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E-Book

Vorsicht, Arzt!

Wie unser Gesundheitssystem uns krank und andere reich macht

AutorAnette Dowideit
VerlagPlassen Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl226 Seiten
ISBN9783864704048
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Ein Arzt, der trotz zitteriger Hände Patienten an den Augen operiert und Kunstfehler am laufenden Band fabriziert. Ein Krebsmediziner, der dafür sorgt, dass todkranken Patienten ein Medikament vorenthalten wird, das ihnen helfen könnte. Ein Gynäkologe, der Kaiserschnitte macht, damit er mehr verdient und pünktlich ins Wochenende kommt. Und damit nicht genug: Einige Ärzte betrügen ihre eigenen Patienten um Geld; andere operieren sie aus Geldgier und bringen damit ihr Leben in Gefahr. Die staatlichen Aufsichtsbehörden, die Patienten eigentlich schützen sollten, sind oft untätig. Was läuft gerade schief im deutschen Gesundheitssystem? Investigativjournalistin Anette Dowideit, die bereits in 'Endstation Altenheim' Missstände in der Altenpflege aufdeckte, dringt nun tief in die Niederungen der 'ärztlichen Selbstverwaltung' vor - und fragt: Was ist aus dem ärztlichen Berufseid geworden?

Anette Dowideit ist Diplom-Volkswirtin und Absolventin der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft. Sie arbeitet seit 2004 bei der Zeitungsgruppe 'Die Welt'. Nach vier Jahren als Korrespondentin in New York ist sie seit 2011 Mitglied des Investigativteams.

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Leseprobe

KAPITEL 1


PATIENT GEGEN GELDUMSCHLAG


WARUM MAN SEINEM ARZT NICHT BLIND VERTRAUEN SOLLTE


Es ist ein kalter Herbstabend, draußen regnet es. Seit zwei Stunden sitzt Marius Kleisner in seinem Auto, einem unauffälligen dunklen Kleinwagen, und fröstelt. Der Privatdetektiv wechselt sich seit einer guten Woche jeden Abend mit zwei Kollegen ab, um einen renovierten Altbau in einem der gehobenen Stadtteile von Frankfurt am Main im Blick zu behalten. Die beschattete Bewohnerin ist Ärztin mit einem gut bezahlten Spezialgebiet. Sie ist Radiologin. Doch Kleisners Auftraggeber halten die Frau für eine Straftäterin.

Es dämmert bereits, als die Ärztin ihre Wohnung verlässt, in ihren Geländewagen steigt und losfährt. Kleisner folgt ihr in unauffälligem Abstand. In den folgenden beiden Stunden dreht sie eine Runde durch mehrere Orte im Frankfurter Speckgürtel: Bad Homburg, Königstein, Kronberg. An mehreren großzügigen Einfamilienhäusern macht sie halt. Kleisners Recherche wird später ergeben, dass hier Orthopäden und Internisten leben. Der Privatdetektiv greift zum Fotoapparat und dokumentiert, was er nun beobachtet: An jeder dieser Stationen holt die Ärztin einen Briefumschlag aus ihrer Handtasche, wirft diesen Umschlag in den Briefkasten, schaut sich noch einmal vorsichtig um, geht dann schnellen Schrittes zu ihrem Auto zurück und fährt weg. Auffällig ist: Die Szene spielt sich zum Monatsende ab.

Marius Kleisner, der eigentlich anders heißt, und seine Kollegen arbeiten für das Frankfurter Ermittlungsbüro KDM Sicherheitsconsulting. Eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, in Fällen von Wirtschaftskriminalität zu recherchieren. Für gewöhnlich sind die Auftraggeber Unternehmen, die Betrug in den eigenen Reihen oder Korruption von Konkurrenten vermuten. Der Chef der Ermittler ist Klaus-Dieter Matschke – ein ehemaliger Kriminaloberrat. In seiner Detektei arbeitet ein gutes Dutzend Ex-LKA-Ermittler, Zollfahnder und Verfassungsschützer. Immer wieder, erzählt Matschke, kommen seine Aufträge seit ein paar Jahren aber aus einem anderen Bereich: dem Medizinbetrieb. Krankenkassen engagieren ihn und seine Kollegen zum Beispiel, um Abrechnungsbetrug aufzudecken: von Krankenhäusern, die nicht erbrachte Leistungen bei den Kassen abrechnen. Oder ambulanten Pflegediensten, die den Pflegeversicherungen vorgaukeln, Senioren zu pflegen – die tatsächlich aber gar nicht pflegebedürftig sind.

