Einführung: Die Bedeutung von Gesundheitsförderung und Prävention in der pädiatrischen Pflege
Maria Lüdeke
Gesundheitsförderung und Prävention sind seit ihrer Entstehung Kernaufgaben der pädiatrischen Pflege. Beide Ansätze werden in der Begleitung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien ab der Geburt der Kinder bis zu deren 18. Lebensjahr in unterschiedlichen Einsatzfeldern der Gesundheit- und Kinderkrankenpflege umgesetzt. Zu diesen Einsatzfeldern gehören stationäre und ambulante Einrichtungen der Akutversorgung und Langzeitpflege, Rehabilitationseinrichtungen und verschiedene Angebote der aufsuchenden Hilfen nach SGB V und XI. Weiterhin Beratungseinrichtungen von Gesundheits- und Jugendämtern, Familienzentren und Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen.
Einen Einblick, in welchen unterschiedlichen Settings Gesundheitsförderung und Prävention durch die pädiatrische Pflege stattfindet, und welche Leistungen in diesem Kontext erbracht werden, soll dieses Buch geben.
Geht es bei der Gesundheitsförderung um die Vermittlung einer ganzheitlichen, gesunden Lebensweise, mit dem Ziel eines psychischen, physischen und psychosozialen Wohlbefindens, so liegt der Schwerpunkt von gesundheitlicher Prävention bei der Vermeidung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen. Um nachhaltige Erfolge zu erzielen, müssen beide Ansätze sowohl in einem direkten Kontakt mit Kindern und Familien, durch z. B. Beratung, Schulung und Anleitungssituationen zu speziellen Fragestellungen erfolgen, als auch in der Gestaltung alters- und familienbezogenen Settings umgesetzt werden. Hierzu gehören unter anderem Familienzentren und Schulen.
Das heißt, die präventive und gesundheitsfördernde Arbeit ist in jedem Arbeitsfeld der pädiatrischen Pflege eine wichtige Schlüsselaufgabe.
Dies betrifft grundsätzlich alle Bereiche der professionellen Pflege und wurde vom International Council of Nurses wie folgt definiert:
Pflege »umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung (…) von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse (Advocacy), Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung« (ICN 2005).
Auch im Krankenpflegegesetz von 2003 in § 3 Abs. 2 ist dieses Ausbildungsziel beschrieben:
»Die Ausbildung für die Pflege (….) soll insbesondere dazu befähigen, folgende Aufgaben eigenverantwortlich auszuführen: Beratung, Anleitung und Unterstützung von zu pflegenden Menschen und ihrer Bezugspersonen in der individuellen Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit.«
Die Besonderheiten in der pädiatrischen Pflege liegen in der besonderen Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen und ihrer familiären Bindung.
Sie lassen sich mit drei Punkten beschreiben:
• Die große Entwicklungsspanne von der Geburt bis zur Adoleszenz und teilweise darüber hinaus,
• die besondere »Störanfälligkeit« dieser Entwicklungsphase durch negative äußere Einflüsse und
• die enge emotionale, physische und rechtliche Abhängigkeit von den Eltern
(siehe auch Positionspapier BeKD (2015) »Qualitätssicherung durch die Schwerpunktsetzung in der beruflichen Erstausbildung«).
Pädiatrisch Pflegende sind ab Geburt eines Kindes ein wichtiger und vertrauensvoller Ansprechpartner für Eltern, Kinder und Jugendliche. Teilweise schon während der Schwangerschaft durch Beratungs- und Schulungsangebote, auf Vorbereitung zur Versorgung des Kindes. Hieraus ergibt sich, dass eine pflegerische Versorgung durch Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Pfleger immer in Bezug zum jeweiligen Entwicklungsstand und zeitnaher Entwicklungsaufgabe des Kindes steht und stets unter Einbindung der Eltern passiert.
Die pädiatrische Pflege wird in erster Linie in der Versorgung akut erkrankter Kinder von der Öffentlichkeit aber auch den Verantwortlichen in angrenzenden Arbeitsfeldern und der Politik wahrgenommen. Die Kompetenz in der alters- und familiengerechten Vermittlung von Wissen zu gesundheitsrelevanten Themen wird hier noch nicht ausreichend gesehen und genutzt.
In diesem Buch werden unterschiedliche Berührungspunkte zu Kindern und Familien während unterschiedlicher Entwicklungsspannen eines Kindes, in verschiedenen Settings und im Kontext zu den Aufgabenfeldern Prävention und Gesundheitsförderung dargestellt.
