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E-Book

Warum ich losging, um Milch zu kaufen, und mit einem Fahrrad nach Hause kam

Was wirklich hinter unseren Entscheidungen steckt

AutorJochen Mai
Verlagdtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783423430708
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Gut, dass Sie sich für dieses eBook entscheiden! Jeden Tag treffen wir etwa 20.000 Entscheidungen, die meisten davon unbewusst. Viele haben keine großen Auswirkungen auf unser Leben, doch bei einigen geht es ums Ganze. Und manche sind so verrückt, dass wir es hinterher kaum glauben können. Ohne dass wir es geplant hatten, verändern sie unser gesamtes Leben. Was ist eigentlich eine Entscheidung? Wie kommt sie zustande und was beeinflusst sie? Warum entscheiden wir heute so, morgen so? Warum entscheiden Frauen anders als Männer?  Jochen Mai benennt die typischen Denkfehler, die wir begehen, die Zwickmühlen, in denen wir immer wieder feststecken. Und zeigt, wie wir künftig Entscheidungen klüger treffen können.

JOCHEN MAI, geboren 1968, zählt seit Jahren zu den Top-Influencern im Internet. Der Blogger und Berater leitete jahrelang das Ressort »Management + Erfolg« bei der WirtschaftsWoche und fungierte danach als Social Media Manager in der Wirtschaft. Bekannt wurde Mai als Gründer von Karrierebibel.de, einem der renommiertesten Job- und Karriereportale mit rund 3,6 Millionen Lesern im Monat. Er ist Dozent an der Technischen Hochschule Köln und spricht als Keynote-Speaker regelmäßig auf Kongressen und Firmenevents.

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Leseprobe

Kapitel 1
HILFE, ICH KANN MICH NICHT ENTSCHEIDEN!

WARUM UNS ENTSCHEIDEN SO SCHWERFÄLLT


Halt! Stopp. Lesen Sie dieses Buch nicht weiter … Und schon haben Sie sich entschieden: Sie lesen trotzdem weiter (was ich natürlich unterstütze). Die Fragen, die sich stellen: Warum haben Sie sich ausgerechnet so entschieden und wie lange haben Sie dafür gebraucht?

Die erste Frage ist noch relativ leicht zu beantworten: Der Einstieg hat Sie vermutlich neugierig gemacht. Vielleicht hat er aber auch Ihre Renitenz-Saiten in Schwingungen versetzt, Motto: jetzt erst recht! Oder Sie stehen gerade in einem Buchladen, blättern ein wenig in diesem Buch und überlegen, ob Sie es kaufen sollen … Noch eine Entscheidung! Echt fies, oder?

Ich sage: Sie haben sich schon längst entschieden. Ihr Verstand versucht nur noch, Ihre Wahl zu rationalisieren und zu rechtfertigen, damit sie nicht ganz so spontan, willkürlich und emotional wirkt und damit irgendwie intellektueller, abgewogener und begründbarer.

Kein Grund zur Scham: Wir machen das ständig so. Entscheidungen treffen sowieso. Aber auch, uns erst unterbewusst zu entscheiden und dann das Ergebnis durch einen rationalen Wahlomaten rattern zu lassen, damit die Wahl anschließend logisch-klug erscheint – nicht nur für uns selbst, sondern auch für die beste Freundin, den Freund, den Partner, Kollegen oder Chef.

Manchmal entscheiden wir uns auch um, wenn wir merken, dass die Argumente, die die Synapsen in der Oberstube da so mühsam zusammenknüpfen, einer genaueren Überprüfung nicht standhalten würden. Dann sagen wir B, hätten aber lieber A – unsere Herzenswahl. Dazu komme ich später noch mal. Oder wir gehen in ein Geschäft und verlassen es mit etwas ganz anderem, als wir eigentlich wollten. Gut, in dem Fall kann es auch so laufen: Ihr Unterbewusstsein und Verstand ringen immer noch um die bessere Begründung, während Sie schon an der Kasse stehen und bezahlen.

