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Die Zukunft der Bürgergesellschaft

Herausforderungen und Perspektiven für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Festschrift für Warnfried Dettling

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl236 Seiten
ISBN9783531911519
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Bürgergesellschaft und bürgerschaftliches Engagement haben in den letzen zehn Jahren Karriere gemacht - als Idee und als Konzept für ein neues Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Was bisher fehlt, ist die Verankerung der Bürgergesellschaft als Leitidee in der Politik sowie im Regierungshandeln. Was sind die Ursachen? Wie können Regierungs- und kommunales Handeln mit Hilfe von bürgerschaftlichem Engagement ihre Ziele besser erreichen? Welchen Herausforderungen müssen sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft stellen? Die Autorinnen und Autoren dieses Buches diskutieren diese und weitere Fragen und zeigen Perspektiven für die Zukunft der Bürgergesellschaft auf.

Dr. Daniel Dettling ist Jurist und Politikwissenschaftler und leitet den Think Tank berlinpolis e.V.

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Leseprobe
Norbert Walter (S. 98-99)

Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik

Die Wirtschaftsverfassung auf dem Prüfstand heterogener Einflüsse

Die Vielfalt von Institutionen und Denkrichtungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die die Gebilde Wirtschaft und Wirtschaftspolitik ausmachen, hat in Deutschland zum Teil alte und tiefe Wurzeln. Vieles davon ist nicht typisch deutsch, manches abendländisch, manches kontinentaleuropäisch. Zu den prägenden Elementen zählt der Einfluss religiöser Bewegungen. Nicht nur die Verbindung von Staat und Kirche über viele Jahrhunderte bestimmte diesen Einfluss, er wirkte tief und unmittelbar über einzelne gesellschaftliche Gruppen.

Die Einstellung zum Zweck und Ziel des Lebens, die Beurteilung von Leistung und Eigentum sind zwar weithin christlich orientiert, innerhalb dieser Grundorientierung haben sich aber deutliche Differenzierungen entwickelt: von der katholischen Soziallehre, dominiert von der Hintanstellung individueller, irdischer Wünsche, über protestantische Ethik mit der Betonung individueller Verantwortung bis hin zu diesseits gemessener Erfolgsorientierung im Calvinismus. Wie außerordentlich bedeutend solche Einflüsse sind, zeigt sich im Grundgesetz, wenn etwa von der Sozialbindung des Eigentums die Rede ist.

Das Attribut sozial für die deutsche Form der Marktwirtschaft reflektiert den ausgeprägt christlich bestimmten Gestaltungswillen. Dass der Wirtschaftsstil über die rein wirtschaftlichen, rein funktionalen Zwecke hinausreichen sollte, war ausdrückliche Absicht jener Männer, die als Väter der Sozialen Marktwirtschaft zu betrachten sind. Einige von ihnen, so Alfred Müller-Armack, rieten eindeutig von einer offenen Austragung sachlich unvermeidbarer Konflikte ab. In idealisierender Weise wird im Konfliktfall das Kollektiv in die Verantwortung gebracht. Dieses Harmoniebedürfnis scheint den Deutschen besonders eigen zu sein.

Die Konsequenz, dass damit Probleme möglicherweise verschleiert oder verschoben werden, ziehen die Deutschen vor zu verdrängen. Wenn die Wirtschaftskultur in Deutschland charakterisiert werden soll, kommt man nicht umhin, sie als außerordentlich heterogen und im historischen Ablauf als außerordentlich anpassungsfähig zu bezeichnen. Es ist freilich leichter zu sagen, was die deutsche Wirtschaftskultur nicht ausmacht, als sie positiv zu beschreiben. Es fehlt ihr die Ausrichtung auf ein politisches, auf ein geistiges Zentrum. Weder ist sie durch einen dominanten Zentralstaat noch durch eine dominante Wirtschaftsphilosophie – Merkantilismus, Freihandel, Zentralverwaltungswirtschaft – bestimmt. Seinen Grund hat dies in der Art der staatlichen (Un-)Ordnung in der deutschen Geschichte.

