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Frühneuhochdeutsche Partizipialkonstruktionen. Untersuchungen zu Verwendungsweisen, Stilistik und humanistischem Einfluss

AutorNathalie Exo
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl82 Seiten
ISBN9783668258877
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Germanistik - Linguistik, Note: 1,0, Georg-August-Universität Göttingen (Seminar für Deutsche Philologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Die Arbeit beschäftigt sich mit einem kleinen Ausschnitt des Einflusses, den das Lateinische auf die Syntax des Frühneuhochdeutschen gehabt hat. Bislang wurde kaum untersucht, wie es sich mit den Partizipialkonstruktionen der Zeit verhält - Konstruktionen, deren lateinische Entsprechungen teilweise im Deutschen eben nicht ohne Weiteres nachzuahmen sind. Untersuchungen gab es bereits zum Einfluss auf erweiterte Partizipialattribute, doch wurde bislang wenig zu prädikativen oder adverbialen Partizipien im Frühneuhochdeutschen gesagt. Da der Einfluss des Lateinischen andererseits lange Zeit überschätzt wurde, soll eine Korpusuntersuchung zeigen, ob dieser sich bei den Partizipien konkret an Textbeispielen (qualitativ wie quantitativ) festmachen lässt. Falls es einen Einfluss gibt, so ist auch zu überlegen, ob dieser nachhaltig ist oder sich zunehmend wieder abbaut, denn Syntax ist ein Teilsystem der Sprache, das gegen äußere Einflüsse in der Regel außerordentlich stabil ist. Die zentralen Fragen dieser Arbeit sind demnach: Hat das Lateinische die Partizipialkonstruktionen des Humanismus beeinflusst? Wenn ja, nur die Konstruktionen an sich, oder aber eher auch Stilistik und Verwendungsweisen? Hat sich der Einfluss langfristig durchgesetzt? Mit Hilfe dieser Fragen wird die zentrale These ('Die lateinische Sprache hat, über humanistisch gebildete Autoren, einen Einfluss auf Verwendungsweisen und Stilistik frühneuhochdeutscher Partizipialkonstruktionen gehabt') auf ihre Anwendbarkeit überprüft.

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Leseprobe

 

Der Befund, mit dem hier gearbeitet wird, zeigt für die Nicht-Humanisten eine recht gradlinige Entwicklung: Nach einem kurzen Abfall (von 24 auf 14) steigt ihre Zahl stetig an bis auf einen Höchstwert von 44 Belegstellen bei SCHORER im Jahr 1660. Die Ent-wicklung bei den Humanisten sieht ähnlich aus, wenn auch auf einem niedrigeren Level (im Schnitt sieben Belege weniger, die Jahre 1450-1500 ausgenommen). Interessant ist gerade dieser Ausreißer im Jahr 1486, NEIDHART, der mit 43 Belegen den zweithöchsten Wert überhaupt erreicht; genauer gesagt ist zu vermerken, dass, nachdem zuvor der Wert bei den Nicht-Humanisten im Fallen begriffen war, 50 Jahre nach NEIDHART auch bei den Nicht-Humanisten wieder vermehrt attributive Partizipien zu finden sind (mehr als bei den Humanisten), deren Anzahl im Folgenden noch stärker zunimmt. An und für sich könnte diese Entwicklung zufällig sein, aber die beiden folgenden Kapitel werden zeigen, dass diese zeitversetzte Zunahme von Werten kein Einzelfall ist.

 

3.1.2 Diskussion


 

Bei qualitativer Betrachtung zeigt sich der Bestand der attributiven Partizipien, einer auf den ersten Blick unkomplizierten Verwendungsweise, doch sehr heterogen. Im Folgenden sollen die verschiedenen Typen dieser Verwendungsweise nun eingehender betrachtet werden; dafür können, wie auch in den folgenden Diskussionskapiteln, immer nur einige wenige Beispiele von ausgewählten Autoren aus dem Korpus angeführt werden. Signifikante Abweichungen von den dargestellten Typen werden jedoch erwähnt. Zunächst betrifft dies den ‚unmarkierten‘ Verwendungstyp, wie die heutige Konstruktion des attributiven Partizips hier genannt werden soll, um einen Ausgangspunkt zu finden; diesem Typ folgen nachgestellte Partizipien in zwei Gruppen, Wortbildung und Lexikalisierungsansätzen beim attributiven Partizip sowie Substantivierungen und schließlich drei interessante Sonderfällen, die sich der Zuordnung entziehen.