Die Beschattung am nasskalten Herbstabend aber, und das ist ungewöhnlich, hat ein Mediziner selbst bezahlt. Ein anderer Radiologe hat die Detektei engagiert. Er will sich gemeinsam mit einem Berufskollegen in Neu-Isenburg südlich von Frankfurt mit seiner eigenen Praxis niederlassen. Das aber ist eine teure und riskante Investition: Um eine radiologische Praxis einzurichten, müssen die beteiligten Ärzte je nachdem, welche Technik sie anschaffen – etwa Geräte für Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomografie (CT) – mit Anlaufkosten von deutlich über einer Million Euro rechnen. Geld, das nur dann per Darlehen nach und nach abgezahlt werden kann, wenn genügend Patienten in die Praxis kommen. Der Radiologe, der seine Firma damals beauftragte, erzählt Matschke, hat während seiner Gründungsplanung jedoch Hinweise erhalten, dass sein Businessplan nicht aufgehen könnte. Denn es soll im Großraum Frankfurt zwei andere radiologische Praxen geben, die sich mit unlauteren Mitteln ihre Kundschaft besorgen. Die Rede ist in diesen Hinweisen von Kick-back-Zahlungen an andere Arztpraxen, die ihnen Patienten zuführen. Jedes Mal, wenn ein Kranker in einer der beteiligten Orthopädie- oder Internistenpraxen eine Überweisung zum Radiologen brauche, werde eine der beiden radiologischen Einrichtungen empfohlen. An sich sind solche Empfehlungen nicht verwerflich – sofern der überweisende Arzt überzeugt ist, dass der empfohlene Mediziner außergewöhnlich gut arbeitet. Fließt jedoch dafür Geld, ist es eine Straftat.

Die Ermittler sollen nun helfen, diesen Verdacht zu erhärten. In den kommenden Monaten lassen sie sich Termine bei den in Verdacht stehenden „Partner-Praxen“ geben und hören sich an, wie deutlich die Mediziner und deren Sprechstundenhilfen die Patienten zum Besuch bestimmter Radiologenpraxen drängen. Tatsächlich erleben sie dort handfeste Beeinflussungen: „Wir empfehlen Ihnen, die Röntgenaufnahmen bei dieser speziellen Radiologiepraxis machen zu lassen“, hören sie immer wieder. Und damit nicht genug: „Wir rufen gleich mal an und machen einen Termin für Sie aus.“

Bis dahin klingt das nur nach einer überzeugten Empfehlung und Service am Patienten. Um zu beweisen, dass für diese Empfehlungen auch Geld fließt, beschließen die Ermittler, auch die im Verdacht stehende Radiologin zu observieren – und beobachten schließlich, wie sie die Umschläge einwirft. Dass sich darin Geldscheine befinden, sagt Ermittler Matschke, habe man auch feststellen können – weil manchmal Umschläge versehentlich neben den Briefkasten gefallen und dabei aufgeplatzt seien – wie es wohl im Detektiv-Jargon heißt.

Ärzte-Bestechung in bar und mit persönlicher Zustellung: Solche Fälle sind ein Grund für dieses Buch. Es scheint, als nehme eine wachsende Zahl an Ärzten es mit ihrem ärztlichen Berufsethos nicht mehr so genau. Wer im Gesundheitssystem recherchiert und in die Niederungen des Praxiswesens, der Krankenhausstrukturen und der ärztlichen Selbstverwaltung eintaucht, der stellt fest: Im Medizinbetrieb ist häufig nicht mehr nur die bestmögliche Versorgung des Patienten das Ziel. Im Fokus einiger Mediziner steht stattdessen offenbar, möglichst viel aus dem Patienten, der sich ihm und seiner Fachkenntnis anvertraut hat, herauszuholen. Teils geschieht das mit rechtlich lauteren, aber moralisch fragwürdigen Methoden. Teils geschieht es auch mit illegalen, teils hoch komplizierten Tricks.

