Betriebsrente und Tarifrente – Sozialleistung und Sozialsystem
Von Heribert Karch
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Zu Zeiten Konrad Adenauers erschienen die Verhältnisse recht klar, obwohl Krieg und Krise den Kapitalstock der Rentenversicherung vernichtet hatten. Der Generationenvertrag – die Jungen tragen die Versorgung der Alten aus der Gegenwartsproduktivität der Gesellschaft – war das Gebot der Zeit.
Sozialreformerische Vorschläge aus dieser Zeit1 zeigen, wie man dachte: Da die Baraufwendungen im Alter etwa 20 bis 25 Prozent geringer sind als vorher, sollte das angezielte Versorgungsniveau zur Sicherung des Lebensstandards etwa 75 Prozent des Arbeitseinkommens betragen. Man dachte daran, »normalerweise mindestens zwei Drittel der Alterssicherung durch das Renteneinkommen zu decken und das letzte Drittel der Selbstvorsorge und der betrieblichen Altershilfe zu überlassen.«2 Die Entgeltumwandlung des Arbeitnehmers wird heute mitunter kontrovers als Beschädigung der fragilen Finanzen der Sozialversicherung diskutiert, aber der Fakt selbst ist um ein Mehrfaches älter als der Begriff. Entgeltumwandlung war ab 1957 möglich.3
Das Narrativ eines stabilen Rentensystems war Jahrzehnte glaubwürdig. Anders gesagt: In der Nachkriegszeit, in der die Not der 40er-Jahre noch tief im kollektiven Gedächtnis eingeschrieben war, gab es eine positive Vision der Rentenpolitik, die wir verloren haben!
Die demografische Entwicklung hat den jahrzehntelangen paritätischen Finanzierungskonsens implodieren lassen. Es geht heute um nichts weniger als einen neuen Finanzierungskonsens.
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Auch die Arbeitswelt hat sich verändert. Einkommen sind stärker gespreizt, das Erwerbsleben hat an Kontinuität verloren, der Eckrentner mit 45 Versicherungsjahren ohne Elternzeit, ohne reduzierte Arbeitszeit, ohne lange Krankheit und Arbeitslosigkeit wird zur lebensfremden Rechengröße. Ein tragendes Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung – das der Leistungsgerechtigkeit durch Äquivalenz von Arbeits- und Alterseinkommen – wird zu deutlich niedrigeren Renten für breite Schichten führen. Die Legitimationskrise des Systems hat schon begonnen.
Es geht darum, welchen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft die ältere Generation der Zukunft leisten wird, welche Lebenserfahrungen und Haltungen sie an die Jüngeren weitergeben wird, wenn relevante Teile dieser Generation in einer reichen Gesellschaft die positive Vision nicht mehr in sich tragen. Über Auswirkungen auf das Wahlverhalten darf phantasiert werden.
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Der Gesetzgeber hatte 2001 die Rollen neu verteilt. Der Eigenvorsorge sowie der Betriebsrente sollte eine Leistungskürzungen ersetzende Rolle zukommen. Der politische Mainstream setzte vor allem auf die private Riesterrente. Der neue Mantel sollte warmhalten, aber mit dem dritten Knopf im zweiten Loch.
Nun ist die betriebliche Altersversorgung (bAV) stärker Teil der Rentenpolitik geworden. Dies ist auch erklärtes Leitbild der Bundesregierung. Und so bietet das im Koalitionsvertrag hierzu formulierte gegenseitige Versprechen der Regierungsparteien eine Chance, wie sie seit Jahren nicht mehr bestanden hat, die Herausforderungen dieses Wandels zu meistern. Dieses Versprechen stellt die Stärkung der Verbreitung in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in den Mittelpunkt. Aber es geht nicht nur um diese. Es geht um ganze Branchen.
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Der über 40 Jahre benötigende Aufbau eines Kapitalstocks zur ersetzenden Funktion hätte sofort umfassend beginnen müssen – zumindest für die damals junge Generation. Aber die Etablierung der neuen Architektur läuft schleppend. Private Vorsorge ist rückläufig, Betriebsrenten wachsen nur noch proportional zur Beschäftigung. Die Beitrags- und damit die Versorgungshöhen sind viel zu gering. Und dies betrifft einen Kernbestand der Arbeitnehmer in der Wirtschaft. Die Versorgung im Beamtentum4, die Betriebsrenten im öffentlichen Dienst sowie der Finanzwirtschaft und bei einem Teil der großen Unternehmen5 sind überwiegend recht stabil und ausreichend – die für Millionen von Arbeitnehmern im Mittelbau der Wirtschaft nicht. Die kollektiven Lernprozesse in der noch nicht versorgten Bevölkerung laufen geradezu in Gegenrichtung zu allen erzieherischen Bemühungen der letzten 15 Jahre. Die Sparneigung für das Alter geht zurück – vielfach auch, weil denen, die es am nötigsten hätten, das Geld fehlt.6 Die Sympathie insbesondere junger Menschen für eine Politik institutioneller Versorgung im Alter aus staatlichen und betrieblichen Renten ist gestiegen, die für eine marktförmige Rentenpolitik durch privaten Produktverkauf zum Ausgleich von Leistungskürzungen ist deutlich gesunken.7
Es ist aussichtslos, die gesamte Bevölkerung allein mit Produktverkauf sozialadäquat versorgen zu wollen. Ein solcher Prozess kann nur ergänzen, nicht ersetzen. Das ist die Lektion zur Halbzeit der Reform.
