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Nicht mache dir Fetische!

Zu alttestamentlichem Bilderverbot und Marx'scher Wertkritik. Kuno Füssel zum 75. Geburtstag.

AutorArne Hilke
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783741286254
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
In Band 7 der Schriftenreihe 'Beiträge zur sozialökonomischen Handlungsforschung' mit dem Titel 'Nicht mache dir Fetische! Zu alttestamentlichem Bilderverbot und Marx'scher Wertkritik' wird eine Annäherung von alttestamentlichem Bilderverbot (Ex 20) und Marx'scher Fetischkritik (vor allem im ersten Band des Kapitals) im Sinne einer vergleichenden Textinterpretation versucht. Ziel ist es, zum Zwecke eines besseren Verständnisses beider Texte Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Die Untersuchung konzentriert sich auf das Herausarbeiten einer beiden Texten gemeinsamen Denk- oder Kritikfigur. Es wird der Nachweis geleistet, dass sich beide Texte auf ein vergleichbares Phänomen beziehen, das in zwei völlig verschiedenen Gesellschaftsformen auftaucht, und dem sowohl durch die biblischen Autoren als auch durch Marx mit einer 'Fetischkritik' begegnet wird, die sich im Alten Testament in Form des Bilderverbotes zeigt. Diese gemeinsame Kritikfigur bezieht sich in beiden Fällen darauf, dass ein aus dem menschlichen Handeln entspringendes Produkt dem Menschen als eine fremde Macht entgegentritt. Es bekommt eine Wirkmächtigkeit, die den individuellen Eintrag des Handelnden übersteigt; sie wird gesellschaftlich / gesellschaftsformend. Dieser Band ist dem katholischen Theologen Kuno Füssel zum 75. Geburtstag gewidmet.

Arne Hilke (*1978), Studium der Physik und der Religionspädagogik in Bremen, Mitglied in der Gesellschaft zur Förderung sozialökonomischer Handlungsforschung e.V. (SEARI). Ev.-reformierter Ältestenprediger.

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Leseprobe

3 Die Marx’sche Fetischkritik


Denker denken nicht im luftleeren Raum, sondern sie denken und arbeiten in einem wissenschaftlichen und sozialen Kontext, den es bei der Analyse und Interpretation ihrer Werke zu berücksichtigen gilt. Eine ausführliche Biographie Marx’ sowie eine elaborierte Darstellung des gesellschaftlichen Weltzustandes und der Forschungslage, innerhalb derer er denkt und schreibt, kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht geleistet werden. Einige Aspekte hierzu, die wichtig für die Bearbeitung der Fragestellung dieser Ausarbeitung sind, sollen jedoch im folgenden Unterkapitel angesprochen werden.

3.1 Biographische und theoretische Hinführung


Im Jahre 1835 machte Marx (1818–1883) in Trier sein Abitur und begann dann in Bonn ein Studium der Rechtswissenschaft, hörte jedoch auch Vorlesungen über Kunstgeschichte und klassische Mythologie (vgl. Rubel 1968, S. 7 f., vgl. zum Folgenden auch Heinrich 1991). Nach einem Jahr ging er nach Berlin, um dort sein Studium fortzusetzen, wandte sich dort aber mehr und mehr der Philosophie zu und fand Zugang zu den Junghegelianern, dem „Doktorclub“.

Was vernüftig ist, das ist wirklich;

und was wirklich ist, das ist vernünftig.

In dieser Überzeugung steht jedes unbefangene Bewußtsein, wie die Philosophie, und hiervon geht diese ebenso in Betrachtung des geistigen Universums aus als des natürlichen. Wenn die Reflexion, das Gefühl oder welche Gestalt das subjektive Bewußtsein habe, die Gegenwart für ein Eitles ansieht, über sie hinaus ist und es besser weiß, so befindet sie sich im Eitlen [. . . ].

