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Die Linke und der Sex

Klassische Texte zum wichtigsten Thema

AutorAlexandra Kollontai, Brigitta Kuster, Elfriede Friedlän, Linda Singer, Linda Williams, Renate Lorenz
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783853718438
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Die Überwindung von autoritären Formen der Kindererziehung und monogamen, eheähnlichen Zweierbeziehungen war immer wieder integraler Bestandteil utopischer Gesellschaftsentwürfe auf Seiten der politischen Linken. Ebenso waren viele AktivistInnen der 1968er-Bewegung der Überzeugung, soziale Revolution sei nicht ohne 'befreite' Sexualität denkbar. Die Hoffnungen, die mit der Idee einer 'sexuellen Revolution' verbunden wurden, haben sich jedoch nicht erfüllt: Radikale Kommune-Projekte scheiterten, die fortschreitende Liberalisierung führte zur Kommerzialisierung von Sex(arbeit). Feministinnen kritisierten zu Recht, dass Fragen von Reproduktionsarbeit und Heterosexismus in gesellschaftsverändernden Entwürfen der Linken nur selten mitbedacht wurden. Mit der vorliegenden Dokumentation von linkskommunistischen, freudo-marxistischen und (queer)-feministischen Texten wird die Frage aufgeworfen, inwiefern Projekte einer gesamtgesellschaftlichen politischen Emanzipation mit einer Kritik der Sexualität einhergehen kann. Dabei geht es auch um neue Beziehungsformen wie die 'erotische Freundschaft', Praktiken zur Überwindung einer genitalfixierten Sexualität oder um die Frage, wie (Un-)Lust mit Lohnarbeit zusammenhängt. Über den Umweg einer historischen Spurensuche versucht dieses Buch, emanzipatorische Elemente freizulegen.

Barbara Eder, Jahrgang 1981, lebt in Wien und Berlin als Soziologin und freie Journalistin. Felix Wemheuer, Jahrgang 1977, lebt in Köln und veröffentlichte bei Promedia 'Maoismus: Ideengeschichte und revolutionärer Geist' (2009) und 'Linke und Gewalt' (2014).

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Leseprobe

1Der kollektive Widerstand gegen die polizeiliche Razzia im Stonewall-Inn in New York am 28. Juni 1969 stellt den Kulminationspunkt des transsexuell-homosexuellen-proletarisch motivierten Widerstandes gegen die von der Staatsgewalt sanktionierte, strukturell homophobe Kriminalisierung von Lebensformen aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung dar und gilt als Geburtsstunde der queeren Bewegung. Zu weiteren Ausführungen und nachträglichen Mythologisierungen vgl. Bravmann, Scott (2003): Queere Fiktionen von Stonewall, in: Kraß, Andreas (Hg.) (2003): Queer Denken. Gegen die Ordnung der Sexualität, Suhrkamp, Frankfurt (M), 240-275.

2Zur einführenden Übersicht siehe Allny, David (2001): Make Love Not War: The Sexual Revolution, an Unfettered History, Brown Little, London; Herzog, Dagmar (2005): Die Politisierung der Lust: Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, Siedler, München und: Pop, Paul (2006): „Ist Sex subversiv? Linke Theorien der sexuellen Befreiung und Gender-Dekonstruktion, Teil 1: Von der Oktoberrevolution zur Kritischen Theorie“, in: Grundrisse, Nr. 20, http://www.grundrisse.net/grundrisse20/paul_pop.htm (Aufruf 3.1.2011)

3Eine ausführliche Übersicht über die Maßnahmen der Sowjetregierung findet sich in: Reich, Wilhelm (1966): Die sexuelle Revolution – Zur charakterlichen Selbststeuerung des Menschen, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt (M).

4„Sexualpolitische Plattform des Reichverbandes für proletarische Sexualität“, in: Gente, Hans-Peter (Hrsg.) (1972): Marxismus, Psychoanalyse, Sexpol, Band 1, Fischer Verlag, Frankfurt (M), 162-171.

