G. Konflikte in der Übungsgruppe
Ein Teil der Herausforderung und der Bereicherung, die sich aus dem Lernen und Arbeiten in einer Übungsgruppe ergeben, liegt darin, stets sehr präsent und bewusst zu sein. Die meisten von uns werden wahrscheinlich Konflikte oder zumindest eine gewisse Spannung wahrnehmen, die sich mit der Zeit einstellen. Unsere wichtigste Aufgabe im Sinne der GFK ist es dann, unsere Aufmerksamkeit und unsere Wahrnehmung darauf zu richten, was wir fühlen und brauchen resp. welche Bedürfnisse wir haben. Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir eine bewusste Wahl treffen können, wie wir z. B. diese Bedürfnisse einbringen können, um eine größtmögliche Zufriedenheit zu erlangen.
In anderen Übungsgruppen kann es uns vielleicht passieren, dass wir die Spannungen, die wir gegenüber anderen Gruppenmitgliedern spüren, unbewusst unterdrücken oder ignorieren. In GFK-Übungsgruppen dagegen reagieren wir manchmal auf unangenehme Situationen, indem wir unsere Gruppenmitglieder jeder Frustration, jedem Ärger und jeder Wut aussetzen, die sie bei uns auslösen, in der Annahme, dass dies der „Weg der GFK“ sei. Wenn wir zum ersten Mal die aufregende Entdeckung machen, was es heißt, wenn wir mit unseren Bedürfnissen verbunden sind, vergessen wir vielleicht, dass wir auf lange Sicht unsere eigenen Bedürfnisse nicht auf Kosten anderer befriedigen können. Konflikte wirken sicherlich manchmal wie Wasser auf unsere Mühlen, aber trotzdem können wir immer noch üben, den richtigen Zeitpunkt zu wählen, die Menge des Wassers zu dosieren oder die Geschwindigkeit des Mühlrads zu regulieren. Eine „gereifte“ Übungsgruppe kann so möglicherweise einen heftig entflammten Konflikt, der die Gruppe einige Monate früher noch gesprengt hätte, auffangen. Wir sollten uns auch daran erinnern, dass es ein äußerst geeigneter Moment ist, GFK zu üben, wenn ungelöste Konflikte Teilnehmerinnen dazu bringen, die Übungsgruppe zu verlassen, oder wenn sich die Gruppe selbst auflöst.
Die Situationen, die in den nachfolgenden Abschnitten geschilderten werden, zeugen von Konflikten und Unzufriedenheit. Sie treten in GFK-Übungsgruppen immer mal wieder auf. Die kursiv und in Anführungsstrichen gesetzten Worte kommen in der Regel von den Teilnehmern selbst. Die Kommentare erfolgen in Normalschrift. Wenn euch eine der im Folgenden dargestellten, schwierigen Situationen widerfährt, nutzt die Zitate der Gruppenteilnehmer als Hilfe, mit euren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen in Kontakt zu kommen. Die nachfolgende Auflistung kann auch dazu verwendet werden, Rollenspiele oder spontane Dialoge in der Übungsgruppe zu initiieren.
1. Frauen, Männer und andere Unterschiede
„Manchmal, wenn eine Frau in der Übungsgruppe spricht, bin ich verstimmt, weil ich auch gerne das gleiche Niveau des Verständnisses und die gleiche Aufnahmebereitschaft für die Feinheiten erleben würde, wie dies die Frauen in der Übungsgruppe offenbar alle miteinander und untereinander teilen. Ich fürchte, dass ich einen wesentlichen, lebendigen Teil des Gesprächs nicht mitbekomme. Ich möchte vollumfänglich teilnehmen und gleichzeitig gesehen und akzeptiert werden für all das, was ich bin und weiß.“
Dieser Mann drückt sein Bedürfnis nach Einbezogensein aus, einem Wert, der häufig im Vordergrund steht, wenn wir in Gruppen üben. Er könnte sich fragen, was er beobachtet, das ihn zu dem Gedanken führt, dass die Frauen etwas wahrnehmen, was ihm entgeht. Hat er Blickkontakte zwischen einzelnen Frauen bemerkt? Wurde gelacht, wenn er selbst nichts Lustiges finden konnte? Wenn er den Frauen diese Art von Beobachtungen „anbieten“ könnte, würde er ihnen vielleicht helfen, sich ihrer eigenen, bisher unbewussten Verhaltensweisen bewusst zu werden. Noch wichtiger aber ist, dass er seine Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken und die Frauen um Einfühlung bitten kann. Wenn es möglich wäre, dass er die Versicherung erhält, dass die Frauen verstehen und sich darum sorgen, wenn er sich verstimmt und allein fühlt und wenn er das Bedürfnis hat, einbezogen zu sein, dann kann er sicher Verbindung und Akzeptanz erleben, auch wenn er vielleicht immer noch nicht den Humor in manchen Situationen verstehen kann.
In einer Übungsgruppe, in der wir uns selbst als „Minderheit“ erfahren, können wir (nachdem wir unsere Bedürfnisse ausgedrückt haben) spezifische Bitten im Hinblick auf ein Verhalten aussprechen, von dem wir meinen, dass es unser Bedürfnis nach Einbezogensein und Respekt unterstützt. Zum Beispiel: „Wärest du bereit, ein anderes Wort als ,sexistisch‘ zu benutzen, um zu beschreiben, worum es dir jetzt gerade geht?“ In einer anderen Übungsgruppe kann unser Bedürfnis nach Einbezogensein selbst dann befriedigt sein, wenn wir niemals „bekommen“, was vielleicht alle anderen, die einen gemeinsamen Hintergrund haben, „bekommen“. Das sieht alles ganz anders aus, wenn wir darauf vertrauen können, dass von den Anwesenden (und wenn es nur eine einzige Person ist) eine genügend große Anzahl von Personen unseren Schmerz hört und ernsthaft für unsere Bedürfnisse Sorge trägt, damit wir vollständig eingeschlossen, akzeptiert und respektiert sind.
