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Der Schwarze Juni

Brexit, Flüchtlingswelle, Euro-Desaster - Wie die Neugründung Europas gelingt

AutorHans-Werner Sinn
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783451808760
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Seit einigen Jahren bereits taumelt Europa von einer Krise in die nächste. Allen Beschwichtigungen zum Trotz verlieren Deutschland und die europäischen Staaten des Nordens durch den Euro unaufho?rlich Milliardenvermo?gen zugunsten überschuldeter Volkswirtschaften in Südeuropa. 2015 erlebte der Kontinent dann einen kaum mehr beherrschbaren Flüchtlingsstrom. Und schließlich kam auch noch der Schwarze Juni 2016 - mit Brexit-Votum und wichtigem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Für Hans-Werner Sinn stellt dieser Monat mit seinen verheerenden Entscheidungen eine Zeitenwende dar, die sofortiges Handeln erfordert. In seinem kommenden, neuen Buch Der Schwarze Juni legt er daher nach einer profunden Analyse ein kompaktes 15-Punkte-Programm zur Neugründung Europas vor. Darin macht er auch vor einschneidenden Vorschlägen nicht halt, etwa der Drohung einer Änderungskündigung der EU-Verträge, um das europäische Zentralbankensystem zu reformieren und die Migrationsstro?me unter Kontrolle zu bringen. Nur so, davon ist Sinn überzeugt, kann eine weitere Verschärfung der europäischen Krise vermieden werden.

Hans-Werner Sinn, geb. 1948, war bis zu seiner Emeritierung 2016, Professor für Volkswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Präsident des ifo Instituts und Direktor des Center for Economic Studies (CES). Er hatte zahlreiche Gastprofessuren im Ausland inne (u.a. Bergen, Stanford, Princeton, Jerusalem). Seit 1989 ist er Honorarprofessor der Universität Wien sowie seit 2016 ständiger Gastprofessor an der Universität Luzern. Sinn war Präsident des Weltverbandes der Finanzwissenschaftler (IIPF) und Vorsitzender des Verbandes der deutschsprachigen Ökonomen (VfS). Durch seine wirtschaftspolitischen Sachbücher, viele davon Bestseller, und seine pointierten Auftritte in den Medien ist er einer breiten Öffentlichkeit bekannt. 

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Leseprobe

Einleitung

Scheitert Europa?


Brexit, Flüchtlingswelle, Euro-Desaster – scheitert Europa? Kein Zweifel: Angesichts einer Vielzahl von eskalierenden Krisen könnte das nun ­passieren.

Es geschah zur Sonnenwende des Jahres 2016. Das sind eigentlich die hellsten Tage des Jahres, tatsächlich aber waren es die schwärzesten. Am 23. Juni gab Großbritannien sein Misstrauensvotum gegen die EU ab und entschied sich für den Austritt aus der EU. Statt des Grexit, den man noch im Jahr 2015 befürchtet hatte – und den man im Interesse der Griechen und Europas besser hätte geschehen lassen sollen –, wird nun tatsächlich der Brexit vorbereitet. Und das geschieht auch deshalb, weil die Briten angesichts der großen Flüchtlingswelle, die Europa kurz vorher überschwemmt hatte, zu der Auffassung gekommen waren, dass die EU die Lage nicht mehr im Griff hat.

Kaum zu glauben eigentlich: Um Griechenland hatte die Bundeskanzlerin gekämpft und dabei sogar ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble, der den Grexit ermöglichen wollte, zurückgerufen. Den Austritt des Vereinigten Königreichs, der in wirtschaftlicher Hinsicht gleichbedeutend ist mit dem Austritt der zwanzig kleinsten der 28 EU-Länder, nimmt sie dagegen hin, als ginge er Deutschland nichts an. Nun sitzt sie da mit ihren Migranten und hofft vergebens darauf, dass wenigstens die anderen Länder, die noch bei Kasse sind, sich an deren Finanzierung beteiligen und noch ein paar von ihnen aufnehmen. Ihr Glück, dass der mazedonische Zaun die Welle zunächst einmal gestoppt hat.

