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E-Book

Selam, Frau Imamin

Wie ich in Berlin eine liberale Moschee gründete

AutorSeyran Ate?
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783843715522
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Seyran Ate? ist gläubige Muslimin. Die fundamentalistischen Tendenzen im Islam empören sie. Doch die letzten Jahre haben gezeigt: Gegen diese Entwicklungen anzuschreiben reicht nicht aus. Deshalb hat sich Ate? entschlossen, gemeinsam mit anderen Muslimen eine liberale Moschee in Berlin zu gründen. In Deutschland herrscht der türkische Staatsislam. Die meisten aktiven Imame haben ein gestörtes Verhältnis zur Religionsfreiheit, zur Gleichberechtigung und zum Recht auf Homosexualität. Sie predigen einen Islam von vorgestern - mit der Folge, dass liberale Muslime bei uns heimatlos geworden sind. Daran möchte Seyran Ate? etwas ändern. Sie gewinnt Mitstreiter für die Gründung einer reformierten Moschee in Berlin und baut ein internationales Netzwerk von liberalen Muslimen auf. Sie lernt Arabisch und lässt sich in Istanbul zur Imamin ausbilden. Das engagierte Buch einer modernen Muslimin, die ihren Glauben leben will und sich nicht von patriarchalen Strukturen und den Dogmen der Strenggläubigen einschüchtern lässt.

Seyran Ate?, 1963 in Istanbul geboren, lebt seit 1969 in Deutschland. Sie ist Autorin und arbeitete bis 2006 als Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei. Ihr wurden zahlreiche Auszeichnungen verliehen, darunter das Bundesverdienstkreuz 1.Klasse, das Bundesverdienstkreuz am Bande und der Verdienstorden der Stadt Berlin. Zuletzt sind von ihr erschienen Der Islam braucht eine sexuelle Revolution (2009) und Wahlheimat (2013). Seyran Ate? lebt in Berlin.

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Leseprobe

GEWALT IM ISLAM


Bei islamistischen Terroranschlägen sehen wir bekanntermaßen zumeist junge Männer am Werk. Ein Zusammenhang zwischen Geschlecht und Gewaltbereitschaft ist schwer zu leugnen, schließlich geht in praktisch allen Gesellschaften physische Gewalt mehrheitlich von Männern aus. Aber wie kommt ein junger Mensch auf die Idee, sich selbst und möglichst viele andere in die Luft zu sprengen, noch dazu im Namen Allahs? Sind es die 72 »Huris«, also Jungfrauen, die angeblich im Paradies auf Märtyrer warten? Was für eine unglaubliche Vorstellung, dass junge Männer, die sich nach Sex sehnen, zu Mördern und Selbstmördern werden, anstatt ihre Bedürfnisse im Diesseits auszuleben.

Wie so oft bei den heiligen Schriften des Islam lässt sich auch in diesem Punkt nicht letztgültig sagen, wie die entsprechenden Textstellen gemeint sind. Auf Arabisch soll das im Koran verwendete Wort Huri »blendendweiß« bedeuten. Doch ist das wirklich so? Oder handelt es sich, wie Christoph Luxenburg in seinem Buch »Die syro-aramäische Lesart des Koran« schreibt, vielmehr um weiße Trauben, so dass Selbstmordattentäter lediglich ein Obstteller erwarten würde? Als Beleg für seine Theorie nennt der Koranforscher, dass Mohammed nicht Arabisch, sondern Syro-Aramäisch gesprochen habe, so wie es zu der Zeit in Mekka üblich war. Aber welche Sprache hat Mohammed wirklich gesprochen? Die allgemeine Lehrmeinung besagt, dass es Arabisch war. Solange kein fundierter Gegenbeweis erbracht wird, müssen wir also wohl die arabische Version des Koran akzeptieren. Demnach warten laut Sure 55, Vers 56 im Paradies Jungfrauen auf Märtyrer; in den Hadithen wird zudem die Zahl 72 genannt. Diese Zahl wurde irgendwann von jemandem erwähnt, der angeblich dabei war oder jemanden kennt, der dabei war, als der Prophet sie nannte.

