Die Frage, ob die Erde veralte,
physikalisch erwogen
Wenn man wissen will, ob ein Ding alt, ob es sehr alt, oder noch jung zu nennen sei, so muß man es nicht nach der Anzahl der Jahre schätzen, die es gedauert hat, sondern nach dem Verhältniß, das diese zu derjenigen Zeit haben, die es dauren soll. Ebendieselbe Dauer, die für eine Art von Geschöpfen ein hohes Alter kann genannt werden, ist es nicht für eine andere. In derselben Zeit, da ein Hund veraltet, hat der Mensch kaum seine Kindheit überschritten, und die Eichen und Cedern auf dem Libanon sind noch nicht in ihrer männlichen Stärke, wenn die Linden oder Tannen alt werden und verdorren. Am meisten fehlt der Mensch, wenn er in dem Großen der Werke Gottes zum Maßstabe des Alters die Reihe der menschlichen Geschlechter anwenden will, welche in dieser Zeit verflossen sind. Es ist zu besorgen, daß es mit seiner Art zu urtheilen bewandt sei, wie mit der Rosen ihrer beim Fontenelle, welche von dem Alter ihres Gärtners muthmaßten. Unser Gärtner, sagten sie, ist ein sehr alter Mann, seit Rosen Gedenken ist er derselbe, der er immer gewesen, in der That er stirbt nicht, er verändert sich nicht einmal. Wenn man die Dauerhaftigkeit erwägt, die bei den Anstalten der Schöpfung an den großen Gliedern ihres Inbegriffes angetroffen wird, und welche einer Unendlichkeit nahe kommt, so wird man bewogen zu glauben: daß ein Ablauf von 5 oder 6000 Jahren für die der Erde bestimmte Dauer vielleicht noch nicht dasjenige sei, was ein Jahr in Ansehung des Lebens eines Menschen ist.
Die Wahrheit zu gestehen, wir haben keine Merkmale in der Offenbarung, woraus wir abnehmen können, ob die Erde anjetzt jung oder alt, als in der Blüthe ihrer Vollkommenheit, oder in dem Verfall ihrer Kräfte begriffen, könne angesehen werden. Sie hat uns zwar die Zeit ihrer Ausbildung und den Zeitpunkt ihrer Kindheit entdeckt, aber wir wissen nicht, welchem von den beiden Endpunkten ihrer Dauer, dem Punkte ihres Anfanges oder Unterganges, sie anjetzt näher sei. Es scheint in der That ein der Untersuchung würdiger Vorwurf zu sein, zu bestimmen, ob die Erde veralte und sich durch eine allmählige Abnahme ihrer Kräfte dem Untergange nähere, ob sie jetzt in der Periode dieses abnehmenden Alters, oder ob ihre Verfassung annoch im Wohlstande sei, oder wohl gar die Vollkommenheit, zu der sie sich entwickeln soll, noch nicht völlig erreicht und sie also ihre Kindheit vielleicht noch nicht überschritten habe.
Wenn wir die Klagen bejahrter Leute hören, so vernehmen wir, die Natur ältere merklich, und man könne die Schritte verspüren, die sie zu ihrem Verfall thue. Die Witterungen, sagen sie, wollen nicht so gut wie vormals einschlagen. Die Kräfte der Natur sind erschöpft, ihre Schönheit und Richtigkeit nimmt ab. Die Menschen werden weder so stark noch so alt mehr als vormals. Diese Abnahme, heißt es, ist nicht allein bei der natürlichen Verfassung der Erde zu bemerken, sie erstreckt sich auch bis auf die sittliche Beschaffenheit. Die alte Tugenden sind erloschen, an deren statt finden sich neue Laster. Falschheit und Betrug haben die Stelle der alten Redlichkeit eingenommen. Dieser Wahn, welcher nicht verdient widerlegt zu werden, ist nicht sowohl eine Folge des Irrthums als der Eigenliebe. Die ehrliche Greise, welche so eitel sind, sich zu überreden, der Himmel habe die Sorgfalt für sie gehabt sie in den blühendsten Zeiten an das Licht zu stellen, können sich nicht überreden, daß es nach ihrem Tode noch eben so gut in der Welt hergehen solle, als es zuging, ehe sie geboren waren. Sie möchten sich gerne einbilden, die Natur veralte zugleich mit ihnen, damit es sie nicht reuen dürfe eine Welt zu verlassen, die schon selber ihrem Untergange nahe ist.