Und nur zwei Tage vor dem Brexit-Entscheid, am 21. Juni, ist etwas passiert, das für die Zukunft Deutschlands ebenfalls sehr problematisch sein wird: Das deutsche Bundesverfassungsgericht unterwarf sich mit seinem sogenannten OMT-Urteil zur ausufernden Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), der diese Politik vollauf unterstützte. Auch dieses Votum und seine Wirkungen nahm die deutsche Politik kaum kommentiert hin. Es schien, als wolle sie es in Schweigen hüllen. Dabei gaben die Karlsruher mit ihrem Urteil der EZB nichts weniger als einen Freifahrtschein für eine Politik der Vergemeinschaftung der Haftung für Staatsschulden, denn das bedeutet das whatever it takes, das EZB-Chef Mario Draghi im Jahr 2012 unter dem technischen Kürzel Outright Monetary Transaction (OMT) verkündet hatte. Nutznießer dieser Politik sind vor allem die kriselnden Südländer Europas und Frankreich, Zahlmeister die noch einigermaßen gesunden Nordländer, allen voran Deutschland.

Zwar warf das Bundesverfassungsgericht zwei Jahre nach dem OMT-Beschluss den europäischen Währungshütern eine Mandatsüberschreitung vor und sprach in diesem Zusammenhang gar von »Machtusurpation«. In einem beispiellosen Schwenk jedoch schreibt das Gericht in seinem Urteil nun, man könne auch die Auslegung des EuGH, wonach die OMT-Politik der EZB mit europäischem Recht vereinbar sei, »noch hinnehmen«.

Beide Mittsommer-Entscheidungen sind von historischer, ja epochaler Bedeutung für die Zukunft Europas und Deutschlands. Sie stellen eine Zeitenwende dar. Vor allem aus deutscher Sicht machen sie den Juni zu einem pechrabenschwarzen Monat. Das ist das Thema dieses Buches.

Der anstehende Brexit bedeutet, dass Deutschland nun in der EU seinen wichtigsten Verbündeten für eine weltoffene und dem Freihandel verpflichtete EU-Politik verliert, ohne die die deutsche Exportwirtschaft nicht mehr funktionsfähig wäre. Ganz konkret verliert Deutschland, wie im ersten Kapitel dieses Buches ausführlich erläutert wird, zusammen mit anderen freihandelsorientierten Ländern die Sperrminorität bei Entscheidungen des EU-Ministerrates. Im Verbund mit Großbritannien und den Ländern des ehemaligen sogenannten D-Mark-Blocks Niederlande, Österreich und Finnland hatte Deutschland bislang sein Interesse an einer weltoffenen Handelspolitik in der EU verfolgen und auch durchsetzen können. Damit wird nun bald Schluss sein. Die mediterranen Länder, allen voran Frankreich, die eine eher protektionistische Handelspolitik verfolgen und die mehr auf Staatseingriffe vertrauen möchten als auf das freie Spiel der Marktkräfte, werden alles daransetzen, dass Europa wirtschafts- und handelspolitisch umsteuert. Wenn sich die Protektionisten durchsetzen, wird das exportorientierte Wohlstandsmodell Deutschlands massiv geschädigt.

Zudem wird sich die Eurozone ohne die britische Gegenkraft immer rascher zu einer Fiskalunion entwickeln, so wie sich das die Länder Südeuropas und Frankreich wünschen, um ihre schwindende Wettbewerbsfähigkeit mit Transfers aus dem Norden zu kompensieren. Eine Fiskalunion bedeutet nicht nur, dass es ein gemeinsames Euro-Budget und womöglich einen gemeinsamen Euro-Finanzminister gibt. Sie bedeutet auch, dass allerlei Umverteilungsmechanismen festgelegt werden – von einer Versicherung der Bankkonten bei den angeschlagenen Finanzinstituten bis hin zu einer europaweiten Arbeitslosenversicherung –, die permanente Einkommenshilfen für die nicht mehr wettbewerbsfähigen Länder Südeuropas als festen Rechtsanspruch installieren.

Die Eurozone in eine Fiskalunion zu verwandeln wird nicht nur teuer für Deutschland. Dieser Schritt ist auch insofern problematisch, als er impliziert, dass es immer unwahrscheinlicher wird, dass die osteuropäischen Länder oder Schweden den Euro als Währung übernehmen.