Selbstverständlich sind es nicht nur die erwarteten Jungfrauen, die jemanden zum Selbstmordattentäter machen. Zuallererst sind die meist jungen Männer natürlich getrieben von der Überzeugung, für den Islam und die Gemeinschaft der Muslime das Richtige zu tun. Sie begehen ihre Taten im Namen Allahs des Barmherzigen, des Erbarmers. So paradox es in unseren Ohren klingen mag: Islamistische Terroristen sind der Überzeugung, als gute Muslime zu handeln.

Mit dem Glauben eines aufgeklärten Muslims, für den es in der Religion keinen Zwang geben darf und dem erklärt wurde, die Tötung eines Menschen komme der Ermordung der ganzen Menschheit gleich, ist das natürlich unvereinbar. Insofern wundert es nicht, dass manche Glaubensgenossen den Terroristen absprechen, überhaupt Muslime zu sein. So sagte Fethullah Gülen einmal in einer Predigt, ein Muslim könne kein Terrorist sein und ein Terrorist kein Muslim. Auch der türkische Staatspräsident Erdoğan verkündet immer wieder, Islam und Terror dürften nicht zusammen genannt werden. Für beide Männer gibt es daher die Bezeichnung »islamistischer Terror« nicht.

Inzwischen wiederholen unzählige Muslime den Satz von Gülen wie ein Mantra, in dem Bemühen, sich vom Terror ihrer Glaubensbrüder abzugrenzen. Ganz vorne dabei die islamischen Verbände in Deutschland. Diese Herangehensweise führt meines Erachtens jedoch nicht weiter, denn es ist nun einmal eine Tatsache, dass Attentäter von Taliban über Boko Haram bis IS »Allahu Akbar« rufen, wenn sie Menschen köpfen oder sich in einer Menschenmenge in die Luft sprengen. Schon allein aus diesem Grund sollten wir sehr ernst nehmen, dass sie sich zur Rechtfertigung ihrer menschenverachtenden Taten auf Suren und Verse aus dem Koran oder auf Hadithe berufen. Zudem dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass vielerorts ein Islam gelehrt wird, der Hass und Gewalt legitimiert. Die Terroristen sind in der Regel in Moscheen oder Koranschulen radikalisiert worden.

In diesem Zusammenhang ist es sicher nützlich, sich einmal die Suren näher anzuschauen, auf die sich Islamisten berufen. Dieselben Suren zitieren übrigens auch Islamfeinde als vermeintlichen Beweis dafür, dass der Islam eine gewaltbejahende, wenn nicht gar gewaltverherrlichende Religion sei.

Zunächst ist da die Schwertsure, die wohl bekannteste Stelle aus dem Koran, die immer wieder als Begründung für den Dschihad, den sogenannten Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen, herangezogen wird:

»Wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Polytheisten, wo immer ihr sie findet, greift sie, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Weg auf.« (Sure 9 Vers 5; Khoury).

Es gibt kaum noch jemanden, der sich zur Gewalt im Islam äußert und diesen Vers nicht kennt. Oft wird er als Beleg dafür genommen, dass Muslime aufgerufen seien, alle Andersgläubigen zu töten. Dabei ist hier von einer ganz speziellen Gruppe von Polytheisten in Mekka zur Zeit Mohammeds die Rede. Überhaupt ist die Aussage nicht zu verstehen, wenn man den Hintergrund nicht kennt und die vorangehenden sowie nachfolgenden Verse unberücksichtigt lässt.

Die Gewaltpassagen im Koran sind ebenso wie die im Alten Testament in ihrem jeweiligen historischen Kontext zu lesen. Das bedeutet natürlich nicht, dass Gewalt verharmlost oder gar verherrlicht werden soll. Es geht allein darum zu verstehen, wann sich eine Glaubensgemeinschaft vor Feinden und Angreifern geschützt hat, wann sie also Gewalt angewandt hat, um Gewalt abzuwehren, und wann sie tatsächlich Angriffskriege führte, um anderen zu schaden oder sie auszurauben.

Der Koran ist bekanntermaßen nicht chronologisch aufgebaut. Macht man sich die Mühe und liest die Suren in der Reihenfolge, in der sie von Gott zu Mohammed herabgesandt wurden, dann stellt man fest, dass die Suren aus der Anfangsphase der neuen Religion zu Gewaltverzicht aufrufen. Erst mit der Zeit kommt es vermehrt zur Beschreibung von Gewalttaten, von Selbstverteidigung bis hin zur Verherrlichung des Krieges und zum Märtyrertum. Erklären lässt sich das historisch mit der sich stetig vergrößernden muslimischen Gemeinde und den zunehmenden Anfeindungen, denen sie ausgesetzt war. Nicht zu vergessen die Notwendigkeit, das eigene Überleben durch Raubzüge zu sichern, in Zeiten, als es keine anderen Einnahmequellen gab.

