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Die Rätsel der Germanen

Die Götter der Germanen - Band 76

AutorHarry Eilenstein
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783741287022
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,49 EUR
Von den Germanen sind weit über 100 Rätsel überliefert worden. Ihre Entwicklungsgeschichte läßt sich von der Frage-Antwort-Form, in der die frühen Priester und Skalden ihr mythologisches und historisches Wissen auswendiggelernt haben, über die Verwendung von Rätseln in religionspolitschen Streitschriften ('Ist Odin oder Tyr der weisere Gott?') bis hin zu den späten Denksport-Aufgaben verfolgen. Somit bieten die Rätsel sowohl Informationen zu dem Wissen der Priesterschaft (mit vielen mythologischen Hinweisen) als auch eine unterhaltsame Lektüre, die eben ein oft recht heiteres Rätselraten ist - mit der einen oder anderen erotischen Anspielung ...

Ich bin 1956 geboren und befasse mich nun seit 40 Jahren intensiv mit Magie, Religion, Meditation, Astrologie, Psychologie und verwandten Themen. Im Laufe der Zeit habe ich ca. 40 Bücher und ca. 50 Artikel für verschiedene Zeitschriften verfasst. Seit 2007 habe ich meine jahrzehntelange Nebentätigkeit ausgeweitet und bin nun hauptberuflich Lebensberater. Dies umfasst die eigentlichen Beratungen, aber auch das Deuten von Horoskopen, Heilungen, Rituale, Hilfe bei Spukhäusern u.ä. Problemen, Ausbildung in Meditation und Feng Shui und vieles mehr. Auf meiner Website www.HarryEilenstein.de finden Sie einen Teil meiner neueren Artikel und auch einen ausführlichen Lebenslauf.

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Leseprobe

I Rätsel in der germanischen Überlieferung

Rätsel sind ein allgemein bekannter Bestandteil der germanischen Kultur. Wie alle Dinge haben auch sie eine längere Vorgeschichte.

I 1. Die Bewahrung von Wissen

In den allermeisten schriftlosen Kulturen gibt es Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Zu einem großen Teil geschieht dies durch das Erlernen der Alltagstätigkeiten, aber daneben gibt es auch abstrakteres Wissen wie die Mythen, die Geschichte des Stammes, die eigene Ahnenreihe, medizinische Kenntnisse u.ä.

In der Regel besteht dieses Wissen aus drei Teilen:

  1. der Mythologie, d.h. der Schöpfungsgeschichte,
  2. der historischen Geschichte, und
  3. Einzelthemen.

Im Christentum wären dies z.B.:

  1. die Schöpfungsgeschichte (1. Buch Mose),
  2. die Geschichte der Juden und der Christen, und
  3. die Dogmen, die Heiligenlegenden u.ä.

Der erste Teil besteht bei den Indogermanen aus den Mythen, bei den Germanen also z.B. die Götterlieder der Edda und der Gylfaginning des Snorri Sturluson.

Der zweite Teil bildet bei den Indogermanen das Nationalepos – bei den Germanen also die Siegfried-Sage einschließlich der Vöslungensage, die deren Vorgeschichte ist.

Der dritte Teil setzt sich bei den Indogermanen aus deren Sagen, Bräuchen, Magie u.ä. zusammen, bei den Germanen also z.B. die Runensteine, die Zaubersprüche u.ä.

I 2. Die Formalisierung des Wissens

Oft wurde dieses Wissen in einer formalen Weise angeordnet, um das Auswendiglernen zu erleichtern. Zu diesen Hilfsmitteln gehören unter anderem das Versmaß, Wiederholungen und verschiedene Formen von Reimen. Man könnte sagen, daß die Lyrik erfunden wurde, um es den Menschen zu erleichtern, sich große Mengen von Wissen zu merken.

Oft gab es Spezialisten für die Bewahrung dieses Wissens – in der Regel werden dies die Schamanen-Priester gewesen sein, die eine Vielfalt von Aufgaben gehabt haben.