2. Üben statt über Situationen zu reden
„Ich werde zunehmend frustrierter, wenn wir übereinkommen, Rollenspiele zu machen, und dann schließlich dabei landen, über Situationen zu sprechen, die die Teilnehmer einbringen. Ich bin verwirrt darüber, warum dies passieren kann.“
Nachdem jemand dieses Anliegen gegenüber der Übungsgruppe zugegeben hat, sollten wir uns vielleicht noch einmal Abschnitt III. K („Ein Rollenspiel strukturieren“) vor Augen führen, um sicherzugehen, dass jede in der Übungsgruppe sich über den Zweck und den Ablauf von Rollenspielen klar ist. Wenn die Gruppe fortfährt, sich mit Gesprächen über Situationen zu beschäftigen, statt zu üben, könnte es sein, dass die Person im Mittelpunkt (über deren Lebenssituation gerade gesprochen wird) einen großen Schmerz verspürt und erst einmal Einfühlung braucht, bevor sie es überhaupt wagen kann, sich in ein Rollenspiel hineinzugeben. In diesem Fall können wir entweder in ein „unrealistisches Szenario“ hineingehen, worin diese Person im Zentrum Einfühlung von der „anderen Seite“ erhält (siehe Abschnitt III. K: „ Ein Rollenspiel strukturieren “ – letzter Absatz), oder wir beenden das Rollenspiel und wechseln zu einem Empathie-Gespräch (siehe Abschnitt III. J: „Vorschläge für die Strukturierung eines Empathie-Gesprächs“.)
Hier ein Beispiel, was man beispielsweise sagen könnte, um auf die Situation zu reagieren:
„Ich befürchte, dass wir vielleicht eher über die Situation reden, als dass wir an diesem Beispiel üben. Ich könnte mir vorstellen, dass es wirklich hilfreich ist, (Name der zentralen Person), wenn du dich zuerst in dieser Situation in vollem Umfang gehört und verstanden fühlst, bevor wir uns damit in einem Rollenspiel beschäftigen. Wie fühlst du dich dabei, wenn du erst einmal bei einer Empathie-Sitzung entspannen kannst und wir anderen uns darauf konzentrieren, zuzuhören und dir zu spiegeln, was wir als deine momentanen, aktuellen Gefühle und Bedürfnisse hinsichtlich dieser vergangenen Situation hören?“
3. Struktur: Fest oder lose?
Solche Dinge kommen vor:
- Leute kommen zu spät ...
- Dann begrüßen sie sich erst einmal und tauschen die letzten Neuigkeiten aus ...
- Der Übungsgruppenleiter beginnt die Begrüßung 20 Minuten später als angekündigt ...
- Die Anwesenden äußern ihre Gedanken und Meinungen zu verschiedensten Themen, die mehr oder weniger mit GFK zu tun haben – meist aber „weniger“ ...
- Die Leute sprechen lang und ausführlich (mehr Worte, als ich eigentlich hören möchte) vornehmlich über Dinge, die mich nicht interessieren ...
- Die Einführungsrunde dauert eine Dreiviertelstunde ...
- Die Moderatorin geht scheinbar mit dem Fluss (es scheint mir aber, wir folgen jeder und jedem bei jedwedem Thema) ...
„Ich bin zunehmend frustriert, weil ich meine Zeit hier dem Üben der GFK widmen möchte.“
Wer das sagt, legt Wert auf die gemeinsame Gruppenzeit und möchte sie gerne sorgsam genutzt sehen, um dem ursprünglichen Zweck, zu dem die Übungsgruppe gegründet wurde – Praktizieren der GFK –, zu dienen. Bevor er sich selbst in der Übungsgruppe erklärt, möchte er vielleicht für sich selbst klarlegen, was er mit „GFK praktizieren“ meint, und offen sein für die Definition anderer Teilnehmerinnen. Nachdem er seine Frustrationen und Bedürfnisse mitgeteilt und Empathie und Verständnis erhalten hat, möchte er vielleicht hören, wie andere die Auslöser seines Ärgers erfahren haben. Dann erfährt er vielleicht, dass beispielsweise jemand, der zu spät kam, auch frustriert war über die Verspätung, oder warum jemand anderes die 45-minütige Einführungsrunde mehr schätzt als jede andere Aktivität an diesem Abend. Es könnte in dieser Situation hilfreich sein, eine oder mehrere „reflektierende Runden“ einzuschalten (siehe Abschnitt III. I: „Formen der Zusammenarbeit in der Übungsgruppe“), bis alle Gefühle und Bedürfnisse zu dem aktuellen Thema gehört worden sind, und wirklich erst dann mit der Suche von Lösungen zu beginnen. Wenn am Ende der Diskussion Vereinbarungen getroffen werden, schließt man mit einer weiteren „reflektierenden Runde“ ab, in der alle Teilnehmerinnen ihre Gefühle äußern und mitteilen, welche ihrer Bedürfnisse erfüllt werden, wenn sie den...