Aber nun zu den Hintergründen der sogenannten Schwertsure: Die frühen Muslime befanden sich damals in Mekka im Streit mit Polytheisten, weil diese vertragsbrüchig geworden waren. Genauer gesagt hatte eine Gruppe von Mekkanern den ausgehandelten Friedensvertrag mit Mohammed gebrochen. Aus heutiger Sicht wäre das natürlich per se keine Rechtfertigung für Gewalt, aber zu der Zeit, als Sure 9, Vers 5 empfangen wurde, war es – nicht nur in dieser Region – üblich, solche Auseinandersetzungen gewaltsam zu lösen.

Die erste Gemeinschaft der Muslime in Mekka bestand nur aus wenigen Hundert Menschen. Sie waren alles andere als wohlhabend und wurden von der Gemeinschaft der Mekkaner ausgeschlossen, was nicht überrascht, da Mohammed eine neue Religion verkündet hatte und somit die Götter ihrer Vorfahren beleidigte, sich also der Blasphemie schuldig machte. Trotz vieler Angriffe und Diskriminierungen wehrten sich die Muslime nicht, sondern suchten nach friedlichen Lösungen für ihre Konflikte mit den Bewohnern Mekkas. Erst als das Leben dort unerträglich wurde, entschieden sie sich, nach Medina auszuwandern. Hier fangen auch die Gewaltpassagen im Koran an.

Die Zeit in Medina gilt als die Phase der kriegerischen Auseinandersetzungen, denn dort begannen die Muslime, sich zur Wehr zu setzen. Mit Gewalt, wie alle anderen auch. Dennoch verfolgten sie das große langfristige Ziel, in Frieden mit allen Menschen zu leben, auch mit denen, die einen anderen Glauben hatten.

Die Schwertsure endet im Übrigen nicht mit dem Aufruf zur Gewalt, sondern mit der Anweisung, die Polytheisten unter bestimmten Voraussetzungen ungeschoren zu lassen:

»Wenn sie umkehren, das Gebet verrichten und die Abgabe entrichten, dann lasst sie ihres Weges ziehen: Gott ist voller Vergebung und Barmherzigkeit.« (Khoury)

Ob man die dafür erforderliche Zuwendung zum Islam als gute Lösung für die Polytheisten und als Beleg für Allahs Barmherzigkeit sehen möchte, sei dahingestellt. Aus heutiger Sicht sind da durchaus Zweifel angebracht. Dennoch: Den ersten Teil der Schwertsure einfach so in unsere Zeit zu übertragen und zu behaupten, sie würde Gewalt generell legitimieren oder sogar einfordern, ist falsch. Die muslimische Gemeinschaft muss im 21. Jahrhundert beispielsweise nicht mehr um ihre bloße Existenz kämpfen, wie es in der Entstehungszeit des Islam der Fall war.

Eine derartige Deutung des Koran lassen Islamisten allerdings nicht zu. Sie haben ihre Lehrmeister, die ihnen erzählen, die Zeit sei gekommen, die Welt von Ungläubigen und Andersgläubigen zu säubern. YouTube ist voll von Videos mit entsprechenden Hasspredigten, die auf die Islamisierung des gesamten Planeten abzielen.

Als Mittel dazu gilt der Dschihad, den diverse islamistische Gruppierungen auch im Namen tragen. Dabei ist Dschihad ursprünglich etwas ganz anderes, und das sollten wir aufgeklärten Muslime nicht müde werden zu betonen, vor allem auch im Rahmen der Aufklärungsarbeit zur Vorbeugung der Radikalisierung von Jugendlichen. Dschihad bedeutet nämlich eigentlich nicht Heiliger Krieg, sondern dass der Mensch sich anstrengen möge, das Bestmögliche zu erreichen, seine innere Kraft zu entfalten. Und das ist es ja, was Muslime genauso anstreben sollten wie alle anderen Menschen, gleich welchen Glaubens.

Es gibt weitere Suren und Verse, die – wiederum vollkommen ahistorisch – zur...

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