1Einleitung
Was hier zum Ausdruck kommt, ist die Aufgabe des wissenschaftlichen Verlages: opferbereiter Dienst an der Wissenschaft, die Anerkennung dessen von der anderen Seite und schließlich das Vertrauensverhältnis zwischen Autor und Verlag[1].
Hans Siebeck
Das wissenschaftliche Feld der Soziologie entwickelte sich zu einem Zeitpunkt, als die Natur- und Geschichtswissenschaften sowie die Philosophie bereits selbstverständlich als eigenständige Einzeldisziplinen an den Universitäten gelehrt wurden. Zwischen 1900 und 1933 begann der Etablierungsprozess der jungen Disziplin ›Soziologie‹, die sich im akademischen Betrieb und dem wissenschaftlichen Diskurs erst Wahrnehmung verschaffen musste.
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Wechselwirkung zwischen der wissenschaftlichen Disziplin der Soziologie, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland als eigenständige Wissenschaft etablierte, ihrer »Scientific Community«[2] und den wissenschaftlichen Verlagen, die soziologische Werke in ihrem Programm führten. Dabei wird der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Soziologie als wissenschaftliche Disziplin und ihrem Publikationswesen als integratives Element der wissenschaftlichen Kommunikation betrachtet.
Die kognitiven und sozialen Strukturen der Wissenschaft sowie ihre Kommunikation werden durch den wissenschaftlichen Buchhandel unterstützt, der die Publikationsorgane für den wissenschaftlichen Kommunikationsprozess bereitstellt. Es wird untersucht, welche Bedeutung wissenschaftliche Verlage, als Teil des wissenschaftlichen Buchhandels, für die wissenschaftliche Kommunikation allgemein und die Soziologie im Speziellen haben und wie sie im frühen 20. Jahrhunderts dazu beitrugen, die Soziologie als eine akademische Einzeldisziplin zu etablieren. Drei Verlage, die in dieser Untersuchung genauer beleuchtet werden und eine wegweisende Funktion für die frühe Soziologie einnahmen, sind J.C.B Mohr (Paul Siebeck), Duncker & Humblot und der Ferdinand Enke Verlag. Auf unterschiedliche Arten boten diese Verlagshäuser für die wissenschaftlichen Autoren aus bestehenden Fachgebieten Plattformen, um die Idee einer Sozialwissenschaft vorzustellen und zu diskutieren. Dabei stellt sich die Frage, welche Publikationsformen die Scientific Community der Soziologen im Zuge des Institutionalisierungsprozesses für ihre Kommunikation nutzte, aber auch, welchen Einfluss die Verlage als Impulsgeber auf den wissenschaftlichen Kommunikationsprozess hatten und wie sie Entwicklungen im soziologischen Diskurs antrieben. Darüber hinaus wird nachvollzogen, aus welchen Gründen sich Verleger entschieden, die Soziologie in ihr Verlagsprogramm aufzunehmen und auf welche Weise sie mit wissenschaftlichen Autoren zusammenarbeiteten. Während sich im Bereich der Naturwissenschaften bereits mehrere Arbeiten mit dem Zusammenhang von Disziplinenentwicklung und wissenschaftlichem Buchhandel beschäftigt haben, steht eine derartige Analyse für das frühe soziologische Verlagswesen noch aus.[3]
Die Entwicklung der Soziologie ist bisher vor allem aus wissenschaftshistorischer Perspektive untersucht worden. Eine Vielzahl von Fachgeschichten in Lehrbuchform, etwa die Geschichte der Soziologie von Volker Kruse[4], stellt in chronologischer Abfolge die wichtigsten Personen, theoretischen Strömungen und Schulen vor und zeichnet somit auch immanent die Entwicklung der Soziologie im akademischen Umfeld nach. Daneben stehen alternative Fachgeschichten, wie jene von Katharina Neef, die in Die Entstehung der Soziologie aus der Sozialreform[5] kritisch den Fokus der heutigen Forschung auf die soziologischen ›Klassiker‹ hinterfragt und soziologische Publikationen als Quellenmaterial nutzt. Wenngleich der Blick aus einer abweichenden Perspektive sicherlich neue fachgeschichtliche Details für die Soziologie hervorbringen kann, bietet sich im Rahmen dieser buchwissenschaftlichen Untersuchung eine Schwerpunktsetzung auf die bekannteren Persönlichkeiten der frühen Soziologie an. Eine der Figuren, die in der Forschungsliteratur sehr stark präsent ist und mit der Institutionalisierung der Soziologie in Verbindung gebracht wird, ist der Nationalökonom und Soziologe Max Weber (1864–1920). Sein umfangreiches Werk und seine Korrespondenz wurden vollständig in einer dokumentierenden wissenschaftlichen Max Weber-Gesamtausgabe unter Aufsicht der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der ›Bayerischen Akademie der Wissenschaften‹[6] zusammengefasst. Für die Bearbeitung und Herausgabe zeichnen unter anderem M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen verantwortlich, die sich in ihrer Forschung intensiv mit Max Weber beschäftigen. Unter den zahlreichen Monographien und Aufsätzen über unterschiedliche Aspekte aus Webers Werk, Schaffen und Leben als Soziologe sind besonders die Arbeiten Dirk Kaeslers[7] hervorzuheben, wie auch die von Wolfgang J. Mommsen[8]. Letztere sind jedoch kritisch zu betrachten, da der Autor dazu neigt, Webers Schaffen und Persönlichkeit stark zu idealisieren.