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Die sogenannte Deutschlandrente soll dafür institutionalisiert werden, ist dazu allerdings nicht die geeignete Perspektive. Das Konzept vergleicht sich mit dem norwegischen Staatsfonds, dessen einmalig günstige Kostenstruktur außerhalb jeder Reichweite ist, und dem britischen NEST-Modell, welches einen Staatseingriff in den sozialen Deal durch gesetzlichen Arbeitgeberbeitrag bedeutet. Es will via Opting-out das Sparen automatisieren. Aber das soll geschehen durch eine Allokation mit hohem Aktienanteil und ohne Rentenversprechen. Nicht zu Unrecht wird auch vorgetragen, dass sie Begehrlichkeiten auslösen könnte in der Art des Schumpeter’schen Bonmots vom Hund, der sich eher einen Wurstvorrat anlegt als der Staat eine Geldreserve.8 Die Deutschlandrente wäre keine bAV, sondern eine private, individualisierte Altersversorgung mit mildem Zwang. Und sie ließe ein System außen vor, das in Deutschland fester Teil der sozialen und wirtschaftlichen Balance ist – die Tarifautonomie. 6
Betriebsrente als Sozialleistung ist rechtlich und wirtschaftlich aufgeschobenes Einkommen. Sie ist letztlich stets ein Finanzierungsdeal. Als Motivator und Bleibeprämie für Mitarbeiter hat sie klar auf den Arbeitsmarkt gerichtete Implikationen.
Dieser Rentenkonsens erscheint in vielen Unternehmen bis heute stabiler als im politischen Raum. Und da, wo er im Sinkflug war, könnte er wiederhergestellt werden. Aber dies erfolgt nicht automatisch. Helfen können große Akteure, deren Aushandlungsprozesse Auswirkungen auf ganze Branchen haben. Denn Tarifpolitik im deutschen Modell des Flächentarifvertrages reicht als Referenz für andere stets weiter als dessen persönlicher Geltungsbereich. Und vor allem: Auch nach Konflikten wird in diesem Bereich am Ende im Konsens über Geld disponiert – ob als Barlohnverwendung oder investiv. Auf diese Effekte setzen die Vorschläge zu einem Sozialpartnermodell, in das man die Tarifparteien involvieren möchte.
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Allerdings markiert dieses Modell auch einen entscheidenden Unterschied zur traditionellen betrieblichen Altersversorgung. Diese ist eine arbeitgeberseitige Sozialleistung die mit einem Rentenversprechen und der Haftung hierfür verbunden ist. Eine tarifpolitisch geprägte Form würde zwar den Rechtsrahmen der Betriebsrente nutzen, wäre aber faktisch eine Tarifrente und damit Teil des deutschen Sozialsystems. Das Vereinbaren von Volumina aus dem Verteilungsspielraum ist gängige Tradition in der Tarifautonomie – das Vereinbaren von Risiken nicht. Ein mittelständischer Arbeitgeber kann das Ergebnis einer Lohnverhandlung akzeptieren, kaum aber die Übernahme eines Haftungsrisikos, von dem er wenig weiß – verdichtet im Schlagwort »pay and forget«. Was des Arbeitgebers »pay and forget«, ist des Arbeitnehmers »set and forget«. Beide Seiten wünschen sich ein Setup, das sie gleichsam vergessen können, ohne angstschwangere Beobachtung von Risiken oder Kontoständen.
Ein solches Modell kann funktionieren, wenn von seinen Optionen nicht Akteure abgeschnitten werden, die sich bereits verdient gemacht haben, und wenn die freie Wahl der Durchführungswege dadurch nicht eingeschränkt wird. Nur in Koexistenz mit bestehenden Aktivitäten der deutschen Arbeitgeber und auch des Marktes ist ein konsensueller Weg denkbar.
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Aber der Verzicht auf arbeitgeberseitige Haftung wäre mit einem tiefgreifenden Wandel verbunden:...