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E-Book

Warum regst du dich so auf?

Wie die Gehirnstruktur unsere Emotionen bestimmt

AutorRichard Davidson, Sharon Begley
VerlagGoldmann
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783641219529
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Das bunte Gefühlsleben unserer grauen Zellen
Sind Sie schüchtern oder selbstbewusst? Sensibel für Stimmungen oder eher gefühlsblind? Wie leicht oder schwer kommen Sie über Rückschläge und Kränkungen hinweg? Richard Davidson, einer der weltweit führenden Gehirnforscher, entschlüsselt das Geheimnis unserer Gefühle. Unser »emotionaler Stil« entscheidet darüber, wie wir mit anderen umgehen, wie wir leben, lieben und arbeiten. Es hilft, dieses persönliche Gefühlsmuster zu erkennen - um es nötigenfalls zu verändern. Zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Sharon Begley stellt er ein faszinierendes Modell vom Ursprung, der Macht und der Formbarkeit unserer Emotionen vor. Ein spannendes Wissenschaftsbuch, das uns zeigt, wie ein klügerer Umgang mit unseren Emotionen gelingen kann.

(Dieses Buch ist bereits unter dem Titel »Warum wir fühlen, wie wir fühlen« im Arkana Verlag erschienen.)

Richard Davidson ist einer der renommiertesten Hirnforscher. Er lehrt seit 1984 an der University of Wisconsin-Madison. Seit Langem forscht er, auch im Auftrag des Dalai Lama, darüber, wie Meditation das Gehirn verändert, unter anderem untersuchte er auch meditierende tibetische Mönche.

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Leseprobe

Kapitel 1

Kein Universalgehirn für jeden

Glaubt man den Selbsthilfebüchern für den Hausgebrauch, populärpsychologischen Artikeln oder Fernsehtherapeuten in Boulevardsendeformaten, könnte man leicht zu der Annahme kommen, die Art und Weise, wie Menschen auf einschneidende Ereignisse in ihrem Leben reagieren, sei mehr oder weniger vorhersehbar. Den vielleicht durchaus gutmeinenden Experten zufolge wirkt sich ein solches Erlebnis meist sehr ähnlich aus: Es gibt einen Trauerprozess, den jeder durchläuft, eine Abfolge von Ereignissen, wenn wir uns verlieben, eine Standardreaktion auf das Verlassenwerden oder darauf, ein Neugeborenes versorgen zu müssen, im Beruf keine Anerkennung zu erfahren, unter einer erdrückenden Arbeitslast zu leiden, einen pubertierenden Jugendlichen erziehen oder sich auf das Älterwerden einstellen zu müssen. Dieselben Koryphäen raten mit großer Überzeugung zu bestimmten Maßnahmen, um unseren emotionalen Halt wiederzufinden, ob nun nach einem Rückschlag im Leben oder in der Liebe. Sie verraten uns, wie wir unsere Sensibilität stärken (oder auch mindern) und beherzt mit unseren Ängsten umgehen können ... und was wir generell tun müssen, um ebenjener Mensch zu werden, der wir gern sein möchten.

Doch während meiner Forschungsarbeit bin ich zu der in all den Jahren immer wieder bestätigten Erkenntnis gelangt, dass solche pauschalisierenden Universalformeln im Zusammenhang mit Emotionen noch weniger Gültigkeit haben als in der Medizin. Dort ist die Wissenschaft gerade dabei zu entdecken, dass die DNA des Einzelnen darüber entscheidet, wie er – um nur ein Beispiel zu nennen – auf Medikamente anspricht. Damit läutet sie ein Zeitalter der Individualtherapie ein, in dem sich die Behandlung ein und derselben Krankheit von Patient zu Patient unterscheidet – einfach deshalb, weil es keine zwei Patienten mit identischen Genen gibt. Ein gutes Beispiel hierfür: Welche Dosis des Blutverdünners Warfarin einem Patienten ohne Risiko verabreicht werden kann, um die Entstehung von Blutgerinnseln zu vermeiden, hängt davon ab, ob die Gene des Betreffenden eine langsame oder schnelle Verstoffwechselung des Wirkstoffs bedingen.1 Wenn es darum geht, wie der Einzelne auf die Widrigkeiten des Lebens reagiert und wie er die Fähigkeit entwickeln und stärken kann, Freude zu empfinden, liebevolle Beziehungen zu seinen Mitmenschen einzugehen, Rückschläge zu verkraften und generell ein sinnvolles Leben zu führen, muss ein ebenso individuelles Konzept gefunden werden. In diesem Fall liegt der Grund nicht allein in einer jeweils ganz anderen DNA, obwohl dies natürlich auch eine Rolle spielt, denn die DNA beeinflusst ganz eindeutig unsere emotionale Veranlagung. Vielmehr sind auch die Aktivitätsmuster in unserem Gehirn individuell verschieden. Wie die Entschlüsselung der Patienten-DNA prägend für die Medizin von morgen sein wird, kann das Verständnis der für die emotionalen Zustände und Veranlagungen des Einzelnen typischen neuronalen Aktivitätsmuster die Psychologie von heute maßgeblich beeinflussen.