Die Vielfalt und der ständige Wechsel der Regime, nicht nur nach Zahl, sondern auch nach Bedeutung und Charakter, haben – in historischer Perspektive – prägend gewirkt. Der heutige Föderalismus ist eine konsequente Fortsetzung dieser Tradition. Anders als etwa in Frankreich oder England, wo die staatliche Einheit eine lange und feste Tradition hat, bestand Deutschland (fast) immer aus mehreren, recht unterschiedlichen und meist weitgehend autonomen Einzelteilen. Anhand der Geschichte ist auch zu erklären, warum es keine wirklich vorherrschende Wirtschaftsphilosophie gibt.

Das Fehlen einer dauerhaften politischen Führungsmacht – statt dessen kämpften Fürstenhäuser ständig gegeneinander –, der Mangel an Wirtschaftsdynastien, anders als etwa in England oder Japan – im historischen Kontext blieben die Fugger, Krupps oder Grundigs Episoden – und die Nichtexistenz dominanter wissenschaftlicher Zentren – anders als in Frankreich – gaben der Vielfalt wirtschaftlicher Ideen Raum, zogen ihrer Durchsetzung jedoch immer enge Grenzen. So war Deutschland mehr ein Ort für die Entwicklung von Ideen als ein Ort ihrer konsequenten Verwirklichung. Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland besitzt unverkennbar Merkmale, die mit den geschichtlichen Erfahrungen der Deutschen in den ersten viereinhalb Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, zu erklären sind. Es sind die deutschen Traumata zweier großer Inflationen.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Zu dieser Festschrift7
Grußwort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ursula von der Leyen8
Beratung zwischen Expertise und Interesse17
Kapitel 1 Der Staat der Bürgergesellschaft22
Freiheit oder Staatswirtschaft. Von den Herausforderungen der Globalisierung an die Soziale Marktwirtschaft23
I. Die notwendige internationale Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft24
II. Mut zu weiteren nationalen Reformanstrengungen – Flexibilität als Chance31
Der Beitrag der Bürgergesellschaft zu Zusammenleben und Zusammenhalt in multikulturellen Gesellschaften37
1 Die Fragestellung37
2 Die aktive Bürgergesellschaft – Fundament unserer Demokratie37
3 Der Beitrag der Bürgergesellschaft zu Zusammenleben und Zusammenhalt41
4 Die Überwindung der „Identitätsfalle“45
Literaturverzeichnis46
Demokratie reformieren47
1 Abschied vom allmächtigen Staat48
2 Gesellschaft ohne Kompass53
3 Allheilmittel direkte Demokratie?56
4 Herausforderung Demokratiekompetenz59
Die Bürgergesellschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Nur ein starker Staat garantiert eine starke Bürgergesellschaft62
Teilhabe und Verantwortung in der Aktiven Bürgergesellschaft79
Anti-Bürgerlichkeit und ihre Auswirkungen80
Der politische Irrweg des Versorgungsstaates81
Der „schlanke Staat“ – ein Ausweg?83
Zivilgesellschaft – Bürgergesellschaft – Aktive Bürgergesellschaft83
Die Kernaufgaben des Staates85
Bürgerliche Verantwortungskultur86
4. Jeder muss bereit sein, für unsere Zukunft und das Leben unserer Nachkommen Verantwortung zu übernehmen und seine Entscheidungen und sein Handeln am Prinzip der Nachhaltigkeit auszurichten.87
Leistungsbereitschaft und Solidarität: Solidarische Leistungsgesellschaft88
Konsequente Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips90
Keine Alternative zur Parteiendemokratie91
Teilhabe und Mitwirkung durch den freiwillig engagierten Bürger: Bedeutung des Ehrenamtes92
Kapitel 2 Die neue Wachstumsgesellschaft: Wirtschaft in der Bürgergesellschaft95
Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik96