Diese verschiedenen Tätigkeiten haben sich bei den Indogermanen erst recht spät in verschiedene „Berufe“ ausdifferenziert. So spaltete sich z.B. bei den Kelten der Barde von den Druiden ab und bei den Germanen der Skalde von dem Diar, d.h. die Bewahrung des Wissens durch die Sänger-Dichter wurde eine von den Priestern zunehmend unabhängige Tätigkeit.

Grimnir-Lied

Am deutlichsten hat sich diese frühe Entwicklungsstufe im Grimnir-Lied erhalten, in dem Odin den Königssohn Agnar belehrt.

Odin steht bei diesem Lehren in einem Feuer, das der Waberlohe und den Flammen, die aus den Hügelgräbern auflodern, entspricht. Er steht also im Jenseits und lehrt den Königssohn von dort aus das Wissen.

Am Ende des Liedes stirbt Agnars Vater Geirröd, der die Sagen-Variante des Riesen Geirröd, also des ehemaligen Göttervaters Tyr ist. Agnar ist somit der wiedergeborene Geirröd, der wie Tyr jeden Abend durch das Schwert stirbt. Der Hintergrund der Belehrung des Agnar durch Odin ist somit das Krönungsritual der Germanen, das wie alle frühen Krönungen vor allem eine Jenseitsreise des angehenden Königs ist, durch die er den Kontakt zu den Göttern erhält, mit deren Rat und Hilfe er dann herrscht.

Agnar erhält seine Belehrung für den Trank, den Agnar dem Odin reicht. Dies ist eine Umdeutung des Trankes, der bei der Belehrung und auch bei der Krönung getrunken wurde. Er wird u.a. im Sigdrifa-Lied und im Hyndla-Lied beschrieben. Die Wichtigkeit dieses Trankes kann man auch dran erkennen, daß für ihn solche großen Goldhörner wie die von Gallehus hergestellt wurden, auf denen Jenseitsreise-Szenen dargestellt sind. Solche kostbaren Trinkhörner sind auch von vielen anderen indogermanischen Völkern bekannt.

Das Grimnir-Lied ist somit eine Vision des Agnar bei seiner Krönungs-Jenseitsreise, bei der er dieses Wissen über das Jenseits und über Weg dorthin und von dort aus wieder zurück brauchte.

Die Vision der Seherin

Dieses älteste erhaltene Lied der Germanen ist ebenfalls ein Visions-Bericht: Eine Seherin beschreibt in ihm den Verlauf der mythologischen Ereignisse vom Beginn an bis in die Gegenwart.

Durch diese Darstellungsform erhält diese Übersicht eine deutlich größere Dramatik – was unter anderem auch pädagogisch sinnvoll ist, da es den Skalden-Schülern dadurch leichter gefallen sein wird, sich das Lied zu merken. Zugleich entspricht diese Form aber auch der Tatsache, daß die Mythen keine abstrakten philosophischen Spitzfindigkeiten eines kleinen Kreises innerhalb des Gesellschaft gewesen sind, sondern eben die grundlegenden Strukturen der allgemeinen Weltanschauung.

I 3. Der Wissens-Dialog

Das Lernen von Wissen wird auch geprüft worden sein, wodurch sich Fragen des Lehrers und Antworten des Schülers ergeben. Dadurch entstand die Form des Dialoges, deren Fragen der Ursprung der späteren Rätsel sind. In den meisten Kulturen gibt es Rätsel, doch bei den Germanen spielen sie eine besonders große Rolle.

Der reine Wissens-Dialog, also einfach die Fragen der Skalden-Lehrer und die Antworten der Skalden-Schüler haben sich bei den Germanen nicht erhalten, aber die folgende Entwicklungsstufe zeigt, daß es diese Form des „Unterrichtes“ gegeben haben muß.