 

Begonnen werden soll hier mit der Verwendung, die auch heute noch die gängige ist: als Adjektiv-Attribut in der Stellung direkt vor dem zugehörigen Bezugswort. Dieser Verwendungstyp ist eine recht junge Erscheinung, deren regelmäßiges Auftreten nur in zwei Dritteln des Korpus und besonders bei präsentischen Partizipien zu erwarten ist; wie bei jeder sprachlichen Entwicklung finden sich aber auch in den frühesten hier behandelten Texten bereits Beispiele für diesen Verwendungstyp. Deutlich illustriert werden kann dies am folgenden Beispiel (27).

 

(27) wenne dv bist in der hizzigen wetenden bv˙rnenden minnen | Me 7 20/21

 

(28) iserin geischelen mit scharpfen snidenden isin fornan dran | Me 8 10

 

(29) mit rehter grvndeloser minnender demvͤtiger zuͦ grvnde sterbender gelosenheit | Me 14 2/26

 

(30) der liez uss seinem mund übel smekend fiurin flamen | Mai 8 24

 

MERSWIN, dessen Mannen den ältesten Text im Korpus stellt, setzt hier zwei präsentische Partizipien wetend und bv˙rnend direkt vor ihr Bezugswort minnen. Ihr Verwendungstyp ist hier eindeutig, da sie parallel zu einem regulären Adjektiv verwendet werden: als Adjektive zur näheren Erläuterung ihres Bezugswortes. Nicht ganz eindeutig ist allerdings, ob die beiden Partizipien, und besonders bv˙rnend, auch als gleichwertig zu hizzigen aufzufassen sind: Inhaltlich lässt sich auch rechtfertigen, das Adjektiv als auf die Partizipien bezogen aufzufassen, also in der Bedeutung ‚hitzig wütend, heiß brennend‘. Angestoßen wurde dieser Gedanke vom zweiten Beispiel (28), bei dem der Bezug des Adjektivs auf das Partizip näher zu liegen scheint: ‚scharf schneidendes Eisen‘ scheint eher zusammen zu gehören als eine gleichwertige Interpretation (‚scharfes Eisen und schneidendes Eisen‘).

 

Überhaupt tritt das präsentische Partizip in dieser Verwendung bei MERSWIN nur selten allein beim Bezugswort auf; fast überall finden sich zusätzliche Adjektive oder Possessivpronomen, meist in der Stellung vor dem Partizip, und bei Adjektiven auch über die Beispiele hinaus oft mit zweifelhaftem Bezug des vorangehenden Elements. Ein recht extremes Beispiel ist (29). Bei Bezug der Adjektive auf die Partizipien läge ein Fall von erweiterten Partizipien vor, der bei einem Autor wie MERSWIN zunächst überrascht; besonders ausschweifende Konstruktionen dieser Art waren, in Übereinstimmung mit den zugrundeliegenden Thesen der Arbeit, eher bei späteren und humanistisch gebildeten Autoren zu erwarten. MAIR, das humanistische Pendant aus der gleichen Jahrhunderthälfte, verwendet weitaus weniger präsentische Partizipien, darunter aber auch solche in ähnlicher Konstruktion wie MERSWIN. Beispiel (30) zeigt wiederum eine Verbindung von Adjektiv und Partizip zum Bezugswort, hier noch erweitert durch übel, das sich eindeutig auf smekend bezieht.

 

Auch das Partizip II findet sich in dieser Stellung, jedoch weitaus seltener bei MERSWIN (nur sechs Belege) und anscheinend recht eingeschränkt: Viele der Partizipien stammen entweder von verwunden, vgl. Beispiel (31), oder sind das lexikalisierte Partizip verwegen, das an anderer Stelle behandelt werden soll (s. u.). Ein interessanter Fall findet sich in Beispiel (32).