(Hegel 1972, S. 11, Herv. w. dort)

So schrieb Hegel in der Vorrede zur Rechtsphilosophie. Die Althegelianer sahen die Wirklichkeit der Vernunft im preußischen Staat, für die „sich im Eitlen“ befindenden Junghegelianer war das Bestehende nicht zu verteidigen, sondern zu kritisieren, die Philosophie erst noch zu verwirklichen, wozu sie zuallererst selbst kritisch zu werden hatte. „Allein die Praxis der Philosophie ist selbst theoretisch. Es ist die Kritik, die die einzelne Existenz am Wesen, die besondere Wirklichkeit an der Idee mißt“, so Marx 1841 in den Anmerkungen zu seiner Dissertation (Marx 1990a, S. 327 f., Herv. w. dort).

Marx ging dann nach Köln und wurde Mitarbeiter der „Rheinischen Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe“, deren Redaktion er im Oktober 1842 übernahm (vgl. auch Rubel 1968, S. 14). Durch seine Tätigkeit für die Zeitung kam Marx nicht umhin, sich mit den materiellen Lebensverhältnissen der armen Bevölkerung und so mit ökonomischen Fragen auseinanderzusetzen. Es waren insbesondere die Debatten über das Holzdiebstahlgesetz des 6. Rheinischen Landtags, über die er mehrere Artikel schrieb, die ihn zu dieser Auseinandersetzung veranlassten, und es ist nicht uninteressant, dass schon hier der Begriff auftaucht, um den es hier im Zusammenhang mit Marx geht. Die letzten Sätze lauten:

Die Wilden von Kuba hielten das Gold für den Fetisch der Spanier. Sie feierten ein Fest und sangen um ihn und warfen es dann ins Meer. Die Wilden von Kuba, wenn sie der Sitzung der rheinischen Landstände beigewohnt, würden sie nicht das Holz für den Fetisch der Rheinländer gehalten haben? Aber eine folgende Sitzung hätte sie belehrt, daß man mit dem Fetischismus den Tierdienst verbindet, und die Wilden von Kuba hätten die Hasen ins Meer geworfen, um die Menschen zu retten.

(Marx 1972b, S. 147, Herv. w. dort)

Es geht nun um die spezifische Verwendung des Fetisch-Begriffs im Kapital. Um mich dem anzunähern, wende ich mich zunächst Feuerbach zu, von dem Marx stark beeinflusst wurde. Auch wenn er ihn später kritsierte und über ihn hinausging (die Religionskritik wurde zur Gesellschaftskritik), so hat Marx doch von Feuerbach eine Kritikfigur übernommen, die sich im Fetisch-Kapitel des Kapitals wiederfindet und die, wie zu zeigen sein wird, mit der Kritikfigur des Propheten Jesaja vergleichbar ist. Um diese Kritikfigur Feuerbachs nachzuzeichnen, nehme ich einige Sätze heraus aus seiner ausgeführten Religionskritik, aus den mit Wiederholungen und der Aufzählung von immer noch mehr Beispielen gefüllten Heidelberger Vorlesungen über des „Wesen der Religion“22. Es geht dabei an dieser Stelle nicht um die Stichhaltigkeit der Argumente Feuerbachs, sondern um die Verdeutlichung der Kritikfigur.

Die Gottheit ist ursprünglich und wesentlich kein »Vernunftgegenstand«, wozu sie die Unvernunft oder meinetwegen auch Vernunft der späteren Nachwelt gemacht, kein Gegenstand oder Erzeugnis der Spekulation, der Philosophie; denn die Götter waren, als es noch keine Philosophen gab, und sie sind auch da, wo es nie einem Menschen einfällt, über die Ursachen der Welt, ihre Entstehung aus Feuer oder Wasser oder gar aus Nichts zu faseln. Die Gottheit ist wesentlich ein Gegenstand des Verlangens, des Wunsches; sie ist ein Vorgestelltes, Gedachtes, Geglaubtes, nur weil sie ein Verlangtes, Ersehntes, Erwünschtes ist. (Feuerbach 1967b, S. 164)

Die Götter sind, weil sie gedacht werden, und der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Sie entstehen und befinden sich also für Feuerbach im Kopf der Menschen (und nur dort), werden aber gedacht als außerhalb des Kopfes befindlich. Woher aber kommen die Wünsche?