5Ebenda, 174.

6Siehe Reich, Wilhelm (2005): Die Massenpsychologie des Faschismus, Marix Verlag, Wiesbaden (überarbeitete Ausgabe 1946).

7Reich sah in der Abkehr von der sexuellen Revolution der frühen Sowjetunion einen Hauptgrund für das Scheitern des Sozialismus unter Josef Stalin. Reich, Wilhelm (2005): Die Massenpsychologie des Faschismus, Marix Verlag, Wiesbaden (überarbeitete Ausgabe 1946), 198. Die US-Historikerin Wendy Z. Goldman argumentiert hingegen, daß die konservative Wende Mitte der 1930er-Jahre vor allen von Frauen unterstützt wurde, weil der Staat die Väter wieder in die Pflicht nahm, für Unterhaltungszahlungen aufzukommen. Goldman, Wendy Z. (1993): Women, the State and Revolution – Soviet Family Policy and Social Life 1917-1936, Cambridge University Press, New York, 341.

8Zur Rolle von Transgender-Personen im Kontext politisierter Sexualitäten vgl. Genschel, Corinna (1998): Von medizinischen Objekten zu politischen Subjekten: Die Formierung der Transgender-Bewegung in den USA, in: Ferdinand, Ursula (Hg.): Verqueere Wissenschaft? Zum Verhältnis von Sexualwissenschaft und Sexualreformbewegung in Geschichte und Gegenwart, LIT-Verlag, Münster, 309-320.

9Dazu exemplarisch Rubin, Gayle (1983): Thinking Sex: Notes for a Radical Theory of the Politics of Sexuality, in: Vance, Carol S. (Hg.): Pleasure and Danger: Exploring Female Sexuality. Boston 1984, 267-319, wiederabgedruckt in: „Sex denken: Anmerkungen zu einer radikalen Theorie der sexuellen Politik“, in: Kraß, Andrea (Hrsg.): Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies), Suhrkamp, Frankfurt am Main, 31-79.

10Foucault, Michel (1983): Sexualität und Wahrheit 1. Suhrkamp, Frankfurt (M), 58

11Mit dem Aufkommen der Sexualwissenschaft entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals Körper- und Charaktertypologien für homosexuelle Männer und Frauen, deren Persönlichkeiten mit wissenschaftlichen Mitteln vermessen und klassifiziert werden sollten. Homosexuell zu sein bedeutet ab diesem Zeitpunkt nicht einfach nur das Praktizieren einer gleichgeschlechtlichen Liebesform, sondern geht mit der Herausbildung einer spezifischen Identität einher. Vgl. Foucault, 1983.

12Zur geschlechtertransgressiven Definition von Lesben vgl. Wittig, Monique (1992): The Straight Mind, in: dies.: The Straight Mind and Other Essays, Beacon Press, New York, 21-32.

13Zur Marginalisierung homosexueller AkteurInnen während der 1968er-Revolte in Deutschland exemplarisch: Kraushaar, Elmar 1995: „Nebenwidersprüche“. Die neue Linke und die Schwulenfrage in der Bundesrepublik der siebziger und achtziger Jahre, in: Grumbach, Detlef (Hg.) (1995): Die Linke und ihr Laster – schwule Emanzipation und linke Vorurteile. Hamburg, MännerschwarmSkriptverlag, 142–178.

14Anke Engels Überlegungen zum Verhältnis von Ökonomie, Prekarisierung und queerer Identität stellen bezüglich einer Kapitalismuskritik aus queerer Perspektive im deutschsprachigem Raum eine weitgehende Ausnahme dar. Vgl. Engel, Antke (2009): Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus, Transcript, Bielefeld.

