Einführung
Laut einer 2015 veröffentlichten Studie hat sich der Anteil der Selfmade-Milliardäre an den Milliardären weltweit in den vergangenen 19 Jahren von 43 auf 66 Prozent erhöht.3 Die Frage, welche Persönlichkeitsmerkmale und Erfolgsstrategien dafür verantwortlich sind, dass es Personen gelingt, in die Vermögenselite vorzustoßen, hat an Interesse gewonnen.
In den vergangenen Jahren hat sich die wissenschaftliche Disziplin der Reichtumsforschung in Deutschland etabliert. Mehrere Dissertationen und Sammelbände sind zu dem Thema erschienen. Ein Forschungsdesiderat ist die Untersuchung jener Gruppe, die im Folgenden als »Vermögenselite« oder »Hochvermögende« bezeichnet wird. Gemeint sind damit Personen, die über ein mindestens zwei- bzw. dreistelliges Nettomillionenvermögen verfügen. Über die Reichtumsgenese in dieser Gruppe und über Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensmuster, die ihren wirtschaftlichen Erfolg ermöglichten, gibt es bislang kaum Erkenntnisse.
Zudem wurden von der Reichtumsforschung die Ergebnisse einer anderen Forschungsrichtung zu wenig rezipiert und berücksichtigt, nämlich der Unternehmerforschung. Das verwundert, denn die Ergebnisse der Unternehmerforschung sind auch für die Reichtumsforschung von größtem Interesse, weil – wie in Kapitel 1 gezeigt wird – die große Mehrheit der Reichen als Unternehmer zu ihrem Vermögen kam. Insbesondere die sehr breite Forschung über den Zusammenhang von Persönlichkeitsmerkmalen und unternehmerischem Erfolg wurde bislang für die Reichtumsforschung nicht fruchtbar gemacht.
Die Dissertation soll diese Lücken füllen. Es wurden 45 Interviews mit Personen geführt, deren Nettovermögen in der untersten Kategorie zwischen 10 und 30 Millionen Euro beträgt und in der obersten mehrere Hundert Millionen oder sogar mehrere Milliarden Euro. Zwei Drittel der Interviewpartner besitzen ein Nettovermögen zwischen 30 Millionen und einer Milliarde Euro. Ganz überwiegend handelt es sich um Selfmade-Millionäre. Darunter sind aber auch einige Hochvermögende, die zwar ein Vermögen geerbt, dieses jedoch erheblich vermehrt haben. Personen, die überwiegend durch Erbschaften oder Schenkungen reich wurden, sind dagegen für die Fragestellung dieser Arbeit nicht relevant.
Die Interviews waren deshalb so fruchtbar, weil in einem ersten Arbeitsschritt sehr viel Mühe darauf verwendet wurde, angemessene Fragestellungen zu entwickeln. Dies geschah auf der Basis einer umfangreichen Auswertung der Forschungsergebnisse aus verschiedenen Bereichen, so insbesondere aus der Reichtumsforschung, der Unternehmerforschung und den Behavioral Economics.
In Teil A der Arbeit wird der Forschungsstand dargestellt, und es wird für den Leser nachvollziehbar, wie die Fragen für die Interviews entwickelt wurden. Es werden Forschungsdesiderate aufgezeigt, Fragestellungen entwickelt und die Untersuchungsmethoden beschrieben. Die Aufarbeitung des Forschungsstandes, die Entwicklung von Forschungsfragen und die Überlegungen zu angemessenen Methoden führten zur Erarbeitung eines Leitfadens für die Interviews.
Den Ergebnissen dieser sehr breiten Darstellung des Forschungsstandes im Teil A der Arbeit soll und kann hier nicht vorweggegriffen werden, da dies den Rahmen einer Einleitung sprengen würde. Erkenntnisleitend war die Frage nach der Persönlichkeit und den Verhaltensmustern von Hochvermögenden. Die Fragestellungen dienten dazu, Verhaltensmuster zu verstehen und Einstellungen zu rekonstruieren, die eine Bedingung für den ungewöhnlichen wirtschaftlichen Erfolg dieser Hochvermögenden waren.
Dazu war es wichtig, mehr über die soziale Herkunft, die Jugend, die Ausbildung, über formelle, aber auch vor allem informelle Lernprozesse zu erfahren, die diese Menschen prägten. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der formalen Bildung dieser Personen und dem Reichtumsgrad, den sie erzielten? Oder spielten informelle Lernprozesse – beispielsweise durch den Leistungssport oder durch frühe unternehmerische Tätigkeiten – eine wichtigere Rolle? Können Befunde aus der Unternehmerforschung bestätigt werden, wonach sich unternehmerische Kompetenz schon in der Jugend herausbildete?
Darüber hinaus galt es zu ergründen, was diese Personen – die alle Unternehmer oder Investoren waren – irgendwann in ihrem Leben dazu bewog, sich selbstständig zu machen und die damit verbundenen Risiken einzugehen. War es, wie manchmal in der Forschung behauptet, das Unvermögen, sich an bestehende Strukturen anzupassen und in Hierarchien einzufügen, das diese Personen bewog, ihr eigenes Unternehmen zu gründen?
