Kapitel 1 Frauen – die ewige Kolonie
Der Glaube an ein ursprüngliches Matriarchat oder zumindest an eine egalitäre frühere Gesellschaft mag tröstlich sein, hilft uns aber nicht weiter. Die Unterordnung der Frauen ist alt und universal. Wie wird sie durchgesetzt? Worauf beruht sie? Wie reagierten Frauen darauf?
Sobald Kulturen sich begegnen, beginnen die Vergleiche. Welche ist besser? Welche hat mehr Macht? Wessen Zivilisationsstand ist höher? Fast immer gehört dieses halb drohende, halb prahlerische Spiel zur Begegnung der Kulturen, und wenn ein möglicher wirtschaftlicher oder militärischer Konflikt in der Luft liegt, dann steigert sich diese Auseinandersetzung bis zu den extremsten Grotesken der Angeberei. Zum Teil dürften diese Drohgebärden den Zweck haben, die andere Seite von der eigenen Unangreifbarkeit zu überzeugen. Zum Teil – das meint jedenfalls Virginia Woolf – liegen sie vielleicht in der männlichen Psychostruktur verankert, die an nichts Neuem und Fremden vorübergehen kann, ohne einen Vergleich anzustellen, der zu den eigenen Gunsten ausfällt. Virginia Woolf betrachtet es als einen der besonderen Vorzüge des Frau-Seins, daß man «an einer Negerin vorübergehen kann, ohne den unwiderstehlichen Drang zu verspüren, aus ihr eine Engländerin zu machen».
Das ist mehr als eine scherzhafte Anmerkung. Denn die politische Bedeutungslosigkeit ihrer Stellung in patriarchalischen Gesellschaften stand in gar keinem Verhältnis zu dem immensen Gewicht, das der Rolle der Frauen in diesem Prahl- und Drohdialog zwischen den Kulturen zukommt. «Ihr mißhandelt eure Frauen», warf da plötzlich eine Gruppe von Patriarchen der anderen vor. «Eure Frauen sind sittenlos und promiskuös», spottete eine Gruppe über die andere und traf sie damit direkt im Zentrum ihres Selbstgefühls. «Unseren Frauen geht es besser als euren», prahlten da Männer, die sich noch nie zuvor Sorgen um die Frauenrechte gemacht hatten. Eindeutig hat die Frauenfrage, so sehr sie innenpolitisch von allen maßgeblichen Männern immer wieder an den Rand gedrängt wird, in zwischenkulturellen Auseinandersetzungen ein ganz ungebührendes Gewicht. Insgesamt liefert die Weltgeschichte unzählige Beispiele für ganz paradoxe Anwandlungen von Sympathie oder Aggression gegenüber den Frauen fremder Kulturen auf seiten der Männer, die sonst keinen Funken von Interesse an der Frauenfrage aufbringen. Und warum ist es so? Weil, wie es scheint, fremde Frauen sich noch weit besser für Projektionen, für Symbolisches, für hinterhältige Ersatzschläge gegen andere Männer und für (politische, kulturelle) Potenzkämpfe eignen als die eigenen.
Selbstverständlich war auch die wissenschaftliche Prominenz zur Stelle, um sich an diesem Aspekt des Kulturkampfs zu beteiligen. Bei welchem Thema sonst hatte man schließlich die Gelegenheit, auf einen Schlag gleich so viele Attacken gleichzeitig zu lancieren: gegen die Männer der anderen Kultur, gegen Frauen insgesamt, gegen die Frauen der eigenen Kultur. Nirgends sonst konnte man die eigene Glorie so umfassend hervorstreichen und kleine Bosheiten ungestraft in wissenschaftliche Abhandlungen einflechten. Nirgends sonst konnte man die eigenen sexuellen Störungen so aufschlußreich darlegen. Drei Beispiele sollen uns als Illustration genügen, da sie von besonderer Prominenz und besonderer Deutlichkeit sind: Evans-Pritchard, Lévi-Strauss und Claude Meillassoux, ein Schüler von Lévi-Strauss, dessen Ideengut für eine neue Generation Linksdenkender erneut von Bedeutung ist. «Die Stellung der Frauen in primitiven Gesellschaften und in unserer eigenen», heißt der Aufsatz des berühmten Sozialanthropologen Evans-Pritchard. Er beginnt vielversprechend mit der Feststellung, daß der Blick früherer Anthropologen durch viele Vorurteile getrübt gewesen sei. Sie sahen die Welt als zweigeteilt an: auf der einen Seite die unterentwickelten Wilden, auf der anderen das viktorianische England als Höhepunkt der Zivilisation. Das ist natürlich ein berechtigter Kritikpunkt. Was Evans-Pritchard damit bezweckt, stellt sich bald heraus: er hat vor, statt der viktorianischen Dame die Frau der afrikanischen Stammesgesellschaft als Vorbild für die korrekte Frauenrolle vorzustellen.
«Die Frau hat in der primitiven Gesellschaft keine andere Wahl, als die vorgeschriebenen Pflichten einer Ehefrau zu erfüllen. Selten hat sie etwas zu reden.» Aber Evans-Pritchard weiß nicht nur, wie es den Frauen geht, er weiß auch, wie sie darüber denken und was sie glücklich macht. «Sie (die Frau in der primitiven Gesellschaft) beneidet die Männer nicht um das, was wir vielleicht ihre Privilegien nennen würden … Von außen betrachtet können wir sagen, daß die Frauen in diesen Gesellschaften eine untergeordnete Position haben. Auch die Frauen selber werden das wissen, aber es macht ihnen nichts aus … Primitive Frauen sehen sich nicht als unterdrückte Klasse gegenüber den Männern … Sie haben ja noch nie etwas von sozialer Gleichheit gehört.»
