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E-Book

Mein Leben in 13 Runden

AutorAndreas Lorenz, Ulli Wegner
VerlagNeues Leben
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783355500388
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Ulli Wegner ist mittlerweile der älteste Trainer im deutschen Profi-Boxen - und ungebrochen ehrgeizig. Seine Schützlinge gewannen 150 internationale Medaillen; als Profitrainer machte er sechs Weltmeister und fünf Europameister. Dreizehnmal in Folge wurde Wegner zum Trainer des Jahres gewählt. Wer so unermüdlich ist, hat auch immer wieder Neues zu erzählen. Deswegen legt er nach: Die erfolgreiche Biografie von 2012 erscheint mit vielen neuen Geschichten über Prinzipien, Leidenschaft und die Menschen, die sich im härtesten Sport der Welt durchboxen. Wie geht es mit dem Sauerland-Boxstall weiter, wenn er aufhört? Wie sehr fehlt Fritz Sdunek? Wegner ist ein Unikum, spricht aus, was er denkt, hat Haltung und Humor - ein (Lese-)Erlebnis, ihn in den Boxring und an die Stationen seines Lebens zu begleiten.

Ulli Wegner, geboren 1942 in Stettin, war Amateurboxer in Rostock, Erfurt und Gera, ab 1971 Trainer, 1991 Bundestrainer und wechselte 1996 ins Profilager. Er machte unter anderem Sven Ottke, Arthur Abraham und Marco Huck zu Weltmeistern. Ulli Wegner ist Träger des Bundesverdienstkreuzes. Andreas Lorenz, 1962 in Nürnberg geboren, Sportjournalist, seit 2004 Sportressortleiter beim 'Berliner Kurier', Autor von 'Sven Ottke. Ich lebe meinen Traum' und 'Regina Halmich. Noch Fragen?'.

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Leseprobe

2. KAPITEL

Wanderjahre

Wie ich auszog, um erst Traktoren- und Maschinenschlosser, dann Fußballer, Boxer und schließlich Boxtrainer zu werden

Das Elternhaus in Penkun verließ ich, als ich immer noch 14 Jahre alt war, um eine Lehre zu machen. Gelernt habe ich, volle drei Jahre lang, Traktoren- und Landmaschinenschlosser. Für mich eine logische Sache, weil rund um Penkun die Menschen in der Landwirtschaft arbeiteten und immer wieder Reparaturen an den Treckern, Mähdreschern und Zugmaschinen zu erledigen waren. Als Traktoren- und Landmaschinenschlosser arbeitete man in einer MTS, einer Maschinen-Traktoren-Station. Das war mein Ziel.

Aber erst einmal hieß das, auf eigenen Beinen zu stehen. 80 Kilometer von Penkun, meiner Heimatstadt, entfernt, kam ich in Anklam ins Internat. Das ungefähr war die Zeit, diese Jahre zwischen 1957 und 1960, in denen ich so langsam, aber ganz langsam, einen Blick fürs Leben bekam.

Da war die DDR, in der ich was erreichen wollte, noch ohne Mauer. Also war ich überall dabei, machte überall mit. FDJ (Freie Deutsche Jugend), Junge Pioniere, GST. Letzteres heißt Gesellschaft für Sport und Technik, eine Jugendorganisation, bei der man unter anderem den Führerschein machen konnte. Das alles braucht schon wieder eine Erklärung, und dazu muss ich ein bisschen ausholen.

Ich habe die DDR immer ernst genommen, war garantiert keiner, der aktiv am Ende des Sozialismus mitgearbeitet hat. Nein, ich habe mich arrangiert und war zufrieden, wenn ich das tun konnte, was ich tun wollte. Dass ich dennoch etliche Male angeeckt bin – ich werde Ihnen noch davon erzählen –, hat eher mit meinem Charakter, denn mit meiner politischen Einstellung zu tun.