15Die von Judith Butler in den Diskurs eingeführte Kategorie der Zwangsheterosexualität spielt im Rahmen einer theoretischen Betrachtung von sozialen Diskriminierungsformen eine entscheidende Rolle. Damit ist die Tatsache gemeint, daß innerhalb einer mehrheitlich heterosexuellen Gesellschaft es dem darin sozialisierten Subjekt erheblich erschwert wird, eine Lebensform zu kultivieren, die auf gleichgeschlechtlicher Objektwahl beruht. Mit zwangsheterosexuell sind all jene sozialen, medialen und gesellschaftspolitischen Weichenstellungen bezeichnet, die die nachhaltige Zementierung der Vorherrschaft des heterosexuellen Paares bewirken. Diese Hegemonie wird von theoretischer Seite immer wieder angefochten, weil damit zwangsläufig auch die Abwertung homosexueller Lebensformen verbunden ist.

16Siehe z.B. Kollontai, Alexandra (1977): Die neue Moral und die Arbeiterklasse, Verlag Frauenpolitik, Münster, 53 und Friedländer, Elfriede (1920): Sexualethik des Kommunismus – Eine prinzipielle Studie, Verlagsgenossenschaft „Neue Erde“, Wien, 50.

17Siehe Firestone, Shulamith (1987): Die Frauenbefreiung und die sexuelle Revolution, Fischer, Frankfurt (M), 262. Für Beispiele aus der deutschen Kinderladenbewegung finden sich bei Koenen, Gerd (2001): Das rote Jahrzehnt: Unsere kleine deutsche Kulturrevolution, 1967-1977, Fischer Verlag, Frankfurt (M), 165-167.

18Laut Luce Irigaray kann jeder Objektwahl auch ein geschwisterliches, mütterliches oder väterliches Vorbild zugrunde liegen. Im übertragenen Sinne würden viele Beziehungen auf einer zeitversetzten Verletzung des Inzesttabus beruhen. Irigaray sprach im Zusammenhang mit der weiblichen Homosexualität von einer doppelten Grenzübertretung. Diese suspendiere nicht nur das kulturelle Gesetz des Verbots der Homosexualität, sondern wäre auch als Überschreitung des Inzenstverbots zu verstehen. Vgl. Luce Irigaray (1980): Die weibliche Homosexualität. in: dies.: Speculum. Spiegel des anderen Geschlechts. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 125-132.

19Johanna Schaffer beschreibt eindrücklich, wie das rassistische Stereotyp des Drogendealers dazu benutzt wurde, Sexualität auf schwarze Männer zu projizieren. Das Argument des Kinder-Schützens verfügt über explizit rassistische und homophobe Konnotationen und wurde im Verlauf des letzten Jahrzehnts vornehmlich von der politischen Rechten in den Dienst genommen. Vgl. Schaffer, Johanna (2001): „Kinderschutzwahn? Sexerziehung. Gegen die Umcodierung des Themas ‚sexuelle Gewalt’ in den Politiken der Rechten“. In: Guth, Doris und von Samsonow, Elisabeth (2001): Lust zwischen Restriktion und Subversion, Turia + Kant, Wien.

20BDSM bedeutet „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ und umschreibt eine Vielfalt von sexuellen Verhaltensweisen, die unter anderem Dominanz und Unterwerfung, spielerische Bestrafung sowie Lustschmerz oder Fesselungsspiele umfassen.

21Vance, Carole S. (1992): Pleasure and Danger. Exploring Female Sexuality, London: Pandora Press.

22Fichte, Hubert ([1984] 1993): Die Geschichte der Empfindlichkeit. Hamburg Hauptbahnhof, Register. S. Fischer, Frankfurt (M), 15.

23Fichte, 1993, 15.

24Sappho war eine antike griechische Dichterin (630 v. Chr. und 612 v. Chr.; † um 570 v. Chr), deren Werk viele homoerotische (lesbische) Dichtungen enthält.

25Fichte, 1993, 20.

26Rich, Adrienne (1983): Zwangsheterosexualität und lesbische Identität. In: Lord, Audre und Rich, Adrienne (1983): Macht und Sinnlichkeit, Berlin, Orlanda.

27Zu den näheren Umständen der...

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