Das Leben steckt voller Entscheidungen. Bis zu 20 000 davon treffen wir Tag für Tag, haben Wissenschaftler einmal hochgerechnet. Die Zahl kann man glauben oder nicht, aber viele Entscheidungen, sehr viele, sind es auf jeden Fall. Und Sie ahnen schon jetzt, wie aberwitzig die Vorstellung wäre, jede einzelne davon bewusst und rational treffen zu wollen. Allein unsere verfügbare Zeit macht dieses Vorhaben absolut unmöglich. Der Großteil unserer Entscheidungen wird zwangsläufig blitzschnell getroffen.

Das fängt schon beim Aufstehen an. Genau genommen sogar davor: Kaum piept der Wecker, landet der Zeigefinger auf der Snooze-Taste. Eine klare Entscheidung für weitere fünf Minuten Dämmerschlaf. Gut so! Denn das hilft uns nachweislich, besser in den Tag zu starten. Doch es bedeutet auch, weniger Zeit fürs Frühstück zu haben. Also verzichten Sie auf die zweite Tasse Kaffee. Die nächste Entscheidung. Und so weiter.

Den ganzen Tag lang verfahren wir nach diesem Muster. Angesichts des schieren Ausmaßes unserer täglichen Wahloptionen können wir von Glück sagen, dass viele davon unbewusst ablaufen und die meisten so trivial sind. Sonst würden wir schlicht irre davon – auch wenn sich das manchmal trotzdem so anfühlt.

Im Job geraten wir gleich zigfach in Situationen, in denen wir uns entscheiden müssen – jedoch stehen wir dabei auch noch mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 60 Prozent unter Zeitdruck – auch das ein wissenschaftliches Ergebnis. Kollegen, Vorgesetzte oder auch Kunden sind von Natur aus keine geduldigen Zeitgenossen. Sie erwarten eine baldige Antwort, am besten bis gestern. Die Wahrscheinlichkeit für mehr Fehlentscheidungen – so sollte man zumindest meinen – ist hier ungleich größer, genauso wie die potenziellen (negativen) Folgen. Warum das nicht so ist, erfahren Sie ebenfalls in diesem Buch.

Entscheidungen betreffen jeden von uns, jeden Tag, jede Minute, und sind trotz der scheinbaren Einfachheit psychologisch unglaublich komplex.

Sagen wir es, wie es ist: Der Mensch ist nicht nur die selbst ernannte Krone der Schöpfung, sondern leider auch ein Meister darin, sich selbst zu behumsen und seine eigene Wirklichkeit zu schaffen. Insbesondere, wenn wir mit uns unzufrieden sind und unsere Entscheidungen bereuen. Wie trällerte schon Pippi Langstrumpf: »Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt …«? Was bei der beliebten Romangöre zum fröhlichen Selbstverständnis gehörte, endet im realen Leben oft in einem Universum aus (Selbst-)Enttäuschung, Schönfärberei und Selbstgerechtigkeit.

Dazu gibt es ein wirklich zauberhaftes Experiment der Psychologen Lars Hall und Petter Johansson von der Universität Lund in Schweden, das das ganze Ausmaß der Selbstmanipulation eindrucksvoll vor Augen führt.

Nehmen wir einmal an, Sie könnten zwischen zwei potenziellen Partnern wählen. Als Resultat wären Sie jedoch mit dem Menschen verbandelt, den Sie nicht ausgesucht haben. Würden Sie das merken?

»Also, bitte: Was soll das für eine doofe Frage sein?«, denken Sie vermutlich. Natürlich würden Sie das merken! Okay, wenn der neue Hausbewohner so gar nicht Mr oder Mrs Perfect ähnelt, ist das wohl noch leicht. Bei den Experimenten von Lars Hall und Petter Johansson aber war es das nicht. Verblüffender noch: Selbst wenn den Probanden auffiel, dass der von ihnen per Foto ausgewählte Partner sich seltsam verändert hatte, hielten sie ihre Wahl für goldrichtig, ja, sie begannen sogar, die Partner vor anderen zu rechtfertigen.

Da gab es etwa einen Probanden, der schwor Stein und Bein, Frauen mit Ohrringen zu bevorzugen – dabei trug nur die von ihm abgelehnte Dame Ohrschmuck. Ein anderer Kandidat sagte, ein Lächeln auf dem Foto sei für ihn ausschlaggebend gewesen. Leider war auf dem Bild, das er anschließend in der Hand hielt, kein lächelndes Gesicht zu sehen.