Ich habe aber auch immer die Stimmen aus meinem Umfeld im Ohr gehabt, die sich kritisch mit unserem Staatssystem auseinandergesetzt haben. Nicht nur mein Bruder Fritz prophezeite den Untergang der DDR bei jeder Gelegenheit, auch mein Vater fand vieles, was nicht in Ordnung war. »Bei uns kann sich doch keiner entwickeln«, sagte er immer. »Das, was die Leute können, wird nicht gefördert. Es wird nur angeordnet, was zu tun ist.«

Er las jeden Tag die Zeitung. Und schimpfte jeden Tag darüber. »Das sind doch nur Lügen im staatlichen Auftrag. Das ist doch nur Propaganda. So sieht die Wirklichkeit in unserem Lande doch gar nicht aus.« Wenn ich ihn dann fragte, warum er jeden Tag eine Zeitung kaufte, die für ihn voller Lügen war, kam der entwaffnende Satz: »Ich muss mich doch informieren.«

In dieselbe Kerbe schlägt die Geschichte mit dem Fernseher. Ich habe meiner Mutti irgendwann einen gekauft – und Vater regte sich unglaublich darüber auf. »Was für eine sinnlose Geldverschwendung.« Dann aber war er es, der die ganze Zeit vor dem Bildschirm hockte. Und immer, wenn im DDR-Fernsehen Nachrichten oder ein politischer Beitrag gesendet wurden, aus dem Schimpfen nicht herauskam.

Viel wirkungsvoller als diese Systemkritik waren für mich als Teenager aber die Besuche in Westberlin. Ich hatte eine Tante und einen Onkel, die in der Prinzenstraße wohnten. In Kreuzberg. Nur ein paar hundert Meter im Westen – aber für mich eine ganz andere Welt.

Der Westen leuchtete, so albern das jetzt klingen mag. Im Westen brannten schon am frühen Abend die Straßenlaternen und die Lichter in den Läden und Häusern. Es gab Reklame und schon richtige Autos. Manchmal blieb ich ein paar Tage zu Besuch, dort drüben, in dieser anderen Welt. Wenn ich zurückkam, war ich immer noch kein Rebell. Ich habe die Unterschiede irgendwie akzeptiert. Aber die deutlich sichtbare Kluft zwischen Ost und West wurde praktisch jeden Tag größer.

Trotzdem: Ich wäre nie abgehauen. Ich hatte nie das Verlangen, meine Heimat, meine Freunde, meine Familie zu verlassen. Weder als junger Mensch noch später als Trainer, als ich auch Reisen ins westliche Ausland machen konnte. Ich war DDR-Bürger, ohne große Fragen oder Ansprüche zu stellen. Und habe die schlimmen Dinge, die passiert sind, einfach ignoriert.

Nennen Sie mich naiv oder feige. Für mich war der Marxismus-Leninismus, den wir in der Schule, der Lehre und auch später noch pauken mussten, eine Theorie, der ich durchaus zustimmen konnte. Als Theorie wohlgemerkt. Dass sie nicht funktioniert hat in der Realität, war jedem klar. Andererseits kamen wir auch alle irgendwie über die Runden. Und ich sage es gerne noch einmal: Ich war und bin kein Freiheitskämpfer. Ich habe die DDR und das Leben in diesem Staat einfach hingenommen. Mein Parteibuch habe ich auch erst nach der Wende abgegeben.

Ich wäre mir völlig bescheuert vorgekommen, wenn ich nach dem Mauerfall plötzlich alles verleugnet hätte, was 47 Jahre meines Lebens geprägt hat. Ich weiß, dass das ein hochsensibles Thema ist. Aber glauben Sie mir, die meisten Menschen in der DDR waren so ähnlich wie ich. Wir versuchten, das Beste aus der Situation zu machen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Vielleicht bin ich sogar ein gutes Beispiel für dieses Klarkommen mit einem Unrechtsstaat, weil ich mir meine Welt schon ziemlich zurechtgebastelt habe. Die Russen und andere sozialistische Bruderländer waren für mich schlimmer als die eigene Regierung. Um wie viel könnte es uns bessergehen, habe ich mir immer eingeredet, wenn wir keine Befehle aus Moskau entgegennehmen müssten.

Als ich später in Gera gelebt habe, als Boxer und als Trainer, habe ich gesehen, wie die Arbeiter in den Uran-Bergwerken schuften mussten. Schwerste körperliche Arbeit unter miesen Umständen. Weil jeder wusste, dass das ganze geförderte Uranerz nach Moskau ging, war für uns doch klar, wer die Bösen waren.

Ich wäre froh, wenn ich dieses Thema jetzt erst mal beenden könnte. Ein Ruhmesblatt für mich wird garantiert nicht draus. Aber genauso sage ich: Bei dem, was ich nach der Wiedervereinigung erreicht habe, dort, im goldenen Westen, war ich immer stolz auf meine fachliche Ausbildung in der DDR. Auf die Menschen, die mich gefördert haben, die etwas in mir gesehen und ihre Kompetenz an mich weitergegeben haben. Stolz und dankbar.