Eine weitere Frage war, welche Rolle die bewusste Zielsetzung für den finanziellen Erfolg dieser Menschen spielte. War es so, wie etwa in der populären Reichtumsliteratur einhellig dargestellt, dass am Anfang das unbedingte Ziel stand, später einmal reich zu werden? Oder wurden diese Menschen einfach im Ergebnis ihrer unternehmerischen Aktivitäten vermögend, ohne dass dies von vornherein das primäre Ziel gewesen wäre?
Und was verbinden diese Personen, einmal vermögend geworden, mit den Möglichkeiten, die ihnen dieses Vermögen bietet? Schätzen sie die Freiheit und Unabhängigkeit – oder eher die Sicherheit? Welche Bedeutung hat für sie einerseits die Möglichkeit, sich schöne und teure Dinge leisten zu können, und andererseits die Anerkennung, die sie – trotz des Neides, der von vielen beklagt wird – in der Gesellschaft genießen?
Welche besonderen Fähigkeiten und Begabungen spielten für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmer und Investoren eine Rolle? Hier interessiert beispielsweise die Frage nach der Bedeutung verkäuferischer Fähigkeiten. Und wie treffen diese Personen Entscheidungen? Handelt es sich vorwiegend um streng analytisch denkende Menschen oder eher um Personen, die intuitiv (»aus dem Bauch«) entscheiden?
Welche Risiken sind diese Personen bereit einzugehen? Gibt es mit Blick auf die Risikofreudigkeit Unterschiede zwischen der Phase, in der sie sich selbstständig machten und ein Unternehmen aufbauten, und dem weiteren Verlauf ihrer unternehmerischen Tätigkeit? Nahmen sie diese Risiken überhaupt als solche wahr?
Damit eng zusammen hängt die Frage, welche Rolle Optimismus und auch Überoptimismus spielen. Fast einhellig sehen sich diese Personen als ausgesprochen optimistische Menschen – doch was genau verstehen sie unter »Optimismus«? Und wie stark reflektieren sie die Gefahren des Überoptimismus, auf die die Forschung der Behavioral Economics immer wieder eindringlich hingewiesen hat, weil sie Unternehmer dazu verleitet, unangemessene Risiken einzugehen?
Schließlich: Welche Rolle spielt bei diesen Personen die Neigung, eigene Wege zu gehen, sich auch in Widerspruch zu Mehrheitsmeinungen zu setzen und zuweilen sogar bewusst gegen den Strom zu schwimmen? Welche Rolle spielte dabei die Konfliktfähigkeit? Diese Frage führt zu den Persönlichkeitsmerkmalen, wie sie etwa in der Big-Five-Theorie formuliert wurden: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit. In einem Persönlichkeitstest, den – bis auf eine Ausnahme – alle Interviewpartner machten, wurde deutlich, wie stark diese Persönlichkeitsmerkmale ausgeprägt sind.
In den Jahrzehnten, in denen diese Personen als Unternehmer und Investoren tätig waren, hatten sie auch Krisen zu durchstehen und Rückschläge zu verkraften. Wie gingen sie mit diesen Rückschlägen psychisch um? Werden gemeinsame Verhaltensmuster deutlich, wie diese Persönlichkeiten auf Rückschläge reagierten?
Diese Fragen wurden aus unterschiedlichen Quellen hergeleitet. Neben der Reichtumsforschung waren dies vor allem die amerikanische Unternehmerforschung und die Behavioral Economics. Darüber hinaus ergaben sich Fragen aus der Auswertung von Biografien und Autobiografien erfolgreicher Menschen – ein Thema, über das der Verfasser 2011 ein Buch veröffentlicht hat.4 Es war zu erwarten, dass es sowohl Gemeinsames wie Trennendes zwischen den 45 für diese Arbeit interviewten Persönlichkeiten gab. In welchem Maße kann man gleiche Verhaltensmuster nachweisen, und in welchen Punkten unterscheiden sich diese Menschen?
Die untersuchte Gruppe der Personen mit einem mindestens zwei- bis dreistelligen Nettomillionenvermögen ist zahlenmäßig so klein, dass man selbst bei einer Stichprobe von 20.000 Personen, wie sie etwa bei dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) verwendet wird, viel zu wenige davon erfassen würde, um methodisch verlässliche Aussagen zu gewinnen.5 Daher kamen standardisierte Verfahren, die mit quantitativen Methoden arbeiten, für diese Untersuchung nicht infrage. Für diese Dissertation wurde ein qualitativer Ansatz gewählt, und zwar Leitfaden-Interviews. Das heißt, es wurde ein Gerüst von Fragen entwickelt, die als Gesprächsleitfaden dienten, um sicherzustellen, dass die im Vorfeld entwickelten Themen in den Interviews zur Sprache kommen.
Solche Leitfaden-Interviews stellen einen sinnvollen Mittelweg dar zwischen sogenannten narrativen Interviews, bei denen der Interviewer Erzählanregungen gibt, sich jedoch während des Gesprächs so weit wie möglich zurückhält, und standardisierten Verfahren, bei denen alle Fragen wörtlich und in einer genau festgelegten Reihenfolge abgearbeitet werden.
Manche Berichte über Interviews mit Managern und Unternehmern zeigen, dass sich die Interviewer zuvor nicht ausreichend mit dem methodischen Problem eines sozial erwünschten Aussageverhaltens beschäftigt haben. Doch gerade...