Der Wunsch ist der Ausdruck eines Mangels, einer Schranke, eines Nicht, sei es nun eines Nicht-Seins oder Nicht-Habens oder Nicht-Könnens, aber, obwohl als Ausdruck eines unfreiwilligen Mangels Ausdruck eines Leidens, doch selbst kein geduldiger, leidender, sondern ein sich dagegen wehrender, revolutionärer Ausdruck; denn er ist ja der ausdrückliche Wunsch, daß dieser Mangel, diese Schranke, dieses Nicht nicht sei. Der Wunsch ist ein Sklave der Not, aber ein Sklave mit dem Willen der Freiheit, ein Sohn der Armut, der Penia, aber der Armut, welche die Mutter der Begierde, der Liebe, nicht nur der geschlechtlichen, sondern auch der sächlichen oder dinglichen Liebe ist, ein Gelüste, das nicht erst der moderne »Kommunismus und Atheismus«, wie sich die Selbstsucht der Besitzenden weismacht, dem Pauperismus23 eingeimpft, sondern von der Sprache der »heiligen« Schrift sogar als eins mit der Armut gedacht und bezeichnet wird. Wollen, begehren (haben wollen), wünschen heißt ein Armer, Dürftiger, d.h. Begehrlicher, Verlangender, weil, wie Rabbi Salomo zu diesem Wort sagt, wer nichts hat, immer gern etwas haben will. (Feuerbach 1967b, S. 170, Herv. w. dort)

Dies soll bedeuten: Der Mensch befindet sich in einer unguten Situation, möchte darin aber nicht verbleiben. Selbst kann er nichts verändern; gegen die Natur oder sonstige Mächte vermag er nichts auszurichten, also muss Gott für ihn einstehen. Dies wird Gott tun oder auch nicht, auf jeden Fall könnte er es.24 „Der Mensch verehrt als Gott allerdings nur das, was »über ihm« ist“ (Feuerbach 1967b, S. 195).

Und so kann Gott nicht nur die Angelegenheiten der Menschen zum Guten regeln, er kann ihnen auch vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben – und er kann sie bestrafen, wenn sie sich nicht daran halten. Es gehört für Feuerbach zum „Zeitalter der religiösen Barberei“, dass die Menschen – er spricht hier bereits von den Israeliten, nicht von „archaischen“ Religionen – die „Gebote der Moral und Menschenliebe, um sie auszuüben, als Gebote eines Gottes denken mußten, der sie für das Halten derselben belohnt, für das Nichthalten derselben bestraft“ (Feuerbach 1967a, S. 126).

Zusammenfassend lässt sich sagen: Gott wird im Kopf des Menschen gedacht als außerhalb des Kopfes. Nicht der denkende Mensch ist Gott, Gott ist ein Anderer, Fremder. Er kann dem Menschen Vorschriften machen und in sein Leben eingreifen. Er tritt ihm also, obwohl er von ihm selbst ausgedacht wurde, als „fremde Macht“ entgegen.

Zu diesem Ergebnis kommt auch Michael Heinrich: „Feuerbach faßte im Wesen des Christentums Gott als das zu einem fremden Wesen verselbständigte Wesen des Menschen auf, das dann den Menschen beherrscht“ (Heinrich 1991, S. 99). Und er fügt hinzu, es sei der gemeinsame Grundgedanke der Feuerbachschen Analyse der Religion und der Marx’schen Analyse der Gesellschaft, dass der Mensch von seinem eigenen Produkt, sei es ein gedankliches (wie in der Religion) oder ein produziertes (wie im Kapitalismus), beherrscht wird.

Ein eigenes Gedankenprodukt tritt dem Menschen als fremde Macht entgegen, dies also ist die Kritikfigur Feuerbachs, die Marx durch die Lektüre des 1841 erschienenen Werkes Das Wesen des Christentums kannte. 1843 wurde die „Rheinische Zeitung“ verboten, Marx ging nach Paris (vgl. hierzu und zu den folgenden geschichtlichen Daten Rubel 1968, S. 16 ff.). Dort gab er zusammen mit Arnold Ruge die Deutsch-Französischen Jahrbücher heraus, von denen aber nur ein Band 1844 erschien. Ein Artikel darin war der Text „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“ von Friedrich Engels. Dadurch wurde Marx veranlasst, sich intensiver mit Ökonomie zu beschäftigen. Engels stellte fest,...

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