Im Laufe meiner Tätigkeit als Neurowissenschaftler sind mir Tausende von Menschen begegnet, deren Umgang mit ein und demselben Lebensereignis sich ungeachtet ihres ähnlichen Hintergrunds dramatisch unterscheidet. Während sich die einen beispielsweise gegenüber Stress als belastbar erweisen, brechen andere völlig zusammen. Sie werden ängstlich, depressiv oder können beim Auftreten von Problemen nicht angemessen reagieren. Resiliente Menschen sind aus irgendeinem Grund in der Lage, stressauslösende Situationen nicht nur zu meistern, sondern sie sogar zu ihrem Vorteil zu nutzen. Genau dieses Rätsel lieferte mir die Motivation für meine Forschungen: Ich wollte wissen, was genau darüber entscheidet, wie der Mensch auf eine Scheidung, den Tod eines nahestehenden Menschen, den Verlust des Arbeitsplatzes oder andere Rückschläge reagiert – oder auch, wie er damit umgeht, wenn er berufliche Triumphe feiert oder es ihm gelingt, das Herz seines Traumpartners zu erobern, wenn er merkt, dass ein Freund für ihn über glühende Kohlen laufen würde oder er auf andere Weise das große Los gezogen hat. Warum fallen die emotionalen Reaktionen auf die Höhen und Tiefen des Lebens individuell so unterschiedlich aus und was genau ist dabei so anders?

Im Verlauf meiner Forschungen bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass jeder Einzelne über einen eigenen emotionalen Stil verfügt, also um bestimmte, nach Art, Intensität und Dauer variierende Konstellationen, die über seine emotionalen Reaktionen und Bewältigungsmöglichkeiten entscheiden. So wie jeder einen unverwechselbaren Fingerabdruck hat und über eine ganz eigene Physiognomie verfügt, ist auch unser emotionales Profil etwas Einzigartiges. Es prägt unser Wesen so maßgeblich, dass uns nahestehende Menschen oft exakt vorhersagen können, wie wir auf eine emotionale Herausforderung reagieren. Mein eigener emotionaler Stil ist beispielsweise relativ optimistisch und fröhlich. Ich nehme Herausforderungen gern an und erhole mich schnell von kritischen Situationen, auch wenn ich manchmal dazu neige, mir Sorgen über Angelegenheiten zu machen, auf die ich keinen Einfluss habe. (Mein sonniges Gemüt trug mir bei meiner Mutter beispielsweise den Spitznamen »Joy Boy« ein.) Unterschiede im emotionalen Stil sind der Grund, warum der eine relativ schnell über eine schmerzhafte Scheidung hinwegkommt, während ein anderer in Selbstvorwürfen und Verzweiflung versinkt. Sie sind es, die einen von zwei Geschwistern nach dem Verlust des Arbeitsplatzes weitermachen lassen, als wäre nichts gewesen, während der andere aus gleichem Grund noch Jahre später an seinem Selbstwert zweifelt. Sie sind verantwortlich, warum auf dem Zuschauerrang beim Baseballspiel der Little-League der eine Vater mit einem Achselzucken darüber hinweggeht, wenn der Schiedsrichter aus unerfindlichen Gründen seine – eindeutig sicher auf der Base angekommene! – Tochter aus dem Spiel nimmt, während der andere vom Sitz aufspringt und den Mann so anbrüllt, dass sich sein Gesicht puterrot verfärbt. Emotionaler Stil entscheidet, warum der eine für jeden in seinem näheren Umfeld ein tröstendes Wort übrig hat, während sich ein anderer rarmacht oder verstummt, sobald jemand in der Familie oder im Freundeskreis Zuspruch oder Unterstützung braucht. Und er ist ausschlaggebend dafür, warum manche in der Körpersprache und Stimmlage ihrer Mitmenschen zu lesen vermögen wie von einer öffentlichen Anschlagtafel, während diese für andere immer ein Buch mit sieben Siegeln bleiben werden – oder warum manche Menschen ganz genau wissen, wie es in ihrem Gemüt, Herzen und Körper aussieht, während andere keinen blassen Schimmer haben, dass eine derartige Selbstwahrnehmung überhaupt im Bereich des Möglichen liegt.

Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht vielfach Gelegenheit hätten, emotionalen Stil »live« zu erleben. Ich verbringe viel Zeit an Flughäfen, und es kommt nur selten vor, dass sich eine Reise nicht für die eine oder andere Feldstudie anböte. Wie wir alle wissen, gibt es mehr Gründe, den Flugplan durcheinandergeraten zu lassen, als an einem Freitagabend Flieger an einem hochfrequentierten Airport abheben: schlechtes Wetter, Warten auf eine Crew, deren Landung sich verzögert hat, technische Probleme, das rätselhafte Aufblinken irgendwelcher Warnleuchten im Cockpit, deren Funktion keiner zu kennen scheint … Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Ich hatte also jedes Mal hinreichend Gelegenheiten, die Reaktion von Passagieren, einschließlich meiner eigenen, zu beobachten, wenn beim Warten im Check-in-Bereich die gefürchtete Ansage kommt, die Abflugzeit habe sich um eine Stunde, um zwei Stunden oder gar auf »momentan nicht absehbare« Zeit verschoben. Ein kollektives Aufstöhnen geht durch die Reihen. Doch schaut man sich die Reisenden im Einzelnen an, ist eine breite Palette an emotionalen Reaktionen zu beobachten. Da ist der Jugendliche im Kapuzensweatshirt, der den Kopf rhythmisch zum Rap aus seinen Ohrstöpseln bewegt und sich, kaum hat er aufgeschaut, auch schon wieder in sein iPad vertieft. Da ist die junge Mutter, allein unterwegs mit ihrem quirligen Krabbelkind, die »Na toll …!« murmelt, sich ihren Kleinen schnappt und sich zur Cafeteria hinüberbewegt. Da ist eine Businessfrau im Hosenanzug, die sich schnurstracks zum Schalter begibt und ruhig, aber freundlich darauf besteht, sofort umgebucht zu werden, ganz gleich, auf welchen Flug diesseits von Katmandu, Hauptsache, sie kommt pünktlich zu ihrer Besprechung! Da ist der silberhaarige Herr im Maßanzug, der stante pede zur Mitarbeiterin der Fluggesellschaft stürmt: ob sie eigentlich wisse, wie wichtig es für ihn sei, an seinen Zielort zu gelangen, fragt er so lautstark, dass es aber auch wirklich jeder mitbekommt. Er wolle sofort ihren Vorgesetzten sprechen, und er brüllt – inzwischen ist er tiefrot angelaufen –, dass die Situation absolut inakzeptabel sei.

Gut, ich gebe zu, dass Verspätungen für manche Menschen gravierendere Folgen haben als für andere. Es nicht rechtzeitig ans Bett der sterbenden Mutter zu schaffen oder eine Besprechung zu verpassen, in der es um das Wohl und Wehe des vom eigenen Großvater gegründeten Unternehmens geht, ist sicherlich schlimmer, als wenn ein Student einen halben Tag später als geplant bei seinen Eltern eintrifft, um dort die Weihnachtsferien zu verbringen. Aber ich vermute stark, dass die unterschiedliche Art und Weise, in der Menschen auf nervtötende Flugverspätungen reagieren, weniger mit den äußeren Umständen als mit ihrem jeweiligen emotionalen Stil zu tun haben.

Das Vorhandensein eines individuellen emotionalen Stils wirft eine Vielzahl von Fragen auf. Die offensichtlichste...

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