Dezidiert mit der Etablierung der akademischen Soziologie befassen sich sowohl Kaesler in seiner Habilitationsschrift Die frühe deutsche Soziologie 1909 und 1934 und ihre Entstehungs-Milieus[9] als auch Erhard Stölting in Akademische Soziologie in der Weimarer Republik[10]. Kaesler rekonstruiert in seiner Milieustudie die Herkunft der ersten Soziologen und bestimmt im Folgenden die aktivsten und prägendsten Akteure der frühen Soziologie, die sowohl die Etablierung der Disziplin als auch die Kommunikation innerhalb der Scientific Community bestimmten. Bei seiner Analyse bezieht sich Kaesler jedoch hauptsächlich auf die Mitglieder der ›Deutschen Gesellschaft für Soziologie‹ (DGS) und ihre Teilhabe am wissenschaftlichen Diskurs. Erhard Stölting behandelt neben der Etablierung der Soziologie als wissenschaftliche Disziplin ihre wichtigsten Akteure, auch solche, die nicht Mitglied der DGS waren, und darüber hinaus die wissenschaftlichen Publikationen als Indikatoren der »institutionellen Verdichtung«[11], im Speziellen die Zeitschriften. Auch wenn die Analyse der publizistischen Entwicklung auf wissenschaftssoziologischer Ebene stattfindet, bildet sie eine wichtige Grundlage für die Untersuchung der wissenschaftlichen Zeitschriften im Rahmen des soziologischen Institutionalisierungsprozesses.
Der Untersuchung des wissenschaftlichen Buchhandels liegen die systemtheoretischen Überlegungen von Georg Jäger zugrunde, der sich wiederum auf Niklas Luhmann bezieht.[12] Jäger bietet einen theoretischen Zugang zum wissenschaftlichen Buchhandel, der die Wechselwirkung zwischen Buchhandel und Wissenschaft mit den spezifischen historischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten verknüpft. Ebenfalls mit Wissenschaftsverlagen und der Ware Wissenschaft beschäftigen sich die Soziologen Uwe Schimank und Ute Volkmann in ihrem gleichnamigen Aufsatz.[13] Wenngleich Aspekte von Schimanks wissenschaftssoziologischem Erklärungsversuch ebenfalls mit der Systemtheorie verknüpft sind und somit begriffliche Anschlussmöglichkeiten bieten, fehlt in seiner Untersuchung wissenschaftlicher Verlage die dezidiert buchwissenschaftliche Perspektive. Zumal ausschließlich die aktuelle Situation der Soziologie und ihrer Verlage untersucht wird und nicht die Anfangsphase dieser Disziplin. Die Merkmale des wissenschaftlichen Verlags hat Jäger in der Geschichte des Deutschen Buchhandels in dem Band über das Kaiserreich herausgearbeitet, die von Ute Schneider im Folgeband zur Weimarer Republik nahtlos und ausführlich fortgesetzt werden[14] und in der sich Überblicksdarstellungen der wichtigsten wissenschaftlichen Verlage finden.
Von den im Folgenden näher untersuchten Verlagen wurde nur die Chronik von Mohr (Siebeck) ausführlich wissenschaftlich von Silke Knappenberger-Jans im Rahmen ihrer Dissertation Verlagspolitik und Wissenschaft. Der Verlag J. C. B. Mohr im frühen 20. Jahrhundert[15] aufgearbeitet. Sie befasst sich ungeschmälert mit der Verlagspolitik des wissenschaftlichen Verlags vor allem während des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik. Das Werk bietet in seiner Gesamtheit nicht nur wichtige Einblicke in die allgemeine Verlagsführung, sondern auch in das wissenschaftliche Programm, die Situation während und nach dem Ersten Weltkrieg und die Beziehung zu wichtigen Verlagsautoren, zum Beispiel Max Weber.
Anders stellt sich die Situation bezüglich der Informationen über den Ferdinand Enke Verlag und Duncker & Humblot dar. Eine korrekte wissenschaftliche Aufarbeitung der Verlagsgeschichten in Form einer Monographie existiert in beiden Fällen nicht, sodass Verlagsverzeichnisse und hauseigene Publikationen über die Historie des jeweiligen Verlags als Quellen dienen. Wenngleich diese Texte von einer Tendenz zur Selbstinszenierung geprägt sind, bieten sie doch Einblicke in die Geschichte zweier renommierter Verlagshäuser.
Im Folgenden wird die Wechselwirkung von Wissenschaft und Verlag exemplarisch an einzelnen wissenschaftlichen Verlagen, ihren Publikationen und Akteuren der soziologischen Scientific Community dargestellt.
1Siebeck, Hans: Hat der wissenschaftliche Privatverlag noch Daseinsberechtigung? Tübingen: J. C. B....