Wenn aber künftig keine nicht-mediterranen Länder mehr der Euro­zone beitreten, dann wird das Eurosystem eine neue »lateinische Münz­union« mit Deutschland als Goldesel, die an der Ostseite Deutschlands einen tiefen Graben quer durch Mitteleuropa zieht und damit den historisch gewachsenen Kulturkreis durchschneidet. Die Parallelen zur echten lateinischen Münzunion sind verblüffend. Diese Währungsunion war unter Führung Frankreichs und unter Beteiligung vieler mediterraner Länder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet worden und zerbrach, weil sich Italien und Griechenland zu viel des Gemeinschaftsgeldes gedruckt hatten.

Heute stellt sich die Situation nicht viel anders dar. Heute sind die Krisenländer der Eurozone, vor allem jene in Südeuropa, ebenfalls wieder dabei, sich in großem Stil das benötigte Geld zu drucken, anstatt es sich am Kapitalmarkt zu leihen oder selbst zu verdienen. Die sogenannten Target-Salden in den Bilanzen von EZB und nationalen Notenbanken, die diesen Extra-Druck messen, wachsen seit zwei Jahren wiederum nahezu beständig an und haben mittlerweile einen Wert von fast 750 Milliarden Euro erreicht. Eine Trendwende ist nicht in Sicht.

Das Gefährliche daran ist: Das von den Euro-Krisenländern selbst gedruckte Geld wird derzeit vor allem dafür verwendet, im Ausland die eigenen Staatspapiere zurückzukaufen. Auf diese Weise tauschen diese Länder eine verbriefte, verzinsliche Schuld gegenüber privaten ausländischen Gläubigern gegen eine bloße Buchschuld bei den Notenbanken des Nordens, allen voran der Bundesbank, deren Zins der EZB-Rat mit den Stimmen derselben Länder auf null gesetzt hat und die nie fällig gestellt werden kann. Diese Schuld und die entsprechende Forderung bei der Bundesbank würden sich großenteils in Luft auflösen, wenn die Banken Südeuropas in Konkurs gingen und die südlichen Länder aus der Eurozone austräten.

Dass dieses Szenario alles andere als unmöglich ist, konnte man Anfang September 2016 erahnen, als sich die mediterranen Krisenländer und Frankreich in Griechenland überaus medienwirksam zum EU-Med-Gipfel trafen. Wenn nicht als konkrete Vorbereitung eines Austritts aus der Eurozone, so kann man diesen Gipfel doch zumindest als eine Vorbereitung für den Plan B deuten. Gemeint ist damit der Aufbau einer Drohkulisse für die demnächst wieder anstehenden Verhandlungen über immer mehr Schuldenerleichterungen, immer mehr Gemeinschaftskredite und immer mehr Transfers in die Krisenländer. Frankreich selbst will sicherlich nicht austreten. Doch hält es seine schützende Hand über die mediterranen Länder, weil es mit ihnen kulturell eng verbunden ist und enge Wirtschaftsbeziehungen unterhält, sowohl was den Absatz der französischen Waren als auch die Finanzierung der südlichen Volkswirtschaften durch die französischen Banken betrifft.

Vor diesem Hintergrund ist die OMT-Entscheidung von EuGH und Bundesverfassungsgericht verheerend, weil sie ein für allemal klarmacht, dass der EZB mit rechtlichen Mitteln nicht beizukommen ist. Die EZB kann fortan die Staatspapiere der Krisenländer unbegrenzt kaufen, wenn es darauf ankommt. Auf diese Weise kann sie diese Länder und deren Gläubiger so schützen, als hätte man sich bereits in gemeinschaftlicher Haftung mittels Eurobonds verschuldet. Das drückt die Zinsen und nimmt den Sparern ihre Erträge, obwohl diese Sparer in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler und implizite Eigentümer der EZB zugleich weiterhin für die Ausfälle haften müssen. So gehen viele Euroländer immer weiter auf ihrem Weg in den Schuldensumpf, ohne dass ihnen juristische Schuldenschranken Einhalt gebieten könnten.

Wenn Deutschland angesichts all dieser falschen Weichenstellungen nicht schnellstens die Notbremse zieht, könnte es mit den Ländern der Eurozone ähnlich enden wie mit den USA, die in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens unter dem Einfluss einer Schuldensozialisierung in eine verhängnisvolle Schuldenspirale gerieten. In der Zeit von 1835 bis 1842 trieb diese Spirale ein Drittel der Staaten und staatsähnlichen Territorien in den Konkurs und schuf nichts als Unfrieden. Der britische Historiker Harold James von der Universität Princeton führte sogar einen Teil der Spannungen, die zwanzig Jahre später...

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