Insgesamt, schließt Evans-Pritchard, geht es den Frauen in diesen Gesellschaften sogar besser als den Frauen im Westen, und zwar aus zwei recht originellen Gründen: erstens sind sie so unterwürfig und demütig, daß es die Männer gar nicht nötig haben, ihre Autorität gewaltsam durchzusetzen. «Da die Gewalt des Ehemannes nie in Frage gestellt wird, sind häusliche Streitereien, Nörgeleien und ähnliche Unannehmlichkeiten des Zusammenlebens sehr viel weniger belastend, da sie keine Bedrohung männlicher Autorität bedeuten.»
Der zweite Grund für das größere Glück der «primitiven Frauen» leitet sich von dem ersten ab. Da ihre Lebenschancen so gering und so eng umzogen sind, kommen diese Frauen gar nicht dazu, sich mit großartigen Ambitionen unzufrieden zu machen und den Zorn der Männer zu erregen. Um das zu verdeutlichen, hat Evans-Pritchard das negative Gegenbeispiel zur Hand: die Frauen seiner eigenen Gesellschaft. Hier herrschen Zank und Streit, weil die Frauen ständig gegen ihren natürlichen Platz aufbegehren.
«In unserer Gesellschaft streben Frauen fast jede Arbeit an und – interessieren sich für alle Bereiche, so daß der Raum möglicher Auseinandersetzungen mit dem Mann sich unendlich ausweitet und schließlich das gesamte Sozialleben der Familie und sogar der Außenwelt umfaßt, was wiederum Unglück und Leiden für den Ehemann und die Kinder, aber auch für die Frauen selbst bedeutet.»
Wie gut geht es dagegen der «primitiven Frau», deren Leben noch mit keinen Gleichheitsgedanken vergiftet wurde. Denn «in unserer Gesellschaft wurde alles dadurch so kompliziert, daß die Stellung der Frau im 18. und 19. Jahrhundert Gegenstand philosophischer Spekulationen wurde und sich mit allen möglichen liberalen und egalitären Bewegungen verstrickte». Dann kam die Idee der Unterdrückung der Frauen auf und ihrer Emanzipation. Das war nicht nur verderblich für den sozialen Frieden, sondern auch verhängnisvoll für die Frauen selber. Denn Evans-Pritchard weiß, daß der Kampf der Frauen nicht nur ein lästiger, sondern auch ein vergeblicher ist. Und er will ihnen die unnütze Mühe ersparen, denn er «kann nicht glauben, daß das relative Kräfteverhältnis zwischen den Geschlechtern in der vorhersehbaren Zukunft irgendwelche bleibenden oder bedeutenden Änderungen erfahren wird».
Unsere zweite Männerstimme ist die von Claude Lévi-Strauss. Daß sein Strukturalismus vor allem auch darin besteht, Frauen schnell und ordentlich in die passenden, abfälligen Kategorien einzuteilen, wird schon aus seinen Nebensätzen und beiläufigen Anmerkungen deutlich. Über die Aranda Australiens z.B. merkt er an, sie brächten keine echten künstlerischen Leistungen zustande. Sie malten nämlich nur «langweilige und pedantische Aquarelle, die von einer alten Jungfer stammen könnten». Lévi-Strauss führt einleitend ein Beispiel an für die «Interdependenz», die als grundlegendes Prinzip alle sozialen Interaktionen prägt. Als Beispiel wählt er den Umgang eines bestimmten Stammes mit den heiligen Wasserstellen. Um sie nicht zu entweihen, dürfen Frauen sich niemals in die Nähe dieser Wasserstellen begeben. Bei den Männern gibt es Abstufungen: die noch nicht durch Initiationsriten geweihten Männer dürfen zwar zu den Wasserstellen, aber sie dürfen das Wasser nicht trinken; die Männer der nächst höheren Stufe dürfen zwar davon trinken, aber nur, wenn ein Eingeweihter ihnen den Becher reicht; die Eingeweihten schließlich walten frei über das Wasser. Dieses Beispiel zeigt, laut Lévi-Strauss, die «Interdependenz», also die wechselseitige Abhängigkeit innerhalb der gesellschaftlichen Organisation. Das Beispiel zeigt jedoch eher, daß von Interdependenz keine Rede sein kann, daß vielmehr die mächtigste Gruppe der Männer sich durch die Verwaltung religiös oder materiell wichtiger Dinge noch mehr Autorität verschafft. Ferner zeigt das Beispiel, daß mythische und religiöse Autorität zur Erzeugung und Aufrechterhaltung von sozialen Hierarchien beiträgt. Und schließlich wird deutlich, daß Frauen nicht einmal an diesem System der Hierarchien teilhaben dürfen, sondern daß ihr Ausschluß die Gemeinsamkeit untereinander ungleicher Männer unterstreicht und auch den niedrigstgestellten unter ihnen noch das Gefühl gibt, wenigstens mehr Rechte zu haben als die Frauen. Diesen Punkt hebt Lévi-Strauss nicht hervor, da Frauen für ihn keine Gesellschaftsmitglieder sind, sondern Tauschobjekte; Gegenstände, über die männliche Ordnung und Ökonomie organisierbar werden.
«Eine australische Sektion», erläutert Lévi-Strauss sein Bild des Hergangs, «produziert Frauen für andere Sektionen, genauso wie...