Hall und Johansson gaben dem Phänomen später die Bezeichnung »Choice Blindness«; im Deutschen spricht man auch von Wahlblindheit. Kurz formuliert besagt diese: Wir merken häufig gar nicht, wenn wir uns geirrt haben. Und falls wir es doch merken, geben wir den Irrtum nur ungern zu und reden uns (und anderen) diesen richtig.

Das im Hinterkopf fragen Sie sich jetzt bitte mal, warum Sie schon so lange den Job machen, mit dem Sie aktuell Ihr Geld verdienen, aber dabei irgendwie nicht glücklich sind …

Besonders wir Deutschen sind dafür bekannt, gerne alles zu analysieren. Kritisch vor allem: Im Kern wünschen wir uns eine widerspruchsfreie Welt. Widersprüche sind uns zutiefst unangenehm und nur schwer zu ertragen. Im Fachjargon spricht man dabei von kognitiver Dissonanz. Dieser negative Gefühlszustand entsteht immer dann, wenn wir mit unvereinbaren Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünschen oder Absichten konfrontiert werden. So kommt es in aller Regelmäßigkeit zu genau diesen Dissonanzen, wenn wir nach einer Entscheidung glauben oder erfahren, dass die andere Wahl besser gewesen wäre.

Um solche kognitiven Dissonanzen zu reduzieren und die Welt wieder in Einklang zu bringen, stehen uns verschiedene Werkzeuge zur Verfügung. Sehr beliebt ist zum Beispiel die Variante, die eigene Einstellung kurzerhand zu ändern, um so die getroffene Entscheidung doch noch rechtfertigen zu können.

Von Konrad Adenauer stammt das berühmte Bonmot: »Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.« Wer heute A sagt, kann morgen auch B behaupten. So einfach geht das. Von den meisten Menschen werden solche Kehrtwendungen zwar bemerkt (und zuweilen auch kritisch hinterfragt), danach aber fühlt sich die Welt deutlich besser an. Es fehlt vielleicht die plausible Erklärung für den plötzlichen Sinneswandel. Aber welche Lösung ist schon perfekt?

In der Politik und im Beruf sind solche Manöver allerdings nicht ungefährlich. Wer zu viele 180-Grad-Haken schlägt, verliert massiv an Glaubwürdigkeit.

Neben dieser ziemlich durchschaubaren Methode gibt es aber noch eine zweite Option: herunterspielen und herabwürdigen.

Sie lässt sich beispielsweise regelmäßig an Rauchern beobachten. Auf die gesundheitlichen Folgen des Qualmens angesprochen, kontern diese gerne: Das Leben sei generell gefährlich; man könne genauso gut morgen von einem Auto überfahren werden. Ohnehin sei die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, längst nicht so hoch, wie alle behaupteten, es gebe ja genügend richtig alte Raucher. Und überhaupt: Was sei mit Helmut Schmidt? Der rauchte seit zwoundtrölfzig Jahren Kette und starb auch nicht an Lungenkrebs! Wie Sie sehen, sind wir um eine Ausrede nie verlegen, wenn es darum geht, kognitive Dissonanzen zu minimieren und unsere Entscheidungen vor uns selbst zu rechtfertigen.

SELBSTTEST: WIE REAGIEREN SIE AUF KOGNITIVE DISSONANZ?


Wenn Sie mögen, können Sie diesen Zustand der kognitiven Dissonanz gleich an sich selbst erproben und erleben. Der Philosoph, Mathematiker und Logiker Bertrand Russell formulierte dazu ein schönes Beispiel – das sogenannte Barbier-Paradoxon:

Man kann einen Barbier als jemanden definieren, der all jene und nur jene rasiert, die sich nicht selbst rasieren.

Nehmen Sie sich ruhig die Zeit, um ein wenig darüber nachzudenken, und stellen Sie sich dann die Frage: Rasiert sich der Barbier selbst?

Bei dem Versuch, die Frage zu beantworten, ergibt sich ein veritabler...

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