Die Wirtschaftsverfassung auf dem Prüfstand heterogener Einflüsse96
Die Geburt der Sozialen Marktwirtschaft und ihre zentralen Elemente98
Keine Experimente – die wahre deutsche Mentalität?101
Verwässerung der Marktwirtschaft102
Die Siebziger: Grundstein für die Probleme der Gegenwart104
Deutsche Einigung: Die marktwirtschaftliche Erneuerung verpasst105
Der bundesstaatliche Finanzausgleich106
Länderfusionen107
Föderalismusreform – Weichenstellung für die Zukunft?108
Zunehmender Einfluss aus Brüssel109
Wirtschaftsordnung für Deutschland im 21. Jahrhundert109
Bürgergesellschaft – Noch eine Utopie?112
Das Soziale neu bestimmen116
Die Sozialpolitik am Scheidepunkt117
Die Krise der Sozialpolitik ist eine Krise der Institutionen – nicht des Rechtsstaats118
Eine weitere Expansion der Sozialaufgaben ist nicht möglich119
Ein neues Anspruchsgefüge dominiert unser Verständnis von „sozial“122
Zwei Arten von Kosten bestimmen den Sozialstaat123
Der Staat als Vormund124
Eine Neuordnung der staatlichen und privaten Verantwortungsbereiche ist unumwindbar126
Die Reform der Sozialpolitik ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine Machtfrage.127
Sozialpolitik durch Nächstbeteiligung als freiheitliche Alternative128
Zentralistische Gestaltung versus Legitimationserneuerung129
Eine neue Sozialordnung als Garant für Nachhaltigkeit131
Die Bürgergesellschaft – Eine Utopie?133
1.133
2.134
3.136
4.138
5.140
6.141
7.142
8.143
9.144
10.146
Kapitel 3 Starke Bürger147
Die Abschottung der Republik: Integration statt Zuwanderung,148
1 Zuwanderung statt Einwanderung148
2 Statt Zuwanderung Integration bisheriger Zuwanderung154
3 Was bedeutet Integration?157
4 Kulturelle Integration161
5 Bilanz und Erfolgschancen der Integration164
6 Bürgergesellschaft und Einwanderung167
Zukunftspolitik?169
Eine kleine Geschichte des Politischen – mit einigen Vermutungen über ihre Perspektive, zum Geburtstag serviert169
Vom Comeback des Vorgestern170
Der Vierte Weg172
Pragmatismus und Poesie: Die Politik der Zukunft175
„Lebendige Demokratie“ als Ziel der Bürgergesellschaft – Was trennt uns hiervon? Wie kommen wir hin?178
Das Ziel und die Wirklichkeit – ein Soll-Ist-Vergleich178
Ursachen des Demokratie-Defizits179
Einsprüche von Seiten der Wissenschaft180
Wie können wir weiterkommen?181
Entwicklungsperspektiven der Bürgergesellschaft183
Schluss: „Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ als Leitgesichtspunkte187
Community Organizing und die gestaltende Bürgergesellschaft. Warum Gutes-tun allein nicht ausreicht189
Die Bürgergesellschaft braucht demokratische Gestaltung189
Politische Teilhabe einer breiten gesellschaftlichen Mitte – auf Augenhöhe191
Kreativ, tatkräftig und machtvoll192
Staat und Markt ein eigenes Gesicht zeigen192
Community Organizing bildet das nötige Sozialkapital194
Gesellschaftliche Webarbeit195
Gesellschaftliche Institutionen auf das Gemeinwohl verpflichten196
Anmerkungen zur Partizipation des Bürgers in der bundesdeutschen Demokratie197
Politische Konsequenzen aus der Debatte um die Bürgergesellschaft212
Leitbild für eine gute Gesellschaft.212
Die sozialen Räume jenseits von Markt und Staat erweitern!213
Bürgergesellschaft: Eine Idee ohne Theorie?214
Staat, Wirtschaft und Gesellschaft: Eine neue Balance und Synergie?214
Das Menschenbild der Bürgergesellschaft.215
Bürgergesellschaft: Kritik, Alternativen, Konsequenzen216
Was die Bürgergesellschaft nicht leisten kann.218
Was die Bürgergesellschaft leisten kann.219
Eine Bürgergesellschaft ohne Bürger?223
Kurzbiographien224

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