I 4. Der eingebettete Wissens-Dialog

Bei der allgemeinen Neigung der Germanen zur Dramatik konnte es nicht ausbleiben, daß man die Wissens-Dialoge mit einer Rahmenhandlung versah, durch die diese Dialoge deutlich an Spannung gewannen. Für solche Einbettungen gab es verschiedene Möglichkeiten:

Hyndla-Lied

In den Strophen des Hyndla-Liedes geht es vor allem um die Darstellung des Stammbaumes des Helden Otar durch die Riesin Hyndla, die mit Hel identisch ist – und wer könnte für diese Aufgabe besser geeignet sein als die Jenseitsgöttin Hel-Hyndla, in deren Halle sich all die Toten befinden, die in dieser Genealogie aufgeführt werden? Ihre Gesprächspartnerin ist dabei ihre Schwester Freya – beide sind ursprünglich Aspekte derselben Göttin gewesen.

Die Rahmenhandlung ist die gemeinsame Reise von Freya, Hyndla und Otar, der wie bei Jenseitsreisen üblich die Gestalt eines Ebers angenommen hat, nach Asgard, also zu Odin. Diese Szene geht der des Grimnir-Liedes voraus, in dem der angehende König (Agnar) bereits bei Odin angekommen ist und von ihm die Belehrungen über die Götterwelt erhält.

Wegtam-Lied

Odin ruft die Seherin-Göttin Wala (Hel) aus der Unterwelt herbei, um von ihr das Schicksal seines Sohnes Baldur zu erfahren. Da die handelnden Personen in diesem Lied auch die Personen sind, über die die betreffenden Mythen berichten, verwandelt sich das mythologische Wissen in eine Handlung – die Darstellung rückt aus der Vergangenheit heraus in die Gegenwart und gewinnt dadurch deutlich an Dramatik.

Odins Rabenzauber

Dieses Lied hat dasselbe Thema wie das vorige, aber diesmal sendet Odin die Götter Heimdall, Loki und Bragi aus, damit sie im Jenseits die Göttin Idun, die auch unter anderen Göttinnen-Namen auftritt, über das Schicksal des Baldur befragen.

Dieses Lied ist sehr kunstvoll gedichtet worden und erhält eine Vielzahl von mythologischen Anspielungen, die man auch zu den Auflistungen des mythologischen Wissens zählen kann.

Fiölswin-Lied

Fiölswin-Odin ist in diesem Lied nicht der Schamanengott, sondern der Wächtergott am Jenseitstor, was eine häufige Umdeutung der Schamanengötter ist.

Der Wanderer, der zu dem Jenseitstor gelangt und zu der Jenseitsgöttin Freya-Menglöd eingelassen werden will, um sich mit ihr zu vereinen und dann von ihr wiedergeboren zu werden, ist Swipdag, der Sonnengott, d.h. der ehemalige Göttervater Tyr auf seiner nächtlichen Reise durch das Jenseits. Odin-Fiölswin und Tyr-Swipdag haben hier noch ihre ursprünglichen Funktionen, was auf ein recht großes Alter dieses Liedes oder zu mindestens der ihm zugrunde liegenden mythologischen Szene schließen läßt.

In dem Dialog zwischen den beiden Göttern belehrt Odin-Fiölswin den Tyr- Swipdag über das Wesen des Jenseits. Die Grundstruktur der Rahmenhandlug ist somit dieselbe wie im Grimnir-Lied und im Hyndla-Lied: die Reise des angehenden Königs im Jenseits bei seiner Krönung.

Lokis Streitreden

Dieses Lied bettet die Wissens-Darstellung in einen Beleidigungs-Wettstreit („flyta“) ein – für den natürlich kein anderer so gut geeignet ist wie Loki selber. Ein solcher Wettstreit hat natürlich schon aus sich heraus eine große Spannung (und enthält jede Menge interessante Peinlichkeiten), aber er beruht auch auf einem sehr alten mythologischen Thema: dem Streit zwischen dem Winter- und Jenseitsgott Loki und dem Sommergott und Göttervater Tyr. Durch diesen Bezug erhält dieser Streit eine Verankerung in der „mythologischen Realität“...

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