Wir müssen zurück nach Anklam, zum Traktoren- und Landmaschi­nenschlosserlehrling Ulli Wegner, der in der Berufsschule durchaus mithalten konnte und weiter in jeder freien Minute Fußball spielte. Wir hatten einen Mannschaftsbetreuer namens Berger. Herr Berger also. Was uns dazu brachte, ihn nach der 54er Trainerlegende nur »Herberger« zu nennen. Und mein erstes Lehrjahr brachte für mich, den Fußballverrückten, auch einen der größten Feiertage, den ich als Fan je erlebt habe. Am 14. August 1957 spielte Manchester United, damals eine genauso große Legende wie heute, im Berliner Olympiastadion gegen eine Westberliner Stadtauswahl. Ich war dabei!

Es war ein magischer Abend unter Flutlicht. Das erste Mal, dass in dieser grandiosen Arena, die ich heute vom Fenster unserer Trainingshalle, dem »Max-Schmeling-Gym«, sehen kann, unter Flutlicht gespielt wurde. 50000 Zuschauer – und ich, vor Begeisterung schlotternd. Ich war hinten auf dem Motorrad eines anderen Fußballfans von Anklam aus zum Stadion gefahren, nichts hätte uns aufhalten können, nichts auf dieser Welt.

In der Halbzeitpause wurden die Tiefstrahler ausgeschaltet – die Menschenmasse zündete auf Kommando Streichhölzer an. Eine unfassbare Show für damalige Verhältnisse. Flutlicht. Streichhölzer. Flutlicht. Ich musste die Geschichte meinen Kollegen in der Lehre bestimmt dreihundertmal erzählen.

Die »Busby-Babes«, diese junge und dennoch so glorreiche Truppe von Trainer Matt Busby, die 1956 und 1957 die englische Meisterschaft gewann, enttäuschten nicht. 3:0 war das Endresultat – und meine Gänsehaut hielt bestimmt eine Woche. Die paar D-Mark für den Eintritt waren eine der besten Investitionen meines Lebens.

Sie können sich sicher vorstellen, wie geschockt und niedergeschmettert ich sechs Monate später war, als diese tolle Mannschaft auf der Rückreise von einer Europapokal-Partie in Belgrad mit dem Flugzeug verunglückte. Die Tragödie passierte in München, wo die Maschine einen Tankstopp eingelegt und bereits zwei Startversuche abgebrochen hatte. Beim dritten Versuch kam es auf Schneematsch zu der Katastrophe. Acht Todesopfer – die meisten von ihnen hatte ich im Olympiastadion noch spielen sehen. Edwards, das größte englische Talent dieser Ära, Taylor, Pegg, Byrne und andere. Ich habe um sie getrauert, damals. Und bis heute hat Manchester United einen ganz besonderen Platz in meinem Fußballerherzen.

Es ist fast vermessen nach dieser Erinnerung an die großen Stars von Manchester United, aber weil ich auch in den drei Jahren in Anklam weiter wie ein Verrückter Fußball spielte, hier eine kleine Analyse des Kicker-Typs Ulli Wegner:

Ich hatte die Rückennummer 10. Ich war der echte Spielmacher. Irgendwann habe ich aus Aberglauben die 13 genommen. Für die Nummer habe ich mich zuerst geschämt, weil, und auch das weiß heute niemand mehr, das eine Nummer für Auswechselspieler war. Damals gab es nicht diesen Nummernsalat wie heute. Damals durfte keiner mit der Rückennummer 44 auflaufen oder mit Vierdreiviertel oder sonst was. Von der 1 für den Torhüter bis zur 11 – das war die Anfangself. Danach kamen die Bankdrücker.

Aber ich mochte die 13 einfach unheimlich, es ist noch vor der 7 meine absolute Glückszahl, und ich habe sie mir irgendwann ausgesucht.

Auch vom Spiel her war damals vieles anders. Ich konnte gut dribbeln, aber meine stärkste Waffe war der lange, genaue Pass in den Rücken der gegnerischen Abwehr. Das gibt es heute kaum noch, weil die defensiven Konzepte viel besser geworden sind. Doch bei alledem muss ich sagen, dass ich der Spielertyp war, der...

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