Schwerpunkt wird durch die Autoren eher auf neue Einsatzfelder wie Familienzentren, aufsuchende Hilfen und Bildungseinrichtungen gelegt, aber Prävention und Gesundheitsförderung ist auch in der pflegerischen Versorgung akuterkrankter Kindern oder Frühgeborener eine wichtige Aufgabe.
Beispielhaft soll hier die neonatale Intensivstation genannt werden. Hier dreht sich ein großer Teil der pflegerischen Maßnahmen um Prävention. Der Ausgleich der Frühgeburtlichkeit und Unreife des Kindes wird durch medizinisch–pflegerische Maßnahmen gezielt umgesetzt. Der Vermeidung von Komplikationen, wie z. B. Nahrungsunverträglichkeiten, Hirnblutungen, aber auch anderen organischen Anpassungsstörungen, wird gezielt begegnet. Im Rahmen der Gesundheitsförderung liegt der Fokus ab dem ersten Tag auf die Förderung der Eltern-Kind-Bindung. Eine gesunde Bindung ist der Grundstein für eine ganzheitlich gesunde Entwicklung des Kindes. Sie hat schon während der Zeit in der Klinik einen wichtigen Einfluss auf die Stabilität von Kind und Eltern. Weiterhin ist durch dieses enge Verhältnis eine wichtige Vertrauensbasis geschaffen, die eine gezielte Anleitung und Beratung der Eltern zu Themen wie altersentsprechende und entwicklungsfördernde Pflege, kindgerechte Schlafumgebung, Ernährung usw. auch über den Zeitraum des stationären Aufenthaltes hinaus möglich macht.
Auch die Begleitung der Eltern in der Auseinandersetzung mit einer chronischen Erkrankung oder körperlichen Einschränkung des Kindes ist ein wichtiger Aufgabenbereich der pädiatrischen Pflege. Diese findet sowohl im stationären, als auch häuslichen Setting statt, z. B. durch sozialmedizinische Nachsorge nach § 43 Abs. 2 SGB V. Hier geht es zum einen um die Vermittlung einer sachgerechten pflegerischen Versorgung und um die Vermeidung von Komplikationen der Grunderkrankung (sekundär Prävention), zum anderen um eine emotionale Auseinandersetzung mit der Erkrankung des Kindes zur psychosozialen Stärkung der familiären Situation (Gesundheitsförderung).
Hier gäbe es noch viele weitere positive Beispiele einer gezielten Begleitung von chronisch erkrankten Kindern. Beispielhaft Diabetes, Lungenerkrankungen, Epilepsie usw. Zu diesen Erkrankungen wurden spezielle Fachweiterbildungen für professionell Pflegende entwickelt, mit dem Ziel, Betroffene und ihre Familien individuell im Alltag zu begleiten.
Aber es gibt auch neue Aufgabenfelder, die teilweise international schon seit Jahrzehnten etabliert sind. In Kapitel 3 wird der Einsatz von Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Pfleger in Familienzentren und in Kapitel 6 der Aufgabenbereich der Schulgesundheitspflege beschrieben. In diesen Settings liegt der Aufgabenschwerpunkt beispielhaft in der Begleitung junger Eltern in strukturell schwierigen Lebenssituationen, in altersgerechtem Unterricht zu gesundheitsrelevanten Themen, in der Umsetzung gesundheitsfördernder Konzepte und in der Sicherstellung von medizinisch–pflegerischen Maßnahmen in Kitas und Schulen.
Wie wichtig ein früher settingbezogener Ansatz ist, zeigen Ergebnisse von Studien, wie beispielhaft die KIGGS Studie des Robert Koch Instituts oder auch Ergebnisse von Schuleingangsuntersuchungen (Richter-Konweitz A, »Gesundheitsförderung im Kindesalters«, BZgA). Hiernach sollen ca. 20 Prozent aller Jungen und Mädchen gesundheitliche Auffälligkeiten haben, wobei eine deutliche Zunahme von chronischen Erkrankungen und psychischen bzw. psychosozialen Auffälligkeiten zu beobachten ist.
Hier ist eine multiprofessionelle Begleitung und Vernetzung in unterschiedlichen kinder- und familiennahen Settings wichtig, um individuelle Unterstützungsansätze zu entwickeln und als Normalität im Alltag zu leben.
Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigt hier eine positive, wenn auch langsame Veränderung. Sowohl was den Einsatz von pädiatrisch Pflegenden in neuen Arbeitsfeldern betrifft als auch in Bezug auf die Erweiterung von Angeboten an...