gefangener

Denk tags

Ichschatten

Spür nicht

denk Liebe

Denk nachts

ans Hinaufsteigen

und Hinuntergehen

als Taggewächs

Erfunden


Immer Oktober

erfunden aus Stroh und Weizenmehl

Mutters Korn im Aug

der Nessel Taubheit gesaugt getrunken

vom Blau der Käsepappel mit Simons Stock

Angriff der Trochäen die der Hebung

Kampflust Laura zufüßen legen und sagen

jetzt und jetzt

und das ist alles

Gebrochene Stimme

ad altare dei unverwahrt

das Erbe der Linse eingetragen

im Paß der Fehlsichtigkeit Doppelbilder

nackter Leiber Stilleben Freitags um drei

das Weinen des Estrichholzes hitzeknarrend

im Sommer beim Besuch der feuchten Blumen

im Sehnsuchtsregen

Pfleger der hängenden Gärten

blutrot für Semiramisblüten

Vogelbauer in Kanariengelb tot

im handtuchverhängten Flattern des Käfigs

Über Wasser gehalten

minutengenau vom Anruf Du und wieder Du

und immer Du Buber mein

laß mich Christ auch Jude sein

geglaubt in Spitalsstadt

Narbensaiten auf dem Papier

der endlosen Liste von Kürzeln

Abnahme schwerer als Erkennungsmarken

unter Beschuß

Valverde hat dich

hier Thomas finis mundi selig gesprochen

im Jahr dreitausend p.ch.n.

da Seine Heiligkeit in Jeans

alles Gold der Altäre

an die Armen der Welt

nur die Glocken nicht

die nicht

Allerster Tag des Anfangs

benagt von Ratten

des ausgeklügelten Labyrinthes

Maultier des Kreuzes des Halbmonds

schwanger bewacht von Schweizer Garden

Vasenglas mit Winterflieder


geboten verbotener Überfluß

des gesegneten Ja

stieg ich so die Stiege hoch

die Stiegenleiter

hast du alles

brauchen noch

alles

Woche des Zorns

für den kelimroten Rücken

einer Nacht

stehende Trauer

wäre besser gewesen

Vasenglas auf dem Brett

des Winters kältestarr

auf Asche die im Niederfallen

schluchzenden Blüten des Winterflieders

nie wieder das Weiß ungewollter Kinder

fliederfarbene Gutnacht

Hinter dem Rücken der Nacht

mit wanderndem Glas

auf die Hinterseite des Spiegels

Spiegelflieder an Mondglasfäden

die die Lippen reizen

am Grund des Himmels blüht

die Nichtigkeitsblume

das Dünkelkraut der Armut

schottergewohnt

was übrigbleibt ist für mich

Flieder Gegenblüh im Wasser

des anderen Ufers

da sind die hohen Lerchen

nur dünn zu hören

Wolkenfeuer über dem Bündel


es war ein Köfferchen ohne Geld

da nimmt die Freud nicht Gestalt

an wie

weh mir

wie mir

laß bleiben

laß gehn

Am See schon in aller Früh

aus dem Jalousienfenster gesprungen

kein Ufer nur Kirche die

der Kapuziner und Nußkipfel

Kindertrost

Weg hier nur weg hier

aus dem anderen Krieg

Vater aller Dinge

hier hat jeder Doktor

ein Haus jeder Liebhaber

ist ein Onkel

Altersheim und Sterbebett

für die andere sie wenigstens sie

Versuch des Fensterklopfens

ohne Aussicht

die Zeugen des Bundes verschollen

durchgereist auch sie

mit dem Koffer an der Straßenecke

feige wie ich

Zieh endlich weg du Dadaist

der Liebe du willst den Affen

in Hellbrunn nicht zusehen und

Anais muß es auch nicht sein

Betrogen vom Trug der Schwelle

der Lüge des Balkens

die Drossel zur Befragung des Todes

Steine schweigen

zweifelsohne sind sie Väter

was sollen sie auch sprechen

mit den Leuchttürmen

im zyklothymen Gewitter

Entrinnen


als bliebe vom Sein nur

der Schein der ersten Stunde

Heimgehen

dorthin wo noch die Kerze

der Begegnung brennt

Oder um Reminiscere im

Haus von Petrarca

die Maus zu hören

Da ich

dort du

dazwischen die Wand

Selig nicht du

froh nicht ich

Die Wand

Ein Liebender stirbt jede Nacht


ein Licht erlischt und nichts vollbracht

Die Liebenden sie sterben so dahin

sie zittern lang und sind dann fort

sie hinterlassen nichts

sind kein Gewinn

sie sind nur Liebe

Ein Liebender stirbt jede Nacht

und stellt sich viele Fragen

und ehe er die Lieb vollbracht

wird er hinaus getragen.

Kein Südbett


fürs Fortgehen

mit räudigen Katzen.

Kein Entkommen

dem Latrinengeruch.

So wandert die

orthodoxe Kerze

von der Ecke des Abends

zum Winkel der Nacht.

Korfu, mein Korfu,

in deinen Gassen wohnt

die Angst in den Eingeweiden.

Nicht zu verstehen der Flugaufruf,

leidverdünnt wie im Ja.

Nie wenn ich allein war.

Da schrillt noch die Glocke


brennt das Feuer

flammt der Schmerz

unter der Glut des Vaters

die Kochhitze der Mutter

daß sie die Gasse auf und ab rennen

Die Haut fällt von ihren Knochen

die Steine glühen

heiß auch das Scheit unter dem Knie

und noch der Seufzer des Papiers brennt

Das Lamm, das Lamm

schmort vor sich hin zu Ostern

und die Schafe blöken

außer Haus

verdammte...

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