Das Phänomen zeigt sich beispielsweise in dem Trend, dass Patienten in der Arztpraxis unnötige Selbstzahler-Leistungen aufgeschwatzt werden. Es geht weiter mit kleinen Betrügereien: Kranke zahlen in der Klinik Aufpreise für eine vermeintlich luxuriösere Versorgung, die dann aber gar nicht geleistet wird. Niedergelassene Ärzte stellen gesetzlich Versicherten Rechnungen für Leistungen, die ihnen bereits die Krankenkasse bezahlt hat. Sie kassieren ganz plump doppelt ab. Andere lassen Kassenpatienten Eintrittsgelder für ihre Arztpraxis zahlen: Sie vergeben sogenannte Selbstzahler-Termine, mit denen man deutlich schneller drankommt als ein anderer gesetzlich Versicherter, der sich diese Sonderzahlung nicht leisten kann.

Manchmal aber geht die Geschäftstüchtigkeit noch deutlich weiter – so weit, dass sie die Gesundheit der Patienten gefährdet. Im Laufe der Recherchen für dieses Buch und zuvor für Zeitungsartikel, die in der Welt am Sonntag erschienen sind, kamen viele Beispiele dafür zusammen. Da ist …

… der Augenarzt, der trotz zitteriger Hände weiteroperiert und dadurch Kunstfehler am laufenden Band produziert – was schon einige seiner Patienten das Augenlicht gekostet hat.

… der Chirurg, der sich selbst überschätzt und an Patienten Operationen durchführt, die er zuvor noch nie gemacht hat.

… der Gynäkologe, der aus finanziellen Erwägungen und aus Bequemlichkeit Babys per Kaiserschnitt zur Welt bringt und dafür die werdenden Mütter ohne Not auf den OP-Tisch legt.

… und der Orthopäde, der Knie und Rücken operiert, obwohl diese Verletzungen genauso gut von selbst heilen könnten. Dabei nehmen er und seine Berufskollegen, die es ihm gleichtun, in Kauf, dass bei diesen unnötigen Eingriffen manchmal Menschen sterben.

Es gibt auch einflussreiche forschende Mediziner, die eine ganze ärztliche Fachrichtung maßgeblich beeinflussen, gleichzeitig aber mit der Pharmaindustrie verstrickt sind. Sie haben die Macht zu verhindern, dass alternative, pharmaunabhängige Therapien erforscht werden, die todkranken Patienten vielleicht helfen könnten – und diese Macht scheinen sie zuweilen auch auszunutzen.

Und dann sind da noch die Ärztefunktionäre, die maßgeblich darüber bestimmen, wie viele Arztpraxen sich wo im Land niederlassen dürfen. Ihnen hat der Gesetzgeber die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die bestmögliche Versorgung der Patienten im Land mit Ärzten sicherzustellen. Stattdessen tun sie aber immer wieder das Gegenteil davon: Sie begrenzen zum Beispiel die Zahl der Ärzte, um denen, die schon eine Praxiszulassung haben, ihre Kundschaft zu sichern. Das Kuriose: Für diese Arbeit werden die Funktionäre an der Spitze der ärztlichen Selbstverwaltung großzügig entlohnt, einige von ihnen verdienen deutlich mehr als die Bundeskanzlerin. Ihr Einkommen aber stammt zum großen Teil aus Beiträgen gesetzlich versicherter Patienten.

Setzt man all diese Puzzleteile zusammen, formt sich ein recht eindeutiges Bild vom Zustand unseres Medizinbetriebs: Seinem Arzt kann man nicht...

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