 

(31) v˙ber den verwundeten lichammen | Me 8 17

 

(32) mine boͤse nature mvͦs noch hv˙te der valschen betrogen welte vrlop geben |

 

Me 4 15

 

Im Kontext des Satzes stellt sich die Frage, ob das Partizip II betrogen hier tatsächlich seinen (als transitives Verb) eigentlich passivischen Charakter tragen sollte, oder ob sich nicht vielmehr eine aktivische Lesart rechtfertigen lässt: ‚der falschen betrügerischen Welt‘ scheint auf den ersten Blick jedenfalls einleuchtender als ‚der falschen betrogenen Welt‘ oder (im Anschluss an vorher gesagtes) ‚der falsch betrogenen Welt‘. In diesem Fall wiese der Beleg darauf hin, dass nicht nur die Verwendungstypen, sondern auch der grundsätzliche Charakter der Partizipien im frühen Frühneuhochdeutschen noch nicht gefestigt sind.

 

Bei MAIR ist das vorangestellte Partizip II eindeutig in der Überzahl. Beispiel (33) zeigt ein nicht nur bei MAIR typisches Beispiel für diesen Verwendungstyp: geboren lässt sich in der Verbindung mit hoch nicht nur bei MAIR finden und ist aufgrund der hohen Kookkurrenz eher als feststehende Verbindung zu betrachten; als solche ist es z. B. im 1DWB auch gebucht (vgl. 1DWB Bd. 10:1616). Neben diesen fast oder vollständig lexikalisierten Formen, die später näher beleuchtet werden sollen, steht das Partizip II bei MAIR aber auch in heute wohlbekannter, unmarkierter Form, so in (34), sowie mit vielfältigen Erweiterungen, regelmäßig z. B. mit wol oder vil (oder beidem), wobei bei letzterem die Zuordnung wiederum nicht eindeutig ist (35).

 

(33) dein triu alz falschlich brechen an der edeln hoch geborn junkfrawen |

Mai 21 04

 

(34) do loff er in an mit erzüktem swert | Mai 32 01

 

(35) ez wurdend ze stund daruss vil wol gewapneter ritter | Mai 8 29

 

In diesem Verwendungstyp finden sich, wie in einigen anderen auch, textdeiktische Partizipien, die auf zuvor Genanntes oder Folgendes verweisen und so der Herstellung von Textkohärenz dienen, wie z. B. bei SCHORER, (36) rückverweisend und (37) vorverweisend.

 

(36) allein obgemelter Privatpersonen | Sch 6 06 (Vorrede)

 

(37) Zu Stuttgart stunden vor diesem in einem Hauß folgende Vers |

Sch 4 27 (Vorrede)

 

Diese gängige Verwendung der attributiven Partizipien findet sich bei allen Autoren im Korpus mit Ausnahme der KOTTANERIN (s. u.), und zwar in unauffälliger Verteilung auf präsentische und präteritale Partizipien. Anzumerken ist, dass bei MATHESIUS viele der adjektivischen Partizipien sehr stark themenbezogen verwendet zu sein scheinen, was eventuell kein akkurates Bild der attributiven Partizipien bei diesem Autor zulässt. Auffällig ist zudem, dass bei WICKRAM dieser Verwendungstyp fast ausschließlich vorkommt.

 

Sehr auffällig ist der Gebrauch der attributiven Partizipien bei der KOTTANERIN. Von den 13 attributiven Partizipien in den Denkwürdigkeiten sind zwölf Formen Partizip II, und insgesamt stehen nur zwei attributive Partizipien vor ihrem Bezugswort, vgl. Beispiele (38) und (39), von denen wiederum das zweite als lexikalisiert angesehen werden kann, nicht nur wegen der auch in anderen Texten frequenten Verbindung mit vor, sondern auch aufgrund der typischen Verwendung als textdeiktischer Ausdruck (vgl. 1DWB Bd. 26:1101).

 

(38) Das machat ir verpargnew weishait | Ko 13 03

 

(39) Do kamen die vorgenanten Zwen grafen zu miͤr | Ko 10 32

 

Abgesehen von diesen zwei Beispielen sind die attributiven...

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