So ungegründet wie diese Einbildung ist, das Alter und Dauerhaftigkeit der Natur nach dem Maßstabe eines einzigen Menschenalters messen zu wollen, so scheint doch eine andere Vermuthung dem ersten Anblicke nach nicht eben so ungereimt: daß in einigen tausend Jahren vielleicht einige Veränderung in der Verfassung des Erdbodens merklich werden könne. Es ist hier nicht gnug mit Fontenellen anzumerken, daß die Bäume vor Alters nicht größer geworden als jetzo, daß die Menschen weder älter noch stärker gewesen, als sie es jetzt sind, es ist, sage ich, dieses noch nicht genug, um daraus zu schließen, daß die Natur nicht veralte. Diese Beschaffenheiten haben ihre durch die wesentliche Bestimmungen ihnen festgesetzte Schranken, welche auch die vortheilhafteste Beschaffenheit der Natur und der blühendste Wohlstand derselben nicht weiter treiben können. In allen Ländern ist in Ansehung dessen kein Unterschied; die fetten und in den besten Himmelsgegenden liegende Länder haben vor den magern und unfruchtbaren hierin keinen Vorzug; allein ob, wenn man zwischen zuverlässigen Nachrichten alter Zeiten und der genauen Beobachtung der gegenwärtigen eine Vergleichung anstellen könnte, nicht einiger Unterschied in der Fruchtbarkeit derselben würde zu bemerken sein, ob die Erde nicht etwa ehedem weniger Wartung bedurft hat, dem menschlichen Geschlechte den Unterhalt darzureichen, dieses scheint, wenn es entschieden werden könnte, ein Licht in der vorhandenen Aufgabe zu versprechen. Es würde gleichsam die ersten Glieder einer langen Progression vor Augen legen, an welchen man erkennen könnte, welchem Zustande die Erde sich in langen Zeitläuften ihres Alters allgemach nähere. Diese Vergleichung aber ist sehr ungewiß, oder vielmehr unmöglich. Der Menschen Fleiß thut so viel zur Fruchtbarkeit der Erde: daß man schwerlich wird ausmachen können, ob an der Verwilderung und Verödung derjenigen Länder, die vordem blühende Staaten waren und jetzt fast gänzlich entvölkert sind, die Nachlässigkeit der erstern, oder die Abnahme der letztern am meisten Schuld sei. Ich will diese Untersuchung denjenigen empfehlen, die mehr Geschicklichkeit und Neigung haben diese Frage nach beiden Bedingungen in den Denkmalen der Geschichte zu prüfen; ich will sie lediglich als ein Naturkündiger abhandlen, um wo möglich von dieser Seite zu einer gründlichen Einsicht zu gelangen.
Die Meinung der meisten Naturforscher, welche Theorien der Erde entworfen haben, geht dahin, daß die Fruchtbarkeit der Erde allmählig abnehme, daß sie sich dem Zustande mit langsamen Schritten nähere unbewohnter und wüst zu werden, und daß es nur Zeit brauche, um die Natur gänzlich veraltet und in der Ermattung ihrer Kräfte erstorben zu sehen. Diese Frage ist wichtig, und es verlohnt sich wohl der Mühe sich mit Behutsamkeit diesem Schlusse zu nähern.
Lasset uns aber vorher den Begriff bestimmen, den man sich von dem Veralten eines sich durch natürliche Kräfte zur Vollkommenheit ausbildenden und durch die Kräfte der Elemente modificirenden Körpers zu machen hat.
Das Veralten eines Wesens ist in dem Ablauf seiner Veränderungen nicht ein Abschnitt, der äußere und gewaltsame Ursachen zum Grunde hat. Eben dieselbe Ursachen, durch welche ein Ding zur Vollkommenheit gelangt und darin erhalten wird, bringen es durch unmerkliche Stufen der Veränderungen seinem Untergange wiederum nahe. Es ist eine natürliche Schattirung in der Fortsetzung seines Daseins und eine Folge eben derselben Gründe, dadurch seine Ausbildung bewirkt worden, daß es endlich verfallen und untergehen muß. Alle Naturdinge sind diesem Gesetze unterworfen, daß derselbe Mechanismus, der im Anfange an ihrer Vollkommenheit arbeitete, nachdem sie den Punkt derselben erreicht haben, weil er fortfährt das Ding zu verändern, selbiges nach und nach wiederum von den Bedingungen der guten Verfassung entfernt und dem Verderben mit unvermerkten Schritten endlich überliefert. Dieses Verfahren der Natur zeigt sich deutlich an der Ökonomie des Pflanzen= und Thierreichs. Eben derselbe Trieb, der die Bäume wachsen macht, bringt ihnen den Tod, wenn sie ihr Wachsthum vollendet haben. Wenn die Fasern und Röhren keiner Ausdehnung mehr fähig sind,so fängt der nährende Saft, indem er fortfährt sich den Theilen einzuverleiben, das Inwendige der Gänge an zu verstopfen und zu verdichten und das Gewächs durch die gehemmte Bewegung der Säfte endlich absterben und verdorren zu machen. Eben der Mechanismus, wodurch das Thier oder der Mensch lebt und aufwächst, bringt ihm endlich den Tod, wenn das Wachsthum vollendet ist. Denn indem die Nahrungssäfte, welche zu dessen Unterhalte dienen, die Canäle, an die sie sich ansetzen, nicht mehr zugleich erweitern und in ihrem Inhalte vergrößern, so verengen sie ihre inwendige Höhle, der Kreislauf der Flüssigkeiten wird gehemmt, das Thier krümmt sich, veraltet und stirbt. Eben so ist der allmähliche Verfall der guten Verfassung der Erde ebenfalls in die Folge der Abänderungen, welche ihre Vollkommenheit anfänglich bewirkten, so eingeflochten, daß er nur in langen Zeitläuften kenntlich werden kann. Wir müssen daher auf die veränderlichen Scenen, welche die Natur von ihrem Anfange an bis zur Vollendung spielt, einen flüchtigen Blick werfen, um die ganze Kette der Folgen zu übersehen, darin das Verderben das letzte Glied ist.
Die Erde, als sie sich aus dem Chaos erhob, war unfehlbar vorher in flüssigem Zustande. Nicht allein ihre runde Figur, sondern vornehmlich die sphäroidische Gestalt, da die Oberfläche gegen die durch die Kraft der Umdrehung veränderte Richtung der Schwere in allen Punkten eine senkrechte Stellung annahm, beweisen, daß ihre Masse die Fähigkeit gehabt hat sich zu der Figur, die das Gleichgewicht in diesem Falle erfordert, von selber zu bequemen. Sie ging aus dem flüssigen Zustande in den festen über; und zwar sehen wir unverwerfliche Spuren, daß die Oberfläche sich zuerst gehärtet hat, indessen daß das Inwendige des Klumpens, in welchem die Elemente nach den Gesetzen des Gleichgewichts...